Entscheidungsstichwort (Thema)

Versicherungspflicht immatrikulierter wissenschaftlicher Hilfskräfte. Begriff des Verwaltungsakts. Vertrauensschutz bei Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts

 

Orientierungssatz

1. Zur Angestelltenversicherungspflicht aufgrund entgeltlicher Beschäftigung als wissenschaftliche Hilfskraft oder Verwalter einer Assistentenstelle trotz der noch bestehenden Immatrikulation als Studierender der Universität.

2. Verwaltungsakt ist jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Auf die Bezeichnung kommt es dabei nicht an, sondern lediglich auf den Regelungsgehalt.

3. Bei dem Schreiben der Einzugsstelle, sie wolle im Regelfalle Verwalter von wissenschaftlichen Assistentenstellen, die noch einem ordentlichen Studium obliegen, wie bisher versicherungsfrei behandeln, handelt es sich um eine verwaltungsaktmäßige Einzelfallregelung mit unmittelbarer Rechtswirkung nach außen und nicht um eine lediglich unverbindliche Auskunft.

4. Zur Frage des Vertrauensschutzes bei der Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts über die Feststellung der Versicherungsfreiheit immatrikulierter wissenschaftlicher Hilfskräfte.

 

Normenkette

AVG § 4 Abs 1 Nr 4 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1228 Abs 1 Nr 3 Fassung: 1957-02-23

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 07.07.1983; Aktenzeichen L 4 Kr 1654/81)

SG Mannheim (Entscheidung vom 15.03.1977; Aktenzeichen S 7 Kr 805/75)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob das klagende Land für die Beigeladenen zu 2) bis 5), die nach Ablegung der Abschlußprüfungen weiter an der Universität Heidelberg immatrikuliert blieben und dort als wissenschaftliche Hilfskräfte und Assistentenstellenverwalter entgeltlich beschäftigt waren, Beiträge zur Rentenversicherung der Angestellten für Zeiten zwischen dem 1. Dezember 1964 und dem 1. Januar 1967 zu entrichten hat.

Zur Klärung der Frage, ob Personen, die nach der wissenschaftlichen Abschlußprüfung zum Zwecke der Promotion weiterhin immatrikuliert sind und nebenbei als wissenschaftliche Hilfskräfte bei der Universität eine entgeltliche Beschäftigung ausüben, rentenversicherungspflichtig oder versicherungsfrei seien, erbat die Universitätskasse Heidelberg am 18. Januar 1963 von der Beklagten eine Entscheidung gemäß § 121 Abs 3 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG). Daraufhin schrieb ihr die Beklagte am 21. Januar 1963 folgendes:

"Die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte hält auch

jetzt noch den von ihr am 22. 1. 60 eingenommenen und

Ihnen am 2. 2. 60 mitgeteilten Standpunkt aufrecht.

In einem konkreten Fall hat sie am 15. 10. 62 wie folgt

Stellung genommen:

"Wir teilen Ihre Auffassung, daß sich die Versicherungsfreiheit

gemäß § 4 Abs 1 Nr 4 des Angestelltenversicherungsgesetzes

(AVG) nur auf die eigentlichen Werkstudenten

erstreckt, die sich in erster Linie ihrem

Studium widmen und nebenher in einem entgeltlichen

Beschäftigungsverhältnis stehen. Versicherungspflichtig

sind dagegen hauptberufliche Arbeitnehmer, die ein

Studium nebenher betreiben. Ein solcher Fall liegt im

übrigen dem Bundessozialgericht zur Entscheidung vor,

von dessen Urteil wir eine endgültige Klärung der

Zweifelsfrage erhoffen.

Bis dahin möchten wir in Fällen wie den von Ihnen

erwähnten, in denen also ein bisher versicherungsfreier

Werkstudent sich mehr und mehr dem Gelderwerb widmet

und schließlich dieser überwiegt, weiterhin

Versicherungsfreiheit annehmen, solange die Immatrikulation

besteht."

Wir haben daher keine Bedenken, wenn Sie im Regelfalle

Verwalter von wissenschaftlichen Assistentenstellen, die

noch einem ordentlichen Studium obliegen, wie bisher

versicherungsfrei behandeln.

Sobald uns das Urteil des Bundessozialgerichts vorliegt,

von dem sich die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte

eine endgültige Klärung erhofft, kommen wir auf diese

Frage unaufgefordert zurück."

Mit Schreiben vom 16. Februar 1967 forderte die Beklagte - gestützt auf eine die Versicherungspflicht des genannten Personenkreises ab 1. Januar 1964 entgegen der bis dahin vertretenen Auffassung bejahende Erklärung der Beigeladenen zu 1) vom 6. Januar 1967 - die Universitätskasse Heidelberg auf, für den in Frage stehenden Personenkreis rückwirkend ab 1. Januar 1964 die entsprechenden Meldungen zur Beitragsgruppe "L" zu erstatten, die Beiträge nachzuweisen und an sie abzuführen. Die Universitätskasse erhob mit Schreiben vom 17. Februar 1967 Widerspruch "gegen die Entscheidung der BfA" und bat, die Entscheidung über den Widerspruch vorerst auszusetzen. Am 22. Dezember 1967 übersandte die Beklagte der Universitätskasse Heidelberg zwei Mitteilungen über die Nacherhebung von Beiträgen in Höhe von 459.836,13 DM und 4.899,08 DM. In einer anliegenden Aufstellung waren insgesamt 645 Personen mit ihrem Namen, der Beschäftigungsdauer, soweit sie in die Zeit vom 1. Dezember 1964 bis 30. September 1967 fiel, und - fast ausnahmslos - dem Bruttoverdienst aufgeführt, aus dem die Beklagte die Beiträge zur Angestelltenversicherung (damals 14 %) errechnet hatte.

Dem Widerspruch half die Beklagte nicht ab (Widerspruchsbescheid vom 24. April 1975). Die Klage blieb ebenfalls erfolglos (Urteil des Sozialgerichts -SG- Mannheim vom 15. März 1977). Auf die Berufung des Klägers änderte das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg das Urteil des SG und hob die Bescheide der Beklagten vom 16. Februar 1967 und 22. Dezember 1967 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. April 1975 auf, soweit Beiträge für die Zeit vor dem 1. März 1967 verlangt wurden. Im übrigen wies es die Berufung zurück (Urteil vom 20. Juni 1980).

Auf die Revision der Beklagten hat der erkennende Senat das Urteil des LSG wegen fehlender Beiladung der in Betracht kommenden Versicherten aufgehoben, soweit es die Zeit vor dem 1. März 1967 betraf. Insoweit hat er den Rechtsstreit an das LSG zurückverwiesen. Gleichzeitig ist die Anschlußrevision des Klägers, die die Zeit vom 1. März 1967 bis 30. September 1967 zum Gegenstand hatte, als unzulässig verworfen worden (Urteil vom 24. Juni 1981).

Das LSG hat nunmehr vier der damaligen wissenschaftlichen Hilfskräfte bzw Assistentenstellenverwalter -die Beigeladenen zu 2) bis 5) - zum Verfahren beigeladen und den sie nicht betreffenden Teil des Verfahrens abgetrennt. Ihre Beschäftigungszeiten liegen vor dem 1. Januar 1967.

Mit Urteil vom 7. Juli 1983 hat das LSG die Bescheide der Beklagten vom 16. Februar 1967 und 22. Dezember 1967 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. April 1975 unter Abänderung des Urteils des SG aufgehoben, soweit für die Beigeladenen zu 2) bis 5) Beiträge verlangt werden. Es hat das Land Baden-Württemberg - wie schon das SG - aufgrund des im Wege der Klageänderung vorgenommenen Beteiligtenwechsels als Kläger betrachtet. In den Mitteilungen der Beklagten vom 16. Februar 1967 und 22. Dezember 1967 hat es trotz Fehlens einiger typischer Merkmale Verwaltungsakte gesehen, die mit hinreichender Deutlichkeit erkennen ließen, daß die Beklagte für die immatrikulierten wissenschaftlichen Hilfskräfte und Stellenverwalter Beiträge verlangt habe.

In der Sache hat das LSG entschieden, daß die immatrikulierten wissenschaftlichen Hilfskräfte und Stellenverwalter als gegen Entgelt beschäftigte Angestellte nach § 2 Abs 1 Nr 1 AVG versicherungspflichtig gewesen seien. Die Voraussetzung der Versicherungsfreiheit nach § 4 Abs 1 Nr 4 AVG habe nicht vorgelegen, weil nach dem ersten Studienabschluß (Diplomprüfung oder Staatsexamen oder Promotion) ein "ordentliches Studium" im Sinne dieser Vorschrift nicht mehr habe angenommen werden können. Ob die Beigeladenen zu 2) bis 5) nach anderen Vorschriften versicherungsfrei gewesen seien, könne dahingestellt bleiben, denn die Beklagte könne Beiträge für sie nicht mehr fordern. Dem stehe ihre Mitteilung vom 21. Januar 1963 entgegen, mit der sie gegenüber der Universität und dem Land als Arbeitgeber verbindlich geregelt habe, daß der darin angesprochene Personenkreis versicherungsfrei gewesen sei. Hierbei handele es sich um einen bindend gewordenen Verwaltungsakt, zu dessen Erlaß die Beklagte als Einzugsstelle nach § 121 Abs 3 AVG zuständig gewesen sei. Selbst wenn er wegen der Unbestimmtheit des betroffenen Personenkreises rechtswidrig gewesen sei, sei er nicht nichtig und deshalb auch nicht unbeachtlich. Der für den Kläger begünstigende Verwaltungsakt habe nur mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden können. Die Abwägung der Interessen aller Beteiligten ergebe, daß hier das klagende Land als Arbeitgeber Vertrauensschutz verdiene und demgegenüber andere Belange zurückzutreten hätten. Das habe zur Folge, daß eine Beitragsforderung für die Zeit vor der erstmaligen Geltendmachung der Versicherungspflicht durch die Beklagte ausscheide. Aber auch wenn die Mitteilung der Beklagten vom 21. Januar 1963 nicht als Verwaltungsakt aufgefaßt werde, stelle die Forderung der Beiträge für die Zeit vor März 1967 durch die Beklagte eine unzulässige Rechtsausübung dar.

Gegen das neuerliche Urteil des LSG haben die Beklagte und die Beigeladene zu 1) die - vom LSG zugelassene - Revision eingelegt. Die Beklagte hat die Revision nicht begründet. Die Beigeladene zu 1) trägt zur Begründung vor, das Schreiben der Beklagten vom 21. Januar 1963 sei kein Verwaltungsakt, an den die Beklagte gemäß § 77 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) gebunden wäre. Nach den damaligen Umständen habe es weder in der Absicht der Beklagten gelegen, einen Verwaltungsakt zu erlassen, noch habe eine solche Absicht objektiv einen genügenden Ausdruck gefunden. Wegen der ungeklärten Rechtslage sei seinerzeit eine endgültige Beurteilung der Frage der Versicherungspflicht von wissenschaftlichen Hilfskräften und Stellenverwaltern nicht möglich gewesen. Das damalige Schreiben könne lediglich als eine Auskunft verstanden werden. Einen Verwaltungsakt stelle es auch deshalb nicht dar, weil es keine Regelung eines Einzelfalles zum Gegenstand habe. Eine Mitteilung der Einzugsstelle könne nur dann als Verwaltungsakt gewertet werden, wenn sie konkrete Angaben über die versicherungsrechtliche Beurteilung bestimmter Arbeitnehmer enthalte. Eine personenungebundene, lediglich summarische Feststellung der Versicherungs- und Beitragsfreiheit, bezogen auf bestimmte Tätigkeiten, erfülle diese Anforderung nicht. Die Beklagte habe die für die Zeit nach dem 30. November 1964 noch nicht verjährte Beitragsforderung auch nicht verwirkt, da sie dem Kläger weder ausdrücklich zugesagt noch durch konkretes Verhalten bei ihm die berechtigte Erwartung geweckt habe, daß sie den Beitragsanspruch nach Klärung der Rechtslage nicht geltend machen werde.

Die Beigeladene zu 1) beantragt,

das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revisionen zurückzuweisen.

Er vertritt die Auffassung, daß das Schreiben der Beklagten vom 21. Januar 1963 einen bindenden begünstigenden Verwaltungsakt darstelle. Hinsichtlich seiner Verwaltungsaktsqualität sei es nicht anders einzuordnen als das spätere Schreiben der Beklagten vom 16. Februar 1967.

Die Beklagte und die Beigeladenen zu 2) bis 5) haben keine Anträge gestellt.

Alle Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist als unzulässig zu verwerfen, weil sie nicht begründet worden ist (§ 169 Sätze 1 und 2 SGG).

Die Revision der Beigeladenen zu 1) ist zulässig, in der Sache jedoch unbegründet. Das angefochtene Urteil des LSG ist zu Recht ergangen. Der Kläger ist nicht verpflichtet, die geforderten Beiträge für die Beigeladenen zu 2) bis 5) zu entrichten. Dies folgt aus der Bindung der Beklagten an ihre Mitteilung vom 21. Januar 1963, deren begünstigende Wirkung für den Kläger sie mit dem späteren Verwaltungsakt vom 16. Februar 1967 nur für die Zukunft beseitigen durfte.

Zutreffend und von den Beteiligten ungerügt ist das LSG davon ausgegangen, daß die Beigeladenen zu 2) bis 5) aufgrund ihrer entgeltlichen Beschäftigung als wissenschaftliche Hilfskräfte oder Verwalter von Assistentenstellen trotz der noch bestehenden Immatrikulation als Studierende der Universität Heidelberg dem angestelltenversicherungspflichtigen Personenkreis zuzuordnen waren, nachdem das Bundessozialgericht (BSG) die bis dahin strittige Frage entschieden hatte, daß das "ordentliche Studium" iS von § 4 Abs 1 Nr 4 AVG dem Begriff der "Hochschulausbildung" iS von § 36 Abs 1 Nr 4 Buchst b AVG gleichbedeutend ist, die bereits mit der ersten Abschlußprüfung als beendet anzusehen ist (BSGE 20, 35). Ob einer der Beigeladenen zu 2) bis 5) ausnahmsweise, etwa wegen Geringfügigkeit der Beschäftigung, versicherungsfrei war, konnte das LSG ungeprüft lassen, weil es im Hinblick auf die von ihm angenommene Nichtdurchsetzbarkeit der noch streitigen Beitragsforderung nicht mehr darauf ankam.

Das LSG hat zu Recht in dem Schreiben der Beklagten vom 21. Januar 1963 einen auf der Grundlage des § 121 Abs 3 AVG ergangenen Verwaltungsakt gesehen. Die in dem Schreiben enthaltene, gegenüber der Universitätskasse - und damit gegenüber dem Kläger als dem für die Beitragsabführung "in Dienst genommenen" Arbeitgeber (BSGE 41, 297) - abgegebene Erklärung erfüllt auch nach Auffassung des Senats die Voraussetzungen eines Verwaltungsakts. Nach § 31 des Sozialgesetzbuches - Verwaltungsverfahren - (SGB X), der zwar erst nach dem hier maßgeblichen Zeitpunkt in Kraft getreten ist, aber einem schon vorher geltenden ungeschriebenen allgemeinen Grundsatz des Verwaltungsrechts entspricht, ist Verwaltungsakt jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Auf die Bezeichnung kommt es dabei nicht an, sondern lediglich auf den Regelungsgehalt. Dieser ist nach den gleichen Auslegungsgrundsätzen zu ermitteln, die für Willenserklärungen allgemein gelten; § 133 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) ist entsprechend anwendbar. Hiernach ist maßgebend, wie der Empfänger nach den Umständen des Einzelfalles, die zeitlich auch vor der behördlichen Maßnahme liegen können, die Erklärung bei verständiger Würdigung verstehen durfte. Unklarheiten gehen zu Lasten der Verwaltung (Stelkens/ Bonk/Leonhardt, VwVfG 2. Aufl, § 35, RdNrn 52, 53 mwN; Kopp, VwVfG 3. Aufl, § 35 RdNr 6; vgl auch BSGE 48, 56, 59).

Nach diesen Grundsätzen war das - auf einen ausdrücklich auf § 121 Abs 3 AVG gestützten Antrag der Universität - ergangene Schreiben der Beklagten vom 21. Januar 1963 aus der Sicht des Klägers nur so zu verstehen, daß die Beklagte eine Beitragsentrichtung für den in Betracht kommenden Kreis von gleichartig Beschäftigten - wie bis dahin praktiziert - zunächst auch weiterhin nicht verlangen wollte, und zwar bis zu einer gegenteiligen Entscheidung; denn nach dem Wortlaut dieses Schreibens hatte die Beklagte "keine Bedenken, wenn... im Regelfalle Verwalter von wissenschaftlichen Assistentenstellen, die noch einem ordentlichen Studium obliegen, wie bisher versicherungsfrei" behandelt würden. Da der Personenkreis durch Bezugnahme auf die Äußerung der Beigeladenen zu 1) vom 22. Januar/2. Februar 1960 und die darin genannten Kriterien auch hinreichend konkretisierbar war - die Konkretisierung im Einzelfall war dann Aufgabe des Klägers im Rahmen seiner "Indienstnahme" -, handelte es sich im Verhältnis zwischen der Beklagten und dem Kläger um eine verwaltungsaktmäßige Einzelfallregelung mit unmittelbarer Rechtswirkung nach außen und nicht um eine lediglich unverbindliche Auskunft. Der Hinweis auf die zu erwartende Klärung durch die Rechtsprechung des BSG schränkte die Wirksamkeit des Verwaltungsakts nicht ein; er enthält auch keinen Vorbehalt dahin, daß im Falle einer von der bisherigen Verwaltungsübung abweichenden höchstrichterlichen Entscheidung diese Übung rückwirkend korrigiert werden würde.

Unerheblich für die Qualifizierung des genannten Schreibens als Verwaltungsakt ist der Umstand, daß es die Namen der als versicherungsfrei angesehenen Personen nicht enthält. Zwar hat der Senat schon mehrfach entschieden, daß im Beitragsrecht der Sozialversicherung Verwaltungsakte auf bestimmte Personen bezogen sein müssen, jedenfalls eine Konkretisierung des Verwaltungsakts insoweit notwendig ist, als es sich um die von ihm betroffenen Personen handelt; unzulässig ist der Erlaß eines Verwaltungsakts, der sich an einen nur nach allgemeinen Merkmalen bestimmten Personenkreis richtet (BSG SozR 1300 § 33 Nr 1 und die dort zitierten weiteren Urteile). Solche wegen mangelnder Personenbezogenheit für rechtswidrig gehaltenen Verwaltungsakte betrafen bisher allerdings eine positive Feststellung der Versicherungs- bzw Beitragspflicht. Ob das Gleiche auch für Verwaltungsakte gilt, in denen Versicherungsfreiheit einer nur nach allgemeinen Merkmalen bestimmten Personengruppe festgestellt wird, kann offenbleiben. Denn die im Schreiben der Beklagten vom 21. Januar 1963 angesprochenen Personen waren nicht nur nach abstrakten Merkmalen bezeichnet, sondern im Einzelfall konkret bestimmbar. Außerdem kommt es nicht darauf an, ob es sich bei dem Schreiben um einen rechtmäßigen oder rechtswidrigen Verwaltungsakt gehandelt hat. Entscheidend ist vielmehr, daß keine Gründe vorlagen, die zu seiner Nichtigkeit hätten führen können; war er aber nur fehlerhaft, so konnte er trotzdem in Bindung erwachsen (vgl dazu jetzt § 39 SGB X, dessen Abs 3 ausdrücklich bestimmt, daß (nur) ein nichtiger Verwaltungsakt unwirksam ist, mithin keine Bestandskraft erlangen kann, während allein ein dem Verwaltungsakt etwa anhaftender Rechtsmangel den Eintritt der Bestandskraft nicht hindert; vgl Stelkens/Bonk/Leonhardt aaO § 43 RdNr 6 mwN).

Den sonach bindend (bestandskräftig) gewordenen Verwaltungsakt durfte die Beklagte, wie das LSG zu Recht entschieden hat, für die Vergangenheit nicht zurücknehmen. Ob ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt, der keine Leistung betraf, vor dem Inkrafttreten des SGB X mangels einer ausdrücklichen Vorschrift im Recht der Sozialversicherung überhaupt nicht rücknehmbar war oder ob insoweit die ungeschriebenen Regeln des allgemeinen Verwaltungsrechts anzuwenden waren (die Rechtsprechung des BSG war nicht einheitlich - vgl BSGE 15, 252; 32, 52; 32, 110; 49, 258; 55, 181; BSG SozR 2200 § 1423 Nr 12; 1300 § 45 Nr 6), kann dahinstehen, weil die - hier noch streitige - Rücknahme für eine zurückliegende Zeit auch nach den Grundsätzen des allgemeinen Verwaltungsrechts nicht zulässig gewesen wäre. Zwar konnten hiernach auch rechtswidrige begünstigende Verwaltungsakte zurückgenommen werden. Dabei war aber der Grundsatz von der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung dem Vertrauensschutz des Betroffenen nachgeordnet. Dieser konnte sich allerdings dann nicht mehr auf Vertrauensschutz berufen, wenn die Fehlerquelle in seinem Verantwortungsbereich lag (vgl Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 10. Aufl 1973, Bd I Allg Teil S 262, 263). Anhaltspunkte dafür, daß hier der Kläger zum Erlaß des unrichtigen Verwaltungsakts beigetragen hat oder daß er die Unrichtigkeit hätte erkennen müssen, sind nicht ersichtlich. Es ging ihm ja gerade darum, seinen sozialversicherungsrechtlichen Pflichten als Arbeitgeber korrekt nachzukommen, und eben zu diesem Zweck erbat er seinerzeit die für sein dahingehendes Verhalten maßgebende Entscheidung der Beklagten. Dabei durfte er darauf vertrauen, daß die noch immatrikulierten wissenschaftlichen Hilfskräfte weiterhin - bis zu einer gegenteiligen Entscheidung der Beklagten - als versicherungsfrei zu behandeln und demgemäß keine Rentenversicherungsbeiträge für sie abzuführen waren. Dem Inhalt des Verwaltungsakts mußte er nicht entnehmen, daß die Beklagte sich eine Nachforderung der Beiträge auch für die Vergangenheit vorbehalten wollte.

Dem schutzwürdigen Vertrauen des Klägers in die durch den Verwaltungsakt vom 21. Januar 1963 geschaffene Rechtslage stehen keine vorrangigen Interessen anderer entgegen. Die in der Rechtsprechung des früheren Reichsversicherungsamts und des BSG hervorgehobenen besonders schutzwürdigen Interessen der Versicherten gehen zwar in der Regel den Belangen der Arbeitgeber vor. Die Umstände des vorliegenden Falles rechtfertigen es jedoch nicht, diese Regel auch hier anzuwenden. Zum einen sind nur kurze Versicherungszeiten im Streit. Zum anderen handelt es sich bei den Beigeladenen zu 2) bis 5) nicht um Personen, die typischerweise zum Kreis der rentenversicherungspflichtig Beschäftigten gehören und deshalb des besonderen sozialen Schutzes auch gegenüber dem Arbeitgeber bedürfen. Jedenfalls kann ihr Interesse an einer Nachentrichtung von Beiträgen, das sie in den fraglichen Zeiträumen nicht bekundet hatten und das sie auch im Rahmen dieses Verfahrens nicht zu einer Äußerung veranlaßt hat, nicht als so schwerwiegend angesehen werden, daß es dem Vertrauen ihres damaligen Arbeitgebers vorgehen müßte, der seinerzeit mit seinem Bemühen um Klärung der Rechtslage auch ihre Belange hatte wahren wollen. Ein dem Vertrauensschutz des Klägers vorgehendes Interesse der Beigeladenen zu 1) - als Sachwalterin der Versichertengemeinschaft - an einer nachträglichen Entrichtung von Beiträgen für die Beigeladenen zu 2) bis 5) kann ebenfalls nicht anerkannt werden. Soweit Beiträge nicht zu entrichten sind, brauchen später keine Leistungen erbracht zu werden, so daß die Versichertengemeinschaft keine unzumutbaren Nachteile erleidet.

Das Urteil des LSG ist sonach zu bestätigen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 und 4 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1660757

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