Leitsatz (redaktionell)

1. Die Ergänzung des KOV-VfG § 43 Abs 2 S 2 durch das 1. NOG KOV vom 1960-06-27, wonach der Beginn der 5-Jahresfrist frühestens mit dem 1957-01-01 eintritt, bezieht sich nicht auf Versorgungsfälle, in denen die Frist am 1960-07-02 bereits abgelaufen war.

2. Die Rücknahme eines Bescheides nach KOV-VfG § 41 wirkt nicht über den Zeitpunkt des Inkrafttretens des KOV-VfG (1955-04-01) zurück. Für die Zeit davor kann jedoch ein Verwaltungsakt nach dem Grundsatz des allgemeinen Verwaltungsrechts jedenfalls dann zurückgenommen werden, wenn er durch unwahre Angaben des Begünstigten zustande gekommen ist.

 

Normenkette

KOVVfG § 43 Abs. 2 S. 2 Fassung: 1960-06-27, § 41 Abs. 1 Fassung: 1960-06-27

 

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 14. Mai 1963 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Gründe

Der Kläger wurde 1942 zur Wehrmacht einberufen und im Juni 1945 aus englischer Gefangenschaft entlassen. Auf Grund seiner Angaben im Versorgungsantrag und einer amtsärztlichen Stellungnahme wurden mit Bescheid vom 31. August 1948 reizlose Narbe am linken Darmbeinkamm, Narbe auf der Streckseite des linken Kniegelenks nach Granatsplitterverletzung, reizlose Narbe auf der linken Rückenseite nach Granatsplittersteckschuß, vier Narben auf der Außenseite des rechten Oberschenkels und der vorderen Gesäßgegend nach Spritzenabszeß, sämtliche Narben ohne (wesentliche) Gebrauchs- oder Bewegungsbehinderung, ferner geringe Bewegungsbehinderung im linken Ellenbogengelenk nach Ellenbogenausrenkung als Körperschäden nach der Sozialversicherungsdirektive (SVD) Nr. 27 anerkannt.

Rente wurde nicht gewährt, weil die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) nur 20 vom Hundert (v. H.) betrage. Im Einspruchsverfahren machte der Kläger geltend, die Haut sei durch die Vernarbung am linken Darmbeinkamm unverschieblich an den Hüftknochen angewachsen, wodurch infolge der Spannung der Haut Schmerzen entstünden. Ein Splitter im Rücken verursache bei Erkältungen erhebliche "Reibschmerzen". Auf Grund des Attestes des Dr. H und des Befundes des Röntgenfacharztes Dr. H wurde entsprechend der Mitteilung vom 29. März 1949 mit Bescheid vom 28. April 1949 als zusätzlicher Körperschaden Stecksplitter im Lungengewebe anerkannt und für sämtliche Schädigungen Rente nach einer MdE um 40 v. H. ab 1. August 1947 gewährt. Das Versorgungsamt (VersorgA) übernahm in dem ohne Untersuchung erlassenen Umanerkennungsbescheid vom 29. Januar 1952 MdE und Leidensbezeichnungen als Schädigungsfolgen nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).

Am 12. September 1958 ging bei dem VersorgA ein Krankenblatt des Reservelazaretts Fürstenstein über die Behandlung des Klägers vom 8. März bis 6. April 1945 ein. Daraus ergab sich, daß er nach seinen Angaben 1941 einen Unfall gehabt hatte, bei dem der Unterarm links aus dem Gelenk gesprungen war. Das VersorgA leitete am 4. Juli 1960 eine Überprüfung der Zusammenhangsfrage und der MdE ein. Dr. Ha führte im Gutachten vom 13. Oktober 1960 aus, der Kläger berichte auf Vorhalt über einen Unfall 1941, bei dem er auf dem väterlichen Hof vom Dach gefallen sei und sich das Ellenbogengelenk ausgerenkt habe. Daraus ergebe sich, daß die Gesundheitsstörung geringe Bewegungseinschränkung im linken Ellenbogengelenk nach Ellenbogenausrenkung zweifellos zu Unrecht als Schädigungsfolge anerkannt worden sei. Es stehe außer jedem Zweifel fest, daß sie bereits vor dem Wehrdienst entstanden und durch diesen nicht verschlimmert worden sei. Ohne den Lungenstecksplitter sei die MdE mit 20 v. H. beurteilt worden. Aus der Untersuchung vom 23. Oktober 1947 ergebe sich, daß die Schädigungsfolgen, soweit sie in Narben bestünden, sämtlich ohne (wesentliche) Gebrauchs- oder Bewegungsbehinderung gewesen seien und daß die damals angenommene MdE von 20 v. H. allein der Bewegungsbehinderung im Ellenbogengelenk links zuzumessen sei, eine Beurteilung, die auch seinem Befund entspreche. Nach Berichtigung betrage die durch die Schädigungsfolgen bedingte MdE 20 v. H.

Durch Berichtigungsbescheid vom 28. Dezember 1960 wurden die Bescheide vom 31. August 1948, 28. April 1949 und 29. Januar 1952 sowie die Mitteilung vom 29. März 1949 gemäß § 41 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VerwVG) insoweit geändert, als darin geringe Bewegungsbehinderung im linken Ellenbogengelenk nach Ellenbogenausrenkung und eine MdE um 40 v. H. anerkannt worden waren.

Zu den im übrigen bereits früher festgestellten Schädigungsfolgen wurde zusätzlich noch eine reizlose Narbe am rechten Oberarm anerkannt. Eine Rente wurde nicht mehr zugebilligt, die Zahlung der Versorgungsbezüge eingestellt und die für die Zeit vom 1. August 1947 bis 31. Dezember 1960 gezahlte Rente von 3.791,20 DM nach § 47 Abs. 3 Nr. 1 VerwVG zurückgefordert. Im Widerspruchsverfahren beantragte der Kläger Rente nach einer MdE um 30 v. H. Er bezog sich auf die Bescheinigung des Dr. J in der ausgeführt ist, der Kläger befinde sich wegen Schmerzen im linken Knie und in der linken Hüfte laufend in Behandlung. Er könne wegen starker glaubhafter Schmerzen in der rechten Gesäßhälfte nicht längere Zeit hinter Pflug und Egge gehen. Der Widerspruch war erfolglos. Das Sozialgericht (SG) hörte Dr. J, der ausführte, bei der Durchleuchtung habe nicht sicher festgestellt werden können, ob der Splitter am linken Schulterblatt intra- oder extrapulmonal liege; eine höhere MdE als 20 v. H. sei bei den oberflächlichen Verletzungen sicher nicht gerechtfertigt. Das SG bestätigte mit Urteil vom 20. Juli 1962 den Bescheid vom 28. Dezember 1960 mit der Maßgabe, daß die schädigungsbedingte MdE 25 v. H. betrage. Es führte aus, der Kläger wehre sich nicht gegen die Rücknahme der Anerkennung der Schädigungsfolge "geringe Bewegungsbehinderung im linken Ellenbogengelenk". Er rüge lediglich die Neufestsetzung der MdE auf 20 v. H. für die anerkannt gebliebenen Schädigungsfolgen. Insoweit sei sein Begehren gerechtfertigt. Der Beklagte sei gehalten, die Höhe der Rückzahlung auf der Grundlage der bestehenden MdE von 25 v. H. = 30 v. H. neu zu berechnen.

Mit der Berufung macht der Beklagte geltend, der Bescheid vom 28. Dezember 1960 sei auch nach § 42 VerwVG gerechtfertigt. Bei der Neubewertung des Grades der MdE komme es auf die Verhältnisse im Zeitpunkt des Bescheides vom 28. Dezember 1960 an. Durch Teilvergleich vom 14. Mai 1963 erkannte der Beklagte außer den im Bescheid vom 28. Dezember 1960 aufgeführten Verwundungsfolgen zusätzlich als Schädigungsfolgen an "knöchern verheilter Schußbruch der linken dritten Rippe, winziger Stecksplitter in den Weichteilen der linken Schultergegend". Das Landessozialgericht (LSG) wies mit Urteil vom 14. Mai 1963 die Berufung des Beklagten mit der Maßgabe zurück, daß die Formel des SG-Urteils zu lauten habe: Der Widerspruchsbescheid vom 1. Juni 1961 und der Teilberichtigungsbescheid vom 28. Dezember 1960 werden abgeändert. Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger vom 1. August 1947 an wegen der anerkannten Schädigungsfolgen Rente nach einer MdE um 30 v. H. zu zahlen. Der Rückforderungsbetrag wird auf 911.- DM ermäßigt. Das LSG ließ die Revision zu. Auf die Berufung des Beklagten sei nur noch darüber zu entscheiden gewesen, ob der Beklagte berechtigt sei, die Versorgungsbezüge in vollem Umfange oder - nur in Höhe des Betrages zurückzufordern, der dem Unterschied zwischen der Rente nach einer MdE von 25 v. H. und einer solchen von 40 v. H. entspreche. Der Beklagte habe die Frist von 3 Monaten seit Kenntnis des Anfechtungsgrundes im Sinne des § 43 VerwVG aF und die Frist von 6 Monaten nach § 43 VerwVG in der Fassung des Ersten Neuordnungsgesetzes (1. NOG) versäumt. Der Auffassung des Beklagten, daß durch die Neufassung des § 43 VerwVG eine Prüfung auf Grund des § 42 VerwVG auch für die Entscheidungen eröffnet werde, für die die Frist des § 43 Abs. 1 Satz 2 VerwVG alter und neuer Fassung schon vor Inkrafttreten des 1. NOG abgelaufen gewesen sei, könne nicht gefolgt werden. Aus dem Wortlaut des § 43 Abs. 2 VerwVG nF ergebe sich eindeutig, daß der Gesetzgeber nur das Ende der Einleitungsfrist, nicht aber ihren Beginn neu geregelt habe. Sowohl die Verlängerung der Einleitungsfrist auf 6 Monate als auch die Feststellung des Beginns der 5-Jahresfrist auf den 1. Januar 1957 erweiterten nur die Zeiträume, innerhalb derer die Versorgungsbehörde im Rahmen des § 42 VerwVG überhaupt tätig werden dürfe, und zwar deshalb, um den Versorgungsbehörden eine gründliche Überprüfung zu ermöglichen, die innerhalb von 3 Monaten oft nicht durchgeführt werden könne, und um - in bezug auf die 5-Jahresfrist - der Tatsache Rechnung zu tragen, daß Krankenblätter aus der Kriegszeit vielfach erst lange Zeit nach Ablauf dieser Frist, vom Tage der ersten Entscheidung an gerechnet, aufgefunden würden. Die neue Regelung lasse aber den Beginn der Einleitungsfrist, die nach altem und nach neuem Recht auf die Kenntnis des Anfechtungsgrundes abgestellt sei, unberührt. Das Gesetz habe somit nicht eine generelle Überprüfung aller Versorgungsfälle in der Zeit vom 1. Juni 1960 bis 1. Januar 1961 (gemeint ist wohl "bis 31. Dezember 1961") ermöglichen wollen.

Eine zweifelsfreie Unrichtigkeit der Bemessung der MdE nach § 41 VerwVG sei nur gegeben, wenn jede Möglichkeit ausscheide, die zunächst getroffene Bewertung der MdE noch als vertretbar anzusehen. Nach Aberkennung der geringen Bewegungsbehinderung im linken Ellenbogengelenk nach Ellenbogenausrenkung sei der Beklagte an die frühere Bewertung der verbliebenen Schädigungsfolgen gebunden. Der Stecksplitter im Lungengewebe sei allein mit einer MdE um 20 v. H. bewertet worden. Daneben sei die Behinderung durch die Narbe auf der Streckseite des linken Kniegelenks zu berücksichtigen, weil sie nach dem Gutachten des Dr. H bei extremen Bewegungen spanne und nach der Bescheinigung des Dr. J glaubhafte Beschwerden verursache. Auch die reizlose Narbe am linken Darmbeinkamm wirke sich, wenn auch nur geringfügig, auf die Erwerbsfähigkeit nachteilig aus, weil sie berührungsempfindlich sei und sich in Höhe der Gürtellinie, also an einer von der Kleidung fest umschlossenen Körperstelle befinde. Schließlich sei das Anerkenntnis des Beklagten in dem Teilvergleich vom 14. Mai 1963 "knöchern verheilter Schußbruch der linken 3. Rippe" zu berücksichtigen, das als Zugunstenbescheid im Sinne des § 40 Abs. 1 VerwVG aufzufassen sei, weil es die Schädigungsfolgen durch ein schon 1948 vorhanden gewesenes Leiden ergänze. Die Rippe sei nach dem Röntgenbefund des Dr. H kolbig deformiert. Die Annahme einer weiteren Teil-MdE von 10 v. H. dafür sei gerechtfertigt. Das aberkannte Leiden habe mit keiner höheren MdE als 10 v. H. bewertet werden können; darum ergebe sich für die verbleibenden Schädigungsfolgen ohne Stecksplitter im Lungengewebe immer noch eine MdE um 10 v. H. Der Kläger sei somit vom 1. August 1947 an zum Bezug einer Rente nach einer MdE um 30 v. H., die die MdE von 25 v. H. umfasse, berechtigt. Er sei zur Rückzahlung von Versorgungsbezügen nur in Höhe des Unterschiedsbetrages verpflichtet, der sich aus dem Vergleich der nach einer MdE von 40 v. H. gezahlten Rente ergebe. Dieser Betrag belaufe sich auf 911.- DM. Das SG, das ebenfalls von dem Unterschied der nach einer MdE von 30 v. H. zustehenden und nach einer MdE von 40 v. H. tatsächlich gezahlten Rente ausgehe, habe nur die Errechnung des Rückzahlungsbetrages unterlassen.

Der Beklagte rügt mit der Revision Verletzung des § 43 VerwVG. Sinn und Zweck der Änderung dieser Vorschrift sei es gewesen, eine neue Prüfung nach § 42 VerwVG für alle alten Entscheidungen zu eröffnen, besonders für solche, für die entweder die 5-Jahresfrist des § 43 Abs. 2 Satz 2 VerwVG aF oder die 3-Monatsfrist des § 43 Abs. 1 letzter Satz VerwVG aF oder beide Fristen schon vor dem Inkrafttreten des 1. NOG abgelaufen waren. Der Bescheid vom 28. Dezember 1960 sei aber auch dann rechtmäßig, wenn er nur auf § 41 VerwVG gestützt werde. Das LSG habe nicht annehmen dürfen, daß das aberkannte Leiden mit keiner höheren MdE als 10 v. H. habe bewertet werden können; denn nach der amtsärztlichen Stellungnahme vom 23. Oktober 1947 und der Beurteilung des ärztlichen Beraters des Beklagten vom 17. August 1962 sei diese Schädigungsfolge mit 20 v. H. bemessen worden. Als medizinisch absolut unrichtig müsse es bezeichnet werden, daß das LSG für die im Berufungsverfahren zusätzlich anerkannte Schädigungsfolge eine MdE von 10 v. H. mit der kolbigen Deformierung der Rippe begründet habe. Diese Deformierung sei nur die Folge der Kallusbildung und verursache keine Beschwerden. Das LSG habe auch gegen das Verbot der Schlechterstellung des Rechtsmittelklägers verstoßen; das SG habe die MdE mit 25 v. H. bemessen; bei einer geringeren MdE als 30 v. H. habe nach § 6 Ziff. II SVD Nr. 27 eine Rente nicht gewährt werden dürfen. Darum habe das LSG für die Zeit vom 1. August 1947 bis 30. September 1950 auch nicht die einer MdE um 30 v. H. entsprechende Rente zusprechen dürfen. Der Beklagte beantragt, unter Aufhebung des Urteils des LSG Niedersachsen vom 14. Mai 1963 und Abänderung des Urteils des SG Stade vom 20. Juli 1962 die Klage abzuweisen, hilfsweise die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen. Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Das LSG habe für die Schädigungsfolgen - abgesehen von der durch den Lungenstecksplitter verursachten Gesundheitsstörung - eine MdE von wenigstens 10 v. H. einsetzen dürfen. Das Urteil des SG müsse dahin ausgelegt werden, daß der Beklagte zur Zahlung einer Rente nach einer MdE um 30 v. H. verurteilt werden sollte.

Die durch Zulassung statthafte Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und somit zulässig (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164, 166 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Sachlich ist sie nicht begründet.

Das LSG hatte auf die Berufung des Beklagten darüber zu entscheiden, ob nach Wegfall der Schädigungsfolge geringe Bewegungsbehinderung im linken Ellenbogengelenk nach Ellenbogenausrenkung im Bescheid vom 28. Dezember 1960 die Zubilligung einer Rente für die in diesem Bescheid noch anerkannten Schädigungsfolgen gerechtfertigt war und welcher Rückforderungsanspruch dem Beklagten zustand. Das LSG hat nicht verkannt, daß es von der Rechtmäßigkeit des Berichtigungsbescheides vom 28. Dezember 1960 auszugehen hatte, soweit darin die 1948, 1949 und 1952 anerkannte Schädigungsfolge aufgehoben und die MdE von 40 v. H. herabgesetzt worden war; denn dies hatte bereits das SG-Urteil ausgesprochen, das der Kläger nicht angefochten hat. Ohne Rechtsirrtum hat das LSG ausgeführt, daß der Beklagte nicht berechtigt war, den Bescheid vom 28. Dezember 1960, soweit er noch strittig ist, auf § 42 VerwVG zu stützen, weil die Voraussetzungen des § 43 VerwVG nicht erfüllt waren.

Durch Art. II § 6 des 1. NOG vom 27. Juni 1960 (BGBl I 453) sind die Fristen des § 43 Abs. 1 Satz 1 und 2 VerwVG, innerhalb derer von der Kenntnis des Anfechtungsgrundes an Anträge nach § 42 VerwVG zu stellen oder Verfahren von Amts wegen einzuleiten sind, verlängert worden. An die Stelle der früheren Einleitungsfrist von 3 Monaten ist eine Frist von 6 Monaten getreten. Außerdem ist § 43 Abs. 2 Satz 2 VerwVG, der bestimmte, daß die erneute Prüfung nach Ablauf von 5 Jahren vom Tage der Entscheidung an nicht mehr zulässig ist, durch den Halbsatz ergänzt worden: "diese Frist beginnt frühestens mit dem 1. Januar 1957". Diese Änderungen sind nach Art. IV § 4 Abs. 1, 1. NOG am 2. Juli 1960 in Kraft getreten. Das LSG hat die Anwendung des § 42 VerwVG bereits deshalb abgelehnt, weil die Einleitungsfrist von drei- bzw. sechs - Monaten nicht eingehalten wurde. Der Senat konnte dahingestellt sein lassen, ob das LSG hierbei auch hätte in Betracht ziehen müssen, daß zu der Zeit, als der Beklagte nach den Feststellungen des LSG von dem Anfechtungsgrund Kenntnis erhielt - 12. September 1958 -, die seit dem letzten begünstigenden Bescheid (Umanerkennungsbescheid) vom 29. Januar 1952 laufende Fünfjahresfrist bereits verstrichen und der Beklagte daher zu diesem Zeitpunkt gar nicht mehr verpflichtet und auch nicht berechtigt war, noch eine Berichtigung nach § 42 VerwVG einzuleiten. In jedem Fall kann nämlich der Berichtigungsbescheid vom 28. Dezember 1960 deshalb nicht auf § 42 VerwVG gestützt werden, weil bei Inkrafttreten der Gesetzesänderung am 2. Juli 1960 die Fünfjahresfrist bereits verstrichen war und die Gesetzesänderung diesen Fall daher nicht erfaßt.

In der Sache 9 RV 218/63 - wird veröffentlicht - hat der erkennende Senat entschieden, daß aus § 43 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 VerwVG zweifelsfrei nur eine sich aus der Änderung des Fristbeginns (1. Januar 1957) ergebende Verlängerung der vor dem 1. Januar 1957 angelaufenen und am 2. Juli 1960 noch nicht abgelaufenen Anschlußfristen zu entnehmen ist, daß der Vorschrift aber eine darüber hinausgehende Bedeutung nicht beigemessen werden kann. Da die durch den Berichtigungsbescheid vom 28. Dezember 1960 teilweise aufgehobenen Bescheide bereits am 31. August 1948, 29. März 1949, 28. April 1949 und 29. Januar 1952 ergangen waren, konnte am 2. Juli 1960 keine laufende 5-Jahresfrist mehr durch Verlegung des Fristbeginns auf den 1. Januar 1957 geändert und verlängert werden.

Die Entstehungsgeschichte des 1. NOG gibt insoweit keine eindeutige Auskunft über die Absichten des Gesetzgebers. In der Begründung zum Entwurf des 1. NOG (vgl. BT-Drucks. Nr. 1239, 3. Wahlp. S. 36 zu Nr. 9) hat die Bundesregierung erklärt, wegen des verspäteten Inkrafttretens des VerwVG sei es geboten, die 5-Jahresfrist des § 43 Abs. 2 Satz 2 VerwVG erst von einem späteren Zeitpunkt als dem der Entscheidung in Lauf zu setzen. Dem ist zwar der Bundesrat mit dem Hinweis entgegengetreten, der Regierungsentwurf setze eine neue 5-Jahresfrist in Lauf und führe damit eine Rechtsunsicherheit für die Kriegsopfer herbei, die nicht hingenommen werden könne (vgl. BT Drucks. Nr. 1239, 3. Wahlp. S. 45 Nr. 38). Ob mit der Änderung des § 43 auch ein Neubeginn bereits abgelaufener Fristen ermöglicht werden sollte, ist in der Begründung zum Regierungsentwurf aber nicht zum Ausdruck gebracht. Nachdem die Bundesregierung darauf hingewiesen hatte, der Beginn der 5-Jahresfrist am 1. Januar 1957 ermögliche es, von der Bestimmung des § 42 VerwVG wenigstens noch in den Jahren 1960 und 1961 Gebrauch zu machen (vgl. BT Drucks. 1239, 3. Wahlp. S. 53 zu Nr. 38) und der Ausschuß für Kriegsopfer- und Heimkehrerfragen dem zugestimmt hatte (vgl. BT Drucks. Nr. 1825, 3. Wahlp. S. 13 zu § 43), fand der Entwurf zum 1. NOG auch die Zustimmung des Bundesrates; hierbei wurde eine weitere Stellungnahme zu § 43 nicht abgegeben (vgl. BR Protokoll der 220. Sitzung vom 10. Juni 1960 S. 397 B, 398 B). Die Novelle hat durch ihre Fassung weder ausdrücklich klargestellt noch sonst deutlich gemacht, daß sie auf alle Versorgungsfälle, d. h. auch solche, in denen die Frist bereits abgelaufen war, anzuwenden sei, im Gegenteil, sie hat die bis zum 2. Juli 1960 geltende Fassung aufrechterhalten und den Änderungen erst von diesem Zeitpunkt an Rechtswirksamkeit verliehen. Darum konnte die Ausschlußfrist des § 43 Abs. 2 Satz 2 VerwVG aF von 5 Jahren vom Tage der Entscheidung an ablaufen, bevor die neue Fassung in Kraft trat. Hätte der Gesetzgeber eine weitere Ausbreitung des Geltungsbereichs beabsichtigt, so hätte er die frühere Fassung, daß nach Ablauf von 5 Jahren vom Tage der Entscheidung an die erneute Prüfung nicht mehr zulässig sei, nicht beibehalten und nur durch den Zusatz des Fristbeginns ab 1. Januar 1957 modifizieren dürfen; er hätte den bis zum 2. Juli 1960 geltenden Rechtszustand nicht aufrechterhalten dürfen, weil das Gesetz die Voraussetzungen des Wiederaufnahmeverfahrens nicht grundsätzlich neu geregelt, sondern lediglich eine erst ab 2. Juli 1960 wirksame Änderung vorgenommen hat, kann § 43 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 VerwVG nur dahin ausgelegt werden, daß der Beginn der am 2. Juli 1960 noch laufenden Ausschlußfristen auf den 1. Januar 1957 zurückverlegt wurde. Der Zusatz kann nur die Bedeutung haben, daß als einmalige, zeitlich befristete Ausnahme in den damit erfaßten Fällen die frühestens mit dem 1. Januar 1957 beginnende Frist bis zum 31. Dezember 1961 verlängert, nicht aber, daß eine am 2. Juli 1960 bereits abgelaufene Frist erneuert wird. Diese Auslegung des § 43 Abs. 2 VerwVG erscheint im übrigen schon deshalb sinnvoll, weil auch die Neufassung des § 43 VerwVG die Einleitungsfrist als selbständige Voraussetzung für die Wiederaufnahme des Verfahrens mit der Kenntnis des Anfechtungsgrundes, nicht mit einem feststehenden Kalendertag beginnen läßt.

Das LSG ist hiernach mit Recht zu dem Ergebnis gekommen, daß der Bescheid vom 28. Dezember 1960 nicht auf § 42 VerwVG gestützt werden konnte.

Das LSG hat weiter zu Recht erörtert, ob der Bescheid nach § 41 VerwVG Bestand haben kann. In diesem Zusammenhang hat es die sich aus § 41 VerwVG ergebenden Grundsätze für die Feststellung einer zweifelsfrei tatsächlich und rechtlich unrichtigen MdE herangezogen. Dabei hat es aber übersehen, daß die Rücknahme eines Bescheides nach § 41 VerwVG nicht über den Zeitpunkt des Inkrafttretens des VerwVG (1. April 1955, vgl. § 51 Abs. 1 VerwVG) zurückwirkt (BSG in SozR VerwVG § 41 Ca 3 Nr. 9), daß andererseits jedoch für die Zeit davor ein Verwaltungsakt nach den Grundsätzen des allgemeinen Verwaltungsrechts jedenfalls dann, wenn es durch unwahre Angaben des Begünstigten zustande gekommen ist, zurückgenommen werden kann (BSG SozR VerwVG § 42 Ca 2 Nr. 3). Von diesem Sachverhalt war bereits das Urteil des SG ausgegangen und auch das LSG hat ihn seiner Entscheidung zugrundegelegt. Aus der Bindungswirkung der früheren Bescheide ergab sich, daß auf Grund der Aberkennung des zu Unrecht festgestellten Leidens die MdE für die übrigen Schädigungsfolgen nicht abweichend von der früher zuerkannten MdE bemessen werden durfte. Darüber hinaus konnten wegen dieser Bindung und der Abhängigkeit der Gesamt-MdE von der Bewertung der einzelnen Leiden Zweifel bezüglich der Gesamt-MdE, die das in dem Berichtigungsbescheid aberkannte Leiden berühren, nicht zu einer für den Betroffenen ungünstigeren Festsetzung der MdE führen. Es würde sonst übersehen, daß die Herabsetzung der MdE den Nachweis erfordert, daß und in welchem Umfange die früher festgestellte MdE unrichtig war. Daher kann die MdE in einem solchen Fall nur insoweit herabgesetzt werden, als rückblickend die Möglichkeit zu einer anderen Bewertung ausgeschieden werden kann. Im Ergebnis entspricht dies der auch in § 41 VerwVG getroffenen Regelung (vgl. BSG 13, 227 sowie Urt. des erkennenden Senats in SozR VerwVG § 41 Ca 15 Nr. 20). Das LSG ist somit trotz unrichtiger Anwendung des § 41 VerwVG bei der Festsetzung der MdE von zutreffenden Rechtsgrundsätzen ausgegangen.

Das LSG hat auch nicht unbeachtet gelassen, daß es im Rahmen der nur vom Beklagten eingelegten Berufung nicht mehr darüber zu befinden hatte, ob die in dem Bescheid vom 28. Dezember 1960 aufrecht erhaltenen Leiden mit einer höheren MdE als 25 v. H. zu bemessen waren und ob der Beklagte die nach dieser MdE gezahlte Rente zurückverlangen konnte; insoweit hatte das SG den Bescheid vom 28. Dezember 1960 "bestätigt". Das LSG hat aber berücksichtigen müssen, daß die in dem Teilvergleich vom 14. Mai 1963 enthaltene Anerkennung des knöchern verheilten Schußbruchs der linken dritten Rippe und des winzigen Stecksplitters in den Weichteilen der linken Schultergegend nach § 96 SGG zusätzlich Gegenstand des Verfahrens geworden war. Es hat darum zu Recht diese Schädigung in die Gesamtbewertung des Leidenszustandes einbezogen und dabei ausgeführt, daß ohne die Schädigungsfolge Stecksplitter im Lungengewebe, die mit 20 v. H. bewertet worden war, aber einschließlich des Schußbruchs der linken dritten Rippe die Annahme einer weiteren Teil-MdE von 10 v. H. gerechtfertigt sei. Die Revision hat die Feststellung des LSG, daß das Anerkenntnis vom 14. Mai 1963 als ein in die Vergangenheit zurückwirkender Zugunstenbescheid nach § 40 Abs. 1 VerwVG aufzufassen sei, nicht angegriffen. Das LSG ist erst hierdurch zu einer MdE von 30 v. H. gelangt. Darin liegt kein Verstoß gegen das Verbot der Schlechterstellung des Rechtsmittelklägers. Das LSG hat sich nicht darüber hinweggesetzt, daß das SG die Schädigungsfolgen mit einer MdE um 25 v. H. bewertet hatte, und es hat, da es unter Einbeziehung der nach § 96 SGG zu berücksichtigenden weiteren Schädigungsfolge zu einer MdE von 30 v. H. gelangt ist, gar nicht zu beurteilen gehabt, ob nach § 6 Ziff. II SVD Nr. 27 Rente bei einer MdE um 25 v. H. gezahlt werden konnte. Das LSG hat somit das Verbot der Schlechterstellung nicht verletzt und die Ansprüche des Klägers nicht unzulässig über den durch das Urteil des SG gezogenen Rahmen erweitert.

Das LSG hat auch die dem freien richterlichen Ermessen durch § 128 SGG gezogenen Grenzen nicht dadurch überschritten, daß es die MdE für die anerkannt gebliebenen Schädigungsfolgen - außer der Stecksplitterverletzung im Lungengewebe - mit 10 v. H. bewertete. Bei der Bemessung der MdE ist das Gericht nicht an die in ärztlichen Gutachten enthaltenen Vorschläge gebunden, die ärztliche Auffassung darüber bietet für den Richter insoweit nicht mehr als einen Anhalt (BSG in SozR SGG § 128 Da 9 Nr. 25). Das LSG hat sich auch nicht, soweit es für die Bemessung der MdE auf medizinische Erkenntnisse ankam, über die Beurteilung der ärztlichen Sachverständigen hinweggesetzt (BSG in SozR SGG § 128 Da 1 Nr. 2): Bei der Beurteilung der Narbe auf der Streckseite des linken Kniegelenks hat es die im Gutachten des Dr. H vom 13. Oktober 1960 enthaltene Feststellung verwertet, daß sich diese Narbe bei "extremer Beugung" deutlich spannt. Die hierdurch nach der Bescheinigung des Dr. J verursachten Beschwerden bei Ausführung landwirtschaftlicher Arbeiten konnte es daher für glaubhaft halten. Das LSG durfte auch die von Dr. H als berührungsempfindlich bezeichnete Narbe am linken Darmbeinkamm und die dadurch verursachten Beschwerden als nicht ganz unerheblich ansehen, weil diese Narbe sich an einer fest von der Kleidung umschlossenen Körperstelle befindet. Zu Unrecht entnimmt die Revision der amtsärztlichen Stellungnahme vom 23. Oktober 1947, daß darin die geringe Bewegungsbehinderung im linken Ellenbogengelenk nach Ellenbogenausrenkung allein mit 20 v. H. bewertet worden sei. Diese Stellungnahme enthält keine Einzelbewertung der Schädigungsfolgen.

Bei der Beurteilung des knöchern verheilten Schußbruchs der linken dritten Rippe hat das LSG sich eng der Feststellung des Dr. H angeschlossen, der dorsolateral eine kolbige Deformierung als umschriebene Verletzungsfolge in knöcherner Verheilung festgestellt hatte. Das LSG hat damit nicht, wie die Revision anzunehmen scheint, zum Ausdruck gebracht, daß diese Schädigung besondere Beschwerden verursache; aber es hat die Deformierung, also einen regelwidrigen Zustand, als Verwundungsfolge auch nicht als so völlig bedeutungslos ansehen müssen, daß sie zusammen mit den anderen Schädigungen nicht eine MdE um 10 v. H. begründen könnte. Die früher anerkannte Gesamt-MdE von 40 v. H. entsprach wegen des Verbots der Addition von Einzelsätzen etwa einer Summe von 50 v. H.. Da die MdE für die Ellenbogenschädigung entfällt, verbleiben als restliche Gesamt-MdE unter Berücksichtigung der im Berufungsverfahren zusätzlich anerkannten Rippendeformierung auch dann 30 v. H., wenn man für die Ellenbogenschädigung eine MdE von 20 v. H. annimmt. Die vom LSG angenommene MdE von 30 v. H. ist daher nicht zu beanstanden.

Das LSG hat vorausgesetzt, daß der Erstattungsanspruch des Beklagten auf § 47 VerwVG gestützt werden konnte. Es kann dahingestellt bleiben, ob der Erstattungsanspruch in dieser Vorschrift eine unmittelbare Rechtsgrundlage findet (vgl. BSG 3, 234; 6, 11; 11, 44, 46 f) oder ob insoweit die Rechtsgrundsätze des allgemeinen Verwaltungsrechts Anwendung finden müssen, weil das VerwVG erst am 1. April 1955 in Kraft getreten ist (vgl. BSG in SozR VerwVG § 41 Ca 3 Nr. 9 und Urteil des erkennenden Senats vom 31. Januar 1963 - 9 RV 934/61 -). Hier wird jedenfalls das sachliche Ergebnis durch eine solche unterschiedliche rechtliche Beurteilung nicht beeinflußt; das LSG hat nämlich nur festgestellt, daß ein Rückforderungsrecht ausscheidet, soweit der Beklagte Rente zu zahlen hatte; im übrigen hat es davon ausgehen müssen, daß das SG bereits die Erstattungspflicht des Klägers bejaht hatte.

Da der Rückforderungsanspruch des Beklagten im einzelnen nicht streitig war, die Verfahrensrügen der Revision nicht durchgreifen und das angefochtene Urteil im Ergebnis nicht zu beanstanden ist, war die Revision des Beklagten als unbegründet zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2325571

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge