Entscheidungsstichwort (Thema)

Unternehmereigenschaft in Landwirtschaft

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Ausschluß des Ruhens einer Rente der gesetzlichen Rentenversicherung bei Zusammentreffen mit Unfallrenten für Unfälle, die erst nach Eintritt des Versicherungsfalls in der gesetzlichen Rentenversicherung eingetreten sind (§ 1278 Abs 3 Nr 1 RVO), erstreckt sich nach seinem Sinn nicht auf vor Beginn der Rentenversicherung eingetretene Unfälle.

2. Die Verletztenrente eines im landwirtschaftlichen Unternehmen der Mutter mitarbeitenden Sohnes beruht nicht auf eigener Beitragsleistung iS von § 1278 Abs 3 Nr 2 RVO.

 

Orientierungssatz

Die Unternehmereigenschaft im landwirtschaftlichen Betrieb richtet sich nicht danach, wer die hauptsächliche Arbeitslast trägt, sondern danach, für wessen Rechnung das Unternehmen geht. Das ergibt sich aus § 658 Abs 2 Nr 1 RVO.

 

Normenkette

RVO § 1278 Abs 3 Nr 1, § 1278 Abs 3 Nr 2, § 658 Abs 2 Nr 1

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 18.06.1986; Aktenzeichen L 2 J 3027/85)

SG Karlsruhe (Entscheidung vom 30.09.1985; Aktenzeichen S 8 J 2148/84)

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob das dem Kläger ab 1. April 1984 gewährte flexible Altersruhegeld wegen Zusammentreffens mit einer Verletztenrente nach einem Arbeitsunfall teilweise ruht.

Der 1923 in Wolhynien geborene Kläger arbeitete dort von 1937 bis 1940 zunächst im väterlichen landwirtschaftlichen Betrieb als mithelfender Familienangehöriger. Er setzte diese Tätigkeit nach Umsiedlung der Familie und dem während der Umsiedlung eingetretenen Tod des Vaters in dem landwirtschaftlichen Betrieb fort, der seiner Mutter als Unternehmerin im damaligen Reichsgau Wartheland unter gleichzeitiger Einbürgerung mit ihren Kindern zugewiesen worden war. In diesem Betrieb erlitt er am 13. Februar 1941 einen Arbeitsunfall, der zur Amputation des rechten Oberarms führte. Gemäß Bescheid der Landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft Wartheland in Posen vom 4. November 1944 bezog der Kläger deswegen Unfallrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 75 vH, die bis zur Vollendung seines 21. Lebensjahres an seine Mutter ausgezahlt wurde. Die Unfallrente wurde nach Übersiedlung des Klägers ins Bundesgebiet zunächst von der Westfälischen Landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft und ab 1. Januar 1954 von der Bundesausführungsbehörde für Unfallversicherung gewährt.

Durch Bescheid vom 28. Februar 1984 bewilligte die Beklagte dem Kläger ab 1. April 1984 antragsgemäß flexibles Altersruhegeld gemäß § 1248 Abs 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO). Darin ordnete sie das teilweise Ruhen der Versichertenrente wegen des Bezugs der Unfallverletztenrente mit einem Betrag von 4.037,45 DM an, den sie durch Bescheid vom 18. Juni 1984 wegen Änderung der Unfallrente ab 1. Juli 1984 auf 4.398,96 DM erhöhte. Der Widerspruch, mit dem der Kläger sich gegen die Anrechnung der Unfallrente auf das Altersruhegeld wandte, weil sich der Unfall bereits 1941 ereignet habe, während Versicherungsjahre zur Rentenversicherung bei ihm erst ab Januar 1945 berücksichtigt worden seien, blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 3. Mai 1984).

Die Klage, mit der der Kläger einer Anrechnung der Verletztenrente auf das Altersruhegeld auch deshalb entgegentrat, weil die Beiträge zur Landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft aus eigenem Einkommen gezahlt worden seien, hat das Sozialgericht (SG) Karlsruhe durch Urteil vom 30. September 1985 abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg hat die Berufung des Klägers durch Urteil vom 18. Juni 1986 zurückgewiesen und festgestellt, der Unfall des Klägers habe sich weder nach dem Beginn des Altersruhegeldes ereignet, noch beruhe die Verletztenrente auf eigener Beitragsleistung des Versicherten oder seines Ehegatten; ein Ruhensausschluß nach § 1278 Abs 3 RVO sei somit nicht gegeben.

Mit der zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 1278 Abs 3 RVO. Im Unfallzeitpunkt habe er als Minderjähriger im elterlichen landwirtschaftlichen Betrieb, einem gemeinschaftlichen Familienbetrieb, als "Jungbauer" gearbeitet. Der Betrieb sei einer Gesellschaft des bürgerlichen Rechts gleichzustellen, weshalb es sich in den von seiner Mutter als gesetzliche Vertreterin entrichteten freiwilligen Beiträgen an den Unfallversicherungsträger auch um seine eigenen Beiträge gehandelt habe.

Der Kläger beantragt, die Urteile des LSG Baden-Württemberg vom 18. Juni 1986 und des SG Karlsruhe vom 30. September 1985 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 28. Februar 1984 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Mai 1984 sowie die weiteren Bescheide der Beklagten vom 18. Juni 1984 und 29. April 1986 insoweit aufzuheben, als darin ab 1. April 1984 das Ruhen der jährlichen Versichertenrente festgestellt wurde.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Sie ist zurückzuweisen, weil die Beklagte zutreffend das Ruhen eines Teils des Altersruhegeldes des Klägers in dem angefochtenen Bescheid und in den gemäß § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens gewordenen ergänzenden und abändernden Bescheiden zur Höhe des Ruhensbetrages angeordnet hat.

Unter den Beteiligten ist nicht streitig, daß gemäß § 1278 Abs 1 RVO der Ruhenstatbestand des Zusammentreffens eines Altersruhegeldes mit einer Verletztenrente gegeben ist. Auch die Berechnung des Ruhensbetrages ist unstreitig. Streitig ist allein noch, ob gemäß § 1278 Abs 3 Nr 2 RVO die Bestimmung des Abs 1 nicht gilt, weil die Verletztenrente auf eigener Beitragsleistung des Versicherten beruht. Diese gesetzliche Voraussetzung für den Ausschluß des Ruhens hat das LSG zutreffend verneint.

Das LSG hat festgestellt, daß der Kläger zum Unfallzeitpunkt als "mithelfender Familienangehöriger" bzw als "Jungbauer" in einem landwirtschaftlichen Betrieb arbeitete, dessen Inhaberin als landwirtschaftliche Unternehmerin seine Mutter war. Diese Feststellung hat der Kläger mit Verfahrensrügen nicht angegriffen. Sie ist deshalb gemäß § 163 SGG für den erkennenden Senat bindend. Die Meinung des Klägers, der elterliche landwirtschaftliche Betrieb sei als gemeinschaftlicher Familienbetrieb und damit als eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts aller Familienmitglieder anzusehen, vermag der Senat angesichts der bindenden Feststellungen des LSG nicht zu teilen.

Es ist zwar zutreffend, daß die Mutter des Klägers mit ihren Kindern den ihr zugewiesenen landwirtschaftlichen Betrieb gemeinsam bewirtschaftete und davon den gemeinsamen Lebensunterhalt einschließlich der Beiträge zur landwirtschaftlichen Unfallversicherung bestritt. Daraus folgt jedoch nicht zwingend, daß neben der Mutter des Klägers auch die Kinder einschließlich des Klägers Mitunternehmer in diesem landwirtschaftlichen Betrieb gewesen sind. Der Betrieb war vielmehr der Mutter des Klägers zugewiesen worden, nachdem ihr Ehemann während der Umsiedlungsaktion verstorben war. Sie war deshalb, wie das LSG festgestellt hat, die Inhaberin und landwirtschaftliche Unternehmerin dieses Betriebes. Der Kläger hat auch nicht behauptet, daß der Betrieb zum Unfallzeitpunkt etwa auf ihn mit übertragen gewesen sei. Er will nur aus der Form der Bewirtschaftung des Betriebes durch die familienhafte Zusammenarbeit der Mutter und ihrer Kinder seine Mitunternehmerstellung herleiten. Dem stehen jedoch die tatsächlichen Feststellungen des LSG entgegen. Es mag sein, daß der Kläger, der im Unfallzeitpunkt noch nicht das 18. Lebensjahr vollendet hatte, dazu ausersehen war, den Betrieb der Mutter einmal zu übernehmen, wie aus seiner Bezeichnung als "Jungbauer" gefolgert werden kann. Es mag ferner zutreffen, daß der Kläger als ältestes Kind einen wesentlichen Anteil der Arbeit im Betrieb leistete. Dies ändert jedoch nichts daran, daß er als mithelfender Familienangehöriger nur eine arbeitnehmerähnliche Stellung im Betrieb hatte. Die Unternehmereigenschaft im landwirtschaftlichen Betrieb richtet sich nämlich nicht danach, wer die hauptsächliche Arbeitslast trägt, sondern danach, für wessen Rechnung das Unternehmen geht. Das ergibt sich aus § 658 Abs 2 Nr 1 RVO. Diese dem geltenden Recht entnommene Definition hat in der deutschen reichsgesetzlichen Unfallversicherung bereits von Anfang an und damit auch zur Zeit des Unfalls des Klägers gegolten (vgl hierzu Brackmann, Handbuch der Unfallversicherung, Stand: August 1986, Band II S 503a mwH). Für Rechnung des Klägers ist aber der Familienbetrieb, in dem er den Unfall erlitten hat, selbst nach seinem eigenen Vorbringen im Unfallzeitpunkt nicht gegangen. Für die Anwendung des § 1278 Abs 3 Nr 2 auf den Kläger fehlt es mithin an einer eigenen Beitragsleistung des Versicherten.

Auch eine Verletzung des § 1278 Abs 3 Nr 1 RVO liegt hier nicht vor. Vom Grundsatz der Anrechnung eines Teils der Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung auf Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung macht die genannte Bestimmung nur dann eine Ausnahme, wenn es sich um einen Unfall handelt, der sich nach dem Beginn des Altersruhegeldes ereignet hat. Für die Fälle, in denen dies nicht zutrifft, will § 1278 Abs 1 RVO in erster Linie eine angemessene Relation hergestellt wissen zwischen der Summe aller Sozialversicherungsbezüge und dem Einkommen, das der Berechtigte bei voller Arbeitsleistung haben würde (vgl BSGE 24, 150, 153 = SozR Nr 8 zu § 1278 RVO). Auch unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes ist es nicht geboten, den Fall des Klägers den in § 1278 Abs 3 Nr 1 RVO geregelten Fällen gleichzustellen. Denn der Versicherte, der vor oder während seiner Versicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung einen Unfall erleidet und hierfür aus der gesetzlichen Unfallversicherung eine Entschädigung erhält, wird im Prinzip durch diese Entschädigung finanziell soweit gefördert, daß er einkommensmäßig einem nicht beschädigten Arbeitnehmer in etwa gleich kommt.Er hat auch die Möglichkeit, mit Hilfe der Unfallrente im Laufe seines Erwerbslebens neben der Sozialversicherung aus seiner versicherungspflichtigen Beschäftigung eine zusätzliche Sicherung aufzubauen, die dazu bestimmt ist, einen etwa durch den Unfall bedingten Minderbetrag seiner künftigen Altersrente auszugleichen. Deshalb erscheint es gerechtfertigt, auch sein Renteneinkommen aus der Verletztenrente und dem Altersruhegeld auf das Maß zu begrenzen, welches ein nicht durch Unfall geschädigter Arbeitnehmer in etwa am Ende seines Arbeitslebens als Altersruhegeld erreicht. Anders ist es bei denjenigen Versicherten, die nach Beginn ihres Altersruhegeldes noch eine versicherungspflichtige Tätigkeit ausüben und dabei einen Unfall erleiden. Hier ist es gerechtfertigt, dem Versicherten den Ertrag zu belassen, der ihm aus seiner neben dem Rentenbezug ausgeübten Tätigkeit zufließt und - nach Eintritt eines Unfalls - durch eine hierfür gewährte Verletztenrente in etwa ersetzt wird.

Die Revision des Klägers konnte nach alledem keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1665106

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