Leitsatz (amtlich)

Hat eine KK innerhalb von 3 Jahren für 78 Wochen Krankenhauspflege wegen derselben Krankheit gewährt, so kann sie nach Ablauf der 3 Jahre die weitere Gewährung von Krankenhauspflege nicht deswegen verweigern, weil die Krankenhauspflegebedürftigkeit ununterbrochen fortbestanden hat.

 

Normenkette

RVO § 183 Abs. 2 S. 1 Fassung: 1961-07-12, § 184

 

Tenor

Die Revision der beklagten Ersatzkasse gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 21. Dezember 1965 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Die beklagte Ersatzkasse hat die Kosten für die stationäre Behandlung der an Tuberkulose erkrankten Ehefrau ihres Mitgliedes F F für die Zeit vom 22. November 1960 bis zum 21. Mai 1962 (= 78 Wochen) auf Grund ihrer Versicherungsbedingungen übernommen. Für die anschließende Zeit - bis die Kranke nach ununterbrochener Behandlung am 10. April 1964 aus der Heilanstalt entlassen wurde - hat das klagende Land die Behandlungskosten aus Mitteln der Sozialhilfe getragen; die beklagte Krankenkasse beteiligte sich nur mit einem Betrag von 1 DM täglich (Abschnitt III des Erlasses des Reichsarbeitsministers vom 2. November 1943 betr. Verbesserungen in der gesetzlichen Krankenversicherung - Verbesserungserlaß -, AN 1943, 485).

Das klagende Land meint, die beklagte Ersatzkasse hätte nach Ablauf von drei Jahren seit Beginn der Krankenhausbehandlung, d.h. vom 22. November 1963 an, die Kosten wieder voll übernehmen müssen, wie sich aus ihren Versicherungsbedingungen ergebe, die die Wiedergewährung von Krankenhauspflege entsprechend der Vorschrift über die Wiedergewährung von Krankengeld in § 183 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) regelten. Die Beklagte hält sich dazu jedoch in Fällen, in denen die Arbeitsunfähigkeit oder - wie hier - die Krankenhauspflegebedürftigkeit über die Dauer von drei Jahren hinaus ununterbrochen fortbestanden hat, nach Ablauf der drei Jahre mithin nicht erneut Arbeitsunfähigkeit oder Krankenhauspflegebedürftigkeit eingetreten ist, nicht für verpflichtet: Krankengeld und Krankenhauspflege könnten nur nach Beginn einer neuen Dreijahresfrist wiedergewährt werden; deren Beginn setze aber beim Krankengeld einen neuen Krankengeldanspruch voraus, der nur entstehen könne, wenn auch die Arbeitsunfähigkeit erneut eintrete. Entsprechendes gelte für die Krankenhauspflege.

Die Vorinstanzen haben den nach §§ 1531, 1541 RVO iVm § 59 des Bundessozialhilfegesetzes erhobenen - 500 DM übersteigenden - Ersatzanspruch des Landes für begründet gehalten. Das Landessozialgericht (LSG) hat sich dabei vor allem auf den Wortlaut und die Entstehungsgeschichte des § 183 Abs. 2 RVO gestützt; daraus ergebe sich, daß auch bei fortlaufender Krankenhauspflege wegen derselben Krankheit - nach einer Bezugsdauer von 78 Wochen innerhalb von drei Jahren - mit dem Ablauf der drei Jahre und dem Beginn einer weiteren Dreijahresfrist ein neuer Anspruch auf Krankenhauspflege entstehe (Urteil vom 21. Dezember 1965).

Die beklagte Ersatzkasse hat mit der - vom LSG zugelassenen - Revision im wesentlichen ihr bisheriges Vorbringen wiederholt; sie hat ergänzend vorgetragen, der Gesetzgeber habe durch die zeitliche Begrenzung der Krankenhauspflege bei derselben Krankheit die Krankenversicherung von den Kosten für Pflegefälle entlasten wollen. Die Beklagte beantragt,

die Urteile des LSG Niedersachsen vom 21. Dezember 1965 und des Sozialgerichts Hannover vom 25. September 1964 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Das klagende Land beantragt,

die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

II

Die Revision der beklagten Ersatzkasse ist unbegründet. Das Berufungsgericht hat zutreffend entschieden, daß die Beklagte dem klagenden Land die von diesem für die Zeit vom 22. November 1963 bis zum 10. April 1964 getragenen Krankenhauskosten voll zu erstatten hat.

Entgegen der Ansicht der Beklagten können Versicherte oder mitversicherte Familienangehörige, die wegen derselben Krankheit Krankenhauspflege für 78 Wochen innerhalb von drei Jahren erhalten haben, aber weiterhin - ununterbrochen krankenhauspflegebedürftig geblieben sind, nach Ablauf der drei Jahre wiederum Krankenhauspflege erhalten. Das folgt für die versicherungspflichtigen Mitglieder der Beklagten (vgl. § 507 RVO) aus § 183 Abs. 2 RVO, der die Dauer der Gewährung des Krankengeldes regelt, und Abschnitt I Nr. 2 b des Verbesserungserlasses vom 2. November 1943, wonach Krankenhauspflege "unter den gleichen Voraussetzungen und im gleichen Umfange wie Krankengeld" gewährt werden kann. Für die Familienangehörigen der versicherungspflichtigen Mitglieder gilt die gleiche Regelung (Art. 10 der Ersten Verordnung zur Vereinfachung des Leistungs- und Beitragsrechts in der Sozialversicherung vom 17. März 1945, RGBl I, 41, in Verbindung mit Art. 3 und 9 des Gesetzes vom 12. Juli 1961, BGBl I, 913). Für die freiwillig versicherten Mitglieder der Beklagten und deren Angehörige, für die die genannten Bestimmungen nicht unmittelbar anwendbar sind (vgl. BSG 25, 195, 197), hat die Beklagte die Gewährung von Krankenhauspflege in ihren Versicherungsbedingungen ebenso wie für die versicherungspflichtigen geregelt (§§ 16 Abs. 6, 20 Abs. 7 b in der seit dem 1. August 1961 geltenden Fassung). Ob die Beklagte im vorliegenden Fall nach den Bestimmungen für die versicherungspflichtigen oder denen für die freiwillig versicherten Mitglieder zu leisten hat, kann der Senat mangels entsprechender Feststellungen des Berufungsgerichts nicht entscheiden, braucht aber auch nicht geklärt zu werden, da die Bestimmungen für beide Gruppen der Versicherten übereinstimmend auf die Vorschriften über die Gewährung von Krankengeld in § 183 Abs. 2 RVO verweisen.

Nach § 183 Abs. 2 Satz 1 RVO wird Krankengeld ohne zeitliche Begrenzung gewährt, für den Fall der Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit jedoch für höchstens 78 Wochen innerhalb von je drei Jahren, gerechnet vom Tage des Beginns der Arbeitsunfähigkeit an. Diese - am 1. August 1961 in Kraft getretene - Vorschrift hat die bisherige Regelung ersetzt, die eine Gewährung von Krankengeld im allgemeinen nur für 26 Wochen vorsah (Abschnitt I Nr. 2 a des Verbesserungserlasses vom 2. November 1943). Seither ist also die Gewährung von Krankengeld grundsätzlich nicht mehr zeitlich beschränkt. Eine Ausnahme gilt jedoch weiterhin für Versicherte, die an langdauernden Krankheiten leiden: Sie sollen wegen derselben Krankheit Krankengeld nur für höchstens 78 Wochen innerhalb von je drei Jahren erhalten. Nach Erschöpfung dieser Bezugszeit wird mithin die Zahlung des Krankengeldes eingestellt. Ob damit der Anspruch auf das bisher gewährte Krankengeld erlischt oder, wenn der Versicherte weiterhin arbeitsunfähig bleibt, bis zum Beginn einer neuen dreijährigen Rahmenfrist nur ruht, kann dahinstehen. Auch wenn der Anspruch zunächst erlöschen sollte, würde er - bei Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit - mit dem Beginn einer neuen Dreijahresfrist wiederaufleben oder neu entstehen: Der Beginn der neuen Dreijahresfrist und damit das Wiederaufleben des alten oder die Entstehung eines neuen Anspruchs hängen nach dem Wortlaut des § 183 Abs. 2 RVO nicht davon ab, daß die Arbeitsunfähigkeit inzwischen weggefallen war und später erneut eingetreten ist. Nach der genannten Vorschrift rechnet nämlich der Lauf der Dreijahresfrist an vom Tage des Beginns "der" Arbeitsunfähigkeit an; der Beginn einer neuen Frist setzt also nicht jeweils den Eintritt einer neuen Arbeitsunfähigkeit voraus. Außerdem wird das Krankengeld für eine bestimmte Höchstbezugszeit innerhalb von "je" drei Jahren gewährt; es ist mithin nach Ablauf der ersten Dreijahresfrist neu zu gewähren, ohne daß nach dem Wortlaut des Gesetzes dafür der Eintritt einer neuen Arbeitsunfähigkeit erforderlich ist.

Daß dieses Ergebnis auch den Absichten des Gesetzgebers entspricht, hat das Berufungsgericht zutreffend dargelegt (vgl. insbesondere die Ausführungen des Abgeordneten Stingl bei der 2. Lesung des Gesetzesentwurfs, Verhandlungen des 3. Deutschen Bundestages, Sten. Berichte S. 9297 B, und des Ministers H. im Bundesrat, Sten. Berichte über die 234. Sitzung des Bundesrats, S. 156 B; vgl. ferner die Begründung zu § 196 des Entwurfs eines Krankenversicherungs-Neuregelungsgesetzes, Bundestags-Drucksache 1540, 3. Wahlper.). Es würde schließlich dem Zweck des neuer § 183 Abs. 2 RVO widersprechen, der vor allem den schwer und langdauernd erkrankten Versicherten einen besseren Versicherungsschutz gewährleisten soll (vgl. die Begründung zu § 196 des genannten Entwurfs), wenn gerade die am schwersten betroffenen Versicherten - die Dauerkranken - nach einer Bezugszeit von 78 Wochen praktisch ausgesteuert würden, während andere Versicherte, die wegen derselben Krankheit nur mit Unterbrechungen arbeitsunfähig werden, nach Beginn von jeweils neuen Dreijahresfristen wiederum Leistungen erhalten könnten.

Den von der Beklagten hervorgehobenen Gesichtspunkt, daß die Krankenversicherung nicht mit den Kosten von "Pflegefällen" belastet werden dürfe, hat der Gesetzgeber, wenn man den Gesetzesmaterialien folgt, bei der Neufassung des § 183 RVO nur insoweit berücksichtigt, als er bei Vorliegen derselben Krankheit die Leistungen innerhalb der dreijährigen Rahmenfrist zeitlich auf höchstens 78 Wochen begrenzt hat (vgl. die Begründung zu § 196 Abs. 1 des genannten Entwurfs). Aus den Gesetzesmaterialien ist jedoch nicht zu entnehmen, daß die Regelung über die Wiedergewährung von Krankengeld oder Krankenhauspflege nach Ablauf von drei Jahren nicht für solche Versicherte gelten soll, die - was in Fällen der vorliegenden Art (Tuberkuloseerkrankung) nicht zweifelhaft sein kann und auch die Beklagte nicht in Abrede gestellt hat - ununterbrochen arbeitsunfähig oder krankenhauspflegebedürftig geblieben sind. Der Senat ist deshalb mit dem Berufungsgericht der Ansicht, daß nach § 183 Abs. 2 RVO das Krankengeld mit dem Beginn einer neuen dreijährigen Rahmenfrist auch dann wiederzugewähren ist, wenn die auf derselben Krankheit beruhende Arbeitsunfähigkeit des Versicherten seit dem erstmaligen Bezug des Krankengeldes ununterbrochen fortbestanden hat. Entsprechendes gilt für die Wiedergewährung von Krankenhauspflege an Versicherte oder deren mitversicherte Angehörige. Auf Krankenhauspflege besteht zwar - anders als auf Krankengeld - kein Rechtsanspruch. Auch sie kann jedoch nicht allein deswegen versagt werden, weil der betreffende Versicherte (Mitversicherte) innerhalb der unmittelbar vorhergegangenen drei Jahre wegen derselben Krankheit schon Krankenhauspflege für 78 Wochen erhalten hat und seitdem ununterbrochen krankenhauspflegebedürftig geblieben ist.

Das bedeutet allerdings, daß in Fällen, in denen die Arbeitsunfähigkeit oder Krankenhauspflegebedürftigkeit nach Ablauf der Bezugszeit von 78 Wochen fortbesteht, die Zuständigkeit für die weitere Leistungsgewährung zunächst häufig auf die Träger der Sozialhilfe übergeht bis nämlich mit dem Beginn einer neuen Rahmenfrist wiederum die Krankenkasse zuständig wird. Ein solcher - an sich unbefriedigender - Zuständigkeitswechsel muß jedoch in Kauf genommen werden, solange wegen derselben Krankheit Krankengeld oder Krankenhauspflege nicht ohne jede zeitliche Begrenzung gewährt wird. Ein Zuständigkeitswechsel würde im übrigen auch dann eintreten, wenn die Arbeitsunfähigkeit oder Krankenhauspflegebedürftigkeit nur für eine gewisse Zeit nach der Höchstbezugsdauer von 78 Wochen fortbesteht und erst nach Beginn einer neuen Rahmenfrist wieder eintritt; in diesem Falle würde auch nach Auffassung der Beklagten der Sozialhilfeträger vorübergehend zuständig werden.

Da die Beklagte somit rechtlich nicht gehindert war, der Ehefrau des Mitglieds F vom Beginn der neuen Dreijahresfrist am 22. November 1963 bis zur Entlassung aus der Heilanstalt am 10. April 1964 Krankenhauspflege zu gewähren, und die Beklagte diese bei richtiger Anwendung des Gesetzes bzw. ihrer Versicherungsbedingungen und bei rechtmäßiger Ausübung ihres Ermessens auch hätte gewähren müssen, steht dem klagenden Land nach §§ 1531, 1533 Nr. 3 Satz 1, 1541 RVO in Verbindung mit § 59 Abs. 2 des Bundessozialhilfegesetzes ein Anspruch auf vollen Ersatz der für die streitige Zeit aufgewendeten Krankenhauskosten zu (vgl. auch BSG 9, 112, 122 ff). Die Revision der Beklagten ist unbegründet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 4 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 243

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