Entscheidungsstichwort (Thema)

Verjährung eines Erstattungsanspruchs

 

Orientierungssatz

Zur Verjährung eines Erstattungsanspruchs bei zu Unrecht entrichteten Beiträgen aufgrund rückwirkend ausgesprochener Beitragsbefreiung nach § 14 Abs 2 GAL.

 

Normenkette

SGB 4 § 26 Abs 1; SGB 4 § 27 Abs 2 S 1; GAL § 14 Abs 2

 

Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Entscheidung vom 18.09.1986; Aktenzeichen L 4 Lw 10/85)

SG Würzburg (Entscheidung vom 21.03.1985; Aktenzeichen S 6 Lw 42/84)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Verjährung eines Beitragserstattungsanspruches, der auf der Befreiung von der Beitragspflicht nach § 14 Abs 2 des Gesetzes über die Altershilfe für Landwirte (GAL) beruht.

Der im Jahre 1949 geborene Kläger bewirtschaftet seit Januar 1972 ein landwirtschaftliches Anwesen und wurde von der Beklagten in das Mitgliederverzeichnis aufgenommen sowie zur Beitragszahlung veranlagt. Seit 1. Juli 1974 ist er Beamter der Deutschen Bundespost. Am 21. Dezember 1983 beantragte er wegen seiner Anwartschaft auf Versorgung die Beitragsbefreiung. Im Bescheid vom 15. März 1984 befreite ihn die Beklagte mit Wirkung vom 1. Juli 1974 von der Beitragspflicht; dabei erklärte sie, daß die nach dem 1. Juli 1974 geleisteten Beiträge "zu Unrecht" entrichtet, "zu beanstanden (§ 26 SGB IV) und im Rahmen der Verjährungsvorschriften zu erstatten (§ 27 SGB IV)" seien; hiernach könnten nur die ab 1. Januar 1979 gezahlten Beiträge erstattet werden. Den Widerspruch wies die Beklagte mit Bescheid vom 27. Juni 1984 mit der Begründung zurück, daß die Vorschriften über die Beanstandung in der landwirtschaftlichen Altershilfe nicht anwendbar seien; Erstattungsansprüche verjährten hier vielmehr nach § 27 Abs 2 Satz 1 des Sozialgesetzbuches - Viertes Buch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB 4). Die Einrede der Verjährung entspreche der Billigkeit, weil der Unternehmer nur auf seinen Antrag von der Beitragspflicht befreit werde.

Das Sozialgericht (SG) hat die Bescheide geändert, die Beklagte verurteilt, dem Kläger die in der Zeit vom 1. Juli 1974 bis 31. Dezember 1978 gezahlten Beiträge zu erstatten, und die Berufung zugelassen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und die Revision zugelassen. In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt: Die Beiträge seien zu Unrecht entrichtet worden und müßten deshalb nach § 26 Abs 1 SGB 4 erstattet werden. Der Erstattungsanspruch sei nicht verjährt, da er erst mit der Beanstandung entstanden sei. Im übrigen seien die im Jahre 1978 entrichteten Beiträge auch deshalb nicht verjährt, weil der Kläger den Befreiungsantrag am 21. Dezember 1982 gestellt habe (§ 27 Abs 3 Satz 2 SGB 4).

Mit der Revision trägt die Beklagte vor: Die Beanstandung sei im Widerspruchsbescheid aufgehoben worden. In entsprechender Anwendung des § 200 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) müsse man davon ausgehen, daß die Verjährung des Beitragserstattungsanspruches schon mit der Entrichtung der einzelnen Beiträge begonnen habe. Beim Antrag habe das LSG das Datum verwechselt; er sei erst am 21. Dezember 1983 gestellt worden.

Die Beklagte beantragt, die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Er räumt ein, daß der Antrag am 21. Dezember 1983 gestellt worden ist.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist begründet.

Entgegen der Auffassung des LSG ist der streitige Erstattungsanspruch verjährt. Er beruht auf § 26 Abs 1 SGB 4, der auch für die Altershilfe für Landwirte gilt (§ 1 Abs 1 SGB 4); danach sind - vorbehaltlich hier nicht eingreifender Ausnahmen - zu Unrecht entrichtete Beiträge zu erstatten. Die gezahlten Beiträge sind zu Unrecht entrichtet, da die ursprünglich bestehende Beitragspflicht durch die rückwirkende Beitragsbefreiung nachträglich entfallen ist (BSG SozR 5850 § 27a Nr 1).

Die Verjährung eines solchen Erstattungsanspruchs ist in § 27 Abs 2 und 3 SGB 4 geregelt. Von diesen Bestimmungen ist hier Abs 2 Satz 1 maßgebend. Nach ihm verjährt der Erstattungsanspruch in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Beiträge entrichtet worden sind. Dementsprechend ist der Erstattungsanspruch für die im Jahre 1978 entrichteten Beiträge am 31. Dezember 1982 verjährt und für die vorher entrichteten noch früher.

Dem steht nicht entgegen, daß der Erstattungsanspruch überhaupt erst mit der später rückwirkend ausgesprochenen Beitragsbefreiung entstanden ist. Im bürgerlichen Recht läßt § 198 BGB die Verjährung zwar erst mit der Entstehung des Anspruchs beginnen. Es kann jedoch dahinstehen, ob dieser Grundsatz - über den Wortlaut des § 27 Abs 3 Satz 1 SGB 4 hinsichtlich der sinngemäß anzuwendenden BGB-Vorschriften hinaus - im Rahmen des § 27 Abs 2 Satz 1 SGB 4 entsprechend gelten müßte. Denn wenn § 198 BGB analog anzuwenden wäre, müßten auch die Grundgedanken der folgenden §§ 199, 200 BGB berücksichtigt werden. Nach ihnen beginnt die Verjährung jedoch ggf schon vor der Anspruchsentstehung, wenn die Entstehung allein in der Macht des Gläubigers liegt. Kann er durch Ausüben eines Gestaltungsrechtes den Anspruch auslösen, so beginnt die Verjährung bereits mit dem Zeitpunkt, von dem an er das Gestaltungsrecht wahrnehmen konnte.

So aber liegt der Fall hier. Der Kläger hätte den Anspruch auf Erstattung der Beiträge sogleich nach deren Entrichtung durch damals gestellte Befreiungsanträge entstehen lassen können. Er hätte sogar bei noch früherem Befreiungsantrag bereits die Beitragsentrichtung vermeiden können. Gegen die Verjährung der einzelnen Erstattungsansprüche innerhalb von vier Jahren nach dem Ende des Jahres der Entrichtung braucht er deshalb nicht durch eine analoge Anwendung von § 198 BGB geschützt zu werden (zum Vertrauensschutz in solchen Fällen vgl SozR 5850 § 27a Nr 1 Blatt 5).

Die Ausnahme des § 27 Abs 2 Satz 2 SGB 4 für den Fall, daß der Versicherungsträger die Rechtswirksamkeit von Beiträgen "beanstandet" mit der Folge, daß dann die Verjährung erst mit dem Ablauf des Kalenderjahres der Beanstandung beginnt, liegt nicht vor. Die Beanstandung ist ein Verwaltungsakt (SozR 1300 § 31 Nr 3), der die Unwirksamkeit von Beiträgen feststellt; ihr - sie als Beanstandung charakterisierender - Zweck ist es, "der Unrechtmäßigkeit der Beitragsentrichtung Rechtswirksamkeit zu verschaffen" (BSGE 58, 154, 156 = SozR 2100 § 27 Nr 4), dh zu verhüten, daß die Beiträge unter Umständen später als wirksam behandelt werden müssen. Der Senat kann offen lassen, ob es im Altershilferecht einer solchen "Beanstandung" bedarf. Denn der angefochtene Bescheid enthält keinen für sich selbständigen Verwaltungsakt der Beanstandung. Die Beklagte hatte zwar im Befreiungsbescheid erklärt, daß die Beiträge als zu Unrecht entrichtet zu beanstanden sind; dabei hatte sie jedoch keine förmliche Beanstandung gemeint, da sie sich im Klammerzusatz auf § 26 SGB 4 und nicht auf § 27 Abs 2 Satz 2 oder sonstige Vorschriften über die Beanstandung bezogen hat; anders ist es nicht zu erklären, daß sie für den Beginn der Verjährung nicht § 27 Abs 2 Satz 2, sondern § 27 Abs 2 Satz 1 SGB 4 angewandt hat. Der Widerspruchsbescheid hat daher mit seinen Ausführungen über die Unzulässigkeit der Beanstandung im Altershilferecht nur zusätzlich klargestellt, daß keine Beanstandung im Sinne des § 27 Abs 2 Satz 2 SGB 4 ausgesprochen sein sollte. Die Beklagte hätte selbst bei Zulässigkeit einer Beanstandung im übrigen keinen Anlaß gehabt, eine solche auszusprechen. Sie hat in dem Bescheid festgestellt, daß der Versicherte mit der Befreiung endgültig aus der landwirtschaftlichen Alterskasse ausscheidet (§ 14 Abs 2 Satz 4 GAL); damit fehlte jeder Grund, durch eine zusätzliche Beanstandung noch besonders etwaige künftige Wirkungen der unwirksamen Beiträge auszuschließen.

§ 27 Abs 2 Satz 2 SGB 4 kann im weiteren nicht analog angewandt werden. Für den Fall der Aufhebung eines fehlerhaften Beitragsbescheides ist bereits der 7. Senat des BSG einer analogen Anwendung dieser Ausnahmevorschrift entgegengetreten, weil damit die Verjährung von Ansprüchen auf Beitragserstattung gegenüber der Bundesanstalt für Arbeit praktisch ausgeschlossen werde (BSGE 58, 154, 158). Bei Erstattungsansprüchen infolge rückwirkender Beitragsbefreiung ist die Interessenlage noch verschiedener, weil es hier anders als bei Beanstandungen der Versicherte in der Hand hat, den Erstattungsanspruch rechtzeitig vor seiner Verjährung auszulösen. Es spricht deshalb nichts dafür, daß der Gesetzgeber im Rahmen des § 27 Abs 2 Satz 2 SGB 4 Fälle der vorliegenden Art übersehen, beim Blick darauf sie aber in dessen Anwendungsbereich einbezogen hätte.

Zu einem anderen Ergebnis hinsichtlich der eingetretenen Verjährung führt schließlich nicht § 27 Abs 3 SGB 4; insbesondere kann der Erstattungsantrag des Versicherten nicht die in Abs 3 Satz 2 geregelte Unterbrechungswirkung gehabt haben, da er, wenn überhaupt, erst zugleich mit dem Befreiungsantrag als gestellt angesehen werden kann. Dabei ist es hier in Übereinstimmung mit den Beteiligten offenkundig, daß der Befreiungsantrag erst am 21. Dezember 1983 gestellt worden ist, so daß der Senat nicht an das vom LSG genannte Datum vom 21. Dezember 1982 gebunden ist.

Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung im Widerspruchsbescheid ordnungsmäßig erhoben. Sie hatte darüber nach ihrem Ermessen zu entscheiden (BSGE 58, 154, 159). Die Erwägungen, daß die Verjährung der Billigkeit entspreche und daß der Kläger es jederzeit in der Hand gehabt habe, einen Befreiungsantrag zu stellen, genügen als Begründung.

Auf die Revision hin war daher unter Aufhebung der vorinstanzlichen Urteile die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1664667

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