Leitsatz (redaktionell)

1. Für die Prüfung der Frage, ob ein Beschädigter "infolge der Schädigung" hilflos ist und deshalb ein Anspruch auf Pflegezulage besteht, ist nicht - wie für die Feststellung des Anspruchs auf Rente - der Eintritt der wehrdienstbedingten Schädigungsfolge das letzte Glied der versorgungsrechtlich erheblichen Ursachenkette; hier kommt vielmehr zu den Voraussetzungen, die den Anspruch auf Rente begründen, eine weitere Anspruchsvoraussetzung - nämlich die Hilflosigkeit - hinzu; die Ursachenkette ist hier um ein weiteres Glied verlängert.

Auch die Anspruchsvoraussetzung "Hilflosigkeit" muß zwar ursächlich mit der wehrdienstbedingten Schädigungsfolge verknüpft sein, auf den Zeitpunkt ihres Eintritts kommt es aber nicht an.

Die Pflegezulage ist neben der Rente eine zusätzliche Versorgungsleistung; sie ist nicht nur - wie die Rente - dazu bestimmt, die gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der wehrdienstbedingten Minderung der Erwerbsfähigkeit auszugleichen, sie soll vielmehr zusätzlich für einen weiteren Schaden, nämlich die "infolge der Schädigung" eingetretene Hilflosigkeit, einen billigen Ausgleich darstellen (vergleiche BSG 1962-06-19 11 RV 1188/60 = BSGE 17, 114).

Ist die Hilflosigkeit eingetreten, weil ein Beschädigter nach einer schweren wehrdienstbedingten Schädigung, die für sich allein nicht zur Hilflosigkeit führt, später durch das Hinzutreten wehrdienstunabhängiger Umstände hilflos wird, dann können für die Hilflosigkeit beide Ereignisse (gleichwertige) wesentliche Bedingungen sein, so daß der Anspruch auf die Pflegezulage begründet ist.

2. Hilflosigkeit "infolge der Schädigung" iS des BVG § 35 Abs 1 S 1 ist auch dann gegeben, wenn eine bestehende praktische Blindheit durch den als Schädigungsfolge anerkannten - unverändert fortbestehenden - Verschlimmerungsanteil wesentlich mitbedingt ist.

 

Normenkette

BVG § 35 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1964-02-21

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 15. April 1970 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

 

Gründe

I

Der im Jahre 1919 geborene Kläger leidet seit seiner Kindheit an einer Augenkrankheit (fortschreitende Macula-Degeneration beider Augen). Im November 1941 wurde er zum Wehrdienst eingezogen (Fehlertabelle U 25, 1) und im März 1944 wegen Fortschreiten des Augenleidens als wehrdienstuntauglich (Fehlertabelle U 29) entlassen. Durch Bescheid des Versorgungsamtes (VersorgA) D vom 24. Juni 1944 wurde das Augenleiden als Wehrdienstbeschädigung im Sinne der Verschlimmerung anerkannt und dem Kläger ein Versehrtengeld nach Stufe I gewährt. Durch Änderungsbescheid vom 17. Januar 1945 wurde rückwirkend ab 1. Juli 1944 Versehrtheit der Stufe II anerkannt. Diese Einschätzung wurde in einem Gutachten der Fachärztin für Augenkrankheiten Dr. G vom 1. April 1946 bestätigt. Durch Umanerkennungsbescheid vom 24. Mai 1952 wurde dem Kläger unter Beibehaltung der Leidensbezeichnung eine Versorgungsrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 50 v.H. gewährt. Ein Verschlimmerungsantrag des Klägers wurde nach Einholung eines Gutachtens von Dr. G/Dr. K, durch Bescheid vom 26. September 1952 mit der Begründung abgelehnt, die weitere Verschlimmerung sei als schicksalsmäßige Fortentwicklung des vorbestehenden Leidens anzusehen. Die gleiche Auffassung vertraten auch Dr.W/Dr. M in einem Gutachten vom 28. Mai 1965.

Am 29. November 1966 beantragte der Kläger die Gewährung einer Pflegezulage nach Stufe III mit der Begründung, er sei jetzt praktisch blind. Das VersorgA holte eine versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. V ein und lehnte den Antrag durch Bescheid vom 16. Januar 1967 ab. Der Widerspruch des Klägers war erfolglos (Widerspruchsbescheid des Landesversorgungsamtes - LVersorgA - Westfalen vom 27. Februar 1967). Das Sozialgericht (SG) hat ein Gutachten nebst Ergänzungsgutachten von Oberarzt Prof. Dr. L eingeholt. D kam zu dem Ergebnis, ohne die Verschlimmerung infolge des Wehrdienstes wäre der jetzige Zustand nicht erreicht worden. Dr. W äußerte als Terminsarzt, die Netzhautentartung des Klägers habe sich durch die im Sinne der Verschlimmerung anerkannten Schädigungsfolgen erheblich früher eingestellt als bei einer rein schicksalsmäßigen Entwicklung des Leidens. Das SG hat den Beklagten durch Urteil vom 9. Mai 1968 verurteilt, dem Kläger ab 1. November 1966 eine Pflegezulage nach Stufe III zu gewähren.

Das Landessozialgericht (LSG) hat ein Gutachten von Amts wegen von Prof. Dr. P/Dr. T und ein Gutachten auf Antrag des Klägers gemäß § 109 SGG von Prof. Dr. Dr. K eingeholt. Durch Urteil vom 15. April 1970 hat das LSG das Urteil des SG abgeändert und die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zur Frage der Kausalitätsprüfung bei der Gewährung der Pflegezulage könne nicht gefolgt werden. Beim Streit um die MdE ebenso wie um die Hilflosigkeit sei die Kausalitätsprüfung mit der tatsächlichen Feststellung abgeschlossen, welcher Gefahrumstand sich in einer bestimmten Gesundheitsstörung ausgewirkt habe. Im vorliegenden Fall sei die praktische Erblindung des Klägers und damit seine Hilflosigkeit infolge einer schicksalhaften Entwicklung der Netzhautentartung als überragende Ursache eingetreten. Dagegen habe sich der Leidensanteil, der nach rechtsverbindlicher Feststellung durch schädigende Einflüsse des Kriegsdienstes verschlimmert wurde, seit der Entscheidung über den Rentenanspruch nicht mehr nennenswert weiterentwickelt und infolgedessen auch nicht in erforderlicher Weise auf den später eingetretenen Zustand ausgewirkt. Schon nach dem Gutachten von Dr. G vom 25. August 1952 sei die weitere Verschlimmerung als schicksalhaft zu beurteilen; diese Verschlimmerung sei nicht mehr nachhaltig durch Schädigungen im Sinne des § 1 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) als wenigstens gleichwertige Ursache beeinflußt worden. Bei der anerkannten Verschlimmerung habe es sich "nicht um mehr als nur eine einmalige, nicht richtunggebende Verschlimmerung gehandelt". Nach allgemeiner Erfahrung, wie sie Prof. Dr. P mitgeteilt und Prof. Dr. Dr. K bekräftigt habe, trete in den meisten, jedenfalls in den überwiegenden Fällen der verschiedenen Formen von Netzhautentartungen und im Regelfall bei dem Krankheitstyp des Klägers die Erblindung spätestens im 4. oder 5. Lebensjahrzehnt ein. Dann sei aber nicht wahrscheinlich, daß der Kläger ohne den wehrdienstbedingten Verschlimmerungsanteil nicht bis 1964/1965, als er etwa Mitte der 40er Lebensjahre war, praktisch erblindet wäre. Prof. Dr. Dr. K widerspreche seiner eigenen dargelegten Beurteilung nicht, wenn er am Ende seines Gutachtens äußere, die Blindenpflegezulage nach Stufe III sei gerechtfertigt. Dieser Satz beziehe sich allein auf die Frage, ob der Kläger blind und damit im Sinne der Stufe III hilflos sei.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Dieses Urteil wurde dem Kläger am 21. Mai 1970 zugestellt, der dagegen am 29. Mai Revision eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 17. Juli, beim BSG eingegangen am 20. Juli 1971, begründet hat.

Der Kläger beantragt,

1.

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 9. Mai 1968 zurückzuweisen;

2.

die außergerichtlichen Kosten des Klägers in sämtlichen Rechtszügen dem Beklagten aufzuerlegen;

3.

hilfsweise,

die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen zurückzuverweisen.

In seiner Revisionsbegründung rügt der Kläger eine Verletzung des § 35 Abs. 1 Satz 3 BVG und trägt dazu vor, den Rechtsausführungen des Berufungsgerichts zur Frage der Bedeutung eines nicht wehrdienstbedingten Nachschadens für den Anspruch auf Pflegezulage könne nicht beigetreten werden. Die Anspruchsvoraussetzung "Hilflosigkeit" müsse zwar ursächlich mit der wehrdienstbedingten Schädigungsfolge verknüpft sein, auf den Zeitpunkt ihres Eintritts komme es jedoch nicht an. Die Pflegezulage stelle neben der Rente eine eigenständige Leistung dar, die dazu bestimmt sei, für die zusätzlich infolge der Schädigung eingetretene Hilflosigkeit einen Ausgleich zu schaffen. Seien - wie hier - infolge der "praktischen Erblindung" die Voraussetzungen des § 35 Abs. 1 Satz 3 BVG erfüllt und sei der wehrdienstbedingt anerkannte Anteil von 50 v.H. in der Relation zum Gesamt-MdE-Grad für das Augenleiden von überragender Bedeutung, dann müsse diesem im Hinblick auf die später eingetretene, nichtwehrdienstbedingte weitere Verschlimmerung in der Wertigkeit für die Hilflosigkeit eine gleich wesentliche Bedeutung zugesprochen werden, so daß der Anspruch auf Pflegezulage eines erwerbsunfähigen Blinden begründet sei. Das Berufungsgericht habe von seiner Rechtsauffassung ausgehend im Zusammenhang mit dem Anspruch des Klägers keine ausreichenden tatsächlichen Feststellungen getroffen.

Der Beklagte beantragt,

die Revision vom 29. Mai 1970 zurückzuweisen.

Er meint, es könne dahingestellt bleiben, ob Schädigungsfolgen neben anderen Umständen nur dann als Ursache für die Hilflosigkeit in Betracht kämen, wenn sie sich bis zum Eintritt der Hilflosigkeit weiterentwickelt hätten. Selbst wenn man den beim Kläger als Schädigungsfolge anerkannten Verschlimmerungsanteil des Augenleidens in die Kausalitätsprüfung miteinbeziehe, obwohl sich dieser Anteil nicht mehr fortentwickelt habe, bestehe kein Anspruch auf Pflegezulage. Aus den tatsächlichen Feststellungen im Urteil des LSG ergebe sich nämlich, daß der als Schädigungsfolge anerkannte Verschlimmerungsanteil für die Hilflosigkeit des Klägers unwesentlich sei. Insbesondere sei die praktische Erblindung des Klägers infolge des wehrdienstbedingten Verschlimmerungsanteils nicht vorzeitig eingetreten.

II

Die durch Zulassung (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) statthafte Revision ist von dem Kläger frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 164, 166 SGG); sie ist daher zulässig (§ 169 SGG). Die Revision ist auch im Sinne der Zurückverweisung an das LSG begründet.

Streitig ist der Anspruch des Klägers auf Gewährung einer Pflegezulage gemäß § 35 Abs. 1 des BVG. Nach dieser Vorschrift wird eine Pflegezulage in bestimmter Höhe gewährt, solange der Beschädigte infolge der Schädigung so hilflos ist, daß er für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens in erheblichem Umfang fremder Hilfe dauernd bedarf.

Ferner bestimmt § 35 Abs. 1 Satz 3 BVG, daß "Blinde mindestens die Pflegezulage nach Stufe III erhalten". Das BSG hat wiederholt ausgesprochen, daß der Ursachenbegriff in § 35 BVG ("infolge der Schädigung") der im Versorgungsrecht geltenden Kausalitätsnorm entspricht (vgl. BSG 13, 40; 17, 114; SozR Nr. 18 zu § 35 BVG). Nach dieser Kausalitätsnorm sind - wie schon das Reichsversicherungsamt (RVA) - vgl. AN 1912, 930 - und das Reichsversorgungsgericht (RVG) - vgl. Bd. 3, 197 - entschieden haben und wie auch das BSG in ständiger Rechtsprechung entschieden hat (- vgl. BSG 1, 150, 156 und insbesondere 1, 268 mit weiteren Hinweisen) - Ursachen im Rechtssinne diejenigen Bedingungen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Demnach kommt es bei der Prüfung der Hilflosigkeit allein darauf an, ob die Schädigungsfolge die wesentliche Bedingung oder eine der wesentlichen Bedingungen für den Eintritt der Hilflosigkeit ist; in diesem Falle ist sie Ursache im Rechtssinne (vgl. BSG 30, 45). Es kommt jedoch nicht darauf an, ob die Schädigungsfolge zeitlich die letzte, die Hilflosigkeit "auslösende" Ursache gewesen ist (vgl. BSG 13, 40; 17, 114). Die Bedenken des LSG gegen diese Rechtsprechung des BSG, vermögen nicht zu überzeugen.

Für die Prüfung der Frage, ob ein Beschädigter "infolge der Schädigung" hilflos ist und deshalb ein Anspruch auf Pflegezulage besteht, ist nicht - wie für die Feststellung des Anspruchs auf Rente - der Eintritt der wehrdienstbedingten Schädigungsfolge das letzte Glied der versorgungsrechtlich erheblichen Ursachenkette; hier kommt vielmehr zu den Voraussetzungen, die den Anspruch auf Rente begründen, eine weitere Anspruchsvoraussetzung - nämlich die Hilflosigkeit - hinzu; die Ursachenkette ist hier um ein weiteres Glied verlängert. Auch die Anspruchsvoraussetzung "Hilflosigkeit" muß zwar ursächlich mit der wehrdienstbedingten Schädigungsfolge verknüpft sein, auf den Zeitpunkt ihres Eintritts kommt es aber nicht an. Die Pflegezulage ist neben der Rente eine zusätzliche Versorgungsleistung; sie ist nicht nur - wie die Rente - dazu bestimmt, die gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der wehrdienstbedingten MdE auszugleichen, sie soll vielmehr zusätzlich für einen weiteren Schaden, nämlich die "infolge der Schädigung" eingetretene Hilflosigkeit, einen billigen Ausgleich darstellen (vgl. BSG 17, 114, 119). Handelt es sich also darum, daß die Hilflosigkeit eingetreten ist, weil ein Beschädigter nach einer schweren wehrdienstbedingten Schädigung, die aber für sich allein nicht zur Hilflosigkeit führt, später durch das Hinzutreten wehrdienstunabhängiger Umstände hilflos wird, so können für die Hilflosigkeit beide Ereignisse (gleichwertige) wesentliche Bedingungen sein. Ist dies der Fall, so ist der Anspruch auf die Pflegezulage dann begründet.

Das LSG hat sich für seine abweichende Auffassung - daß die Gewährung einer Pflegezulage schon deshalb nicht gerechtfertigt ist, weil sich "der Leidenszustand, der nach rechtsverbindlicher Feststellung durch schädigende Einflüsse des Kriegsdienstes verschlimmert wurde, seit dieser Entscheidung über den Rechtsanspruch gar nicht mehr nennenswert weiterentwickelt und infolgedessen auch nicht in erforderlicher Weise auf den späteren Zustand ausgewirkt hat" (vgl. Bl. 11 des Urteils) - vorwiegend auf Pesch ("Betrachtungen zum Ursachenbegriff in der Sozialversicherung und Kriegsopferversorgung", Wiesbaden 1965, S. 59 ff) gestützt. Schon der Ausgangspunkt von Pesch vermag aber nicht zu überzeugen, wenn dieser die "Ausdrucksweise des BSG" dahin interpretiert, daß a) die wehrdienstbedingten Umstände deshalb nicht wesentlich sind, weil sie die Hilflosigkeit nicht bewirkt (= verursacht) haben, und b) die anlage- oder altersbedingten Leiden deshalb nicht wesentlich sind, weil sie nicht unter den Schutz des BVG fallen (vgl. aaO S. 64). Dabei wird nicht beachtet, daß unter Ursache im erkenntnistheoretischen Sinne die Gesamtheit aller Bedingungen zu verstehen ist, die zu dem Erfolg beigetragen haben, und daß der Kreis derartiger im logischen Sinne bestehender Ursachen zu groß ist, als daß jede von ihnen als Ursache im Rechtssinne auf dem Gebiet des Sozialrechts betrachtet werden könnte (vgl. BSG 1, 150, 156). Wird aber nach der im Recht der Unfallversicherung (UV) und der Kriegsopferversorgung (KOV) herrschenden Kausalitätsnorm (vgl. BSG 1, 268) die Frage nach der Wesentlichkeit gestellt, dann ist es durchaus denkbar und in vielen Fällen unabweisbar, daß die beiden unter a) und b) genannten Ursachen bei Prüfung ihrer Wertigkeit als gleich- oder annähernd gleichwertig und demnach als wesentlich im Rechtssinne anzusehen sind. Das BSG hat also nicht etwa die Möglichkeit mehrerer mitwirkender Ursachen bei der Entstehung eines Schadens verneint, sondern es hat lediglich die Notwendigkeit verneint, jeden Umstand, der irgendwie zum Erfolg beigetragen hat, als rechtlich beachtliche Mitursache anzusehen. Das bedeutet, daß zunächst bei der Tatsachenprüfung sämtliche Kausalfaktoren in den Kreis der Betrachtung einbezogen werden müssen und daß alsdann diejenigen auszuscheiden sind, denen nur eine ganz lockere, nebensächliche Bedeutung zukommt; alsdann ist zu prüfen, ob einem Kausalfaktor die alleinige überragende Bedeutung zukommt oder ob mehrere konkurrierende Kausalfaktoren entscheidend zu dem Erfolg beigetragen haben, die dann auf ihre rechtliche Tragweite hin im Sinne einer wesentlichen Teilursache rechtlich zu bewerten sind. Für Fälle der vorliegenden Art folgt daraus, daß durchaus zwei oder mehrere Ursachen als wesentlich in Betracht kommen können, von denen jede für sich allein nicht ausreicht, den Erfolg herbeizuführen, die aber in ihrem Zusammenwirken den Erfolg tatsächlich herbeigeführt haben. Kommt es dabei, soweit es sich um die Anspruchsvoraussetzung "Hilflosigkeit" handelt, auf den Zeitpunkt des Eintritts des Erfolges nicht an, kann also der Erfolg - die Hilflosigkeit - sofort im Anschluß an die Schädigung eingetreten und allein durch die Schädigungsfolgen bedingt sein, kann aber auch der Erfolg erst später eingetreten sein, dann ist im letzten Fall unter Anwendung der in der KOV geltenden Kausalitätsnorm zu prüfen, welche Bedingung bzw. welche Bedingungen ursächlich für den Erfolg gewesen sind. Auf eine etwaige Verschlimmerung der ursprünglich vorhandenen bzw. festgestellten Schädigungsfolgen kann es insoweit nicht ankommen; diese wäre nur dann bedeutsam, wenn es sich um eine Neufeststellung des Anspruchs auf Pflegezulage gemäß § 62 BVG wegen einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse (= der Schädigungsfolgen) handeln würde (vgl. BSG 30, 45). Außerdem aber sind auch sogenannte "Nachschäden" - die erst nach der Schädigung und unabhängig von dieser eingetreten sind - bei der Wertung der konkurrierenden Kausalfaktoren für die Frage der Hilflosigkeit mitzuberücksichtigen (vgl. BSG 17, 114).

Diesen Grundsätzen wird das Urteil des LSG nur scheinbar gerecht, wenn es am Schluß seiner Ausführungen zu dem Ergebnis gelangt ist, der anerkannte Schädigungsanteil habe nicht wesentlich bei der Entwicklung des Augenleidens zur praktischen Blindheit des Klägers mitgewirkt. Einmal verkennt das LSG, daß auch eine "einmalige, nicht richtunggebende Verschlimmerung" (vgl. Bl. 11 des Urteils) geeignet sein kann, von wesentlicher Bedeutung für einen bestimmten Erfolg zu sein, und daß darüber hinaus eine anerkannte Schädigungsfolge auch ohne jede weitere - schädigungsbedingte - Verschlimmerung von wesentlicher Bedeutung für eine später eintretende Hilflosigkeit sein kann. Zum anderen hat sich das LSG, soweit es sich um die seiner rechtlichen Beurteilung zugrunde liegenden Tatsachen handelt, auf die Gutachten von Prof. Dr. P und Prof. Dr. Dr. K gestützt. Diese Gutachten ermöglichen aber deshalb keine sichere Feststellung der hier rechtserheblichen Tatsachen, weil diese Sachverständigen entsprechend der Beweisanordnung des LSG von einer unrichtigen, zumindest nicht eindeutigen Fragestellung ausgegangen sind. Das LSG hat den Sachverständigen die Frage vorgelegt, ob sich "nach herrschend anerkannter medizinischer Erfahrung wahrscheinlich ... der Anteil der Macula-Degeneration beim Kläger, der als durch den Wehrdienst verschlimmert anerkannt worden ist, nach der letzten Entscheidung (Bescheid vom 26. September 1952 ...) weiterentwickelt und dadurch oder auf andere Weise (welche?) auf die Hilfsbedürftigkeit im Sinne des § 35 Abs. 1 Satz 1 BVG ausgewirkt" hat? (vgl. Ziff. 1 der Beweisanordnungen vom 18. April und 30. Juni 1969). Diese Frage ist von den medizinischen Sachverständigen verneint worden, weil sie - wie auch sämtliche übrigen medizinischen Sachverständigen - die weitere Verschlimmerung als schicksalsmäßige Fortentwicklung des bereits vorher bestehenden, aber durch den Kriegsdienst als verschlimmert anerkannten Leidens angesehen haben. Auf diese Frage konnte es jedoch nach den obigen Ausführungen nicht ankommen. Entscheidend war nicht die Frage, ob eine seit 1952 eingetretene weitere Verschlimmerung als Spätfolge auf Kriegsdienstschädigungen zurückzuführen ist (vgl. Gutachten Prof. Dr. Dr. K, Seite 7), sondern allein entscheidend war die Frage, ob die jetzt bestehende praktische Blindheit des Klägers durch den als Schädigungsfolge im Sinne der Verschlimmerung anerkannten - und insoweit unverändert fortbestehenden - Schädigungsanteil wesentlich mitbedingt ist. Diese Frage aber war den medizinischen Sachverständigen mit der gebotenen Klarheit nicht gestellt worden. Auch die Frage zu 2) aus den Beweisanordnungen des LSG ist insoweit irreführend, weil dort in einem Klammerzusatz ausdrücklich auf die Fragestellung zu 1) verwiesen wird. Dabei kann dahinstehen, ob dem Gutachten von Prof. Dr. P auch weitergehende Erkenntnisse im Sinne der hier relevanten Fragestellung zu entnehmen sind, denn auch die Deutungsversuche, die das LSG gegenüber dem Gutachten von Prof. Dr. Dr. K unternommen hat (vgl. Blatt 12/13 des Urteils) zeigen, daß die medizinischen Sachverständigen durch die nach der Rechtsauffassung des LSG zutreffende, tatsächlich aber fehlsame Fragestellung des LSG beeinflußt worden sind und deshalb die für die rechtliche Wertung notwendigen tatsächlichen Fragen jedenfalls nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit beantwortet haben.

Die Nachprüfung von Rechtsfragen durch das Revisionsgericht (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG) setzt voraus, daß das angefochtene Urteil eindeutige Feststellungen tatsächlicher Art enthält (§ 163 SGG). Fehlt es an eindeutigen Tatsachen, die unter das Gesetz - wozu auch die im Recht der KOV geltende Kausalitätsnorm gehört - subsumiert werden können, so muß - auch wenn insoweit keine Rüge erhoben worden ist (§ 163, 2. Halbsatz SGG) - bei einer zugelassenen Revision das Urteil des LSG aufgehoben werden (vgl. BSG in SozR SGG § 162 Nr. 143). Da das BSG die fehlenden tatsächlichen Feststellungen nicht selbst treffen kann (vgl. BSG in SozR SGG § 163 Nr. 9), mußte der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden. Sollte das LSG eine weitere Beweiserhebung durch Einholung medizinischer Gutachten für erforderlich halten, so wird das LSG die Fragestellung an die Sachverständigen nach den oben dargelegten rechtlichen Erwägungen dahin auszurichten haben, ob der anerkannte Verschlimmerungsanteil - auch wenn er sich seit der Erstanerkennung (1944) bzw. der Umanerkennung (1952) nicht weiter verschlimmert hat - von wesentlicher Bedeutung für die praktische Blindheit und die dadurch bedingte Hilflosigkeit des Klägers ist.

Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1670160

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