Beteiligte

Kläger und Revisionskläger

Beklagte und Revisionsbeklagte

 

Tatbestand

I.

Die Beteiligten streiten darum, ob die Beklagte den Anspruch des Klägers auf Rente in Höhe von 10 v.H. der Vollrente für die Zeit vom 1. Januar 1978 bis 31. Juli 1978 mit 4 v.H. zu verzinsen hat.

Der Kläger erhielt wegen der Folgen eines Arbeitsunfalles für die Zeit vom 14. Oktober 1974 bis 30. Juni 1975 eine vorläufige Rente in Höhe von 20 v.H. der Vollrente. Nachdem das Sozialgericht Hildesheim (SG) mit rechtskräftigem Urteil vom 15. September 1977 festgestellt hatte, daß beim Kläger durch die nach dem Bundesversorgungsgesetz (AG) anerkannten Schädigungsfolgen eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 10 v.H. bedingt werde, bewilligte die Beklagte mit rechtsverbindlichem Bescheid vom 9. August 1978 ab 1. Juli 1975 gemäß § 581 Abs. 3 Reichsversicherungsordnung (RVO) eine Rente in Höhe von 10 v.H. der Vollrente.

Der Kläger verlangte mit Schreiben vom 29. August 1978 die Verzinsung des Leistungsanspruches ab 1. Januar 1978.

Die Beklagte lehnte dies formlos mit Schreiben vom 23. Oktober und 17. November 1978 ab; für die von Amts wegen festgestellte Leistung habe es keines Antrages bedurft, weshalb kein Zinsanspruch nach § 44 Abs. 2 des Sozialgesetzbuches 1. Teil (SGB 1) bestehe; sie treffe kein Verschulden an der rückwirkenden Rentengewährung.

Das SG hat die Klage abgewiesen und die Revision zugelassen (Urteil vom 31. Mai 1979).

Der Kläger hat gegen dieses Urteil Sprungrevision eingelegt. Er rügt, das SG habe § 44 SGB 1 falsch angewendet.

Der Kläger beantragt, das Urteil des SG und die Bescheide der Beklagten vom 23. Oktober und 17. November 1978 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Rente des Klägers in der Zeit vom 1. Januar 1978 bis 31. Juli 1978 mit 4 v.H. zu verzinsen.

Die Beklagte beantragt,die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision des Klägers ist begründet. Das angefochtene Urteil und die Bescheide der Beklagten sind aufzuheben. Die Beklagte ist zu verurteilen, die dem Kläger gewährte Leistung in der Zeit vom 1. Januar 1978 bis 31. Juli 1978 mit 4 v.H. zu verzinsen.

Nach § 44 Abs. l SGB 1 sind Ansprüche auf Geldleistungen nach Ablauf eines Kalendermonats nach dem Eintritt ihrer Fälligkeit bis zum Ablauf des Kalendermonats vor der Zahlung mit 4 v.H. zu verzinsen. Die Verzinsung beginnt frühestens nach Ablauf von sechs Kalendermonaten nach Eingang des vollständigen Leistungsantrages bei dem zuständigen Leistungsträger, beim Fehlen eines Antrages nach Ablauf eines Kalendermonats nach der Bekanntgabe der Entscheidung über die Leistung (§ 44 Abs. 2 SGB 1). Diese Vorschriften sind nach Art II § 23 Abs. 2 Satz 1 SGB 1 am 1. Januar 1978 in Kraft getreten. Sie gelten auch für die vor diesem Zeitpunkt fällig gewordenen, noch nicht verjährten Ansprüche auf Geldleistungen, soweit das Verwaltungsverfahren hierüber zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen ist (Art II § 23 Abs. 2 Satz 2 SGB 1).

Hier war das Verwaltungsverfahren am 1. Januar 1978 noch nicht abgeschlossen. Wann das Verwaltungsverfahren als abgeschlossen anzusehen ist, hat der 9. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) in seinen Urteilen vom 19. September 1979 - 9 RV 68/78 - (SozR 1200 § 44 Nr. 1), - 9 RV 70/78 - und 9 RV 2/79 (Versorgungsbeamter 1980, 23) entschieden; dem hat sich der 10. Senat des BSG im Urteil vom 27. März 1980 - 10 RV 33/79 - angeschlossen. Danach sind vor dem 1. Januar 1978 fällig gewordene Versorgungsleistungen von diesem Stichtag an zu verzinsen, wenn das Verwaltungsverfahren noch nicht bindend i.S. von § 77 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) abgeschlossen war (vgl. Übergangsvorschriften des 8. Anpassungsgesetzes KOV vom 14. Juli 1976 - BGBl. I, 1481 - Art IV § 1 und des 10. Anpassungsgesetzes KOV vom 10. August 1978 - BGBl. I,

Art VI). Zwar sind diese Entscheidungen ausdrücklich zum Recht der Kriegsopferversorgung - KOV - ergangen, jedoch ist Art II § 23 Abs. 2 SGB 1 nicht zu entnehmen, daß für andere soziale Leistungen andere Regelungen gelten sollten. Diese Rechtsprechung kann daher auch für die Geldleistungen der Unfallversicherung übernommen werden.

Allerdings unterscheidet § 44 Abs. 2 SGB 1 zwischen Leistungen nach Eingang des vollständigen Leistungsantrages beim zuständigen Leistungsträger und solchen beim Fehlen eines Antrages. Aus dieser unterschiedlichen Regelung leitet die Beklagte, indem sie sich auf das Rundschreiben des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften beruft (vgl. Rdschrb. vom 8. Februar 1979 - VB 21/79 - ihren ablehnenden Standpunkt zur Verzinsung ab: Sie habe in der Unfallversicherung grundsätzlich gemäß § 1545 Nr. 1 RVO die Leistungen von Amts wegen festzustellen, so daß es keines Antrages des Versicherten bedürfe, um das Feststellungsverfahren als Verwaltungsverfahren in Gang zu setzen; soweit § 1546 RVO die Anmeldung des Anspruchs regele, falls die Unfallentschädigung nicht von Amts wegen festgestellt sei, sei diese Anmeldung nicht einem Antrag gleichzuachten.

Dieser an sich zutreffende Hinweis der Beklagten auf ihre eigene Pflicht zur Amtsfeststellung trifft aber nicht den Kern des Streits. Trotz der Pflicht des Unfallversicherungsträgers zur Amtsfeststellung ist es nämlich dem Versicherten unbenommen, dem Unfallversicherungsträger einen vollständigen Leistungsantrag vorzulegen. Nur an diese Ausgangslage, also an die Tatsache eines vollständigen Leistungsantrages, knüpft die Verzinsungsregelung des § 44 SGB 1 an: Liegen die zur Feststellung der Leistung erforderlichen Tatsachen vor, ist dieser Antrag für die Verzinsung des Geldanspruchs maßgebend, und zwar unabhängig davon, ob an sich der Unfallversicherungsträger verpflichtet gewesen wäre, die in dem vollständigen Antrag des Versicherten enthaltenen Tatsachenangaben von Amts wegen selbst festzustellen. Das gegenteilige, von der Beklagten erstrebte Ergebnis wäre nur zu rechtfertigen, wenn § 44 Abs. 2 SGB 1 von einem "nicht erforderlichen Antrag" sprechen würde (vgl. Mehrtens, BG 1976, 360). Dem ist aber gerade nicht so (vgl. auch Rundschreiben des BMA vom 18. Oktober 1978 - HVGBG - VB 178/78).

Der Antrag ist vollständig. Der Kläger hat der Beklagten mit Schreiben, vom 16. September 1977 mitgeteilt, daß das SG Hildesheim - S 7 V 351/76 - mit noch nicht rechtskräftigem Urteil vom 15. September 1977 als Schädigungsfolge i.S. des § 1 BVG "umformende Veränderungen nach Meniskusverletzung rechts" mit einer MdE von 10 v.H. festgestellt habe. Gleichzeitig hat der Kläger den streitigen Zinsanspruch geltend gemacht. Mit Schreiben vom 27. Oktober 1977 hat er eine Fotokopie des Ausführungsbescheides des Versorgungsamtes Hildesheim vom 24. Oktober 1977 vorgelegt, nachdem das o.a. Urteil rechtskräftig geworden war, und seinen Zinsantrag wiederholt.

Der Anspruch war auch fällig. Ansprüche auf Sozialleistungen entstehen, sobald die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen; sie werden regelmäßig mit ihrem Entstehen fällig (§§ 40 Abs. 1, 41 SGB 1). Das war hier, wie die Beklagte in ihrem Bescheid vom 9. August 1978 mit Wirkung vom 1. Juli 1975 anerkannt hat, der Fall. Die Beklagte hat dem Kläger nämlich gemäß § 583 Abs. 3 RVO eine Teilrente in Höhe von 10 v.H. der Vollrente bewilligt. Da bis zum 31. Dezember 1977 der in § 44 Abs. 1 SGB 1 geforderte Kalendermonat verstrichen war, die Beklagte auch nicht die Leistung bis zum 30. Juni 1978 gezahlt hat, steht dem Kläger der begehrte Zinsanspruch für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Juli 1978 zu.

Diesem Ergebnis steht das Urteil des 2. Senats des BSG vom 18. Dezember 1979 - 2 RU 3/79 - nicht entgegen. Es betrifft die Verzinsung von Erstattungsansprüchen zwischen öffentlich-rechtlichen Leistungsträgern und nicht die Verzinsung von Leistungsansprüchen eines Versicherten gegenüber einem Versicherungsträger. Nur solche Ansprüche werden von § 44 SGB 1 erfaßt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Breith. 1981, 480

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