Leitsatz (amtlich)

Der Beruf des Stapelzimmerhauers (Nr 187 der Lohnordnung für den rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbau) ist bei Prüfung der Verweisungsmöglichkeiten nach RKG § 46 Abs 2 in die höchste Gruppe der Arbeiterberufe (Leitbild: Lehrberuf) einzuordnen (vergleiche BSG 1970-11-12 5 RKn 19/68 = SozR Nr 17 zu § 46 RKG).

 

Normenkette

RKG § 46 Abs. 2 Fassung: 1957-05-21; RVO § 1246 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 1. April 1965 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Beklagte hat dem im Mai 1903 geborenen Kläger von Mai 1963 an das vorgezogene Altersruhegeld bewilligt; er erhebt noch Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit für die davor liegende Zeit seit Februar 1962. Der Kläger hat von Mai 1919 bis Januar 1932 im Bergbau nacheinander als Tagesarbeiter, Schlepper, Gedingeschlepper, Lehrhauer und Hauer gearbeitet. Nach zeitweiliger Arbeitslosigkeit war er von Oktober 1933 bis März 1956 als Stapelzimmerhauer beschäftigt. Vom 22. März 1956 an wurde ihm die Knappschaftsrente alten Rechts bewilligt. Bis Ende Dezember 1961 arbeitete er noch als Schlepper im Schichtlohn.

Im Februar 1962 beantragte der Kläger, ihm die Knappschaftsrente wegen Erwerbsunfähigkeit zu gewähren. Der Antrag wurde mit der Begründung abgelehnt, daß er noch in der Lage sei, Arbeiten der Lohngruppen 4 und 5 über Tage (üT), zB als Magazinarbeiter, Markenausgeber Motorenwärter, Wächter, Pförtner oder Kauenwärter vollschichtig zu verrichten. Der Widerspruch des Klägers wurde zurückgewiesen.

Das Sozialgericht (SG) hat antragsgemäß die Beklagte unter Aufhebung ihrer Bescheide verurteilt, dem Kläger Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigkeit ab 1. Februar 1962 zu gewähren. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten gegen dieses Urteil zurückgewiesen. Der Kläger sei, so führt es aus, in der noch streitigen Zeit von Februar 1962 bis April 1963 berufsunfähig im Sinne von § 46 Abs. 2 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG) gewesen. Er sei wegen der bei ihm feststellten Leiden nur noch tauglich gewesen, leichte Arbeiten der in den Lohngruppen 4 und 5 üT zusammengefaßten Art zu verrichten. Bei der Beurteilung seiner Erwerbsfähigkeit sei von seiner früheren Tätigkeit als selbständig arbeitender Stapelzimmerhauer auszugehen, die er im Jahre 1956 aus gesundheitlichen Gründen habe aufgeben müssen; aus diesem Grunde sei ihm damals auch die Knappschaftsrente alter Art gewährt worden. Die berufliche und soziale Stellung des Klägers als Stapelzimmerhauer entspreche der eines Hauers oder sonstigen gelernten Facharbeiters im Bergbau. Er sei vor Aufnahme der Arbeit als Stapelzimmerhauer schon geraume Zeit Hauer gewesen und habe die dadurch erlangte soziale Stellung als qualifizierter bergmännischer Facharbeiter durch den Übergang zu der neuen Tätigkeit nicht verloren. Es sei üblich und sachlich notwendig, Hauer zu Stapelzimmerhauerarbeiten heranzuziehen, weil die Verrichtung dieser Tätigkeiten dieselben qualifizierten bergmännischen Kenntnisse und Fähigkeiten voraussetze wie die Hauertätigkeit. Das müsse schon für die Tätigkeit eines Zimmerhauers gelten; im Vergleich hierzu sei die Arbeit des Stapelzimmerhauers aber noch schwieriger und auch hinsichtlich der äußeren Arbeitsbedingungen der Hauertätigkeit mehr angenähert. Die Stapelzimmerhauer seien zudem tariflich wie die gelernten Grubenhandwerker eingestuft. Da der Kläger durch seine Tätigkeit als Stapelzimmerhauer seinen Status als qualifizierter Facharbeiter nicht verloren habe komme die Verweisung auf Tätigkeiten der Lohngruppen 4 und 5 üT für ihn nicht in Betracht, weil sie zu einem unzumutbaren sozialen Abstieg führen würde.

Das LSG hat die Revision zugelassen. Mit der Revision rügt die Beklagte unrichtige Anwendung des § 46 Abs. 2 RKG. Durch den freiwilligen Übergang zur Arbeit als Stapelzimmerhauer habe sich der Kläger von seiner früheren Tätigkeit als Hauer gelöst; diese Berufstätigkeit sei daher nicht mehr Gegenstand seiner knappschaftlichen Versicherung. Die Tätigkeit als Stapelzimmerhauer könne der Hauertätigkeit auch nicht gleichgestellt werden. Sie diene nicht unmittelbar der Kohlegewinnung und werde wesentlich geringer entlohnt. Vor allem aber sei sie im Gegensatz zur Hauertätigkeit kein Lehrberuf; sie könne daher nur als Anlerntätigkeit gewertet werden. Versicherte mit solcher Berufstätigkeit müßten sich auf einen weiteren Kreis von Arbeiten verweisen lassen als Facharbeiter. Der Übergang zu solchen Tätigkeiten der Lohngruppe 4 üT, die nicht zu den einfachsten Arbeiten zählten, zB als Markenausgeber Magazinarbeiter oder Motorenwärter, sei aber für einen angelernten Arbeiter nicht mit einem wesentlichen sozialen Abstieg verbunden und ihm daher zumutbar; gleiches gelte für entsprechende Tätigkeiten außerhalb des Bergbaues. Der Kläger sei daher in der noch streitigen Zeit nicht berufsunfähig gewesen.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil sowie das Urteil des SG Duisburg vom 30. April 1963 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für richtig.

Die Beteiligten sind mit Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.

II

Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Die Vordergerichte haben zu Recht Berufsunfähigkeit des Klägers für die Zeit von Februar 1962 an angenommen.

Da der Kläger in dieser Zeit nach den nicht angegriffenen Feststellungen des LSG aus gesundheitlichen Gründen nur noch Arbeiten der Lohngruppen 4 und 5 üT der Lohnordnung für den rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbau verrichten konnte, kommt es für die Entscheidung des vorliegenden Falles praktisch nur noch darauf an, ob er im Rahmen des § 46 Abs. 2 RKG wenigstens auf einen Teil dieser Arbeiten verwiesen werden kann. Hierbei ist von der bisherigen Tätigkeit des Klägers als Stapelzimmerhauer auszugehen, die er während des überwiegenden Teils seines Berufslebens und so lange verrichtet hat, bis er sie aus gesundheitlichen Gründen aufgeben mußte. Die von ihm früher verrichtete Hauertätigkeit muß bei Prüfung der Berufsunfähigkeit als bisheriger Beruf ausscheiden, weil die Aufgabe dieser Tätigkeit nicht durch gesundheitliche Gründe erzwungen worden ist. Der Auffassung des Klägers, er habe sich bei Aufnahme der Tätigkeit als Stapelzimmerhauer überhaupt nicht von der Hauertätigkeit gelöst, weil es sich dabei nicht um einen "anderen" Beruf handele, kann der Senat nicht beitreten. Wo es in der knappschaftlichen Rentenversicherung auf die Berufstätigkeit eines Versicherten ankommt, muß von der im Bergbau üblichen Berufseinteilung ausgegangen werden, wie sie insbesondere in den Arbeitergrad-Schlüsselnummern der Lohnordnungen niedergelegt ist; das ergibt sich schon aus der Bedeutung, die der Einstufung nach der Lohnordnung bei der Prüfung der Rentenvoraussetzungen zukommt. Der Beruf des Stapelzimmerhauers unterscheidet sich von dem des Gedingehauers aber nicht nur nach Art und Höhe der Entlohnung sondern auch nach Art und Ort der Tätigkeit.

Hinsichtlich der Bewertung der Arbeitertätigkeiten im Rahmen des § 46 Abs. 2 RKG (§ 1246 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung - RVO -) unterscheidet die Rechtsprechung drei Gruppen, deren Leitbilder der Lehrberuf, der anerkannte Anlernberuf und die sogenannte ungelernte Tätigkeit sind (vgl. BSG 25, 186). Für die erstgenannte, höchste Gruppe, zu der im Bergbau vor allem die Hauer und die gelernten Handwerker gehören, ist nach der Rechtsprechung des Senats die Verweisung auf einfache ungelernte Tätigkeiten ohne besondere Verantwortung - hierzu gehören alle Arbeiten, zu denen der Kläger noch tauglich ist - nicht statthaft. Dagegen kann ein Angehöriger der mittleren Gruppe auch auf ungelernte Tätigkeiten nicht ganz einfacher Art - hierzu gehören zB die Arbeiten der Markenausgeber und Magazinarbeiter - verwiesen werden. Es kommt im vorliegenden Fall also entscheidend darauf an, ob die Tätigkeit des Klägers als Stapelzimmerhauer in die erstgenannte Gruppe einzuordnen ist.

Für den Beruf des Stapelzimmerhauers gibt es keine bestimmte Berufsausbildung, wie sie für den Hauer und den Handwerker vorgeschrieben ist. Für die Einordnung in die höchste Gruppe kann es allein auch nicht genügen, daß eine bergmännische Tätigkeit üblicherweise von Bergleuten verrichtet wird, die - wie der Kläger - die Ausbildung zum Hauer durchlaufen haben. Denn die Ausbildung für einen anderen Beruf macht den tatsächlich ausgeübten Beruf noch nicht zu einem Beruf mit entsprechender Ausbildung und der Beruf des Stapelzimmerhauer ist - wie oben bereits ausgeführt - im Vergleich zum Hauer ein "anderer" Beruf. Die besonderen Verhältnisse im Bergbau bringen es zudem mit sich, daß dort auch Tätigkeiten einfacherer Art häufig von ehemaligen Hauern verrichtet werden, die zur Hauertätigkeit nicht mehr gesundheitlich tauglich sind. Demgemäß hat der Senat in dem oa Urteil (BSG 25, 186) entschieden, daß der Reparaturhauer (Zimmerhauer) nicht in die höchste Gruppe der Arbeiterberufe einzuordnen ist, obgleich dieser Beruf üblicherweise von ehemaligen Hauern ausgeübt wird.

Dauer und Qualität der Ausbildung müssen daher als Qualifikationsmerkmal für den Beruf des Stapelzimmerhauers ausscheiden. Daneben kommen aber noch die Bedeutung des Berufs für den Betrieb und die an ihn zu stellenden besonderen Anforderungen bei der Bewertung in Betracht. Hierfür ist die tarifliche Einstufung der Tätigkeit ein wichtiges Indiz, da in ihr zum Ausdruck kommt, wie die beteiligten Kreise den Wert der Tätigkeit einschätzen. Dabei ist zu beachten, daß die Tätigkeit des Stapelzimmerhauers lohnmäßig wie die der gelernten Handwerker bewertet wird, mit denen zusammen sie in der - von der Sondergruppe abgesehen - jeweils höchsten Schichtlöhnergruppe unter Tage (uT) geführt wird. Vor allem haben die Stapelzimmerhauer im Zuge der stärkeren Differenzierung der früher in der Lohngruppe 1 uT zusammengefaßten Tätigkeiten den Aufstieg in die Gruppe 1 a mitgemacht und stehen damit neuerdings sogar zwei Stufen über den selbständig arbeitenden Zimmerhauern. Entscheidend ist aber, daß der Einsatz ausgebildeter Hauer als Stapelzimmerhauer nicht nur üblich, sondern sachlich notwendig und geboten ist, weil die Tätigkeit des Stapelzimmerhauers die gleiche berufliche Qualifikation erfordert wie die des Hauers. Das folgt daraus, daß - wie im Fall des Klägers - auch gedingetaugliche Hauer zu diesen Arbeiten herangezogen werden. Hiernach ist es gerechtfertigt, den Stapelzimmerhauer in die Gruppe der bergmännischen Facharbeiter, also die höchste Gruppe der Arbeiterberufe des Bergbaues, einzuordnen. Wenn die Beklagte unter Berufung auf das oa Urteil des Senats meint, daß für den Stapelzimmerhauer das gleiche gelten müsse wie für den Reparaturhauer, der nach der oa Entscheidung des Senats nur in die zweite Gruppe einzuordnen ist, so verkennt sie, daß die Arbeit des Stapelzimmerhauers sowohl nach der tariflichen Einstufung als auch nach der erforderlichen Qualifikation eben doch höher zu bewerten ist als die des Reparaturhauers. Es mag sein, daß der qualitative Unterschied zwischen diesen beiden Tätigkeiten nicht kraß und offensichtlich ist; wenn es aber um die Einordnung in bestimmte Gruppen geht, müssen bei der hierzu notwendigen Abgrenzung auch weniger krasse Unterschiede berücksichtigt werden.

Das LSG hat es daher zu Recht abgelehnt, den Kläger auf die ihm nach ärztlicher Beurteilung noch zumutbaren Tätigkeiten zu verweisen und ihn für die streitige Zeit als berufsunfähig angesehen. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).

Der Senat konnte im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 124 Abs. 2 i.V.m. §§ 153, 165 SGG).

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2374865

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