Entscheidungsstichwort (Thema)

Verwaltungsdienst in der SBZ

 

Leitsatz (redaktionell)

Nach den in der Bundesrepublik Deutschland für den öffentlichen Dienst geltenden Vorschriften werden die Aufgaben des behördlichen Verwaltungsdienstes regelmäßig von Beamten wahrgenommen. - Der Vergleich einer Beschäftigung in der SBZ mit der gleichartigen in der Bundesrepublik Deutschland muß auch auf die beamtenrechtliche Versorgung abstellen. Andernfalls würden die Wesensmerkmale einer echten Gleichstellung nach BVFG § 90 mißachtet.

 

Normenkette

AVAVG § 95 Abs. 1; BVFG § 90 Fassung: 1953-05-19; G131 § 4 Abs. 2 Fassung: 1953-09-01

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 26. November 1958 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I. Der 1901 geborene Kläger war beim Zusammenbruch 1945 als Reichsbahnsekretär Beamter auf Lebenszeit. Er wohnte in der sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und war seit September 1948 dort im Verwaltungsdienst der Reichsbahn beschäftigt; dabei hatte er Beiträge zur sowjetzonalen Sozialversicherung zu entrichten. Ende August 1953 flüchtete der Kläger nach West-Berlin und kam danach in die Bundesrepublik; hier wurde er als Sowjetzonenflüchtling anerkannt.

Durch Entscheidung des Vorstandes der Deutschen Bundesbahn vom 8. Januar 1955 wurde der Kläger nach Maßgabe des § 4 Abs. 2 des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Art. 131 des Grundgesetzes fallenden Personen (G 131) vom 11. Mai 1951 (BGBl I 307) in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. September 1953 (BGBl I 1297) als ehemaliger Beamter den Anspruchsberechtigten nach Kap. I dieses Gesetzes gleichgestellt. Rückwirkend vom 1. September 1953 an wurde ihm ein Übergangsgeld von monatlich 258, 42 DM bewilligt und ausgezahlt.

II. Vom 2. Dezember 1953 bis zum 30. November 1954 bezog der Kläger Arbeitslosenunterstützung (Alu) und vom 1. Dezember 1954 bis zum 28. Februar 1955 Arbeitslosenfürsorgeunterstützung (Alfu). Als die Beklagte Ende Februar 1955 von der Bewilligung des Übergangsgeldes zu Gunsten des Klägers Kenntnis erlangte, entzog sie ihm - unter Einstellung der Zahlungen vom 1. März 1955 an - rückwirkend die bewilligte Alfu und machte insoweit einen Rückerstattungsanspruch von 347, 80 DM geltend. Diese Maßnahme ließ der Kläger unangefochten; er erstattete den Alfu-Betrag. Mit Bescheid vom 23. Mai 1955 entzog ihm die Beklagte ebenfalls die zuvor gezahlte Alu, stellte diesbezüglich eine Überzahlung von 2.137,20 DM fest und forderte diesen Betrag vom Kläger zurück. Sein Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 22. Juli 1955). Der Kläger erhob alsdann beim Sozialgericht (SG) München Klage; er beantragte festzustellen, daß der Rückerstattungsanspruch der Beklagten gegen ihn nicht bestehe. Daraufhin erließ das SG am 21. März 1956 folgendes Urteil: "Es wird festgestellt, daß die geltend gemachte Rückforderung von 2.137,20 DM insoweit unzulässig ist, als sie den Betrag von 1.000, -- DM übersteigt. Im übrigen wird die Klage abgewiesen." Zwar habe dem Kläger ein Anspruch auf Alu nicht zugestanden, da er zur Beklagten in keiner versicherungsrechtlichen Beziehung gestanden habe und weil seine Beschäftigung in der SBZ durch die Anerkennung als Flüchtling und Beamter zur Wiederverwendung rückwirkend als versicherungsfrei anzusehen sei. In der Rückforderung seitens der Beklagten liege jedoch im Hinblick auf die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers eine unbillige Härte, soweit sie 1.000,-- DM überschreite.

III. Die Beklagte legte hiergegen Berufung ein. Diese beantwortete der Kläger mit einer Berufungserwiderungsschrift, in der er die Beseitigung der Rückforderung in vollem Umfang begehrte. Sie wurde vom Landessozialgericht (LSG) als Anschlußberufung behandelt. Mit Urteil vom 26. November 1958 entschied das Bayerische LSG: "Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG München vom 21. März 1956 wird zurückgewiesen. Auf die Anschlußberufung des Klägers werden das Urteil des SG München vom 21. März 1956 und der Bescheid des Arbeitsamts Weilheim vom 23. Mai 1955 aufgehoben." Der Kläger habe eine Anwartschaft auf Alu für 312 Tage durch seine Beschäftigung in der SBZ erworben. Diese sei nach § 90 Abs. 1 des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) so zu bewerten, als wäre sie in der Bundesrepublik ausgeübt worden. Die Gleichstellung beziehe sich nur auf Ansprüche aus der Sozialversicherung und Arbeitslosenversicherung, nicht auf solche beamtenrechtlicher Natur. Insoweit blieben, wie die Berechnung des Übergangsgeldes des Klägers zeige, die in der Sowjetzone verbrachte Zeit und die dortige Tätigkeit außer Betracht. Da der Kläger in der Zeit von 1948 bis 1953 nicht Beamter gewesen sei, habe er damals keine Ansprüche auf beamtenrechtliche Versorgung nach dem G 131 gehabt. Zu deren Erlangung sei die Gleichstellung durch förmliche Entscheidung nötig. Diese bewirke aber keine Beeinträchtigung des versicherungsrechtlichen Anspruchs für die Vergangenheit; wenn überhaupt, so sei der Gleichstellung allenfalls eine Rückwirkung auf den Zeitpunkt der Aufenthaltseinnahme in der Bundesrepublik beizumessen. Der Anspruch des Klägers beruhe jedoch auf der vor diesem Zeitpunkt ausgeübten versicherungspflichtigen Beschäftigung in der SBZ. Infolgedessen habe er die ihm bewilligte Alu zu Recht bezogen. Entziehung und Rückforderung durch den angefochtenen Bescheid der Beklagten seien daher unzulässig gewesen.

Revision wurde zugelassen.

IV. Die Beklagte legte gegen das ihr am 25. Februar 1959 zugestellte Urteil am 21. März 1959 Revision ein und begründete diese am 14. April 1959. Das Berufungserwiderungsschreiben des Klägers habe den Formerfordernissen einer Berufungsanschlußschrift nicht entsprochen. Seine Anschlußberufung sei deswegen nicht statthaft gewesen. Die Entziehung der Alu sei nach § 177 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) aF gerechtfertigt, wenngleich der Kläger auf Grund seiner Tätigkeit in der SBZ im Zeitpunkt der Arbeitslosmeldung zunächst eine Anwartschaft erworben hatte. Abweichend von dem sonst das deutsche Sozialversicherungsrecht beherrschenden "Grundsatz der Maßgeblichkeit des Tatsächlichen" enthalte das G 131 nämlich die Regelung, daß Beamten z. Wv. und ihnen gleichgestellten Personen die versorgungsrechtlichen Ansprüche vom Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes an (1. April 1951) gewährleistet seien. Die nach § 4 Abs. 2 G 131 ausgesprochene Gleichstellung des Klägers durch den Vorstand der Deutschen Bundesbahn begründe daher rückwirkend die Versicherungsfreiheit seiner in der SBZ ausgeübten Tätigkeit. Eine gemäß § 73 G 131 in Verbindung mit § 169 der Reichsversicherungsordnung (RVO) versicherungsfreie Beschäftigung könne aber nicht mehr zur Erfüllung der Anwartschaft dienen. Unerheblich sei es, zu welchem Zeitpunkt die Gleichstellung ausgesprochen werde, ob also die Aufnahme in den berechtigten Personenkreis bereits ab 1. April 1951 oder erst später erfolge. § 73 G 131 stelle es seinem Wortlaut nach nur auf den Rechtsstand des Beschäftigten nach dem G 131 ab und nicht auf den Zeitpunkt, von dem an einem Beschäftigten dieser Rechtsstand zukomme. Wäre der Kläger als Bahnbediensteter in der Bundesrepublik tätig gewesen, ohne daß ihm aus dieser Tätigkeit Versorgungsbezüge gewährleistet gewesen wären, und wäre ihm später die Rechtsstellung als Beamter z. Wv. zuerkannt worden, so sei auch bei dieser in der Bundesrepublik ausgeübten Tätigkeit rückwirkend ab 1. April 1951 Versicherungsfreiheit eingetreten. Die vom LSG vertretene Auffassung habe zur Folge, daß die anerkannten Vertriebenen und Flüchtlinge gegenüber den unter das G 131 fallenden Personen, die stets in der Bundesrepublik wohnhaft waren, besser gestellt würden. Eine derartige Rechtsanwendung verstoße jedoch gegen Art. 3 des Grundgesetzes (GG).

Die Beklagte beantragte,

das angefochtene Urteil sowie das Urteil des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen,

hilfsweise,

die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Der Kläger beantragte,

die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Er hält die Entscheidungsgründe des landessozialgerichtlichen Urteils für zutreffend. Das Revisionsvorbringen der Beklagten sei unbeachtlich; die Bewilligung der Alu stelle einen begünstigenden Verwaltungsakt dar, der grundsätzlich nicht widerrufen werden könne, falls er nicht infolge unwahrer Angaben des Antragstellers erlassen worden sei. Eine Rückforderung nach § 177 AVAVG aF sei nicht zulässig, wenn die Verwaltungsbehörde selbst einen Sachverhalt rechtlich falsch gewürdigt habe. Dieses gehe zu ihren eigenen Lasten, sei aber nicht auf den Kläger abzuwälzen.

V. Die Revision ist statthaft (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-). Sie ist auch form- und fristgerecht eingelegt sowie begründet worden (§§ 164, 166 SGG) und deswegen zulässig.

Auch bei einer zugelassenen Revision ist zunächst von Amts wegen zu prüfen, ob das LSG zu Recht die Berufung der Beteiligten für zulässig gehalten und in der Sache selbst entschieden hat (vgl. BSG 1, 227 ff.; 2, 245, 253 ff.; 9, 246 ff.). Dies ist hier der Fall. Zutreffend hat das LSG die Statthaftigkeit und Zulässigkeit von Berufung und Anschlußberufung bejaht. Eine Anschlußberufung ist gemäß § 202 SGG, §§ 521 ff. der Zivilprozeßordnung (ZPO) auch im sozialgerichtlichen Verfahren zulässig (vgl. BSG 2, 229 ff. mit eingehender Begründung; BSG in NJW 1958, 400; BSG 8, 24 ff.; Peters/Sautter/Wolff, Komm. z. SGb, 2. Aufl., Anm. 3 zu § 151 SGG; BGH in NJW 1952, 384; BGH 4, 229 ff.; Baumbach, Komm. z. ZPO, 25. Aufl., Anm. 1 zu § 521 ZPO), selbst wenn sie erst nach Ablauf der Berufungsfrist eingelegt wird (sog. unselbständige Anschlußberufung). Zu Recht hat das LSG ferner das Schreiben des Klägers vom 5. März 1957 unter Heranziehung seiner anschließenden Erklärungen als noch den Formvorschriften entsprechende Berufungsanschlußschrift (§ 522 a ZPO) angesehen. Es genügt hierfür, daß sich hinreichend deutlich daraus das Begehren des Klägers auf Änderung des erstinstanzlichen Urteils ergibt (vgl. BGH in NJW 1954, 266; Baumbach aaO, Anm. 1 u. 3 zu § 522 a ZPO).

VI. Die Revision ist auch begründet.

Gegenstand der Klage ist der Bescheid der Beklagten vom 23. Mai 1955 in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid vom 22. Juli 1955 gefunden hat (§ 95 SGG). Es handelt sich hierbei indessen nicht um eine Feststellungsklage im Sinne von § 55 SGG, wie das SG offenbar irrtümlich angenommen hat. Aus dem Gesamtvorbringen des Klägers ergibt sich vielmehr, daß er auf Befreiung von der Alu-Rückzahlungspflicht abzielte; deren Beseitigung aber vermochte er im Wege der Aufhebungsklage (§ 54 SGG) zu erreichen. Demzufolge fehlte es für eine Feststellungsklage an dem besonderen Rechtsschutzbedürfnis, dem berechtigten Interesse an alsbaldiger Feststellung (vgl. BSG 7, 6; Peters/Sautter/Wolff aaO, Anm. 7 zu § 55 SGG). Wenn im sozialgerichtlichen Verfahren das Klagebegehren auf Aufhebung eines Verwaltungsakts gerichtet ist, so darf nicht auf Feststellung erkannt werden (BSG 5, 121, 123). Aus diesem formalen Grund allein schon stellt sich im Ergebnis die Aufhebung des sozialgerichtlichen Urteils durch das LSG als richtig dar. Dessen Entscheidung kann jedoch nicht Bestand haben, soweit die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und auf die Anschlußberufung des Klägers der Rückforderungsbescheid aufgehoben wurde.

VII. Soweit die Beklagte dem Kläger die Alu entzogen hat, ist der angefochtene Verwaltungsakt rechtlich nicht zu beanstanden. Anspruch auf Alu hat - neben anderen, hier nicht strittigen Voraussetzungen -, wer die Anwartschaft erfüllt hat (§ 87 Nr. 2 AVAVG aF). Die Anwartschaft ist erfüllt, wenn der Arbeitslose in den letzten zwölf Monaten vor der Arbeitslosmeldung wenigstens 26 Wochen in einer versicherungspflichtigen Beschäftigung gestanden hat (§ 95 Abs. 1 AVAVG aF). Wie der erkennende Senat bereits in seinen Urteilen vom 30. Oktober 1956 (BSG 4, 102 ff.), vom 23. Juni 1959 (BSG 10, 103 ff.) und vom 22. März 1961 (7RAr 5/59) festgestellt hat, gilt auch die von einem anerkannten Sowjetzonenflüchtling in der SBZ ausgeübte Beschäftigung dann als versicherungspflichtig und infolgedessen anwartschaftsbegründend, wenn sie in der Bundesrepublik versicherungspflichtig gewesen wäre. Nach § 90 BVFG vom 19. Mai 1953 (BGBl I 201) sind nämlich Vertriebene und Flüchtlinge in der Sozialversicherung und in der Arbeitslosenversicherung den Berechtigten im Geltungsbereich des GG und in Berlin (West) gleichgestellt. Diese Gleichstellung, deren unmittelbare Geltung der Senat in ständiger Rechtsprechung bejaht hat (vgl. BSG aaO), bedeutet, daß jene rechtlich so zu behandeln sind, als wenn sie ihre Berufstätigkeit nicht im Bereich der Sowjetzone, sondern im Bundesgebiet verrichtet hätten. § 90 BVFG eröffnet jedoch für den erfaßten Personenkreis keinen Anspruch auf Besserstellung; er bietet deshalb keine Rechtsgrundlage dafür, Ansprüche in der Arbeitslosenversicherung allein wegen der Gestaltung der Versicherungspflicht in der SBZ zuzuerkennen, die sich mit den für die Bundesrepublik geltenden Normen nicht deckt. Entgegen der vom LSG vertretenen Auffassung kommt es daher im Falle des Klägers für die Beurteilung der Versicherungspflicht wie der Anwartschaft letztlich nicht auf die arbeits- und sozialrechtlichen, gesellschafts- oder staatspolitischen Umstände seiner Tätigkeit in der Sowjetzone an, sondern darauf, welche gesetzliche Regelung für dieselbe Beschäftigung im Geltungsbereich des GG zutrifft. Nach den in der Bundesrepublik für den öffentlichen Dienst geltenden Vorschriften werden die Aufgaben des behördlichen Verwaltungsdienstes regelmäßig von Beamten wahrgenommen. Beamte sind im Bundesgebiet für den Fall der Arbeitslosigkeit nach § 69 AVAVG aF nicht versichert; sie sind in der Sozialversicherung nach § 169 RVO versicherungsfrei, wenn die entsprechende Versorgung gewährleistet ist. Seiner fachlichen Tätigkeit zufolge unterliegt hier der Kläger mithin nicht der Versicherungspflicht. Er ist ferner durch Entscheidung des Vorstandes der Deutschen Bundesbahn ausdrücklich auf Grund von § 4 Abs. 2 G 131 den nach diesem Gesetz Berechtigten gleichgestellt. Für diesen Personenkreis ist die Einräumung von Rechtsansprüchen, darunter fällt auch die Gewährleistung von Anwartschaften im Sinne des § 169 RVO (Versorgung), durch den Gesetzgeber allgemein mit Inkrafttreten des G 131 erfolgt (vgl. BSG 10, 103 ff.). Demzufolge ist seit dem 1. April 1951 im Bundesgebiet seine Beschäftigung im öffentlichen Dienst versicherungsfrei, gleichgültig ob als Beamter, Angestellter oder Arbeiter. Nur bei Beschäftigung außerhalb des öffentlichen Dienstes bedarf es eines Antrags für die Befreiung von der Versicherungspflicht (§ 73 Abs. 1 G 131). Der Gleichstellungsbescheid selbst hat, wie der Senat bereits im Urteil vom 23. Juni 1959 (BSG 10, 103, 106) ausgeführt hat, keine eigene rechtserzeugende Bedeutung; die konstitutiven Wirkungen des G 131 sind unmittelbar mit seinem Inkrafttreten erfolgt. Da sonach eine gleichartige Tätigkeit des Klägers im Bahndienst ohne besondere Antragstellung im Bundesgebiet vom 1. April 1951 an kraft Gesetzes versicherungsfrei war, konnte er die Anwartschaft für den Anspruch auf Alu mit den bis 1953 in der SBZ ausgeübten Beschäftigungen nicht erfüllen. Diese Tätigkeiten haben zwar ihren versicherungspflichtigen Charakter durch die Gleichstellung nach G 131 nicht verloren, sie sind aber im Geltungsbereich des GG, wie dargelegt, mangels Gleichheit nicht verwertbar. Die Flüchtlingsgleichstellung nach § 90 BVFG erfaßt nämlich, da diese Vorschrift nicht von "Versicherten", sondern ausdrücklich von "den Berechtigten" im Geltungsbereich des GG und in Berlin (West) spricht, entgegen der Auffassung des LSG nicht lediglich versicherungsrechtliche Tatsachen, sondern ebenso die beamtenrechtlichen Merkmale. Deshalb muß der Vergleich einer Beschäftigung in der SBZ mit der gleichartigen in der Bundesrepublik auch auf die beamtenrechtliche Versorgung abstellen. Andernfalls würden die Wesensmerkmale (Aufgabenbereich, Berufsstellung, Dienstobliegenheiten, beamtenrechtliche Stellung u. a.) einer echten Gleichstellung nach § 90 BVFG mißachtet, zudem aber auch die Vertriebenen und Flüchtlinge gegenüber jenem ständig in der Bundesrepublik ansässigen und unter G 131 fallenden Personenkreis besser gestellt, der hier im öffentlichen Dienst nach dem 1. April 1951 einen Alu-Anspruch nicht erlangt.

Weder die Vorschriften des AVAVG noch § 90 BVFG geben aber weiterhin rechtlich eine Möglichkeit, auszugleichen, daß bei der Berechnung des Übergangsgeldes des Klägers gemäß G 131 möglicherweise zunächst ein Teil seiner in der SBZ abgeleisteten Dienstzeiten unberücksichtigt geblieben ist. Maßgebend für deren Anrechnung sind vielmehr allein die Regelungen nach dem G 131 selbst. Anwartschaft und Anspruch auf Alu werden dadurch nicht berührt.

Insgesamt ist es also sozialrechtlich nicht vertretbar, dem Kläger nebeneinander zweimal Leistungen aus öffentlichen Mitteln zuzuerkennen.

Irrig ist schließlich die Ansicht des Klägers, daß die ursprüngliche Bewilligung der Alu einen begünstigenden Verwaltungsakt darstelle, der grundsätzlich nicht widerrufen werden könne. Wie der erkennende Senat in ständiger Rechtsprechung entschieden hat (BSG 3, 106 ff.; Haueisen, DOK 1956, 189 ff.), ist im Recht der Arbeitslosenversicherung die Rücknahme auch eines begünstigenden Verwaltungsakts mit rückwirkender Kraft zulässig, wenn er von Anfang an fehlerhaft war oder nachträglich fehlerhaft geworden ist. § 177 Abs. 1 AVAVG aF (§ 185 AVAVG nF) enthält für die Arbeitsverwaltung die gesetzliche Verpflichtung hierzu; es ist dies bezüglich eines sogenannten "begünstigenden Verwaltungsakts" eine spezielle Vorschrift im Leistungsrecht der Arbeitslosenversicherung.

Nach alledem war die Beklagte befugt, die dem Kläger gezahlte Alu nach § 177 Abs. 1 Satz 1 AVAVG aF zu entziehen, weil die Voraussetzungen zum Bezuge nicht vorgelegen haben. Da das Urteil des LSG diese Rechtsfolge verneint hat, mußte es aufgehoben werden.

VIII. Der Senat konnte indessen nicht zugleich über die Berufung der Beklagten sowie über die Anschlußberufung des Klägers gegen das Urteil des SG befinden, da es hinsichtlich der geltend gemachten Rückforderung an ausreichenden tatsächlichen Feststellungen der Vorderinstanzen fehlt. Bei der Entscheidung über den Rückforderungsanspruch ist nicht mehr von § 177 AVAVG aF als der ursprünglichen Rechtsgrundlage der Entziehung, sondern jetzt von der für den Unterstützungsempfänger günstigeren Regelung des § 185 Abs. 2 AVAVG in der Fassung der Bekanntmachung vom 3. April 1957 (BGBl I 322) auszugehen. Im Urteil vom 10. Dezember 1959 (SozR AVAVG § 185 Bl. Ba 2 Nr. 2) hat der erkennende Senat entschieden, daß diese Vorschrift, obzwar erst seit 1. April 1957 in Kraft, auf Grund ihres zeitlichen Geltungswillens auch diejenigen Fälle erfaßt, die bei ihrem Inkrafttreten noch anhängig sind. An dieser Rechtsprechung wird auch für den vorliegenden Fall festgehalten. Um zu prüfen, ob die Beklagte das ihr bei der Rückforderung obliegende Ermessen in ausreichendem und zweckentsprechendem Umfang ausgeübt hat, sind nähere Feststellungen zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Klägers (Gesundheitszustand, Familienverhältnisse, sonstige finanzielle Verpflichtungen) nachzuholen; maßgebend hierfür ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts der Zeitpunkt des zuletzt erlassenen Verwaltungsakts (BSG 7, 8 ff.; BSG in SozR z. VerwVG § 47 Bl. Ca 10 Nr. 11). Die Sache muß deshalb an das LSG zurückverwiesen werden, das nunmehr erneut über die Berufung und die Anschlußberufung unter Beachtung der vom erkennenden Senat dargelegten Rechtsauffassung zu entscheiden hat (§ 170 Abs. 2 und 4 SGG).

Die Entscheidung über die Kosten bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2304794

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