Leitsatz (amtlich)

1. Eine KK bedarf auch dann der Genehmigung der Aufsichtsbehörde nach RVO § 27e Abs 2, wenn sie eine Zahnklinik anstelle einer völlig zerstörten wiedererrichten will.

2. Eine "vertragliche Vereinbarung" (RVO § 368d Abs 1 S 4) zwischen KÄV und KK ist auch dann erforderlich, wenn diese eine Zahnklinik, die vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der genannten Vorschrift - 1955-08-20 - zerstört worden war, nach diesem Zeitpunkt wiedererrichten will.

 

Normenkette

RVO § 368d Abs. 1 S. 4 Fassung: 1955-08-17, § 27e Abs. 2 Fassung: 1930-07-26

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 25. Januar 1965 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die klagende Ortskrankenkasse betrieb seit 1916 in Kiel eine eigene Zahnklinik. Am 26. und 27. August 1944 wurde diese durch einen Luftangriff zerstört. Vorstand und die Vertreterversammlung der Klägerin beschlossen am 6. und 13. Juli 1961 die Wiedererrichtung der eigenen Zahnklinik.

Die beigeladene Kassenzahnärztliche Vereinigung erhob hiergegen Feststellungsklage sowie Aufsichtsbeschwerde bei dem beklagten Aufsichtsamt. Sie nahm diese Feststellungsklage wieder zurück, nachdem der Beklagte kraft seines Aufsichtsrechts die Maßnahmen der Klägerin untersagt hatte. Die vorläufige Anordnung des Beklagten vom 31. Juli 1961 hielt der Beklagte durch einen mit Rechtsmittelbelehrung vorgesehenen Bescheid vom 25. Mai 1962 aufrecht, wobei er sich auf § 368 d Abs. 1 Satz 4 und § 27 e Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) stützte.

Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin Klage erhoben mit dem Antrag, die genannte Anordnung aufzuheben. Das Sozialgericht (SG) hat nach Beiladung der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein die Klage abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Der Beklagte als das zuständige Aufsichtsorgan habe mit der Anordnung, Maßnahmen zur Errichtung einer Zahnklinik zu unterlassen, nicht das ihm zustehende Aufsichtsrecht überschritten. Auch wenn es sich hier nur um vorbereitende Maßnahmen handele, so seien diese bereits notwendige Schritte zur Verwirklichung des Vorhabens. Schon diese Vorbereitungsmaßnahmen stellten einen Verstoß gegen § 368 d Abs. 1 Satz 4 RVO dar, da die Klägerin als ersten Schritt eine vertragliche Vereinbarung mit der Kassenzahnärztlichen Vereinigung hätte herbeiführen müssen; dies habe sie nicht getan. Des weiteren habe sich der Beklagte mit Recht auf § 27 e Abs. 2 RVO gestützt, wonach die Einrichtung von Zahnkliniken und Anstalten anderer Art genehmigungspflichtig sei. Im vorliegenden Fall handele es sich um die neue Einrichtung einer Zahnklinik, weil die ursprünglich errichtete seit 1944 aufgrund der tatsächlichen Geschehnisse zu bestehen aufgehört habe. Die Klägerin könne auch nicht damit gehört werden, daß § 368 d Abs. 1 Satz 4 RVO gegen das Grundgesetz (GG) verstoße, insbesondere könne sie sich nicht auf das Kassenarzturteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 23. März 1960 berufen. Denn das BVerfG habe in den damaligen Zulassungsbestimmungen eine Bedrohung der freiberuflich Tätigen erblickt. Die ärztliche Versorgung durch die Krankenkassen sei aber keine freie wirtschaftliche Tätigkeit, sondern die Erfüllung von öffentlichen Aufgaben der Verwaltung. Das LSG hat die Revision zugelassen.

Die Klägerin hat gegen das Urteil Revision eingelegt. Sie trägt vor: Das beklagte Aufsichtsamt habe die Wiedererrichtung der Zahnklinik nicht von einer Genehmigung nach § 27 e RVO abhängig machen dürfen, weil es sich um keine Neueinrichtung, sondern um eine Wiedererrichtung handele. Die Klägerin habe aus dem bisherigen Betrieb der Zahnklinik ein unabweisbares Recht auf Wiedererrichtung erlangt. Dieses Recht würde aber bedeutungslos, wenn durch eine einfache Anordnung der Aufsichtsbehörde die Geltendmachung dieses Rechts verhindert werden könne. § 27 e RVO gebe im vorliegenden Fall dem Beklagten kein Recht, die Genehmigung davon abhängig zu machen, daß eine Notwendigkeit für die vorgesehene Maßnahme vorliege, die Finanzlage der Krankenkasse gesichert sei und die Vermögensanlage wirtschaftlich sei.

Zu Unrecht habe auch das LSG allein aus der Tatsache, daß seit 1944 eine Einrichtung mit Personal für die Klinik nicht mehr bestanden habe, gefolgert, daß nunmehr der Tatbestand des § 368 d RVO gegeben sei., daß also Zahl und Umfang der Eigeneinrichtung vermehrt würden. Denn sie, die Klägerin, habe im Jahre 1916 die Zahnklinik geschaffen, dieser Organisationsakt werde auch weiterhin als bestehend angesehen. Das Gesetz über das Kassenarztrecht aus dem Jahre 1955 stehe dem Rechtsanspruch auf Wiedererrichtung der Zahnklinik nicht entgegen, der Gesetzgeber habe nicht beabsichtigt, damit etwa bestehende Eigeneinrichtungen der Kassen zu beseitigen.

Die Klägerin beantragt,

die Urteile des Schleswig-Holsteinischen LSG vom 25. Januar 1965 und des SG Schleswig vom 29. April 1964 sowie die Bescheide der Beklagten vom 25. Juli 1961, 31. Juli 1961, 4. Dezember 1961 und 25. Mai 1962 aufzuheben.

Der Beklagte und die Beigeladene beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

Die Revision ist nicht begründet.

Gegenstand des Verfahrens sind die Bescheide des beklagten Aufsichtsamts vom 31. Juli 1961 und 25. Mai 1962, in denen es die Klägerin angewiesen hat, die beabsichtigte Errichtung einer Zahnklinik zu unterlassen, weil weder die Genehmigung nach § 27 e Abs. 2 RVO noch eine vertragliche Vereinbarung mit der Kassenzahnärztlichen Vereinigung nach § 368 d Abs. 1 Satz 4 RVO vorliege. Diese Aufsichtsverfügung ist nicht rechtswidrig.

Nach § 30 Abs. 1 RVO erstreckt sich das Aufsichtsrecht der Aufsichtsbehörde darauf, daß Gesetz und Satzung beachtet werden. Rechtsgrundlage ist § 27 e Abs. 2 RVO; hiernach bedarf die Einrichtung von Zahnkliniken usw. der Genehmigung der zuständigen Aufsichtsbehörde. Die Neuerrichtung der 1944 zerstörten und seitdem nicht mehr betriebenen Zahnklinik ist eine Einrichtung im Sinne dieser Vorschrift. Zwar hat die Zahnklinik vorher schon viele Jahre bestanden, sie ist aber durch Kriegseinwirkung zerstört. Wenn die Klägerin meint, es sei ihr bereits eine Einrichtungsgenehmigung für die zerstörte Klinik erteilt worden, sie bedürfe deshalb keiner neuen, so verkennt sie den Zweck der Einrichtungsgenehmigung nach § 27 e RVO. Es wird nicht die alte Zahnklinik durch Reparaturen wieder verwendungsfähig gemacht, sondern praktisch eine neue Klinik errichtet. Bei großen Ausgaben wie für die Errichtung und Erweiterung von Gebäuden bedürfen Krankenkassen der Genehmigung der Aufsichtsbehörde, damit diese prüfen kann, ob die geplanten Maßnahmen notwendig sind und ob die Kosten vom wirtschaftlichen Standpunkt aus gerechtfertigt sind. Es kommt dabei auf die augenblickliche Finanzlage der Krankenkasse an, ob etwa die Aufnahme von Darlehen notwendig ist, wie diese zurückzuzahlen und zu verzinsen sind, ob auf lange Sicht gesehen eine Ersparnis eintritt. Es soll auch verhütet werden, daß die Leistungsfähigkeit der Krankenkasse, die gesetzlichen Pflichtleistungen zu erbringen, durch das Festlegen von Geldmitteln in Bauten gefährdet wird (BSG 1, 17, 22). Diese Gesichtspunkte treffen auch zu, wenn eine völlig zerstörte und mehr als zwanzig Jahre nicht mehr betriebene Zahnklinik wieder errichtet werden soll. Denn es treten dieselben Kostenfragen auf wie bei einer völligen Neueinrichtung. Dieser Fall kann also nicht mit der Vornahme von Reparaturen oder mit der Ergänzung des Personals verglichen werden. Die Genehmigung der Aufsichtsbehörde nach § 27 e Abs. 2 RVO ist daher notwendig.

Des weiteren hat das beklagte Aufsichtsamt mit Recht auf § 368 d Abs. 1 Satz 4 RVO verwiesen. Hiernach dürfen Zahl und Umfang der Einrichtungen der Krankenkasse nur aufgrund vertraglicher Vereinbarung mit der Kassenärztlichen bzw. Kassenzahnärztlichen Vereinigung vermehrt werden. Auch hier ist die Frage zu bejahen, ob die Wiedererrichtung der Zahnklinik ein "Vermehren" im Sinne dieser Vorschrift ist.

Durch diese soll der Besitzstand vom 20. August 1955 (Tag des Inkrafttretens dieser Vorschrift) erhalten bleiben; § 368 d Abs. 1 RVO bringt den Interessenausgleich zum Ausdruck, den der Gesetzgeber zwischen den widerstreitenden Interessen der Kassenärzte (Kassenzahnärzte) und Krankenkassen gefunden hat. Diese Zielsetzung macht es deutlich, daß nur am Stichtag tatsächlich bestehende Einrichtungen der Krankenkassen weiter betrieben werden dürfen und jede Vermehrung nach "Zahl und Umfang" der vertraglichen Vereinbarung mit der Kassenärztlichen (Kassenzahnärztlichen) Vereinigung bedarf. Es ist daher auch hier ausschlaggebend, daß die Klinik schon mehr als zwanzig Jahre nicht mehr in Betrieb war, daß durch die jetzige Neuerrichtung die augenblickliche Zahl der Eigeneinrichtungen der Klägerin vermehrt würde; es würde also eine Änderung des seit langen Jahren bestehenden tatsächlichen Zustandes eintreten. Die Klägerin kann sich auch nicht darauf berufen, daß in manchen Kriegsschadensgesetzen wie § 7 b des Heimkehrergesetzes, § 70 des Bundesvertriebenengesetzes, § 7 Abs. 2 des Bundesentschädigungsgesetzes bisherige Zulassungen von Ärzten weiter gelten. Denn hier handelt es sich um Schutzvorschriften zugunsten der Vertriebenen, deren Zulassung zur Kassenarztpraxis weiter gilt. Dagegen besteht ja die Klägerin in ihrem Aufgabenbereich weiter und ist nicht durch Kriegsfolgen an der Ausübung ihrer Tätigkeit gehindert. Es ist also eine Vereinbarung mit der Kassenzahnärztlichen Vereinigung vor Wiedererrichtung der Zahnklinik notwendig.

Dieses Ergebnis steht auch nicht im Widerspruch zur Entscheidung des BVerfG vom 23. März 1960 (BVerfGE 11, 30 = SozR RVO § 368 a, Bl. Ab 4 Nr. 15), wonach § 368 a Abs. 1 RVO die Grundrechte der Ärzte aus § 12 Abs. 1 GG verletzt. Wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, wird hier nicht die freie Berufsausübung der Klägerin beeinträchtigt, vielmehr hat sie öffentlich-rechtliche Aufgaben als Versicherungsträger zu erfüllen. Dies wird aber in keinem Fall durch die Maßnahmen des beklagten Aufsichtsamts beeinträchtigt.

Die Revision muß daher zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung ergeht nach § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

BSGE, 42

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