Entscheidungsstichwort (Thema)

Unfallversicherungsschutz beim Betriebssport. Unfallversicherungsschutz beim Basketballspiel zwischen Lehrern einer Schule außerhalb der Dienstzeit

 

Leitsatz (redaktionell)

Die sportliche Betätigung von Betriebsangehörigen unterliegt dem Unfallversicherungsschutz, wenn sie geeignet ist, die durch Arbeit bedingte körperliche und geistige Belastung auszugleichen, mit einer gewissen Regelmäßigkeit stattfindet und durch einen im wesentlichen auf Betriebsangehörige beschränkten Teilnehmerkreis und die unternehmensbezogene Organisation sowie durch Zeit und Dauer der Übungen in einem dem Ausgleichszweck entsprechenden Zusammenhang mit der Betriebstätigkeit steht.

 

Orientierungssatz

1. Für den Unfallversicherungsschutz bei einer sportlichen Betätigung von Betriebsangehörigen kommt es nicht darauf an, ob der Unternehmer selbst Veranstalter ist (vgl BSG 28.11.1961 2 RU 130/59 = BSGE 16, 1, 6), eine unternehmensbezogene Organisation kann auch darin gesehen werden, daß dem Ausgleich dienende sportliche Betätigungen auf Anregung von Betriebsangehörigen ohne Teilnahmezwang vom Unternehmer gebilligt, durch Bereitstellen von Sportstätten und -geräten gefördert wird und durch das Mitwirken eines - betriebsangehörigen - Sportlehrers eine dem Ausgleichszweck entsprechende Gestaltung der Übungen gewährleistet ist.

2. Beim Basketballspiel zwischen Lehrern außerhalb der Dienstzeit ist es für den Unfallversicherungsschutz auch nicht erforderlich, daß die Schulleitung selbst tatsächlich Einfluß auf die "Gestaltung" der Sportveranstaltungen nimmt.

 

Normenkette

RVO § 548 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1963-04-30

 

Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Entscheidung vom 11.01.1983; Aktenzeichen L 3 U 269/82)

SG München (Entscheidung vom 07.07.1982; Aktenzeichen S 24 U 690/80)

 

Tatbestand

Die Beigeladene war Lehrerin im Angestelltenverhältnis an der Staatlichen Realschule für Knaben in T. Am 4. Mai 1977 verletzte sie sich während eines Basketballspiels zwischen Lehrern der Schule außerhalb der Dienstzeit bei einem Zusammenprall mit dem Kläger, der damals Studienreferendar an derselben Schule war. Wegen der Unfallfolgen verlangt die Beigeladene von dem Kläger Schadensersatz im zivilgerichtlichen Verfahren.

Der Beklagte lehnte der Beigeladenen gegenüber eine Entschädigung ab, da sich der Unfall bei einer privaten Zwecken dienenden Betätigung ereignet habe (Schreiben vom 21. Mai 1979). Der Kläger hat hiergegen Widerspruch eingelegt und erklärt, er beteilige sich gemäß § 639 der Reichsversicherungsordnung (RVO) an dem Feststellungsverfahren (Schreiben vom 15. Februar 1980). Der Beklagte wies den Widerspruch zurück und führte zur Begründung aus, bei dem Lehrersport, bei dem die Beigeladene verunglückt sei, habe es an der zweckgerichteten Einflußnahme der Schulleitung gefehlt; es habe sich deshalb nicht um Betriebssport, folglich auch nicht um einen Arbeitsunfall gehandelt (Bescheid vom 30. September 1980).

Das Sozialgericht (SG) München hat die auf Anerkennung des Unfalls als Arbeitsunfall und auf Gewährung von Entschädigung an die Beigeladene gerichtete Klage aus den vom Beklagten angeführten Gründen abgewiesen (Urteil vom 7. Juli 1982). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 11. Januar 1983). Zur Begründung hat es ua ausgeführt: Der Kläger sei zwar gemäß § 639 iVm § 637 RVO zur Klage befugt. Die Klage sei jedoch unbegründet, da der Unfall der Beigeladenen kein Arbeitsunfall gewesen sei. Von den Voraussetzungen eines Betriebssports, welcher der versicherten Tätigkeit gleichzusetzen sei, habe es an der unternehmensbezogenen Organisation der sportlichen Übungen und an einer zweckgerichteten Einflußnahme des Unternehmens oder eines Beauftragten auf die Gestaltung der Übungen gefehlt. Nach den schriftlichen Auskünften des Direktors der Schule sei der Lehrersport vielmehr von den Lehrern angeregt worden, sei auf völlig freiwilliger Basis erfolgt, und vom Schulleiter oder Sachträger sei keinerlei Einfluß auf die Gestaltung genommen worden. Die Schule habe auch keine Lehrkraft beauftragt, die Gestaltung des Sports zu übernehmen. Die sportliche Betätigung habe auf privater Initiative der Beteiligten - auch des Sportlehrers S.- beruht und somit lediglich eine Ausnutzung der Freizeit dargestellt. Daran ändere nicht, daß die Schule mit der Ausübung der Sportstunden einverstanden gewesen sei und zu diesem Zweck auch im Einvernehmen mit dem Sachträger des Landkreises T.-W. die Genehmigung zur Benutzung der Sportstätten erteilt habe. Dabei habe es sich nicht um eine Einflußnahme des Unternehmens auf die Sportübungen, sondern um eine Fürsorgemaßnahme gehandelt.

Der Kläger hat Revision eingelegt und vertritt weiterhin die Ansicht, die Beigeladene habe einen Arbeitsunfall erlitten. Das LSG habe unzutreffend neben dem Erfordernis einer unternehmensbezogenen Organisation der sportlichen Betätigung eine Einflußnahme des Unternehmens als zusätzliche Voraussetzung für die Annahme eines Betriebssports gewertet. Die unternehmensbezogene Organisation habe hier schon darin bestanden, daß die Schulleitung die Sportstätten und -geräte zur Verfügung gestellt habe und damit einverstanden gewesen sei, daß die Übungen unter Leitung des Sportlehrers S. stattfanden.

Der Kläger beantragt, die Urteile des SG und des LSG sowie den Verwaltungsakt der Beklagten vom 21. Mai 1979 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. September 1980 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, den Unfall der Beigeladenen am 4. Mai 1977 als Arbeitsunfall anzuerkennen und ihr die gesetzlichen Leistungen zu gewähren.

Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beigeladene stellt keinen Antrag.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist insofern begründet, als die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen ist (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).

Das LSG hat zutreffend die Prozeßführungsbefugnis des Klägers bejaht, der in diesem Rechtsstreit nicht eigene Rechte wahrnimmt, sondern die Verurteilung des Beklagten begehrt, den Unfall der Beigeladenen am 4. Mai 1977 als Arbeitsunfall anzuerkennen und der Beigeladenen hierfür Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren. Der Kläger ist zur Verfolgung dieser Ansprüche gemäß § 639 RVO befugt, weil die Beigeladene gegen ihn zivilrechtliche Schadensersatzansprüche erhoben hat und er der Ansicht ist, ihm stehe das Haftungsprivileg der §§ 636, 637 RVO zu (s BSGE 5, 168, 170; BSG SozR Nr 1 zu § 639 RVO).

Die Frage, ob der Unfall der Beigeladenen beim Basketballspiel ein Arbeitsunfall (§ 548 iVm § 539 Abs 1 Nr 1 RVO) war, läßt sich nach den bisher vom LSG getroffenen tatsächlichen Feststellungen nicht abschließend entscheiden.

Das LSG geht, ohne dies ausdrücklich festzustellen, aufgrund der schriftlichen Auskünfte des Direktors der Staatlichen Realschule für Knaben in T. vom 23. April 1979 offensichtlich davon aus, daß die Beigeladene zur Unfallzeit als Angestellte bei der genannten Schule gemäß § 539 Abs 1 Nr 1 RVO gegen Arbeitsunfall versichert war. Der Unfall ereignete sich jedoch außerhalb des Dienstes bei der Teilnahme an einem Basketballspiel, zu dem sich mehrere Schulangehörige zusammengefunden hatten. Unter welchen tatsächlichen Umständen der innere Zusammenhang einer sportlichen Betätigung mit der Beschäftigung im Unternehmen nach § 539 Abs 1 Nr 1 RVO anzunehmen ist, hat der erkennende Senat in seinem Urteil vom 28. November 1961 (BSGE 16, 1) näher dargelegt. Nach den in dieser Entscheidung aufgestellten Grundsätzen ist eine sportliche Betätigung von Betriebsangehörigen einer versicherten Tätigkeit gleichzustellen, wenn sie geeignet ist, die durch die Arbeit bedingte körperliche und geistige Belastung auszugleichen, mit einer gewissen Regelmäßigkeit stattfindet und durch den im wesentlichen auf Betriebsangehörige beschränkten Teilnehmerkreis und die unternehmensbezogene Organisation sowie durch Zeit und Dauer der Übungen in einem dem Ausgleichszweck entsprechenden Zusammenhang mit der Betriebsarbeit steht (s auch Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1. - 9. Aufl S 482v mit zahlreichen weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung und dem ihr beigetretenen Schrifttum). Das LSG ist der Auffassung, an den Voraussetzungen eines der versicherten Tätigkeit gleichzusetzenden Betriebssports habe es hier deshalb gefehlt, weil die sportlichen Veranstaltungen der Lehrer nicht im Rahmen einer unternehmensbezogenen Organisation stattgefunden und das Unternehmen oder ein von diesem Beauftragter keinen zweckgerichteten Einfluß auf die Gestaltung der Übungen genommen hätten. In tatsächlicher Hinsicht hat das LSG insoweit festgestellt, daß die Schulleitung mit der Ausübung des Lehrersports zwar einverstanden gewesen sei und zu diesem Zweck auch im Einvernehmen mit dem Sachträger des Landkreises T.-W. die Genehmigung zur Benutzung der Sportstätten erteilt habe, die sportliche Betätigung jedoch von den Lehrkräften angeregt worden und auf völlig freiwilliger Basis erfolgt sei; der Schulleiter oder der Sachträger hätten auf die Gestaltung keinerlei Einfluß genommen. Weder die Freiwilligkeit der Teilnahme am Ausgleichssport noch der Umstand, daß die Durchführung der sportlichen Übungen von Betriebsangehörigen angeregt worden sind, stehen jedoch dem Erfordernis einer unternehmensbezogenen Organisation (s BSG aaO) entgegen. Das genannte Erfordernis dient vielmehr in erster Linie der Abgrenzung gegenüber Betätigungen in Vereinen und sonstigen Einrichtungen, die mit dem Unternehmen nicht in Beziehung stehen (s BSG Breithaupt 1969, 566, 568; Brackmann aaO S 483c; Gitter, SGB-Sozialversicherung-Gesamtkommentar, § 548 Anm 26). Es kommt nicht darauf an, ob der Unternehmer selbst Veranstalter ist (BSGE 16, 1, 6), eine unternehmensbezogene Organisation kann auch darin gesehen werden, daß dem Ausgleich dienende sportliche Betätigungen auf Anregung von Betriebsangehörigen ohne Teilnahmezwang vom Unternehmer gebilligt, durch Bereitstellen von Sportstätten und -geräten gefördert wird und - wie anscheinend hier - durch das Mitwirken eines - betriebsangehörigen - Sportlehrers eine dem Ausgleichszweck entsprechende Gestaltung der Übungen gewährleistet ist. Es ist entgegen der Auffassung des LSG auch nicht erforderlich, daß die Schulleitung selbst tatsächlich Einfluß auf die "Gestaltung" der Sportveranstaltungen nimmt. Die Bezugnahme auf das Urteil des Senats vom 26. Juni 1958 (BSGE 7, 249, 253) führt schon deshalb zu keinem anderen Ergebnis, weil dieses Urteil die Frage des Versicherungsschutzes bei betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltungen betrifft. Diese müssen - anders als der Betriebssport - auch in ihrer Durchführung von der Autorität der Unternehmensleitung oder eines von ihr Beauftragten getragen sein.

Die durch die Besonderheiten des damals zu beurteilenden Sachverhalts gekennzeichnete Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 30. Mai 1968 (Breithaupt 1969, 566), auf die sich das LSG bezieht, ist ebenfalls nicht dahin zu verstehen, daß über die hier aufgezeigten Erfordernisse hinaus für die Annahme einer unternehmensbezogenen Organisation betriebssportlicher Übungen in jedem Fall eine weitergehende, vom Unternehmen oder einem Beauftragten ausgehende zweckgerichtete Einflußnahme auf die Gestaltung der Übungen gegeben sein muß.

Das LSG wird hiernach entsprechende Feststellungen zu treffen und erneut zu prüfen haben, ob die sportliche Betätigung der Lehrer in unternehmensbezogener Organisation durchgeführt worden sind und ob auch die übrigen Voraussetzungen eines der versicherten Tätigkeiten gleichzusetzenden Betriebssports vorgelegen haben.

Die Sache ist deshalb an das LSG zurückzuverweisen, das auch über die Kosten des Revisionsverfahrens entscheiden wird.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1660726

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