Leitsatz (amtlich)

Der militärische Dienst ist iS des RVO § 1251 Abs 1 Nr 1 nicht auf Grund gesetzlicher Wehrpflicht, sondern von Anfang an berufsmäßig geleistet worden, wenn der Versicherte sich bei seinem Eintritt in die Reichswehr im Jahre 1934 - der damaligen Übung entsprechend - zunächst nur für 1 1/2 Jahre, anschließend aber für längere Zeit verpflichtet hat.

 

Normenkette

RVO § 1251 Abs 1 Nr 1 Fassung: 1957-02-23

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 19.12.1978; Aktenzeichen L 13 J 14/77)

SG Dortmund (Entscheidung vom 07.12.1976; Aktenzeichen S 13 J 34/75)

 

Tatbestand

I

Der Kläger begehrt von der Beklagten ein höheres Altersruhegeld unter Berücksichtigung der Zeit vom 1. November 1934 bis zum 31. Oktober 1936 als Ersatzzeit nach § 1251 Abs 1 Nr 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO).

Der im Jahre 1909 geborene Kläger trat zum 1. November 1934 in die Reichswehr ein und verpflichtete sich zunächst für eine Dienstzeit bis zum 30. September 1935, am 1. Oktober 1935 dann für weitere viereinhalb Jahre und schließlich am 1. Dezember 1936 für 12 Dienstjahre in der Wehrmacht. Die Beklagte gewährte ihm mit Bescheid vom 10. März 1975 das Altersruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres, wobei sie eine Ersatzzeit vom 26. August 1939 bis zum 24. Juli 1945 berücksichtigte. Die Anrechnung von Nachversicherungszeiten behielt sie einem weiteren Bescheid vor.

In einer Bescheinigung des Landesamtes für Besoldung und Versorgung Nordrhein-Westfalen vom 12. August 1975 über das Vorliegen der dienstrechtlichen Voraussetzungen der Nachversicherung nach § 99 des Allgemeinen Kriegsfolgegesetzes (AKG) und § 72 des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Artikel 131 des Grundgesetzes fallenden Personen (G 131) wird die Zeit vom 1. November 1934 bis zum 31. Oktober 1936 als Zeit des aktiven Wehrdienstes (ohne Nachversicherung), die Zeit vom 1. November 1936 bis zum 30. November 1936 als Dienstzeit eines längerdienenden Freiwilligen mit der Nachversicherung nach § 99 AKG und die Zeit vom 1. Dezember 1936 bis zum 8. Mai 1945 als Dienstzeit eines Berufssoldaten mit der Nachversicherung nach § 72 G 131 ausgewiesen. Die Beklagte stellte mit Bescheid vom 7. Oktober 1975 das Altersruhegeld des Klägers unter Berücksichtigung der Nachversicherungszeit vom 1. November 1936 bis zum 8. Mai 1945 und einer Ersatzzeit vom 9. Mai 1945 bis zum 24. Juli 1945 neu fest.

Klage und Berufung, mit denen der Kläger die Berücksichtigung der Zeit vom 1. November 1934 bis zum 31. Oktober 1936 als Ersatzzeit geltend machte, hatten keinen Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) hat in seinem Urteil vom 19. Dezember 1978 im wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe den militärischen Dienst in der streitigen Zeit nicht aufgrund gesetzlicher Wehrpflicht geleistet. Diese sei erst mit dem Inkrafttreten des Wehrgesetzes (WG) am 21. Mai 1935 entstanden. Der Kläger habe seinen Dienst als Soldat berufsmäßig,dh zur Erzielung von Erwerbseinkommen ausgeübt. Seine damalige Besoldung zeige, daß er zu keiner Zeit einem Wehrpflichtigen dienstrechtlich gleichgestellt gewesen sei.

Der Kläger hat dieses Urteil mit der - vom LSG zugelassenen - Revision angefochten, mit der er eine Verletzung des § 1251 Abs 1 Nr 1 RVO rügt. Der 11. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) habe mit Urteil vom 19. August 1976 (BSGE 42, 159 = SozR 2200 § 1251 Nr 24) in einem ähnlich gelagerten Fall die Ersatzzeit anerkannt. Der geltend gemachte Anspruch sei mindestens für die Zeit vom Inkrafttreten des WG (21. Mai 1935) an begründet. Als Angehöriger des Beurlaubtenstandes (Ersatzreserve) habe er von diesem Zeitpunkt an aktiven Militärdienst im Sinne des § 7 Abs 1 Satz 3 Nr 4 WG geleistet und damit seine Wehrpflicht erfüllt. Es könne nicht dem Willen des Gesetzgebers entsprechen, daß die streitige Zeit weder als nachversicherte Beitragszeit noch als Ersatzzeit angerechnet werde.

Der Kläger beantragt,

das angefochtene Urteil sowie das Urteil des Sozialgerichts aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung der Bescheide vom 10. März 1975 und 7. Oktober 1975 zu verurteilen, bei der Berechnung des Altersruhegeldes eine zusätzliche Ersatzzeit vom 1. November 1934 bis zum 31. Oktober 1936 rentensteigernd zu berücksichtigen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Sie ist der Ansicht, der Kläger habe den Wehrdienst nicht aufgrund der Wehrpflicht, sondern berufsmäßig ausgeübt. Das sei stets der Fall, wenn ein Versicherter vor Verkündung der WG der damaligen Reichswehr beigetreten sei.

 

Entscheidungsgründe

II

Die zulässige Revision des Klägers hat keinen Erfolg, denn das LSG hat mit der Zurückweisung der Berufung mit Recht das die Klage abweisende erstinstanzliche Urteil bestätigt. Der Kläger hat keinen Anspruch auf ein höheres Altersruhegeld unter Berücksichtigung der streitigen Zeit als Ersatzzeit.

Der Kläger hat zwar vom 1. November 1934 an militärischen Dienst im Sinne des § 2 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) geleistet. Nach § 1251 Abs 1 Nr 1 RVO wäre die streitige Zeit, während der kein Krieg herrschte, nur dann Ersatzzeit, wenn der Kläger den militärischen Dienst aufgrund gesetzlicher Dienstpflicht oder Wehrpflicht geleistet hätte. Das trifft jedoch nicht zu.

Da eine gesetzliche Dienstpflicht oder Wehrpflicht erst durch das WG vom 21. Mai 1935 begründet worden ist und der Kläger als Angehöriger des Geburtsjahrgangs 1909 nicht herangezogen worden wäre, seine Dienstpflicht 1935 abzuleisten, ist schon deshalb fraglich, ob eine Ersatzzeit vor Mai 1935 überhaupt in Betracht kommen kann (vgl BSG SozR Nr 41 zu § 1251 RVO zu dem vergleichbaren Tatbestand des freiwilligen Arbeitsdienstes vor Einführung der Dienstpflicht). Diese zweifelhafte Frage kann aber unentschieden bleiben, weil aus anderen Gründen für die gesamte streitige Zeit eine Ersatzzeit ausscheidet.

Nach der Rechtsprechung des BSG steht die Freiwilligkeit der Ableistung militärischen Dienstes zwar nicht in jedem Falle der Annahme entgegen, daß der militärische Dienst aufgrund der Wehrpflicht geleistet wurde (vgl BSG SozR Nr 54 zu § 1251 RVO; SozR 2200 § 1251 Nrn 24,25, 57, 68). Das gilt insbesondere dann, wenn die freiwillige Leistung des militärischen Dienstes der vorzeitigen Erfüllung einer bereits bestehenden Wehrpflicht dient. Ob allerdings die Freiwilligkeit des Wehrdienstes einer Ersatzzeit nach § 1251 Abs 1 Nr 1 RVO nicht dann entgegensteht, wenn bei Beginn des freiwilligen Wehrdienstes noch keine Wehrpflicht besteht (vgl hierzu BSG SozR 2200 § 1251 Nr 57) kann offenbleiben. Nach der nunmehr ständigen Rechtsprechung des BSG ist der Tatbestand des § 1251 Abs 1 Nr 1 RVO nicht erfüllt, wenn der militärische Dienst in Friedenszeiten berufsmäßig ausgeübt wurde (vgl BSG SozR Nrn 7, 65 zu § 1251 RVO; SozR 2200 § 1251 Nrn 24, 25, 26, 57, 68). Das gilt auch dann, wenn mit der berufsmäßigen Ausübung des militärischen Dienstes die gesetzliche Wehrpflicht gleichzeitig erfüllt wird (vgl hierzu insbesondere BSG SozR 2200 § 1251 Nr 57). Der Zweck der Ersatzzeitenregelung in § 1251 Abs 1 Nr 1 RVO besteht darin, versicherungsrechtliche Nachteile auszugleichen, die einem Versicherten dadurch entstanden sind, daß er infolge seiner Militärdienstpflicht vorübergehend keine versicherungspflichtige Tätigkeit ausüben und damit auch keine Beiträge entrichten konnte (vgl BSG SozR Nr 7 zu § 1251 RVO). Der Berufssoldat wird aber nicht durch die Wehrpflicht, sondern dadurch an der Entrichtung von Pflichtbeiträgen zur Rentenversicherung gehindert, daß er einen versicherungsfreien Beruf ausübt.

Der Kläger hat den militärischen Dienst von Anfang an berufsmäßig ausgeübt. Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 53 Abs 1 Satz 1 G 131 hat bei der Abgrenzung des berufsmäßigen Wehrdienstes von der gesetzlichen Wehrpflicht den freiwillig geleisteten Wehrdienst nicht notwendig als berufsmäßig angesehen, auch wenn er in einem reinen Berufsheer geleistet worden ist. Weder die gesetzliche Regelung des Wehrdienstes noch die Dauer der Dienstverpflichtung ließen einen unbedingt zwingenden Schluß auf die Art des Dienstverhältnisses zu.

Letztlich entscheidend könne die in Würdigung der Gesamtumstände zu beantwortende Frage sein, ob sich der Verpflichtende mit seinem Diensteintritt den soldatischen Beruf als Hauptberuf gewählt habe, sich also für längere Zeit dem Wehrdienst berufsmäßig habe widmen wollen und ob der Dienstherr ihm die Möglichkeit hierzu habe eröffnen wollen (so BVerwG im Urteil vom 18. Februar 1959 in Buchholz 234 § 53 G 131 Nr 11 mwN; ebenfalls BVerwG aaO Nr 18). Nach diesen Grundsätzen, denen zuzustimmen ist, hat der Kläger den Wehrdienst von Anfang an und während der gesamten streitigen Zeit berufsmäßig geleistet, wie sich aus der Würdigung der Gesamtumstände ergibt.

Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts verpflichtete sich der Kläger entsprechend der während der Übergangszeit bis zum Inkrafttreten des WG geübten Einstellungspraxis bei der Reichswehr nur für eine Dienstzeit bis zum 30. September 1935. Damals konnten sich Freiwillige zunächst lediglich für eine kürzere und erst später für eine längere Dienstzeit verpflichten. Die nicht berufsmäßige Ausübung des Wehrdienstes kann nicht allein damit begründet werden, daß während der Zeit, in der das WG sich noch in der Vorbereitung befand und sich der Übergang der Streitkräfte von der Reichswehr in die Wehrmacht vollzog, freiwillige Verpflichtungen über den Monat September 1935 hinaus allgemein nicht akzeptiert wurden. Zwar wird im allgemeinen der Beruf eines Soldaten nur in einer die Dauer der Wehrpflicht überschreitenden längeren Zeit ausgeübt. Ist die Möglichkeit zu einer längeren erstmaligen Verpflichtung aber allgemein ausgeschlossen, so kann das - ebenso wie bei einer Probezeit - die berufsmäßige Ausübung nicht ausschließen, wenn im übrigen die Wesensmerkmale dafür vorliegen. Das Berufungsgericht hat das ohne Rechtsirrtum bejaht. Die Gesamtumstände des vorliegenden Falles, insbesondere die Freiwilligkeit, der Zeitpunkt des Beginns in einem Berufsheer vor Einführung der Wehrpflicht, die Gesamtdauer und die Entgeltlichkeit des Wehrdienstes geben dem Wehrdienst des Klägers von Anfang an das Gepräge einer Berufsausübung. Wenn auch jeder dieser Gründe für sich allein betrachtet noch nicht zur Annahme der Berufsmäßigkeit zwingen mag, so führen sie doch in ihrer Gesamtheit zu dieser Bewertung.

Dafür sprechen auch die "Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zur Durchführung der sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften (§§ 72 bis 74) des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Art 131 des Grundgesetzes fallenden Personen" (VwV) vom 20. Februar 1968 (Beilage zum Bundesanzeiger Nr 42 vom 29. Februar 1968). Nach Nr 7 Abs 2 Buchst a VwV sind bei der Nachversicherung Zeiten der Erfüllung gesetzlicher Wehrpflicht nicht zu berücksichtigen. Jedoch bestimmt Nr 8 Ziff 1 VwV ausdrücklich, daß Berufssoldaten als nachversichert gelten für die Zeit vom Tage der Wirkung der Verpflichtung für eine längere Dienstzeit an, jedoch Berufssoldaten, die in die Reichswehr vor dem 1. Oktober 1935 eingetreten sind, vom Tage des Diensteintritts an. Die zweite Alternative dieser Vorschrift betrifft - da die erste Alternative alle längerdienenden Berufssoldaten erfaßt - nur die Berufssoldaten, die vor dem 1. Oktober 1935 als nicht längerdienende in die Reichswehr eingetreten sind. Diese Soldaten werden hinsichtlich der Nachversicherung also von Anfang an den längerdienenden Berufssoldaten gleichgestellt, auch wenn sie sich nur für eine kürzere Zeit verpflichtet haben und verpflichten konnten. Zwar mag die Möglichkeit der Nachversicherung eine Ersatzzeit dann nicht ausschließen, wenn und solange die Nachversicherung nicht als durchgeführt gilt (vgl hierzu BSG SozR 2600 § 45 Nr 11). Die besondere Erwähnung der vor dem 1. Oktober 1935 mit einer kürzeren Verpflichtung in die Reichswehr eingetretenen Soldaten in der VwV deutet aber darauf hin, daß diesen Soldaten die Möglichkeit der Nachversicherung eingeräumt wird, weil sie den Wehrdienst jedenfalls dann von Anfang an berufsmäßig geleistet haben, wenn sie sich später für längere Zeit verpflichtet haben und Berufssoldaten geworden oder geblieben sind. Dabei ist es ohne Bedeutung, ob und wann sie die förmliche Rechtsstellung, dh den Status eines Berufssoldaten erlangt haben.

Dem steht das Urteil des 11. Senats des BSG vom 19. August 1976 (SozR 2200 § 1251 Nr 24), auf das sich der Kläger beruft, nicht entgegen. In jenem Fall ist die berufsmäßige Ausübung des militärischen Dienstes trotz einer vor dem Jahre 1935 eingegangenen längeren Verpflichtung verneint worden, weil der Versicherte diese Verpflichtung rückgängig gemacht und den Wehrdienst nicht über die Zeit einer aktiven Dienstpflicht hinaus geleistet hat. Davon unterscheidet sich der vorliegende Fall grundlegend dadurch, daß der Kläger auch nach Erfüllung der Wehrpflicht den militärischen Dienst berufsmäßig fortgesetzt hat.

Dem Kläger ist zwar zuzugeben, daß es nicht dem Willen des Gesetzgebers entsprechen kann, wenn einem Versicherten die Zeit der Erfüllung der Wehrpflicht weder als Nachversicherungszeit noch als Ersatzzeit angerechnet wird. Bei berufsmäßiger Ausübung werden im allgemeinen die Voraussetzungen für die Nachversicherung gegeben sein, während in den übrigen Fällen im allgemeinen die Voraussetzungen des § 1251 Abs 1 Nr 1 RVO vorliegen werden. Der Umstand, daß die streitige Zeit bisher nicht als Nachversicherungszeit anerkannt ist, weil die zuständige Versorgungsstelle die dienstrechtlichen Voraussetzungen - möglicherweise zu Unrecht - nicht bescheinigt hat, kann jedoch nicht dazu führen, trotz Fehlens der Voraussetzungen des § 1251 Abs 1 Nr 1 RVO die Zeit als Ersatzzeit zu berücksichtigen.

Der Senat hat die danach unbegründete Revision des Klägers zurückgewiesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1656161

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