Leitsatz (amtlich)

Ungarn ist mit dem 1944-03-19, dem Zeitpunkt des Einmarsches deutscher Truppen in Ungarn, "besetztes Gebiet" iS von BVG § 7 Abs 1 Nr 3 Alternative 2 geworden.

 

Normenkette

BVG § 7 Abs. 1 Nr. 3 Alt. 2 Fassung: 1950-12-20

 

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 24. August 1960 wird zurückgewiesen.

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts insoweit aufgehoben, als das Landessozialgericht die Berufung des Klägers hinsichtlich der Anerkennung seiner Lungen-Tbc als weitere Schädigungsfolge und wegen der Rentengewährung zurückgewiesen hat; insoweit wird die Sache zu neuer Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I.

Der Kläger, geboren am 12. November 1897 in Budapest, leistete von 1938 bis zum April 1945 mit geringen Unterbrechungen Wehrdienst in der ungarischen Armee. Seit seiner Entlassung aus dem Wehrdienst hat er seinen Wohnsitz in Bayern. Am 25. April 1951 beantragte er wegen Sehkraftverlust, Kopfbeschwerden und Gehirnerschütterung, Lungen-Tbc und Schwerhörigkeit Versorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG). Er gab an, er habe sich während des Wehrdienstes im Jahre 1939 eine Erkältung mit Stirnhöhleneiterung zugezogen, deshalb habe er im weiteren Verlauf der Dienstzeit ständig Beschwerden gehabt, außerdem sei er bei einem Bombenangriff in Siebenbürgen am 13. Oktober 1944 verletzt worden. Die Versorgungsverwaltung zog Krankengeschichten über den Kläger bei, und zwar: Von den Städtischen Krankenanstalten Landshut über die Behandlungen vom 9. Januar bis 19. Januar 1949 und von Oktober 1949 bis März 1950, vom IRO-Krankenhaus München-Schwabing über die Behandlung vom 11. Dezember 1951 bis 26. Februar 1952, sowie von der Hals-, Nasen- und Ohrenklinik der Universität München über die Behandlung vom 27. Februar 1952 bis zum 17. April 1952. Sie ließ den Kläger auch durch den Lungenfacharzt Dr. T (Gutachten vom 24. November 1954), den H-N-O-Facharzt Dr. R (Gutachten vom 15. Dezember 1954), den Neurologen Dr. G (Gutachten vom 15. Dezember 1954) und den Augenarzt Dr. St (Gutachten vom 16. Dezember 1954/29. April 1955) selbst untersuchen und begutachten.

Unter Auswertung dieser Gutachten kam Dr. G in seiner Zusammenfassung vom 6. Mai 1955 zu der Auffassung, daß "Tränengangverwachsung rechts mit rückfälliger Bindehautentzündung" und "leichte Innenohrschwerhörigkeit beiderseits" als Schädigungsfolge im Sinne der Entstehung sowie "eitrige Nasennebenhöhlenentzündung mit Tubenkatarrh beiderseits" als Schädigungsfolge im Sinne der Verschlimmerung mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 25 v. H. anzusehen seien. Das Versorgungsamt (VersorgA) Landshut lehnte den Antrag des Klägers mit Bescheid vom 6. Juni 1955 ab, da die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Nr. 3 BVG nicht erfüllt seien.

Der Kläger erhob Widerspruch. Zum Beweis dafür, daß er bereits am 13. Oktober 1944 im Rahmen der deutschen Wehrmacht eingesetzt gewesen war, legte er Äußerungen des Kameradschaftsverbandes ungarischer Frontkämpfer, Hauptgruppe Deutschland, und eines ehemaligen Generalmajors der ungarischen Armee vor; ferner reichte er eine Bestätigung des Dr. H vom 26. Juli 1955 ein, nach der dieser den Kläger von Mai 1945 bis September 1949 wegen chronischen Bronchialkatarrhs behandelt hat, der "von der ersten Zeit auf Tbc verdächtig gewesen" sei; der Kläger sei "ununterbrochen ... unter der provisorischen Diagnose von chronisch-fibrotischer Lungen-tbc" behandelt worden.

Das Landesversorgungsamt (LVersorgA) Bayern wies den Widerspruch mit Bescheid vom 14. November 1955 zurück. Das Sozialgericht (SG) Landshut wies die Klage des Klägers durch Urteil vom 13. November 1957 ab.

Im Berufungsverfahren beantragte der Kläger, unter Aufhebung des Urteils des SG und der Bescheide der Versorgungsverwaltung Tränengangverwachsung rechts mit rückfälliger Bindehautentzündung, leichte Innenohrschwerhörigkeit beiderseits, Lungen-Tbc - diese Leiden i. S. der Entstehung - und eitrige Nasennebenhöhlenentzündung und Tubenkatarrh beiderseits i. S. der Verschlimmerung als Schädigungsfolgen festzustellen und ab Antrag Rente nach einer MdE um 50 v. H. zu gewähren.

Das Bayerische Landessozialgericht (LSG) änderte am 24. August 1960 das Urteil des SG und den Bescheid des VersorgA vom 6. Juni 1955 ab und stellte - entsprechend dem Hilfsantrag des Klägers - fest, daß "Tränengangverwachsung rechts mit rückfälliger Bindehautentzündung und leichte Innenohrschwerhörigkeit beiderseits" Schädigungsfolgen i. S. der Entstehung sind, im übrigen wies es die Berufung des Klägers zurück. Es führte aus: Der Kläger habe vom 21. Oktober 1944 an, dem Zeitpunkt, von dem an die ungarische Armee auf Grund des Befehls des ehemaligen Reichsverwesers von Horty zu bestehen aufgehört habe, als ungarischer Staatsangehöriger "im Rahmen der deutschen Wehrmacht" i. S. des § 7 Abs. 1 Nr. 3 BVG Wehrdienst geleistet. Der Dienst ab 21. Oktober 1944 sei jedoch weder für die erstmals 1949 festgestellte Lungen-Tbc noch für die Nasennebenhöhlenentzündung mit Tubenkatarrh beiderseits ursächlich gewesen. Der Kläger habe in sämtlichen dem LSG vorliegenden Krankengeschichten selbst angegeben, während des Wehrdienstes keine Beschwerden von seiten der Lunge gehabt zu haben. Da sich die ersten Anzeichen dieser Erkrankung erst 1949, also 4 Jahre nach Beendigung des Wehrdienstes, gezeigt hätten und keine sogenannten Brückensymptome für diesen Zeitraum vorhanden seien, fehle schon der zeitliche Zusammenhang mit dem Wehrdienst. Auch die Nasennebenhöhlenentzündung mit dem Tubenkatarrh sei keine Schädigungsfolge i. S. des BVG. Wie der Kläger selbst angegeben habe, seien diese Erkrankungen schon während seiner Dienstleistung bei der ungarischen Armee im Jahre 1939 aufgetreten. Zwar habe sich der weitere militärische Dienst sicherlich verschlimmernd auf die Entzündungserscheinungen ausgewirkt; gegenüber der Dienstzeit in der ungarischen Armee bis zum 20. Oktober 1944, die keinen versorgungsrechtlichen Schutz nach dem BVG genieße, sei jedoch die Dienstzeit seit dem 21. Oktober 1944 im Rahmen der deutschen Wehrmacht so kurz, daß sich insoweit ein Verschlimmerungsanteil rechnerisch nicht bestimmen lasse. Dagegen sei die Tränengangverwachsung rechts mit rückfälliger Bindehautentzündung und die leichte Innenohrschwerhörigkeit beiderseits Schädigungsfolge i. S. des BVG. Diese Gesundheitsstörungen seien nach übereinstimmender Meinung aller in diesen Verfahren gehörten Sachverständigen durch die Verletzungen verursacht worden, die der Kläger bei dem Bombenangriff am 13. Oktober 1944 in Siebenbürgen erlitten habe. Wegen der Folgen dieser unmittelbaren Kriegseinwirkung habe der Kläger Anspruch auf Versorgung nach dem BVG; denn diese Schädigung habe sich in einem von der deutschen Wehrmacht besetzten Gebiet i. S. des § 7 BVG ereignet. Ungarn sei am 19. März 1944, als deutsche Truppen dort einmarschierten ("Unternehmen Margarethe"), "besetztes Gebiet" i. S. des § 7 Abs. 1 Nr. 3 BVG geworden. Das LSG ließ die Revision zu.

Das Urteil des LSG wurde dem Kläger am 7. September 1960, dem Beklagten am 8. September 1960 zugestellt.

Der Beklagte legte am 5. Oktober 1960 Revision ein; er beantragte,

das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung des Klägers in vollem Umfang zurückzuweisen.

Er begründete die Revision - nach Verlängerung der Revisions-begründungsfrist bis zum 8. Dezember 1960 - am 25. November 1960: Das LSG habe § 7 Abs. 1 Nr. 3 BVG unrichtig angewandt; durch den Einmarsch deutscher Truppen in Ungarn am 19. März 1944 sei Ungarn noch nicht ein von der deutschen Wehrmacht besetztes Gebiet i. S. des § 7 Abs. 1 Nr. 3 BVG geworden; im Verhältnis zum ehemaligen Deutschen Reich sei Ungarn jedenfalls bis zum 21. Oktober 1944, dem Zeitpunkt des sogenannten Horthy-Befehls, keine "Feindmacht", sondern mit dem Deutschen Reich verbündet gewesen. Die deutschen Truppen, die am 19. März 1944 in Ungarn einmarschiert sind, seien im Verhältnis zu Ungarn auch kein "feindliches" Heer i. S. von Art. 42 der Haager Landkriegsordnung gewesen. Daß die Regelung in § 10 Buchst. b der Durchführungsverordnung zum Bayerischen Gesetz über Leistungen an Körperbeschädigte (BKBLG) vom 1. Mai 1949 in das BVG nicht übernommen worden sei, stehe zu der hier strittigen Auslegungsfrage in keiner Beziehung.

Der Kläger legte am 5. Oktober 1960 ebenfalls Revision ein. Er beantragte,

das Urteil des LSG insoweit aufzuheben, als die Berufung des Klägers hinsichtlich der Anerkennung der Lungentuberkulose als zusätzliche Schädigungsfolge und wegen der Rentengewährung zurückgewiesen ist, und den Rechtsstreit insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Er begründete die Revision am 18. Oktober 1960; er rügte, das LSG habe die §§ 103, 128 SGG verletzt; der Lungenfacharzt Dr. T habe in seinem Gutachten vom 24. November 1954 die Frage nach dem ursächlichen Zusammenhang des Lungenleidens mit wehrdienstlichen Einwirkungen insbesondere deshalb verneint, weil zwischenzeitliche Brückensymptome seit der Entlassung des Klägers aus dem Wehrdienst im Jahre 1945 bis zur Feststellung dieses Leidens im Jahre 1949 fehlten und dieser Zeitraum zu lang sei, um den ursächlichen Zusammenhang noch mit Wahrscheinlichkeit annehmen zu können. Wenn das LSG diesem Gutachten gefolgt sei, habe es nicht berücksichtigt, daß der Kläger nach Erstattung dieses Gutachtens eine Bescheinigung des Arztes Dr. H vom 26. Juli 1955 vorgelegt habe, aus der sich ergebe, daß dieser Arzt den Kläger von Mai 1945 bis September 1949, also schon vor Feststellung der Lungen-Tbc, ununterbrochen unter der provisorischen Diagnose von chronisch-fibrotischer Lungentuberkulose behandelt habe. Wenn der Inhalt dieser Bescheinigung das LSG nicht überzeugt habe, habe es weitere Ermittlungen über die von Dr. H erhobenen Befunde und den Verlauf der Erkrankung in der Zeit von 1945 bis 1949 anstellen und auch einen weiteren medizinischen Sachverständigen darüber hören müssen, ob auf Grund dieser weiteren Ermittlungen die Frage nach dem ursächlichen Zusammenhang zu bejahen sei.

Der Kläger beantragte ferner,

die Revision des Beklagten zurückzuweisen.

Der Beklagte beantragte ferner,

die Revision des Klägers zurückzuweisen.

II.

Die Revisionen des Beklagten und des Klägers sind zulässig (§§ 161 Abs. 1 Nr. 1, 164 SGG); begründet ist jedoch nur die Revision des Klägers, die Revision des Beklagten ist unbegründet.

1. Wie das LSG richtig dargelegt hat, steht dem Kläger als Ausländer nach § 7 Abs. 1 Nr. 3 BVG Versorgung nur für solche Schädigungen zu, die mit einem Dienst im Rahmen der deutschen Wehrmacht oder mit militärähnlichem Dienst für eine deutsche Organisation im ursächlichen Zusammenhang stehen oder in Deutschland oder in einem z. Zt. der Schädigung von der deutschen Wehrmacht besetzten Gebiet durch unmittelbare Kriegseinwirkung eingetreten sind. Weitere Voraussetzung ist nach dem Abs. 2 dieser Vorschrift, eingefügt durch das Erste Neuordnungsgesetz vom 27. Juni 1960, daß der Berechtigte aus der gleichen Ursache keinen Anspruch auf Versorgung gegen einen anderen Staat besitzt, es sei denn, daß zwischenstaatliche Vereinbarungen etwas anderes bestimmen. Das LSG hat entschieden, daß die Nasennebenhöhlenentzündung und der Tubenkatarrh beiderseits im wesentlichen anlagebedingt seien, daß diese Leiden sich während des Dienstes in der ungarischen Armee verschlimmert haben, daß aber ein Verschlimmerungsanteil seit 21. Oktober 1944 - dem Zeitpunkt, mit dem auf Grund des Befehls des ehemaligen Reichsverwesers Horthy die ungarische Armee zu bestehen aufgehört und der Kläger als ungarischer Staatsangehöriger Dienst im Rahmen der deutschen Wehrmacht geleistet hat - nicht festzustellen ist; insoweit hat der Kläger das Urteil des LSG nicht angefochten. Er wendet sich auch nicht dagegen, daß das LSG entschieden hat, daß die "Tränengangverwachsung rechts mit rückfälliger Bindehautentzündung" und die "leichte Innenohrschwerhörigkeit beiderseits", die das LSG als Schädigungsfolgen festgestellt hat, einen Anspruch auf Rente nicht begründen. Streitig ist - auf die Revision des Klägers hin - ob neben diesen Leiden auch die Lungen-Tbc Schädigungsfolge ist und einen Anspruch auf Rente begründet und - auf die Revision des Beklagten hin - ob das LSG zu Recht die Tränengangverwachsung und die Innenohrschwerhörigkeit als Schädigungsfolgen festgestellt hat.

Das LSG hat festgestellt, die Tränengangverwachsung und die Innenohrschwerhörigkeit seien durch Verletzungen verursacht, die der Kläger bei einem Bombenangriff am 13. Oktober 1944 in Siebenbürgen erlitten hat. Diese Feststellung des LSG ist von dem Beklagten nicht angegriffen worden, sie ist daher für das Bundessozialgericht (BSG) bindend (§ 163 SGG). Zutreffend hat das LSG den Bombenangriff, auf den diese Gesundheitsstörungen des Klägers zurückzuführen sind, als unmittelbare Kriegseinwirkung angesehen (vgl. BSG 4, 193 ff). Die Schädigung ist auch "in einem zur Zeit der Schädigung von der deutschen Wehrmacht besetzten Gebiet" eingetreten; Siebenbürgen, das zu Ungarn gehörte, ist am 13. Oktober 1944, als sich dort der Bombenangriff ereignete, ein von der deutschen Wehrmacht besetztes Gebiet i. S. des § 7 Abs. 1 Nr. 3 BVG, letzter Halbsatz, gewesen. Das LSG hat mit Recht die Auffassung vertreten, daß Ungarn schon mit dem Einmarsch deutscher Truppen am 19. März 1944 ("Unternehmen Margarethe") besetztes Gebiet geworden ist. Nach Art. 42 der Haager Landkriegsordnung vom 18. Oktober 1907 (RGBl 1910, 107) gilt ein Gebiet als besetzt, wenn es sich tatsächlich in der Gewalt des feindlichen Heeres befindet. Das Wesensmerkmal dieses Tatbestandes ist die Effektivität der Herrschaft; die Besetzung erstreckt sich nur auf Gebiete, in denen diese Gewalt tatsächlich hergestellt ist und ausgeübt werden kann (vgl. Verdross, Völkerrecht, 4. Aufl. 1959, S. 381; von der Heydte, Völkerrecht, Bd. 2 1960, S. 316). Das LSG hat dazu, gestützt auf das Gutachten von Broszat vom 11. April 1956 über "Das deutsch-ungarische Rechtsverhältnis nach dem 19. März 1944 und die anti-jüdischen Maßnahmen in Ungarn" (abgedruckt in "Gutachten des Instituts für Zeitgeschichte", München 1958 S. 214 ff), festgestellt, daß durch den Einmarsch deutscher Truppen in Ungarn am 19. März 1944 die reale Macht innerhalb des ungarischen Staates in allen wesentlichen Bereichen der Politik praktisch in deutsche Hände übergegangen sei. Auch diese Feststellung ist für das BSG bindend (§ 163 SGG); substantiierte Rügen hat der Beklagte insoweit nicht erhoben; er ist der Auffassung des LSG vor allem damit entgegen getreten, daß Ungarn gegenüber dem damaligen Deutschen Reich keine Feindmacht gewesen sei und deshalb nicht von einer Besetzung gesprochen werden könne. Dies trifft jedoch für die hier maßgebende Zeit nicht zu. Zwar ist es richtig, daß Ungarn bis 19. März 1944, als dort deutsche Truppen einmarschierten, keine "Feindmacht", sondern mit dem Deutschen Reich verbündet gewesen ist; Ungarn ist am 20. November 1940 dem sogenannten "Dreimächtepakt" zwischen Deutschland, Italien und Japan vom 27. Dezember 1940 beigetreten (vgl. RGBl II 1941, 31), es hat sich seit dem 27. Juni 1941 im Kriegszustand mit der Sowjetunion befunden (Ploetz, Auszug aus der Geschichte, 25. Aufl. 2. Bd. S. 1093), auch England (am 7. Dezember 1941) und Amerika (am 5. Juni 1942) haben Ungarn den Krieg erklärt; seit Juli 1941 haben ungarische Verbände zusammen mit deutschen Truppen an der Ostfront gekämpft (vgl. v. Horthy, Ein Leben für Ungarn, S. 238, 240). "Mit dem Einmarsch deutscher Truppen nach Ungarn am 19. März 1944 und der im Zusammenhang damit in Ungarn unter dem Druck des Reiches durchgeführten innenpolitischen Umwälzung (Einsetzung eines "Bevollmächtigten des Großdeutschen Reiches ...") trat im bisherigen deutschungarischen Verhältnis eine entscheidende Wende ein. Das besondere Kennzeichen dieser Machtübernahme war ..., daß sie nicht direkt, etwa in der Form der Errichtung einer deutschen Militärregierung, erfolgte, sondern stattdessen eine mittelbare, politische, jedoch unter der drohenden Anwesenheit deutscher Truppen und deutscher Polizei- und Sicherheitsorgane erst mögliche Beherrschung Ungarns vorgezogen wurde." (Broszat aaO; für die damalige Lage in Ungarn einerseits und die Absichten der deutschen Regierung andererseits vgl. auch "Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem internationalen Militärgerichtshof", Bd. XXXV S. 358 ff, Dokument 679 D, Entwurf einer Denkschrift aus dem Reichssicherheitshauptamt vom März 1944 über die Möglichkeit einer Eingliederung Ungarns ins Reich). Wenn es sich demnach bei dem "Unternehmen Margarethe" auch nicht um eine occupation bellica gehandelt hat, so ist doch der Einmarsch deutscher Truppen in Ungarn im März 1944 einer kriegerischen Besetzung gleichgekommen. Ebenso wie durch die kriegerische Besetzung eines gegnerischen Staatsgebietes dem Gegner der auf ein bestimmtes Ziel ausgerichtete eigene Willen gewaltsam aufgezwungen werden soll (vgl. v. d. Heydte aaO), hat auch der Einmarsch deutscher Truppen in Ungarn dazu gedient, in diesem Sinne auf Ungarn einen Zwang auszuüben. Das "Unternehmen Margarethe" hat den Zweck gehabt, das Ausscheiden Ungarns aus dem Krieg zu verhindern (vgl. Ploetz aaO, S. 1118; Hagen, Die geheime Front, 1950 S. 344). Durch die Rückschläge, die die deutsche Kriegsführung in den Jahren 1942/43 erlitten hatte, wobei auch die Erste Ungarische Armee am Don vernichtet worden war, war Ungarn "kriegsmüde" geworden. Seit Anfang 1943 versuchte Ungarn mit den Westmächten Gespräche für einen Sonderfrieden anzuknüpfen. Als die geheim geführten Verhandlungen Anfang 1944 konkrete Formen anzunehmen drohten, entschloß sich Hitler, der durch den deutschen Geheimdienst informiert war, gegen Ungarn vorzugehen, um eine "Umorientierung" Ungarns zu verhindern (vgl. Hagen aaO, S. 342 ff; von Horthy aaO, S. 264). Aus diesem Grunde marschierten elf deutsche Divisionen am 19. März 1944 in Ungarn ein und besetzten alle strategisch wichtigen Punkte des Landes. Entgegen der amtlichen deutschen Verlautbarung, in der es hieß, "auf Grund gegenseitiger Verständigung" seien deutsche Truppen in Ungarn "eingetroffen" (Hohlfeld, Dokumente der Deutschen Politik und Geschichte, V. Bd. S. 476), sind die deutschen Truppen nicht mit Einwilligung der ungarischen Regierung einmarschiert; gegen diese Darstellung, durch die die Besetzung weniger unfreundlich erscheinen sollte, hat der ungarische Reichsverweser von Horthy ebenso vergeblich protestiert, wie er bei seinem Besuch bei Hitler am 18. März 1944, als er von der bevorstehenden Aktion erfahren hat, vergeblich versucht hat, sich dieser militärischen Maßnahme zu widersetzen; ihm ist die Rückkehr nach Budapest erst im Laufe des 19. März 1944 ermöglicht worden, als die Besetzung praktisch abgeschlossen gewesen ist. "Nur unter äußerem Zwang" (vgl. von Horthy aaO, S. 268) hat sich von Horthy nach seiner Rückkehr nach Budapest bereitgefunden, den Rücktritt der Regierung Kallay anzunehmen, die durch eine Regierung unter General Sztojay, dem bisherigen ungarischen Gesandten in Berlin, ersetzt worden ist; Sztojay besaß das Vertrauen Hitlers, war den deutschen Forderungen gegenüber gefügig und setzte den Krieg an der Seite des Deutschen Reiches fort.

Unter diesen Umständen hat das LSG zutreffend Ungarn bereits ab 19. März 1944 als ein von der deutschen Wehrmacht "besetztes Gebiet" i. S. des § 7 Abs. 1 Nr. 3 BVG angesehen. Diese Auslegung des § 7 Abs. 1 Nr. 3 BVG wird auch dem Sinn und Zweck dieser Vorschrift gerecht. Der Gesetzgeber hat in zwei Fallgruppen die Anwendung des BVG auf Ausländer für "ein dringendes Erfordernis" (so die amtliche Begründung, vgl. BT-Drucks. Nr. 1333, 1. WP 1949, S. 50) gehalten. Die Anwendung auf Ausländer in dem Fall, daß sie militärischen Dienst im Raume der deutschen Wehrmacht oder militärähnlichen Dienst für eine deutsche Organisation geleistet haben (§ 7 Abs. 1 Nr. 3, 1 . Halbs.), erklärt sich aus der moralischen Verpflichtung der Bundesrepublik, diejenigen ausländischen Staatsangehörigen, die während des Krieges ebenso wie deutsche Staatsbürger unter dem Befehl und der Verantwortung deutscher Dienststellen für die Interessen des Deutschen Reiches eingesetzt gewesen sind und Opfer gebracht haben, auch ebenso zu versorgen. Die durch das Erfordernis der "unmittelbaren Kriegseinwirkung" eingeschränkte Anwendung des BVG auf Ausländer in dem Fall, daß sie in einem von der deutschen Wehrmacht besetzten Gebiet eine gesundheitliche Schädigung erlitten haben (§ 7 Abs. 1 Nr. 3, 2 . Halbs.), wird von dem Gedanken getragen, daß in diesem Fall die Schädigung letzten Endes auf die Besetzung dieses Gebietes durch deutsche Truppen zurückzuführen ist, die es den jeweiligen Regierungen unmöglich gemacht hat, ihre Länder aus dem Kriegsgeschehen herauszuhalten, und daß deshalb auch die Bundesrepublik als Nachfolger des dafür verantwortlichen Deutschen Reiches jedenfalls subsidiär für den Schaden aufzukommen hat; erst durch das deutsche Vorgehen und die dadurch ausgelösten Gegenmaßnahmen der Alliierten sind diese Gebiete "Kriegsschauplatz" geworden und die Bewohner dieser Gebiete unmittelbaren Kriegseinwirkungen ausgesetzt gewesen. Das aber gilt auch für das Gebiet des Staates Ungarn für die Zeit ab 19. März 1944. Da sich Ungarn bereits vor dem Einmarsch deutscher Truppen mit den Alliierten im Kriegszustand befunden hat, kann zwar nicht gesagt werden, daß Ungarn durch deutsche Zwangsmaßnahmen in den Krieg hineingezogen worden ist, den Eintritt Ungarns in den Krieg hat allein die ungarische Regierung zu verantworten; durch die Besetzung der strategisch wichtigen Punkte mit deutschen Truppen am 19. März 1944 ist Ungarn aber gehindert worden, seine Absicht, aus dem Krieg auszuscheiden , zu verwirklichen. Daß die Einwohner Ungarns vom 19. März 1944 an unmittelbaren Kriegseinwirkungen ausgesetzt gewesen sind, ist somit nicht allein der ungarischen Regierung zuzurechnen, sondern ebenso der deutschen Regierung, von der die Besetzung Ungarns und der damalige politische Druck auf das Land veranlaßt worden ist; deshalb ist auch in diesem Fall der versorgungsrechtliche Schutz des BVG gerechtfertigt (vgl. auch Wilke, Komm. z. BVG, Anm. IV, 4 zu § 7, ferner Schieckel in der Anm. zu dem Urteil des LSG in SGb 1961, S. 194; a. A. Erlaß des BMA vom 21. Oktober 1958, abgedruckt bei Schönleiter, Handbuch des Versorgungsrechts, § 7 BVG Bl. 8 Nr. 9). Daß der Kläger am 13. Oktober 1944 noch Angehöriger der ungarischen Armee gewesen ist, steht dem nicht entgegen, denn die einschränkende Vorschrift des § 10 b der DVO zum BKBLG vom 1. Mai 1949, nach der Leistungen nicht gewährt werden, wenn die Gesundheitsschädigung mit militärischem oder militärähnlichem Dienst für einen anderen Staat im ursächlichen Zusammenhang stand, ist in das BVG nicht übernommen worden. Da der Kläger nach der unangegriffenen und daher bindenden Feststellung des LSG wegen der gleichen Ursache keinen Anspruch auf Versorgung gegen sein Heimatland hat, hat das LSG mit Recht den Anspruch des Klägers auf Feststellung von "Tränengangverwachsung rechts mit rückfälliger Bindehautentzündung" und der "leichten Innenohrschwerhörigkeit beiderseits" als Schädigungsfolge i. S. des BVG für begründet erachtet; die Revision des Beklagten gegen das Urteil des LSG ist somit unbegründet; die Revision ist daher zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG).

2. Die Revision des Klägers dagegen ist begründet. Streitig ist insoweit, ob die Lungen-Tbc des Klägers als Schädigungsfolge i. S. des BVG anzusehen ist und ob dem Kläger unter Einbeziehung dieser Schädigungsfolge Anspruch auf Versorgungsrente zusteht. Das LSG hat festgestellt, die Lungen-Tbc sei keine Schädigungsfolge. Wie der Kläger mit Recht gerügt hat, ist diese Feststellung jedoch nicht in verfahrensrechtlich einwandfreier Weise zustande gekommen. Nach der Auffassung des LSG ist es hierbei erheblich, ob bei dem Kläger bereits während seiner Dienstleistung im Rahmen der deutschen Wehrmacht vom 21. Oktober 1944 bis Kriegsende (Mai 1945) Anzeichen einer Lungen-Tbc aufgetreten oder ob für die Zeit nach Beendigung dieser Dienstleistung bis zur Feststellung dieses Leidens im Jahre 1949 "Brückensymptome" vorhanden sind. Das LSG hat dies auf Grund des Gutachtens des Lungenfacharztes Dr. Th. vom 24. November 1954 verneint; Dr. Th. hat ausgeführt, daß eine als tuberkulöse Infektion zu deutende Erkrankung während des Wehrdienstes nicht durchgemacht worden sei und Brückensymptome für die fast vierjährige Zeit nach Beendigung des Wehrdienstes bis zur Feststellung der Tbc im Jahre 1949 nicht vorhanden und auch vom Kläger nicht angegeben worden seien. Allein auf Grund dieses Gutachtens hat aber das LSG die streitige Zusammenhangsfrage nicht beantworten dürfen. Der Kläger hat nach Erstattung dieses Gutachtens die Bestätigung des Dr. H vom 26. Juli 1955 vorgelegt, nach der Dr. H den Kläger von Mai 1945 bis September 1949 wegen chronischem Bronchialkatarrh behandelt hat, der "von der ersten Zeit auf Tbc verdächtig gewesen ist". Der Auffassung von Dr. T ist damit die wesentliche Grundlage entzogen, denn die Bescheinigung von Dr. H, die Dr. T in seinem Gutachten noch nicht hat verwerten können, weist auf solche Brückensymptome hin. Entgegen der Ansicht des Beklagten hat sich das LSG mit dem Inhalt dieser Bescheinigung des Dr. H befassen müssen; diese Bescheinigung ist nicht, wie der Beklagte meint "unwesentlich", weil der Kläger in seiner Erklärung vom 5. August 1952 über ärztliche Behandlungen nach Beendigung des Wehrdienstes die Behandlung durch Dr. H nicht erwähnt hat, dies zwingt nicht zu dem Schluß, daß die Behandlung des Dr. H unzutreffend ist; die Angaben des Klägers in der Erklärung vom 5. August 1952 sind offensichtlich unvollständig, auch die stationäre Behandlung des Klägers in den Städtischen Krankenanstalten Landshut vom 9. Januar bis 19. Januar 1949 ist dort nicht aufgeführt. Im übrigen ergibt sich aus dem Krankenblatt über diesen Krankenhausaufenthalt, daß Dr. H den Kläger tatsächlich vor 1949 wegen Bronchitis behandelt hat, es heißt dort, daß der Kläger im Oktober/November (gemeint ist das Jahr 1948) Bronchitis gehabt habe, am 6. Januar (1949) nach einer geringen Bronchitis Bluthusten aufgetreten und die Einweisung am 9. Januar 1949 erfolgt sei, weil das Blutspucken nicht nachgelassen habe; als einweisender Arzt ist Dr. H aufgeführt. Das LSG hat deshalb den Inhalt der Bescheinigung des Dr. H vom 26. Juli 1955 würdigen, es hat, wenn es diese Bescheinigung nicht für ausreichend gehalten hat, die von Dr. H im einzelnen erhobenen Befunde ermitteln und ein weiteres ärztliches Gutachten darüber einholen müssen, ob diese Befunde als Krankheitszeichen der Lungen-Tbc zu werten sind und damit als Brückensymptome in Betracht kommen, die es wahrscheinlich machen, daß zwischen der Dienstleistung des Klägers im Rahmen der deutschen Wehrmacht und der Lungen-Tbc ein ursächlicher Zusammenhang besteht. Da das LSG auf die Bescheinigung des Dr. H nicht eingegangen ist und auch keine weiteren Ermittlungen angestellt hat, hat es insoweit seine Pflicht verletzt, den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen (§ 103 SGG); es hat insoweit auch die Pflicht, sich seine Überzeugung aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens zu bilden (§ 128 SGG), nicht voll erfüllt. Der Kläger hat den Verstoß gegen diese Verfahrensvorschriften in der nach § 164 Abs. 2 SGG gebotenen Form gerügt. Die Feststellung des LSG, die Lungen-Tbc sei keine Schädigungsfolge i. S. des BVG, ist somit für das BSG nicht bindend. Das Urteil des LSG ist daher, soweit die Anerkennung von Lungen-Tbc als Schädigungsfolge und die Gewährung einer Versorgungsrente abgelehnt worden ist, aufzuheben. Der Senat kann nicht selbst entscheiden, da noch weitere Erhebungen erforderlich sind; die Sache ist daher insoweit zu neuer Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG).

Die Entscheidung über die Kosten bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2375145

BSGE, 197

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