Leitsatz (amtlich)

1. RKG § 93 Abs 2 ( = RVO § 1301) idF des RVÄndG vom 1965-06-09 Art 1 § 3 Nr 27 ( = Art 1 § 1 Nr 35) (BGBl 1 476) ist auch bei der gerichtlichen Überprüfung der vor dem 1965-07-01 erlassenen - noch nicht bindend gewordenen - Rückforderungsbescheide anzuwenden.

2. Zur Frage, ob und inwieweit der Versicherungsträger die auf eine beantragte Rente gewährten Vorschußzahlungen von dem Versicherten zurückverlangen kann, falls er die Rentengewährung später durch Bescheid ablehnt.

3. Vorschußzahlungen auf eine beantragte, aber später abgelehnte Rente, die der Versicherungsträger nach RKG § 93 Abs 2 ( = RVO § 1301) von dem Versicherten zurückfordern kann, sind zu Unrecht gezahlte Leistungen iS der Alternative 4 des RKG § 90 ( = RVO § 1299); sie können mit anderen, diesem Versicherten gegenüber demselben Versicherungsträger zustehenden fälligen Rentenansprüchen aufgerechnet werden.

 

Leitsatz (redaktionell)

Das RKG enthält ebensowenig wie die RVO erschöpfende Vorschriften über das Rechtsinstitut der Aufrechnung, läßt aber zB in RKG § 90 erkennen, daß es von der Existenz dieses Rechtsinstituts ausgeht. Mangels weiterer Vorschriften im RKG und in der RVO sind die BGB §§ 837 ff entsprechend anzuwenden.

 

Normenkette

RKG § 93 Abs. 2 Fassung: 1965-06-09; RVO § 1301 Fassung: 1965-06-09; BGB § 827; RVO § 1299 Alt. 4 Fassung: 1957-02-23; RKG § 90 Alt. 4 Fassung: 1957-05-21

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten werden das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 13. Juli 1961 und das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 25. März 1960 wie folgt abgeändert:

Der Bescheid der Beklagten vom 21. September 1959 und der Widerspruchsbescheid der Widerspruchsstelle der Beklagten vom 30. Oktober 1959 werden dahin abgeändert, daß die Klägerin zur Rückzahlung eines Betrages von DM 1080,-, zahlbar in monatlichen Raten von DM 58,80, verpflichtet wird.

Der Bescheid der Beklagten vom 18. Mai 1961 wird dahin abgeändert, daß ein Restrückforderungsanspruch von DM 80,40 mit dem Knappschaftsruhegeld aufgerechnet wird.

Im übrigen wird die Revision zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des gesamten Rechtsstreits zu 1/3 zu ersetzen.

 

Gründe

I

Der am 18. Dezember 1899 geborene Versicherte bezog bis zu seinem Tode von der Bergbau-Berufsgenossenschaft eine Unfallrente von 50 v. H. der Vollrente und von der Beklagten vom 1. Mai 1953 bis zum 30. Juni 1961 Knappschaftssold. Seit dem 1. Juli 1961 bezog er bis zu seinem Tode vorzeitiges Knappschaftsruhegeld.

Am 25. August 1957 beantragte er bei der Beklagten die Gewährung der Bergmannsrente nach § 45 Abs. 1 Nr. 2 Reichsknappschaftsgesetz (RKG). Er war (Bl. 63 Ruhrkn.-A.)

vom 18.12.15 bis 14.4.15 als Fuhrmann

vom 16.8.16 bis 30.9.17 als Schlepper

vom 1.10.17 bis 27.6.18 als Gedingeschlepper u. Lehrh .

vom 4.3.19 bis 26.3.19 als Schürer

vom 16.4.19 bis 31.8.19 als Lehrhauer

vom 1.9.19 bis 11.7.27 als Hauer

vom 8.10.27 bis 8.10.27 als Schachtaufseher

vom 4.11.27 bis 31.3.31 als angelernter Schlosser

vom 1.4.31 bis 31.5.46 als Schlosser

vom 1.6.46 bis 28.2.61 als Wirtschaftssteiger

tätig. Die Beklagte teilte ihm mit Schreiben vom 27. Januar 1958 ua mit:

"Die endgültige Feststellung dieser Rente kann erst vorgenommen werden, wenn die Umstellung aller Renten nach dem Knappschaftsrentenversicherungs-Neuregelungsgesetz abgeschlossen ist. Wir haben jedoch einen Abschlag in Höhe von 600,- DM zur Zahlung an Sie angewiesen. Der Betrag geht Ihnen durch die Post zu. Bis zur endgültigen Feststellung der Rente erhalten Sie ab 1.3.1958 monatlich den Betrag von 60,- DM durch die Post. Hierbei ist der Kinderzuschuß für - Kinder eingerechnet. Erinnerungen wegen baldiger Festsetzung der Bergmannsrente sind zwecklos. Ebenso können Anträge auf Zahlung weiterer oder höherer Vorschüsse keine Berücksichtigung finden."

Entsprechend zahlte ihm die Beklagte einen einmaligen Betrag von 600,- DM und in der Zeit vom 1. März 1958 bis zum 30. September 1959 monatlich 60,- DM, insgesamt also 1740,- DM aus.

Mit Bescheid vom 21. September 1959 lehnte die Beklagte die Gewährung der Bergmannsrente ab, weil der Versicherte lediglich 101 Monate der Hauerarbeit gleichgestellte Arbeiten verrichtet habe. Die Vorschüsse von insgesamt 1740,- DM seien zu Unrecht gezahlt worden und seien von ihm zurückzuzahlen. Falls er dazu nicht in der Lage sei, könne er den Betrag in monatlichen Raten von 58,80 DM zurückzahlen. Der Knappschaftssold von monatlich 58,80 DM werde ab 1. Oktober 1959 bis zur Deckung der Überzahlung nicht mehr ausgezahlt.

Die Widerspruchsstelle der Beklagten wies den Widerspruch, der sich gegen die Rückforderung der Vorschüsse und gegen ihre Aufrechnung mit dem Knappschaftssold richtete, zurück.

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen. Gegen dieses Urteil hat der ehemalige Kläger Berufung eingelegt mit dem Antrag,

das angefochtene Urteil abzuändern, ferner die Widerspruchsentscheidung der Beklagten vom 30. Oktober 1959 aufzuheben, desgleichen den Bescheid der Beklagten vom 21. September 1959, soweit dieser die Rückforderung der gezahlten Vorschüsse in Höhe von DM 1740,- betrifft, und die Beklagte zur Auszahlung dieses Betrages zu verurteilen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

In dem Bescheid vom 18. Mai 1961, durch welchen die Beklagte dem Versicherten vorzeitiges Knappschaftsruhegeld für die Zeit vom 1. Februar 1961 an gewährt, rechnete sie den Restbetrag ihres festgestellten Rückforderungsanspruchs in Höhe von DM 799,20 mit dem inzwischen aufgelaufenen Knappschaftsruhegeld auf.

Durch Urteil vom 13. Juli 1961 hat das Landessozialgericht (LSG) entschieden:

"Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts in Gelsenkirchen vom 25. März 1960 wie folgt geändert: Die Widerspruchsentscheidung vom 30. Oktober 1959 wird aufgehoben, desgleichen der Bescheid vom 21. September 1959, soweit dieser die Rückforderung des Betrages von 1740,- DM betrifft.

Die Beklagte wird verurteilt, den Betrag von 1740,- DM an den Kläger zu zahlen, soweit sie ihn von den Rentenleistungen des Klägers einbehalten hat."

Das LSG hat die Revision zugelassen. Es hat ausgeführt:

Das Sozialgericht habe die Klage zu Unrecht abgewiesen. Der Kläger habe gegen die Beklagte einen Anspruch auf Auszahlung der zunächst von dem Knappschaftssold und später von dem Knappschaftsruhegeld einbehaltenen Beträge, weil die Beklagte gegen diese Rentenansprüche nicht habe aufrechnen dürfen. Der Versicherungsträger dürfe mit geleisteten Vorschüssen nur gegen solche Ansprüche des Versicherten aufrechnen, auf welche die Vorschüsse gezahlt worden sind. Es handele sich hier aber um zu Unrecht gezahlte Leistungen. Die Beklagte habe den streitigen Betrag von DM 1740,- zu Unrecht an den Kläger gezahlt, weil der Kläger keinen Anspruch auf die Bergmannsrente habe. Der Anspruch der Beklagten gegen den Kläger auf Rückzahlung dieser zu Unrecht geleisteten 1740,- DM möge zwar entstanden und auch nicht untergegangen sein. Mit diesem Anspruch könne die Beklagte aber nicht aufrechnen, weil er nicht voll wirksam sei. Die Geltendmachung dieses Anspruchs verstoße nämlich gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB). Habe der Versicherungsträger eine Leistung gewährt, obwohl ihm alle Tatsachen bekannt waren und er bei gewissenhafter Prüfung das Nichtbestehen des Anspruchs hätte erkennen müssen und habe der Leistungsempfänger die Leistung im guten Glauben an das Bestehen des Anspruchs empfangen und verbraucht, so könne der Versicherungsträger einen Rückforderungsanspruch nicht geltend machen.

Gegen dieses ihr am 11. September 1961 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 28. September 1961, eingegangen beim Bundessozialgericht (BSG) am 29. September 1961, Revision eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 31. Oktober 1961, eingegangen beim BSG am 3. November 1961, begründet.

Sie rügt die Verletzung der §§ 90, 93 Abs. 2 RKG und des § 128 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Sie habe 1740,- DM zu Unrecht an den Kläger gezahlt, weil dieser keinen Anspruch auf die Bergmannsrente gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 2 RKG habe, wie nach ihrem bindenden Ablehnungsbescheid feststehe. Die Auffassung des Berufungsgerichts, der Kläger sei zur Rückzahlung dieses zu Unrecht erhaltenen Betrages nicht verpflichtet, da der Rückforderungsanspruch gegen die Grundsätze von Treu und Glauben verstoße, beruhe auf einem Rechtsirrtum. Im Sozialversicherungsrecht bestehe der allgemeine Grundsatz, daß die Versicherten zuviel erhaltene Beträge zurückzahlen müssen. Voraussetzung derartiger Rückforderungsansprüche des Versicherungsträgers sei, daß die Leistungen zu Unrecht gezahlt worden sind, dem Versicherten also ein Rechtsanspruch auf die erhaltenen Beträge nicht zustehe.

Der bisherige Kläger ist am 8. Oktober 1962 verstorben. Seine Witwe hat das Verfahren aufgenommen. Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie will auch den Bescheid der Beklagten vom 17. Mai 1961 insoweit geändert wissen, als in diesem die Aufrechnung des restlichen Rückforderungsanspruchs mit dem vorzeitigen Altersruhegeld vorgenommen worden ist.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Obwohl der Versicherte keinen Anspruch auf Bergmannsrente habe und der Rückforderungsanspruch der Beklagten und sein Rentenanspruch sich aufrechenbar gegenüberstünden, könnten die gezahlten Beträge nicht aufgerechnet werden, weil die Abschlagszahlungen allein auf einem Verschulden der Beklagten beruhten. Nach § 93 RKG brauche die Beklagte Leistungen nicht zurückfordern, die sie zu Unrecht gezahlt habe. Dieser Ermessensspielraum des Versicherungsträgers werde eingeengt, wenn die zu Unrecht gewährten Leistungen allein auf einem eigenen Verschulden beruhen. In diesem Falle verstoße die Rückforderung gegen Treu und Glauben. Der Beklagten hätten die Akten des Klägers bei der Bewilligung der Abschlagszahlungen vorgelegen. Sie hätte also ohne große Schwierigkeiten feststellen können, daß dem Kläger keinerlei Leistungen zustanden.

Der Kläger habe zudem keinen Antrag auf Rentenvorschüsse, sondern auf die Rente selbst gestellt. Entgegen seinem erkennbar gestellten Antrage habe ihm die Beklagte die "Abschlagszahlungen" aufgezwungen, und zwar mit dem ausdrücklichen Hinweis, daß sie überlastet sei und keinerlei Beanstandungen berücksichtigen werde. Man müßte daher zu dem Ergebnis kommen, daß die Mitteilung vom 27. Januar 1958 nichtig sei, weil dem Kläger eine Leistung zugeteilt worden sei, die er überhaupt nicht beantragt hätte. Dann verstoße aber der Rückforderungsanspruch der Beklagten sicher gegen Treu und Glauben.

II

Die Revision der Beklagten ist zulässig, aber nur zum Teil begründet.

Der Beklagten steht ein Rückforderungsanspruch wegen der gezahlten Vorschüsse zwar nicht, wie sie meint, in voller Höhe, aber entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts doch in einer Höhe von DM 1080,- zu.

Wenn auch im RKG Rückforderungsansprüche nicht ausdrücklich geregelt sind, so ergibt sich doch aus dem Gesamtzusammenhang des RKG, insbesondere aus §§ 90, 93 Abs. 2, 103 RKG mit genügender Deutlichkeit, daß der Gesetzgeber einen solchen Anspruch voraussetzt; es ist daher davon auszugehen, daß ein solcher Anspruch gesetzlich vorgesehen ist. Ein sozialversicherungsrechtlicher Rückforderungsanspruch besteht dann, wenn der Versicherungsträger Leistungen zu Unrecht gezahlt hat; er richtet sich gegen den Empfänger dieser Leistung. Die an den früheren Kläger auf die im Jahre 1957 beantragte Bergmannsrente gezahlten Vorschüsse waren zwar zur Zeit ihrer Zahlung keine zu Unrecht gezahlten Leistungen. Wenn auch auf Vorschußzahlungen - von ausnahmsweise gesetzlich vorgeschriebenen Vorschußzahlungen abgesehen - grundsätzlich kein Rechtsanspruch besteht, so ist doch der Versicherungsträger - wie zB aus § 90 RKG zu entnehmen ist - immerhin berechtigt, Vorschüsse zu zahlen. Nachdem aber durch den insoweit bindend gewordenen Bescheid der Beklagten vom 21. September 1959 festgestellt worden ist, daß der frühere Kläger während der Zeit, für welche ihm Vorschüsse gewährt worden sind, keinen Anspruch auf Bergmannsrente hat, sind diese Vorschüsse zu Leistungen geworden, die zu Unrecht gezahlt sind. Der Senat neigt der Auffassung zu, daß ein durch Verwaltungsakt begründeter Anspruch auf Vorschußzahlungen seinem Wesen nach von selbst mit der (positiven oder negativen) Feststellung des Rentenanspruchs endet - falls er nicht vorher schon durch einen berechtigten Widerruf des ihn gewährenden Verwaltungsaktes geendet haben sollte - und daß die Vorschußzahlungen, wenn die Gewährung der Rente später bindend abgelehnt wird, von selbst den Charakter zu Unrecht gezahlter Leistungen annehmen, da nunmehr feststeht, daß der mit der Vorschußleistung bezweckte Erfolg, die Erfüllung des Rentenanspruchs, nicht eintritt, sie also nunmehr jeden Grundes entbehren. Ob die etwa abweichenden Grundsätze des 11. Senats des BSG zu der Frage (BSG 7, 226, 229) im Recht der Rentenversicherung überhaupt angewendet werden können, da sie für die auf eine Kriegsbeschädigtenrente gewährten Vorschrift aufgestellt worden sind, kann dahinstehen. Selbst wenn das der Fall wäre, würden nämlich im vorliegenden Fall die Vorschüsse auch nach diesen Grundsätzen den Charakter zu Unrecht gezahlter Leistungen angenommen haben, weil hier der Widerruf als wirksam anzusehen ist. Zwar sind auch hier, wie in dem vom 11. Senat des BSG entschiedenen Fall, die Vorschußzahlungen über einen längeren Zeitraum erfolgt, doch ist der Kläger in dem Schreiben vom 27. Januar 1958 ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht worden, daß über seinen Rentenantrag erst nach Abschluß der zu jener Zeit noch laufenden Rentenumstellungsarbeiten entschieden werden könne. Der Kläger konnte daher im Zeitpunkt des Erlasses des Rückforderungsbescheides noch nicht den Eindruck gewonnen haben, daß die Vorschußzahlungen den Charakter endgültiger Zahlungen angenommen hätten, da diese Arbeiten einschließlich der Erledigung der durch die Umstellungsarbeit aufgelaufenen neuen Rentenanträge zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen waren. Der Annahme, daß hier ein echter Rückforderungsanspruch entstanden ist, steht die Entscheidung des 1. Senats des BSG vom 7. Dezember 1962 (BSG 18, 148) nicht entgegen. In jenem Fall handelte es sich um die Frage der Verrechnung von Vorschüssen auf diejenige Rente, für die diese Vorschüsse gedacht waren. In dem vorliegenden Fall dagegen sind die Vorschüsse mit anderen Renten als denjenigen, für welche sie bestimmt waren, aufgerechnet worden. Hier handelt es sich also nicht um eine bloße Verrechnung im Sinne der 3. Alternative des § 90 RKG, sondern um die echte Aufrechnung eines Anspruches des Versicherungsträgers auf Rückzahlung zu Unrecht gezahlter Leistungen mit Ansprüchen des Versicherten auf Rentenleistungen anderer Art (4. Alternative des § 90 RKG).

Wenn auch die von der Beklagten an den Kläger gezahlten Leistungen zu Unrecht gezahlte Leistungen geworden sind, so besteht doch ein Rückforderungsanspruch der Beklagten gegen den Kläger nur im Rahmen des § 93 Abs. 2 RKG. Wenn auch vielleicht die Wortfassung dieser Vorschrift dahingehend gedeutet werden konnte, daß nur die von Anfang an zu Unrecht gezahlten Leistungen erfaßt wären, so kann doch, da die Interessenlage dieselbe ist, nichts anderes für diejenigen Leistungen gelten, die erst nachträglich den Charakter zu Unrecht gezahlter Leistungen annehmen. Es steht hiernach im pflichtgemäßen Ermessen der Beklagten, ob sie diesen Anspruch geltend machen will. Sie hat dies bejaht. In diesem Rechtsstreit kann nur geprüft werden, ob die Beklagte bei dieser Entscheidung die Grenzen des ihr gezogenen Ermessens beachtet hat. Bei dieser Prüfung ist die durch Art. I § 3 Nr. 27 des Gesetzes zur Beseitigung von Härten in der gesetzlichen Rentenversicherung und zur Änderung sozialrechtlicher Vorschriften (Rentenversicherungs-Änderungsgesetz - RVÄndG) vom 9. Juni 1965 (BGBl I, 476) geänderte Fassung des § 93 Abs. 2 RKG anzuwenden, durch die das dem Versicherungsträger gesetzlich zustehende Ermessen gesetzlich begrenzt worden ist. Der Versicherungsträger darf nach dieser Neuregelung Leistungen nur zurückfordern, wenn ihn für die Überzahlung kein Verschulden trifft, und nur insoweit der Leistungsempfänger bei Empfang der Leistung wußte oder wissen mußte, daß ihm die Leistung nicht oder nicht in der gewährten Höhe zustand, und außerdem nur, soweit die Rückforderung wegen der wirtschaftlichen Lage des Empfängers vertretbar ist. Der Umstand allein, daß diese Vorschrift erst nach Schluß der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung in Kraft getreten ist, steht der Anwendung durch das Revisionsgericht nicht entgegen (BSG 2, 188). Eine andere Frage ist allerdings, ob sie bei der gerichtlichen Überprüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes schon anzuwenden ist, obwohl die Beklagte sie bei Erlaß dieses Verwaltungsaktes noch nicht anwenden konnte, da sie zu jener Zeit noch nicht verkündet war. Wenn auch für diese Vorschrift, die erst mit dem 1. Juli 1965 in Kraft getreten ist (Art. 5 § 10 Abs. 1 Buchst. e) ausdrücklich jedenfalls keine Rückwirkungsanordnung getroffen ist, so ist sie doch auch auf bereits vorher ergangene Verwaltungsakte anzuwenden, weil sie lediglich eine authentische Interpretation dessen ist, was im wesentlichen auch bisher schon durch entsprechende Anwendung des § 242 BGB Rechtens war. Diese Vorschrift ist daher auch bei gerichtlichen Überprüfungen von Ermessensentscheidungen der Versicherungsträger nach § 93 Abs. 2 RKG anzuwenden, die vor dem Inkrafttreten des RVÄndG ergangen sind, falls sie noch nicht bindend geworden sind (vgl. dazu auch BSG 3, 234).

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts trifft die Beklagte im Sinne des § 93 Abs. 2 Satz 2 RKG kein Verschulden an dieser Überzahlung. Bei Vorschußzahlungen liegen meist besondere Verhältnisse vor. Keinesfalls kann jedenfalls ein Verschulden an der Zahlung eines Vorschusses allein schon deshalb angenommen werden, weil sich bei der späteren Entscheidung über den Rentenantrag herausstellt, daß die Voraussetzungen für den Rentenantrag nicht vorliegen. Es ist ja gerade der Sinn und Zweck eines Vorschusses, daß er gezahlt wird, obwohl noch nicht eindeutig feststeht, daß und in welcher Höhe der Rentenanspruch entsteht. Allenfalls könnte vielleicht von einem Verschulden des Versicherungsträgers in diesem Sinne gesprochen werden, wenn er einen Vorschuß gewährt, obwohl nach den vorliegenden Unterlagen schon bei einer überschlägigen Prüfung hätte erkannt werden müssen, daß der Rentenanspruch nicht oder nicht in dieser Höhe besteht. Andererseits spricht aber vieles dafür, daß ein Verschulden des Versicherungsträgers in diesem Sinne besteht, wenn er den Vorschuß auf eine Rente zahlt, obwohl das Gesetz, aus dem sich der Rentenanspruch ergibt, noch nicht verkündet ist und sich später herausstellt, daß dieses Gesetz einen solchen Anspruch überhaupt nicht oder nicht in dieser Höhe vorsieht. Im vorliegenden Fall lagen aber besondere Verhältnisse vor. Das Knappschaftsversicherungs-Neuregelungsgesetz (KnVNG), aus dem sich der Anspruch auf Bergmannsrente dem Grundsatz nach ergibt, war bei Gewährung des Vorschusses bereits verkündet. Dagegen war die die Begriffe der Hauerarbeiten und der diesen gleichen Arbeiten festlegende Hauerarbeitenverordnung (HaVO) noch nicht erlassen. Die in Betracht kommenden Versicherten durften aber mit Recht erwarten, daß ihnen die Renten baldmöglichst gewährt werden würden. Wenn die Beklagte nun aus diesem Grunde Versicherten, die bereits den Knappschaftssold erhielten, die also wesentlich bergmännische Arbeiten verrichtet hatten (§ 9 der VO vom 4. Oktober 1942 - RGBl I, 569) und die immerhin zum Kreis derjenigen zählten, die unter Umständen auch für einen Rentenanspruch auf Grund der HaVO in Betracht kommen konnten, einen Vorschuß gezahlt hat, so muß ihr Verhalten als entschuldigt gelten. Allerdings taucht die weitere Frage auf, ob ein Verschulden der Beklagten etwa darin erblickt werden könnte, daß sie nicht gleich nach Erlaß der HaVO die Feststellung getroffen hat, dem Versicherten stehe kein Anspruch auf Bergmannsrente zu. Wenn man auch im allgemeinen in diesem weiteren Hinauszögern wohl ein Verschulden im Sinne des § 93 Abs. 2 Satz 2 RKG erblicken könnte, so doch in dem vorliegenden besonderen Fall nicht. Denn es muß bedacht werden, daß zu dieser Zeit die Arbeiten der Beklagten an der Rentenumstellung liefen und sie sich, um diese Arbeiten termingerecht erledigen zu können, von der Bearbeitung von Anträgen dieser Art freihalten mußte. Auch für die anschließende Zeit, während welcher die verständlicherweise durch die Rentenumstellungsarbeiten aufgelaufenen Rückstände an Neuanträgen erledigt wurden, konnte man nicht erwarten, daß die zurückgestellten Anträge alle sofort bearbeitet wurden; es bedurfte vielmehr einer weiteren Aufarbeitungszeit. Die Aufarbeitung des aufgelaufenen Restbestandes an Anträgen war aber zur Zeit des Erlasses des angefochtenen Bescheides vom 21. September 1959 noch nicht beendet. Von einem Verschulden des Versicherungsträgers kann man hier also nicht sprechen.

Trotzdem kann nach § 93 Abs. 1 RKG nF der Rückforderungsanspruch nur geltend gemacht werden, wenn der Versicherte bei Empfang der Vorschußzahlungen wußte oder wissen mußte, daß ihm ein Anspruch auf die beantragte Rente nicht zusteht und die Vorschußzahlungen daher demnächst rückwirkend den Charakter zu Unrecht gezahlter Leistungen annehmen würden. Das konnte der Kläger aber solange nicht wissen, wie die HaVO noch nicht verkündet war. Denn vor Verkündung dieser VO brauchte er deren Vorschriften nicht zu kennen, brauchte also noch nicht zu wissen, daß seine Grubenschlossertätigkeit, ohne die er keine 180 Monate Hauerarbeit oder hauergleiche Arbeit verrichtet hat, ohne die also kein Anspruch auf Bergmannsrente nach § 45 Abs. 1 Nr. 2 RKG bestehen konnte, in dieser VO nicht als hauergleiche Arbeit anerkannt ist. Die bis zur Verkündung der HaVO gezahlten Vorschüsse, das sind 660,- DM, können also von der Beklagten nicht zurückgefordert werden. Mit der Verkündung der HaVO mußte der Kläger allerdings wissen, daß seine Grubenschlossertätigkeit in der HaVO nicht als hauergleiche Arbeit anerkannt ist. Der Staatsbürger hat sich die Kenntnis der Gesetze und Verordnungen mit dem Zeitpunkt ihrer Verkündung zurechnen zu lassen. Andererseits kann man allerdings einem Versicherten, auch wenn er den Wortlaut der Vorschriften der HaVO seit ihrer Verkündung kennen mußte, doch nicht ohne weiteres vorhalten, daß er die Bedeutung aller Vorschriften erkennen mußte. Im vorliegenden Falle jedoch mußte der Versicherte erkennen, daß nur die Maschinenhauertätigkeit im Abbau, im Streckenvortrieb und in der Aus- und Vorrichtung und nicht die Grubenschlossertätigkeit in der HaVO aufgezählt ist. Auch mußte er wissen, daß seine Tätigkeit die eines Grubenschlossers und nicht die eines Maschinenhauers im Abbau, im Streckenvortrieb und in der Aus- und Vorrichtung gewesen ist.

Diese Fragen waren rechtlich nicht so schwierig zu beantworten, als daß der Kläger sie mit seinen Kenntnissen nicht selbst hätte erkennen und zutreffend beantworten können. Die tatsächlichen Umstände, nämlich die Art seiner früheren Tätigkeit, waren ihm darüber hinaus im vollen Umfang bekannt. Tatsächlich hat der Kläger gegen die spätere Ablehnung seiner Bergmannsrente auch keinen Rechtsbehelf eingelegt. Mit der Verkündung der HaVO mußte er also wissen, daß die Zeit, während welcher er Grubenschlosser gewesen ist, nicht begünstigt ist und daß ihm ein Anspruch auf Bergmannsrente nach § 45 Abs. 1 Nr. 2 RKG nicht zustand. Daher mußte er damit rechnen, daß die Beklagte demnächst seinen Rentenantrag ablehnen würde und daß damit die ihm gewährten Vorschußzahlungen rückwirkend den Charakter zu Unrecht gezahlter Leistungen annehmen würden. Sie seit 1. April 1958 gezahlten Vorschüsse in Höhe von 1080,- DM sind hiernach jedenfalls zurückzuzahlen.

Es bleibt allerdings noch zu prüfen, ob die Beklagte mit Rücksicht auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Versicherten die Rückzahlung dieses Betrages verlangen kann.

Hierbei ist zu bedenken, daß der Versicherte noch bis zum 28. Februar 1961 als Wirtschaftssteiger tätig war, also bis zu diesem Zeitpunkt volles Gehalt, Unfallrente und Knappschaftssold bezog. Es ist daher bedenkenfrei, daß die Beklagte bis zu diesem Zeitpunkt die Raten in Höhe von monatlich DM 58,80 zurückforderte. Als der Kläger Ende Februar 1961 seine Beschäftigung aufgab und sich damit seine wirtschaftlichen Verhältnisse verschlechterten, waren DM 999,60 zurückgezahlt. Aber auch seitdem bezog der Kläger noch das Knappschaftsruhegeld in Höhe von 518,93 DM und eine Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung. Mit diesem Einkommen war der Versicherte noch in der Lage, den noch verbleibenden kleinen Restbetrag von DM 80,40 in angemessenen monatlichen Raten von 26,80 DM zu zahlen. Gegen die Zahlung dieses Restbetrages in der Zeit vom 1. März 1961 bis zum 18. Mai 1961, dem Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides über die Gewährung des Knappschaftsruhegeldes, bestehen daher ebenfalls keine Bedenken.

Der Bescheid der Beklagten vom 21. September 1959 und der Widerspruchsbescheid vom 3. November 1959 waren somit dahingehend abzuändern, daß nicht ein Betrag von 1740,- DM, sondern nur ein Betrag von 1080,- DM, zahlbar in Raten von monatlich 58,80 DM vom 1. Oktober 1959 bis zum 28. Februar 1961 und in Raten von DM 26,80 in der anschließenden Zeit bis zum 31. Mai 1961, zurückzuzahlen ist.

Weiter war zu prüfen, ob die Beklagte den in Raten rückzahlbaren Betrag zunächst mit dem Knappschaftssold und später mit dem Knappschaftsruhegeld aufrechnen durfte. Das RKG enthält ebensowenig wie die RVO erschöpfende Vorschriften über das Rechtsinstitut der Aufrechnung, läßt aber zB in § 90 RKG erkennen, daß es von der Existenz dieses Rechtsinstituts ausgeht; es ist davon auszugehen, daß auch im Recht der knappschaftlichen Rentenversicherung eine Aufrechnung möglich ist. Mangels weiterer Vorschriften im RKG und in der RVO sind die §§ 837 ff BGB entsprechend anzuwenden. Nach diesen Vorschriften war die Aufrechnung möglich. Denn es handelt sich um gegenseitige Forderungen des Klägers und der Beklagten, beide Forderungen sind gleichartig, d. h. auf Zahlung von Geld gerichtet, und beide sind fällig. Allerdings ist im Recht der knappschaftlichen Rentenversicherung die Aufrechenbarkeit in § 90 auf gewisse Forderungen beschränkt. Die in dieser Vorschrift aufgeführte Alternative "gezahlte Vorschüsse" greift - wie bereits ausgeführt - nicht Platz, weil sie nur Fälle erfaßt, in denen Vorschüsse mit denjenigen Leistungen verrechnet werden, für die sie gedacht sind. Es handelt sich bei die ser Alternative im Grunde genommen also überhaupt nicht um einen Fall der Aufrechnung, sondern nur um die Frage, ob und inwieweit solche Vorschüsse auf die später festgestellte Leistung, für die sie gedacht sind, zu verrechnen sind (BSG 18, 148). Im vorliegenden Fall trifft aber die 4. Alternative des § 93 RKG zu (zu Unrecht gezahlte Leistungen). Gegen die vorgenommene Aufrechnung bestehen, da es sich hier um zu Unrecht gezahlte Leistungen handelt, keine Bedenken.

Der Bescheid der Beklagten vom 17. Mai 1961 über die Feststellung des Knappschaftsruhegeldes, ist, soweit er die Aufrechnung der Restrückforderung der Beklagten betrifft, nach § 96 SGG Gegenstand dieses Verfahrens geworden. Denn insoweit ist der Bescheid vom 21. September 1959, durch den diese Aufrechnung für die Zukunft bis zur restlichen Erfüllung der Rückzahlungsforderung ausgesprochen ist, zeitlich gesehen begrenzt worden. Durch den Bescheid vom 17. Mai 1961 ist der Knappschaftssold mit Gewährung des Knappschaftsruhegeldes entfallen. Damit ist aber auch die Aufrechnung des restlichen Rückforderungsanspruches mit dem Knappschaftssold für die spätere Zeit entfallen. Für diese spätere Zeit ist der angefochtene Bescheid zurückgenommen und durch den das Knappschaftsruhegeld festsetzenden und die Aufrechnung des Restrückforderungsanspruchs mit dem Knappschaftsruhegeld ausgehenden Bescheid ersetzt worden. Zudem hat der Kläger seinen Antrag auch noch dahin klargestellt, daß er den Bescheid vom 17. Mai 1961 insoweit geändert wissen will, als in diesem die Aufrechnung erfolgt ist. Dieser Bescheid war abzuändern, soweit eine Aufrechnung über den Betrag von DM 85,50 hinaus vorgenommen worden ist. Eine weitergehende Aufrechnung konnte nicht erfolgen, weil ein über diesen Betrag hinausgehender Rückforderungsanspruch nicht mehr bestand, wie bereits ausgeführt ist. Im übrigen ist der Bescheid vom 17. Mai 1961 nicht Gegenstand des Verfahrens geworden.

Einer Verurteilung zur Leistung bedurfte es im vorliegenden Fall nicht, da die Klägerin mit der Abänderung der angefochtenen Bescheide schon ohne weiteres Anspruch auf Auszahlung der entsprechenden, festgestellten Leistungen hat.

Die Kostenentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1982478

BSGE, 259

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