Leitsatz (amtlich)

Wird einem Unfallverletzten rückwirkend eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit für einen Zeitraum bewilligt, für den er wegen einer Wiedererkrankung an Unfallfolgen - neben der Verletztenrente - Verletztengeld bezogen hat, so geht der Anspruch auf Rentennachzahlung in entsprechender Anwendung von RVO § 183 Abs 3 S 2, 3 bis zur Höhe des Verletztengeldes auf den Unfallversicherungsträger über; ein überschießender Betrag verbleibt dem Verletzten.

 

Leitsatz (redaktionell)

Anwendung des RVO § 183 Abs 3 bei Zahlung von Verletztengeld:

RVO § 183 Abs 3 S 2 und 3 ist beim Zusammentreffen von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (RVO § 1247, AVG § 24) mit Verletztengeld nach RVO § 562 Abs 2 entsprechend anzuwenden.

 

Orientierungssatz

Die Zuständigkeit eines Spruchkörpers bestimmt sich grundsätzlich nach demjenigen Leistungsträger, der die Nachzahlung - angeblich zu Unrecht - gefordert und erhalten hat. Jedenfalls gilt dies dann, wenn der mit der Klage geltend gemachte Anspruch materiell- rechtlich diesem Leistungsträger zuzurechnen ist, dh im vorliegenden Fall dem Träger der gesetzlichen Unfallversicherung.

 

Normenkette

RVO § 183 Abs. 3 S. 2 Fassung: 1961-07-12, S. 3 Fassung: 1961-07-12, § 562 Abs. 2 Fassung: 1963-04-30, § 1247

 

Tenor

Auf die Revisionen der Beklagten und der Beigeladenen wird unter Aufhebung des Urteils des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 14. Mai 1970 das Urteil des Sozialgerichts Hildesheim vom 16. Oktober 1968 dahin abgeändert, daß die Beklagte verurteilt wird, an den Kläger den Betrag von 780,99 DM zu zahlen. Im übrigen werden die Revisionen der Beklagten und der Beigeladenen zurückgewiesen. Beide haben als Gesamtschuldner dem Kläger zwei Drittel seiner außergerichtlichen Kosten sämtlicher Rechtszüge zu erstatten.

 

Gründe

I

Der Kläger bezog von der beklagten Berufsgenossenschaft seit dem 10. Februar 1966 eine Verletztenrente in Höhe von 40 v. H., die später wegen einer Verschlimmerung auf 70 bzw. 80 v. H. der Vollrente erhöht wurde. Im Zusammenhang mit einer Wiedererkrankung war er wegen der Unfallfolgen arbeitsunfähig krank. Die Beklagte, die die Heilbehandlung nach § 565 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) übernommen hat, gewährte ihm deswegen seit längerer Zeit, u. a. in der Zeit vom 1. Juni bis zum 13. August 1967, neben der Verletztenrente Verletztengeld in Höhe von 25,86 DM je Arbeitstag, insgesamt für 52 Tage 1.344,72 DM.

Auf den Antrag vom Juni 1967 bewilligte die beigeladene Landesversicherungsanstalt (LVA) dem Kläger mit Bescheid vom 17. Oktober 1967 ab 1. Juni 1967 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit in Höhe von 233,- DM monatlich. Von dem Nachzahlungsbetrag für die Zeit vom 1. Juli bis 31. Dezember 1967 in Höhe von 1.398,- DM überwies sie der Beklagten einen Betrag von 1.344,70 DM und zahlte den Rest an den Kläger aus, den sie mit formlosem Schreiben vom 18. Januar 1968 hiervon unterrichtete.

Mit einem weiteren Schreiben vom 25. März 1968 teilte die Beklagte dem Kläger mit, zwischen den beteiligten Versicherungsträgern sei ein Ausgleich dahin vorgenommen worden, daß der Rentenversicherungsträger von der Nachzahlung einen Betrag in Höhe des Verletztengeldes einbehalte und an den Unfallversicherungsträger abführe.

Mit der hiergegen am 8. April 1968 erhobenen Klage hat der Kläger beantragt, die Beklagte, hilfsweise die Beigeladene, zur Zahlung von 1.344,70 DM zu verurteilen; die Inanspruchnahme der Beklagten hat er damit begründet, daß diese um den genannten Betrag ungerechtfertigt bereichert sei.

Das Sozialgericht (SG) Hildesheim hat unter Klagabweisung im übrigen dem Hilfsantrag stattgegeben (Urteil vom 16. Oktober 1968).

Hiergegen haben sowohl die Beklagte als auch die Beigeladene die vom SG zugelassene Berufung mit dem Ziel einer vollen Klagabweisung eingelegt; der Kläger hat um Zurückweisung der Berufungen, hilfsweise - im Wege der Anschlußberufung - Verurteilung der Beklagten nach dem Hauptantrag im ersten Rechtszug gebeten.

Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen hat die Berufungen zurückgewiesen und die Revision zugelassen (Urteil vom 14. Mai 1970).

Das Berufungsurteil ist im wesentlichen auf folgende Überlegungen gestützt:

Die Beigeladene habe den Anspruch des Klägers auf die Nachzahlung nicht voll erfüllt. Sie sei nicht befugt gewesen, einen Teil dieser Nachzahlung einzubehalten und der Beklagten zu überweisen. Eine solche Befugnis könne insbesondere auch nicht aus einer entsprechenden Anwendung von § 183 Abs. 3 Satz 2, Abs. 5 RVO hergeleitet werden. Es gebe keinen hinreichenden Anhalt für die Annahme, daß der Gesetzgeber die für das Zusammentreffen von Krankengeld und Rente aus der Rentenversicherung geltende Regelung nur versehentlich nicht auf den Fall des Zusammentreffens von Verletztengeld und Rente erstreckt habe. Ein allgemeiner Grundsatz, daß Doppelleistungen zu demselben Zweck unzulässig seien, könne dem geltenden Sozialversicherungsrecht nicht entnommen werden. Für eine Aufrechnung sei wegen Fehlens der Gegenseitigkeit kein Raum gewesen. Die Gegenseitigkeit habe auch nicht in der Weise hergestellt werden können, daß die Beklagte der Beigeladenen einen Anspruch gegen den Kläger auf Rückzahlung des Verletztengeldes abgetreten habe; ein solcher Anspruch habe der Beklagten nicht zugestanden, weil das Verletztengeld weder als Vorschuß auf die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit angesehen werden könne noch auch zu Unrecht gezahlt worden sei. Schließlich stelle es auch keinen Verstoß gegen Treu und Glauben dar, wenn der Kläger die volle Auszahlung der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit verlange.

Hiergegen haben die Beklagte und die Beigeladene Revision eingelegt. Die Beklagte stellt den Antrag,

das Urteil des LSG Niedersachsen vom 14. Mai 1970 und das Urteil des SG Hildesheim vom 16. Oktober 1968 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Beigeladene stellt keinen Sachantrag; sie beantragt, die Sache an den zuständigen Rentenversicherungssenat zu verweisen.

Die Beklagte tritt diesem Verweisungsantrag entgegen.

Die Revisionsklägerinnen rügen eine Verletzung sachlichen Rechts. Sie sind der Ansicht, daß § 183 Abs. 3 Satz 2 RVO entsprechende Anwendung finden müsse. Wolle man dem nicht folgen, so müsse eine rechtsgeschäftliche Abtretung eines Rückforderungsanspruchs der Beklagten auf die Beigeladene angenommen werden. Dieser Anspruch rühre daraus her, daß - wie sich aus dem Wortlaut von § 562 Abs. 2 Satz 1 RVO ergebe - der Kläger das Verletztengeld zu Unrecht bezogen habe; den Mangel des Rechtsgrundes habe er kennen müssen. Das Verlangen des Klägers verstoße überdies gegen Treu und Glauben. Die Beigeladene bittet um Prüfung, ob der erkennende Senat zur Entscheidung der vorliegenden Streitsache zuständig ist.

Der Kläger bittet um Zurückweisung der Revisionen.

II

Der erkennende Senat ist zur Entscheidung des Rechtsstreits berufen. Nach dem Geschäftsverteilungsplan sind ihm u. a. die Leistungsstreitigkeiten aus den §§ 556 bis 635 RVO zugewiesen. Eine solche Streitigkeit liegt hier vor. Der Kläger hat mit seiner Klage sinngemäß geltend gemacht, die Beklagte habe ihn in ihrer Eigenschaft als Träger der gesetzlichen Unfallversicherung in seinen Rechten verletzt, indem sie auf seine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zugegriffen habe, nicht aber, die Beigeladene sei einer Verpflichtung zur Rentenzahlung nicht ordnungsgemäß nachgekommen. Er hat die Beklagte mithin in Anspruch genommen, weil sie - wie er meint - auf seine Kosten ohne rechtlichen Grund bereichert sei. Damit ist der hier zu entscheidende Fall dem vom erkennenden Senat durch Urteil vom 10. November 1955 (BSG 2, 23) entschiedenen vergleichbar; damals hat der Senat entschieden, daß für die Klage eines Versorgungsberechtigten gegen einen Landesfürsorgeverband, an den das Versorgungsamt eine Rentennachzahlung überwiesen hatte, nicht der Sozialrechtsweg, sondern der allgemeine Verwaltungsrechtsweg gegeben sei (aaO S. 27 ff). Überträgt man den Grundgedanken dieser Entscheidung auf das Verhältnis zwischen den für Angelegenheiten der Rentenversicherung und den für Angelegenheiten der Unfallversicherung gebildeten Spruchkörpern, so läßt sich daraus die Regel herleiten, daß sich die Zuständigkeit des Spruchkörpers grundsätzlich nach demjenigen Leistungsträger bestimmt, der die Nachzahlung - angeblich zu Unrecht - gefordert und erhalten hat. Jedenfalls gilt dies dann, wenn der mit der Klage geltend gemachte Anspruch materiell-rechtlich diesem Leistungsträger zuzurechnen ist, d. h. im vorliegenden Fall dem Träger der gesetzlichen Unfallversicherung. Sonach liegt eine Leistungsstreitigkeit i. S. der §§ 556 bis 635 RVO (560, 562 RVO) vor.

Die Revisionen sind zulässig. Insbesondere fehlt es nicht an einer Beschwer der Beklagten. Die Beschwer ist bereits darin zu finden, daß das LSG dem Antrag der Beklagten auf Klagabweisung nicht entsprochen hat (vgl. Rosenberg/Schwab, Zivilprozeßrecht, 10. Aufl., S. 706, 707), so daß es nicht darauf ankommt, ob das angefochtene Urteil seinem Inhalt nach für die Beklagte nachteilig ist (vgl. BGH NJW 1955, 545), insbesondere, ob sie nach diesem Urteil der Beigeladenen zur Rückzahlung verpflichtet wäre (vgl. SozR Nr. 15 zu § 75 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).

Sachlich konnten die Revisionen nur zum Teil Erfolg haben. Das LSG hat zu Unrecht eine entsprechende Anwendung der Vorschrift des § 183 Abs. 3 Satz 2 RVO auf Fälle des zeitlichen Zusammentreffens von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (§ 1247 RVO) mit Verletztengeld nach § 562 Abs. 2 RVO abgelehnt; aus der Anwendung dieser Vorschrift ergibt sich allerdings kein Rechtsübergang in der von den Revisionsklägerinnen angenommenen Höhe.

Der Kläger hatte nach § 562 Abs. 2 RVO keinen Anspruch auf das ihm ab 1. Juni 1967 gezahlte Verletztengeld, weil er jedenfalls seit dieser Zeit nach der Feststellung der Beigeladenen erwerbsunfähig (eu) war (vgl. § 1290 Abs. 1 RVO) und deswegen von dem genannten Zeitpunkt an auch eine Eu-Rente zugebilligt erhalten hat. Die Frage, welche Rechtsfolgen sich daraus ergeben, daß er das Verletztengeld zu Unrecht bezogen hat, ist im Gesetz nicht eindeutig geregelt. Zwar ist der Vorschrift des § 628 RVO zu entnehmen, daß zu Unrecht gewährte Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung grundsätzlich der Rückforderung unterliegen. Eine Anwendung dieser Vorschrift würde hier jedoch nach Ansicht des Senats zu keinem sinnvollen Ergebnis und darüber hinaus sogar zu der Gefahr einer erheblichen Einschränkung oder gar Vorenthaltung der bis zur Gewährung der Eu-Rente dem Unfallverletzten zustehenden Geldleistungen (Verletztengeld) und damit zu Ergebnissen führen, die dem Sinn und Zweck der §§ 560 ff RVO zuwiderliefen und vom Gesetzgeber offenbar auch nicht gewollt sind.

Denn wenn der Versicherungsträger nur unter den sehr einschränkenden Voraussetzungen des § 628 RVO das aus nachträglicher Sicht "zu Unrecht" gezahlte Verletztengeld zurückfordern könnte, so würde er in künftigen Fällen mit der Auszahlung dieser Leistung nach Möglichkeit zögern, obwohl der Berechtigte das Verletztengeld während seiner Arbeitsunfähigkeit in aller Regel dringend benötigt. Es wäre daher sinnwidrig, wenn der Versicherungsträger seine Gewährung grundsätzlich vom Ergebnis umfangreicher Ermittlungen (ggf. im Eu-Rentenverfahren), insbesondere der Einholung von medizinischen Gutachten zu der Frage, ob Erwerbsunfähigkeit vorliegt, abhängig machen würde oder zur Vermeidung gesetzwidriger Leistungen machen müßte. Andererseits würde die Gefahr einer nachteiligen Auswirkung auf die Gesundheit des arbeitsunfähig erkrankten Unfallverletzten eintreten, wenn der Versicherungsträger den Verletzten bereits zu einem Zeitpunkt, in dem der Ausgang des Eu-Rentenverfahrens noch ungewiß ist, auf den möglichen rückwirkenden Wegfall des Anspruchs auf Verletztengeld hinweisen wollte oder müßte.

Damit würde also nicht nur der mit der Leistung angestrebte Zweck einer raschen Hilfe verfehlt (vgl. SozR Nr. 55 zu § 77 SGG - zum Krankengeld -), sondern auch die Genesung des Unfallverletzten in Frage gestellt (vgl. hierzu die weiter unten zu § 183 Abs. 3 Satz 3 RVO gemachten Ausführungen). Diese Erwägungen machen deutlich, daß den Unfallversicherungsträger nicht deswegen der Vorwurf des in § 628 RVO vorausgesetzten Verschuldens trifft, weil er die Zahlung des Verletztengeldes bewirkt oder zugelassen hat, bevor die Frage der Erwerbsunfähigkeit abschließend geklärt war. Überzahlungen sind hier regelmäßig nicht Auswirkungen eines der Rechtsordnung widersprechenden Fehlverhaltens der Verwaltung, dessen Folgen nach Maßgabe der Verantwortlichkeit und der Zumutbarkeit ausgeglichen werden müßten, sondern Ausflüsse einer billigenswerten Verwaltungsübung, der die Tatsache einer späteren rückwirkenden Bewilligung von Eu-Rente im Einzelfall nicht zum Vorwurf gemacht werden kann. Ist sonach Verletztengeld für eine Zeit gezahlt worden, für die nachträglich Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zugebilligt worden ist, so sind zwar zwei Leistungen gleicher Zweckbestimmung nebeneinander bewirkt worden, obwohl nach dem Willen des Gesetzgebers nur eine hätte gewährt werden dürfen, es ist aber weder ein Verschulden der Verwaltung noch eine Bösgläubigkeit des Empfängers festzustellen. Damit fehlt es an den wesentlichen Kriterien des § 628 RVO (Verschulden des Versicherungsträgers, Wissen oder Wissenmüssen, daß die Leistung nicht zustand, auf seiten des Empfängers), wodurch deutlich wird, daß der hier strittige Sachverhalt mit der Vorschrift des § 628 RVO nicht in einen sinnvollen Zusammenhang gebracht werden kann.

Kann mit der Vorschrift des § 628 RVO sonach dem Willen des Gesetzgebers, wie er in § 562 Abs. 2 RVO eindeutig zum Ausdruck gekommen ist (Keine Zahlung von Verletztengeld bei bestehender Erwerbsunfähigkeit i. S. des § 1247 Abs. 2 RVO), nicht in sinnvoller Weise Rechnung getragen werden, so fehlt eine Vorschrift darüber, wie eine solche in der Regel kaum vermeidbare Doppelleistung auszugleichen ist. Damit besteht nach der Überzeugung des Senats eine Lücke im Gesetz, die vom Gericht jedenfalls dann auszufüllen ist (vgl. dazu im einzelnen die in BSG 14, 238, 241 erörterten Grundsätze), wenn - wie hier - kein überzeugender Grund dafür ersichtlich ist, daß der Gesetzgeber sich gerade bei nachträglich bewilligter Eu-Rente mit einem kaum zu verwirklichenden Anspruch des Unfallversicherungsträgers gegen den Versicherten auf Rückzahlung des Verletztengeldes begnügen wollte. Hier haben im wesentlichen die gleichen Grundsätze zu gelten, die der 3. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) in BSG 25, 6, 7 ff zu § 183 Abs. 6 RVO für das Verhältnis von Krankengeld und Übergangsgeld ausgesprochen hat. Dort hat das BSG entschieden, daß § 183 Abs. 3 Satz 2 und 3 RVO entsprechend anzuwenden ist, wenn während des Bezugs von Übergangsgeld Krankengeld gewährt wird (§ 183 Abs. 6 Satz 1 RVO; im Ergebnis ebenso: Brackmann, Handb. der SozVers, Bd. II, 1. bis 7. Aufl., S. 398 a). Da der Wille des Gesetzgebers, Doppelleistungen auszuschließen, in § 562 Abs. 2 RVO gleichermaßen wie in § 183 Abs. 3 und 6 RVO zum Ausdruck kommt und der im vorliegenden Fall gegebene Tatbestand dem in § 183 Abs. 3 Satz 2 und 3 RVO geregelten Sachverhalt in allen wesentlichen Punkten entspricht, ist der Senat zu dem Ergebnis gelangt, daß die Vorschrift des § 183 Abs. 3 RVO auch hier entsprechend anzuwenden ist.

Danach endet der Anspruch auf Krankengeld mit dem Tage, von dem an u. a. Rente wegen Erwerbsunfähigkeit gewährt wird; das entspricht insofern der in § 562 Abs. 2 RVO getroffenen Regelung, als auch dort der Eintritt einer Erwerbsunfähigkeit i. S. des § 1247 Abs. 2 RVO einen Anspruch auf Verletztengeld ausschließt. Dabei kann hier dahingestellt bleiben, ob diese Wirkung auch schon vor der Gewährung der Eu-Rente eintreten kann. Denn der Anspruch auf Verletztengeld entfällt jedenfalls spätestens mit der (rückwirkenden) Zubilligung der Eu-Rente. Nur von diesem Zeitpunkt an besteht im vorliegenden Fall zwischen den Beteiligten Streit. Die rückwirkende Zubilligung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit hat aber nach § 183 Abs. 3 RVO nicht zur Folge, daß nunmehr ein Anspruch des Krankenversicherungsträgers gegen den Versicherten auf Rückzahlung des für die Zeit seit dem Rentenbeginn gezahlten Krankengeldes entstünde; vielmehr geht der Anspruch auf Rente kraft ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift nur bis zur Höhe des gezahlten Krankengeldes auf den Krankenversicherungsträger über, während ein überschießender Betrag dem Versicherten verbleibt (§ 183 Abs. 3 Sätze 2, 3 RVO). Die letztere, den arbeitsunfähigen Erkrankten begünstigende Regelung ist gerade auch für den arbeitsunfähigen Unfallverletzten von Bedeutung, weil sie dazu beiträgt, daß die Genesung nicht etwa durch unzeitgemäße Hinweise auf die etwaigen Folgen einer Erwerbsunfähigkeit ernstlich beeinträchtigt wird (vgl. dazu auch die im Schrifttum zu § 187 Abs. 7 RVO erörterten nachteiligen Auswirkungen auf die Gesundheit des Versicherten: Brackmann aaO, S. 398 c; RVO-Gesamtkommentar, Stand März 1973, Anm. 12 zu § 183 RVO S. 53/54).

Die entsprechende Anwendung des § 183 Abs. 3, Sätze 2 und 3 RVO auf Fälle eines Zusammentreffens von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit und Verletztengeld ist auch aus sonstigen Gründen sinnvoll und geboten. Verletztengeld und Krankengeld erfüllen im wesentlichen die gleiche Funktion (vgl. §§ 182 Abs. 1 Nr. 2, 560 Abs. 1 RVO); auch ist ihre Bemessung weitgehend übereinstimmend geregelt (vgl. §§ 560 Abs. 2, 561 RVO). Demgemäß hat der erkennende Senat auch bereits im Urteil vom 29. November 1972 - 8/2 RU 123/71 - dargelegt, daß das Verletztengeld dem Krankengeld nach Sinn und Zweck entspricht. Weder die zwischen den beiden Leistungen bestehenden Unterschiede noch auch das Schweigen des Gesetzgebers rechtfertigen es, dort zu differenzieren, wo der Gesetzgeber die zu regelnden Sachverhalte als wesentlich gleich angesehen hat, wie das in den Fällen der §§ 183 Abs. 3 Satz 1, 562 Abs. 2 RVO zutrifft. Wenn es der Gesetzgeber unterlassen hat, im Rahmen von § 562 Abs. 2 RVO dem § 183 Abs. 3 Sätze 2, 3 RVO entsprechende Regelungen zu treffen, so gestattet das nicht den vom LSG gezogenen Schluß, daß dem Empfänger Rente und Verletztengeld in Fällen der vorliegenden Art unverkürzt nebeneinander verbleiben sollen. Denn die ausdrückliche gesetzliche Regelung in § 562 Abs. 2 RVO stünde dazu im Widerspruch. Ob das Unterbleiben einer ausdrücklichen Regelung für den Ausgleich zuviel gezahlter Leistungen seine Erklärung darin finden mag, daß - worauf auch die Wortfassung hindeuten könnte - der Gesetzgeber bei der Schaffung von § 562 Abs. 2 RVO allein den Fall im Auge gehabt haben könnte, daß der Verletzte z. Zt. der Wiedererkrankung bereits Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bezieht (vgl. § 183 Abs. 4 RVO), kann dahinstehen. Jedenfalls wäre für einen Umkehrschluß nur Raum, wenn die hier in Betracht kommenden Interessenlagen voneinander wesentlich verschieden wären. Nun ist es zwar richtig, daß der Gesetzgeber das Verletztengeld etwas günstiger ausgestaltet hat als das Krankengeld (vgl. dazu die bereits zitierte Entscheidung des Senats vom 29. November 1972). Aber gerade in bezug auf eine Kumulation von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit und Verletztengeld im Falle der Wiedererkrankung läßt sich ein Unterschied gegenüber dem in § 183 Abs. 3 Satz 1 RVO geregelten Sachverhalt in der Bewertung durch den Gesetzgeber nicht feststellen; damit aber fehlt es an einem hinreichenden Anlaß, aus dem Schweigen des Gesetzgebers einen anderen als den vom Senat gezogenen Schluß zu entnehmen.

Bei seiner Überlegung, es widerspreche der Gesamtkonzeption des Sozialversicherungsrechts, Ansprüche des Versicherten durch analoge Heranziehung ihm ungünstiger Normen zu beschneiden, hat das LSG die obigen Erwägungen nicht gebührend berücksichtigt. Im übrigen kann nicht gesagt werden, daß der Betroffene durch eine entsprechende Anwendung von § 183 Abs. 3 RVO, der dem Empfänger im Ergebnis stets die höhere Leistung beläßt, generell oder auch nur im Einzelfall ungünstiger gestellt wird, als es dem Sinn und Zweck des § 562 Abs. 2 RVO entspricht. Zu einem Eingehen auf die Problematik, die sich ergibt, wenn in den Fällen des § 562 Abs. 2 RVO der Verletzte zwar eu ist, jedoch keinen Anspruch auf eine entsprechende Rente hat, bietet der vorliegende Fall keinen Anlaß.

Ist nach alledem die Vorschrift des § 183 Abs. 3 Satz 2 und 3 RVO im vorliegenden Fall entsprechend anzuwenden, so haben die Revisionsklägerinnen zu Unrecht angenommen, der Anspruch auf die Rentennachzahlung für die Zeit vom 1. Juli bis 31. Dezember 1967 sei in Höhe des gesamten gezahlten Verletztengeldes auf die Beklagte übergegangen; der Rechtsübergang erfaßt vielmehr nur den Anspruch auf Rente für die Zeit vom 1. Juni bis 13. August 1967, für die der Kläger Verletztengeld bezogen hat, also den Betrag von 563,71 DM. Ein darüber hinausgehender Anspruch der Beklagten oder der Beigeladenen ist durch § 183 Abs. 3 Satz 3 RVO ausgeschlossen; demgemäß war entsprechend dem Klageantrag die Beklagte zur Herausgabe des von der Beigeladenen zu Unrecht Erlangten an den Kläger zu verurteilen. Die von der Beklagten zur Frage einer etwaigen Abtretung sowie eines Rückforderungsanspruchs angestellten Überlegungen sind damit gegenstandslos.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 62

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