Leitsatz (amtlich)

Eine KK, die eine zahnärztliche Eigeneinrichtung unterhält, vergrößert deren Umfang nicht (RVO § 368d Abs 1 S 4), wenn sie für einen bei Inkrafttreten des GKAR bereits vorhandenen, aber unbesetzten Arbeitsplatz später einen Zahnarzt einstellt.

 

Orientierungssatz

Zur Frage der Zulässigkeit einer Unterlassungsklage.

 

Normenkette

RVO § 368d Abs. 1 S. 4 Fassung: 1955-08-17; SGG § 54 Abs. 5; KARG Fassung: 1955-08-17

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 6. November 1968 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Beteiligten streiten darüber, ob die beklagte Allgemeine Ortskrankenkasse berechtigt ist, in der von ihr unterhaltenen Zahnklinik einen fünften Zahnarzt zu beschäftigen.

Die Beklagte betreibt in ihrem Verwaltungsgebäude in W seit 1931 eine Zahnklinik, in der sie ihre Mitglieder, sofern diese es wünschen, zahnärztlich versorgt. Während des Krieges wurde die Zahnklinik beschädigt, jedoch nach dem Kriege wiederhergestellt und im Januar 1949 mit vier eingerichteten Behandlungsräumen - je einen Behandlungsstuhl enthaltend - neu eröffnet. Etwa seit dem Jahre 1950 unterhält die Beklagte noch eine Nebenstelle der Zahnklinik, in der sich ebenfalls ein eingerichteter Behandlungsraum mit einem Behandlungsstuhl und - in einem Nebenzimmer - ein Reservestuhl befinden.

In den Jahren 1949 bis 1962 beschäftigte die Beklagte in der Zahnklinik vier festangestellte Zahnärzte, daneben - unregelmäßig - weitere Zahnärzte als Urlaubs- und Krankheitsvertreter. Im Jahre 1963 stellte die Beklagte einen fünften Zahnarzt (Dr. W) fest ein, der jedoch am 31. Oktober 1963 ausschied. An seiner Stelle war seit 1. Januar 1964 der beigeladene Zahnarzt Dr. P in der Zahnklinik beschäftigt, und zwar ab 1. Oktober 1964 als Dienstordnungs-Angestellter. Seit 1. Januar 1963 sind keine weiteren Zahnärzte als Urlaubs- und Krankheitsvertreter mehr in der Zahnklinik tätig.

Mit der Klage hat die Klägerin ua begehrt, die Beklagte zu verurteilen, die Einstellung von mehr als vier Zahnärzten zu unterlassen. Sie ist der Ansicht, die auf die Dauer vorgesehene Beschäftigung eines fünften Zahnarztes sei eine nach § 368 d Abs. 1 Satz 4 der Reichsversicherungsordnung (RVO) unzulässige Vermehrung des Umfangs der Klinik.

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen.

Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung zurückgewiesen: § 368 d Abs. 1 Satz 4 RVO diene einem doppelten Zweck. Einmal solle aus allgemein-volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten sichergestellt werden, daß die bei Inkrafttreten des Gesetzes über Kassenarztrecht (GKAR) am 20. August 1955 vorhandenen Eigeneinrichtungen der Krankenkassen weiter benutzt und ausgenutzt werden könnten. Zum anderen solle im Interesse der Kassenärzte (Kassenzahnärzte) verhindert werden, daß die Leistungsfähigkeit der Eigeneinrichtungen vergrößert und damit die den Kassenärzten (Kassenzahnärzten) vom Gesetzgeber übertragene Aufgabe "verringert" werde. Demnach meine der Gesetzesbegriff "Umfang der Eigeneinrichtungen" die durch die sachliche Ausstattung bestimmte objektive Leistungsfähigkeit (Kapazität) der Eigeneinrichtungen zur Zeit des Inkrafttretens des GKAR. Dies hänge bei einer Zahnklinik im wesentlichen von der Zahl der vorhandenen Arbeitsplätze für Zahnärzte ab. Da in der Zahnklinik der Beklagten nach Inkrafttreten des GKAR kein weiterer Arbeitsplatz geschaffen worden sei, habe sich der Umfang - die Kapazität - der Klinik nicht vergrößert.

Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt die Klägerin, das LSG habe die Bedeutung des § 368 d Abs. 1 Satz 4 RVO verkannt. Die Beibehaltung der Zahnkliniken durchbreche das - von den Kassenzahnärztlichen Vereinigungen wahrgenommene - Behandlungsmonopol der Kassenzahnärzte. Der Schutz dieses Behandlungsmonopols erfordere eine in jeder Hinsicht weite Auslegung des Begriffs der Umfangsvermehrung. Hiermit vertrage es sich nicht, den Umfang einer Zahnklinik allein nach ihrer sachlichen Ausstattung zu bestimmen. Erst der Betrieb einer solchen Einrichtung, also ihre subjektive, an das Vorhandensein von Personal gebundene Leistungsfähigkeit, berühre das Alleinbehandlungsrecht der Kassenzahnärzte. Diese Beeinträchtigung nicht über das bei Inkrafttreten des GKAR bereits gegebene Maß hinausgehen zu lassen, sei der Grundgedanke jener Bestimmung.

Die Klägerin beantragt,

das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß der Berufung der Klägerin stattgegeben und die Beklagte verurteilt wird, es zu unterlassen, in ihrer Zahnklinik einen fünften festangestellten Zahnarzt zu beschäftigen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Der Beigeladene ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.

II

Die Revision ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben mit Recht entschieden, daß die Beklagte ohne Zustimmung der Klägerin berechtigt ist, in ihrer Zahnklinik einen fünften festangestellten Zahnarzt zu beschäftigen.

Gegen die Zulässigkeit der Unterlassungsklage bestehen keine Bedenken. Wie der Senat in BSG 25, 116, 117 ausgesprochen hat, ist die Unterlassungsklage ein Fall der in § 54 Abs. 5 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) genannten "echten" Leistungsklage; denn "Leistung" im Sinne dieser Vorschrift meint ein Tun, Dulden oder Unterlassen. Die Gefahr einer Wiederholung der vermeintlichen Rechtsbeeinträchtigung - besondere Voraussetzung des Rechtsschutzbedürfnisses bei Unterlassungsklagen - ist gegeben, da die Beklagte auch für die Zukunft nicht auf die Beschäftigung eines fünften festangestellten Zahnarztes verzichten will.

Die Unterlassungsklage ist jedoch nicht begründet.

Nach § 368 d Abs. 1 Satz 4 RVO dürfen Zahl und Umfang der von den Krankenkassen unterhaltenen Eigeneinrichtungen nur auf Grund vertraglicher Vereinbarung (der Krankenkassen und ihrer Verbände mit den Kassenärztlichen - Kassenzahnärztlichen - Vereinigungen) vermehrt werden. Diese Vorschrift ist einerseits eine Schutzbestimmung zugunsten der Kassenärzte (Kassenzahnärzte), denen nach dem GKAR grundsätzlich die ärztliche Versorgung der Versicherten vorbehalten sein soll (vgl. § 368 n Abs. 1 RVO; Jantz/Prange, Das gesamte Kassenarztrecht, Anm. I 4 a. E. zu § 368 d RVO; Hess/Venter, Handbuch des Kassenarztrechts, Bd. I, Anm. III 2 zu § 368 d RVO). Auf der anderen Seite wollte sie verhindern, daß die bei Inkrafttreten des GKAR - am 20. August 1955 - bereits vorhandenen, aus Beiträgen der Versicherten und ihren Arbeitgebern finanzierten, zum Teil kostspieligen Eigeneinrichtungen der Krankenkassen liquidiert wurden; das wäre volkswirtschaftlich nicht zu vertreten gewesen (Jantz/Prange, aaO). Diese Einrichtungen sollten vielmehr - wenn auch zum Schutze der frei-praktizierenden Kassenärzte (Kassenzahnärzte) nach Zahl und Umfang nicht vermehrt - wegen der in ihnen angelegten Werte auf dem Stand vom 20. August 1955 erhalten werden. § 368 d Abs. 1 Satz 4 RVO ist also das Ergebnis eines Ausgleichs zwischen den widerstreitenden Interessen der Kassenärzte (Kassenzahnärzte) und Krankenkassen (Urteil des 3. Senats vom 27. März 1968, BSG 28, 42, 44). Bei der Auslegung des Begriffs "Umfang der Eigeneinrichtungen" darf deshalb nicht einseitig auf das Schutzbedürfnis der Kassenärzte (Kassenzahnärzte) abgehoben, vielmehr muß dabei auch die Absicht des Gesetzgebers, die vorhandenen sachlichen Mittel der Eigeneinrichtungen für die kassenärztliche (kassenzahnärztliche) Versorgung der Versicherten nutzbar zu machen, zur Geltung gebracht werden. Das kann aber nur dadurch geschehen, daß unter dem Umfang einer Eigeneinrichtung in erster Linie die durch das sachliche , insbesondere das medizinisch-technische Potential vorgezeichnete Leistungsfähigkeit verstanden wird (vgl. Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Teil II/2 Anm. 6 b zu § 368 d RVO). Käme es auch auf den Personalbestand an, so dürften Eigeneinrichtungen, die - mehr oder weniger zufällig - bei Inkrafttreten des GKAR (noch) nicht über eine ihrer sachlichen Ausstattung entsprechende Zahl von Ärzten verfügten, die fehlenden Kräfte nur auf Grund vertraglicher Vereinbarung mit den Kassenärztlichen (Kassenzahnärztlichen) Vereinigungen einstellen. Das würde in vielen Fällen bedeuten, daß die Eigeneinrichtungen Planstellen für Ärzte nicht besetzen, also nicht in dem Ausmaße an der kassenärztlichen (kassenzahnärztlichen) Versorgung teilnehmen könnten, das dem in ihnen angelegten Werten entspräche. Solche Wertverluste hat - wie bereits oben ausgeführt - § 368 d Abs. 1 Satz 4 RVO den Krankenkassen nicht zumuten wollen.

Nach den Feststellungen des LSG war die von der Beklagten unterhaltene Zahnklinik (einschließlich Nebenstelle) am 20. August 1955 - dem Tage des Inkrafttretens des GKAR - mit fünf zahnärztlichen Arbeitsplätzen (Behandlungsraum, Behandlungsstuhl mit den erforderlichen medizinisch-technischen Einrichtungen) ausgestattet. Die spätere (feste) Einstellung eines fünften Zahnarztes bezweckte also nur, eine bei Inkrafttreten des GKAR bereits vorhandene, aber nicht genutzte zahnärztliche Einrichtung bestimmungsgemäß in den Dienst der kassenzahnärztlichen Versorgung zu stellen. Eine solche lediglich "werterhaltende", das vorgegebene sachliche Potential ausschöpfende Maßnahme wird von § 368 d Abs. 1 Satz 4 RVO nicht betroffen.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1668848

BSGE, 21

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