Leitsatz (redaktionell)

Zeiten von Arbeitslosigkeit können als Ausfallzeit nur im unmittelbaren Anschluß an ein vorangegangenes nachgewiesenes Beschäftigungsverhältnis anerkannt werden.

 

Normenkette

RVO § 1259 Abs. 1 Nr. 3 Fassung: 1965-06-09

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 30. November 1967 aufgehoben. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 31. Mai 1966 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind dem Kläger auch für das Berufungs- und Revisionsverfahren nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Beteiligten streiten darüber, ob auf die Erwerbsunfähigkeitsrente des Klägers mehrere Zeiten der Arbeitslosigkeit nach dem zweiten Weltkrieg als Ausfallzeiten im Sinne des § 1259 Abs. 1 Ziff. 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) anzurechnen sind.

Der 1907 geborene Kläger war in der Zeit vor dem zweiten Weltkrieg versicherungspflichtig beschäftigt; anschließend war er Soldat und wurde am 7. Juni 1945 aus der Kriegsgefangenschaft entlassen. In der folgenden Zeit war er ausweislich der von ihm vorgelegten Meldekarten vom 19. Januar 1949 bis zum 8. Mai 1952, vom 4. Februar bis zum 8. Juli 1954 und vom 3. März 1955 bis zum 12. Juli 1957 bei dem für ihn zuständigen Arbeitsamt in B als arbeitslos gemeldet; er erhielt in diesen Zeitabschnitten Unterstützung aus der öffentlichen Fürsorge. Seit dem 21. Juli 1957 war er als Tankwart erneut versicherungspflichtig beschäftigt.

Auf den Antrag des Klägers vom 18. Februar 1965 gewährte ihm die Beklagte mit Bescheid vom 30. September 1965 vom Antragsmonat an Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Bei der Rentenberechnung ließ sie die nachgewiesenen Zeiten der Arbeitslosigkeit der Jahre 1949 bis 1957 unberücksichtigt. Dagegen richtet sich die Klage, mit welcher der Kläger zunächst die Neuberechnung seiner Rente unter Anrechnung der Zeit vom 28. Juli 1945 bis zum 20. Juli 1957 als Ersatzzeit, hilfsweise als Ausfallzeit, begehrte. Das Sozialgericht (SG) Berlin hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 31. Mai 1966); das Landessozialgericht (LSG) Berlin hat das Urteil des SG aufgehoben und die Beklagte unter Abänderung des angefochtenen Bescheides verurteilt, die Rente des Klägers unter Berücksichtigung der Zeiten der Arbeitslosigkeit vom 19. Januar 1949 bis zum 8. Mai 1952, vom 4. Februar bis zum 8. Juli 1954 und vom 3. März 1955 bis zum 12. Juli 1957 als Ausfallzeiten neu zu berechnen; im übrigen hat es die Klage abgewiesen (Urteil vom 30. November 1967). Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, es habe sich nicht davon überzeugen können, daß der Kläger nach seiner Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft in der Zeit vom 28. Juli 1945 bis zum 18. Januar 1949 arbeitslos gewesen und entsprechend bei einer amtlichen Stelle geführt worden sei. Über diesen Zeitraum seien amtliche Unterlagen nicht mehr vorhanden; die vom Kläger beigebrachten Erklärungen mehrerer Auskunftspersonen enthielten ebenfalls keine konkreten Anhaltspunkte, in welchen Verhältnissen er in den ersten dreieinhalb Jahren nach der Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft gelebt habe. Bei diesem Beweisergebnis seien die Voraussetzungen für die Anrechnung einer Ersatzzeit nach § 1251 Abs. 1 Ziff. 1 RVO nicht erfüllt, weil der Kläger nicht im Anschluß an seine Kriegsgefangenschaft unverschuldet arbeitslos gewesen sei. Dagegen sei der Hilfsantrag auf Anrechnung der Arbeitslosigkeit als Ausfallzeit (§ 1259 Abs. 1 Ziff. 3 RVO) insoweit begründet, als es sich um die urkundlich belegten Zeiten nach dem 19. Januar 1949 handele. Problematisch sei insoweit nur, ob die 1949 eingetretene Arbeitslosigkeit das letzte versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis unterbrochen habe. Da jedoch der Kläger bis zum zweiten Weltkrieg versicherungspflichtig beschäftigt gewesen sei, anschließend Kriegsdienst geleistet habe und in der Zeit danach bis 1949 zwar nicht nachgewiesenermaßen, aber doch möglicherweise arbeitslos gewesen sei, forderten Sinn und Zweck des Gesetzes, ihm die Zeiten der Arbeitslosigkeit anzurechnen, in denen er beim Arbeitsamt gemeldet gewesen sei. Das gelte für alle seit 1949 urkundlich belegten Zeiten der Arbeitslosigkeit, obwohl auch sie nicht lückenlos aneinander anschlössen und die Ursache der Unterbrechung nicht feststellbar sei. Da der Kläger die Zeit zwischen seinem Eintritt in die gesetzliche Rentenversicherung und dem Versicherungsfall über die Hälfte mit Pflichtbeiträgen belegt habe, seien auch die Voraussetzungen des § 1259 Abs. 3 RVO erfüllt, so daß der Hilfsantrag - jedenfalls zum Teil - Erfolg habe.

Die Beklagte hat gegen dieses Urteil die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt eine fehlerhafte Rechtsanwendung des § 1259 Abs. 1 Ziff. 3 RVO durch das Berufungsgericht und meint, das LSG habe insbesondere das Tatbestandsmerkmal der Unterbrechung eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses durch Arbeitslosigkeit entgegen der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ausgelegt.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des LSG Berlin vom 30. November 1967 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 31. Mai 1966 zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Berufungsurteil für zutreffend.

II

Die Revision ist zulässig (§§ 162 Abs. 1 Ziff. 1, 164 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -); sie ist auch begründet.

Da nur die Beklagte gegen das Urteil des LSG Revision eingelegt hat, ist die angefochtene Entscheidung insoweit rechtskräftig geworden, als sie zu Lasten des Klägers ergangen ist, d. h. soweit die Klage abgewiesen worden ist. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist somit nur noch die Frage, ob die Beklagte zu Recht dazu verurteilt worden ist, die vom Kläger nachgewiesene Zeit der Arbeitslosigkeit in den Jahren 1949 bis 1957 als Ausfallzeit bei der Berechnung der Erwerbsunfähigkeitsrente zu berücksichtigen. Das ist jedoch nicht der Fall.

Gemäß § 1259 Abs. 1 Ziff. 3 RVO gehören zu den nach § 1258 RVO zu berücksichtigenden Ausfallzeiten solche Zeiten, in denen eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit durch eine mindestens einen Kalendermonat andauernde Arbeitslosigkeit unterbrochen worden ist, wenn der bei einem deutschen Arbeitsamt als Arbeitsuchender gemeldete Arbeitslose bestimmte Leistungen - wozu u. a. die Unterstützung aus der öffentlichen Fürsorge gehört - bezogen hat. Der Kläger hat die im letzten Halbsatz genannten Voraussetzungen dieser Vorschrift für die im Revisionsverfahren noch streitige Zeit nach den für den Senat bindenden Feststellungen des LSG erfüllt. Da auch die Anrechnungsvoraussetzungen des § 1259 Abs. 3 RVO vorliegen, hängt die vom Kläger begehrte Berücksichtigung seiner nachgewiesenen Arbeitslosigkeit als Ausfallzeit entscheidend davon ab, ob die im Januar 1949 beginnende Zeit das letzte vor dem zweiten Weltkrieg endende versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis "unterbrochen" hat. Das LSG hat diese Frage mit der Erwägung bejaht, ein Versicherter dürfe grundsätzlich in Zeiten, in denen er aus den in § 1259 Abs. 1 RVO genannten Gründen an einer Beitragsleistung zur Rentenversicherung gehindert sei, keine Nachteile erleiden; das Tatbestandsmerkmal "unterbrochen" müsse daher weit ausgelegt werden. Diese Auslegung steht indessen nicht im Einklang mit Wortlaut sowie Sinn und Zweck des Gesetzes.

Der Senat hat zum Begriff der "Unterbrechung" i. S. des § 1259 Abs. 1 Ziff. 3 RVO bereits ausführlich in seinem Urteil vom 30. Januar 1969 - 5 RKn 133/65 (BSG 29, 120, 122) - Stellung genommen. Er hat dazu ausgeführt, daß nicht jede mit Arbeitslosmeldung und Leistungsbezug verbundene Arbeitslosigkeit als Ausfallzeit zu berücksichtigen sei, wenn ihr irgendwann früher einmal eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung vorausgegangen ist. Wenn in § 1259 RVO Beitragsausfälle, die auf dem privaten Schicksal des einzelnen Versicherten beruhten, in der Rentenversicherung honoriert werden sollten, so müsse die Annahme hinreichend sicher begründet sein, daß ohne den Ausfalltatbestand in dem betreffenden Zeitraum auch wirklich Beiträge geleistet worden wären; das aber setze einen engen Zusammenhang zwischen Ausfallzeit und versicherungspflichtiger Beschäftigung voraus. Eine versicherungspflichtige Beschäftigung sei daher durch Arbeitslosigkeit grundsätzlich nur dann "unterbrochen", wenn sich diese ihr unmittelbar anschließe (ebenso BSG 16, 120, 121; 21, 21; 31, 11, 12). An dieser Auffassung, die auch das Schrifttum vertritt, hält der Senat fest (vgl. Brackmann, Handb. der SozVers, 1. - 7. Aufl., Bd. III S. 700 d III und IV; Elsholz/Theile, Die gesetzl. Rentenvers., § 1259 Anm. 2 b, aa; Hanow/Lehmann/Bogs, Rentenvers. der Arbeiter, 5. Aufl., § 1259 Anm. 42; Hoernigk/Jorks, Rentenversicherung, § 1259 Anm. 6; Koch/Hartmann/v. Altrock/Fürst, AVG, 2. und 3. Aufl., § 36 Anm. B IV 3; Mitteilungen der LVA Rheinprovinz 1970, 314, 315; Rybakowski in Mitt. der LVA Berlin 1969, 241, 242, 245; Verb. Komm. zur RVO, 6. Aufl., Bd. I § 1259 Anm. 9). Ausnahmen von dem Grundsatz des unmittelbaren Anschlusses eines Ausfallzeittatbestandes an eine versicherungspflichtige Beschäftigung sind nur in besonders gelagerten Fällen zugelassen worden. So wird ein direkter Anschluß dann nicht verlangt, wenn mehrere Ausfallzeiten unmittelbar aufeinanderfolgen (vgl. dazu BSG 29, 122, 123 sowie Urt. des erkennenden Senats vom 25.2.1971 - 5/12 RJ 8/68). Eine zeitliche Lücke zwischen einer versicherungspflichtigen Beschäftigung und einer Ausfallzeit ist auch dann als unschädlich angesehen worden, wenn mit dem Ende der Beschäftigung Arbeitslosigkeit eingetreten ist, die Meldung beim Arbeitsamt und der Leistungsbezug aber erst später erfolgt sind. In diesen Fällen, in denen ein unmittelbarer zeitlicher Zusammenhang zwischen Beschäftigung und Arbeitslosigkeit besteht, schadet es nichts, daß sich der Arbeitslose erst später beim Arbeitsamt gemeldet hat; die vor der Arbeitslosmeldung liegende Zeit kann dann zwar nicht als Ausfallzeit angerechnet werden, sie überbrückt aber dennoch die insoweit bestehende Lücke (vgl. dazu BSG 21, 23; 29, 123). Diesen Ausnahmefällen, in denen eine völlige "Nahtlosigkeit" zwischen dem Ende der versicherungspflichtigen Beschäftigung und dem Beginn der anrechenbaren Ausfallzeit aus besonderen Gründen nicht besteht, ist indessen gemeinsam, daß die bestehende zeitliche Lücke zwischen dem Ende der Beschäftigungs- und dem Beginn der streitigen Ausfallzeit durch eine andere Ausfallzeit oder zumindest durch einen Ausfalltatbestand, der lediglich aus besonderen Gründen nicht zur Anrechnung einer Ausfallzeit führen kann, überbrückt wird.

Angesichts dieser Rechtslage konnte dem Kläger keine der seit 1949 nachgewiesenen Zeiten der Arbeitslosigkeit als Ausfallzeit rentensteigernd angerechnet werden. Es fehlt an dem dafür maßgeblichen Tatbestandsmerkmal der Unterbrechung eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses. Es konnte nicht festgestellt werden, daß der Kläger unmittelbar vor Beginn der im Januar 1949 einsetzenden ersten streitigen Zeit der Arbeitslosigkeit versicherungspflichtig beschäftigt gewesen ist. Sein letztes festgestelltes Beschäftigungsverhältnis vor dieser Zeit endete vielmehr vor Ausbruch des zweiten Weltkrieges und lag damit etwa 10 Jahre zurück. Ein Überbrückungstatbestand für diese zeitliche Lücke ist nicht ersichtlich. Nach den Feststellungen des LSG ist es ungeklärt geblieben, was der Kläger nach seiner Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft in den Jahren 1945 bis 1949 getan hat; es war insbesondere nicht nachweisbar, daß er in dieser Zeit - wie er behauptet hat - bereits arbeitslos und beim Arbeitsamt gemeldet gewesen ist. Die Unaufklärbarkeit von Tatsachen, aus denen jemand für sich Rechte herleiten will, geht aber zu seinen Lasten (Grundsatz der objektiven Beweislast, vgl. BSG 6, 70, 72 f, ständ. Rechtspr.). Wenn somit das LSG die Zeit nach der Entlassung des Klägers aus der Kriegsgefangenschaft wegen eines fehlenden Nachweises der Arbeitslosigkeit bis 1949 bereits nicht als Ersatzzeit anrechnen konnte, so scheitert aus den gleichen Gründen die Berücksichtigung der nachgewiesenen Arbeitslosigkeit als Ausfallzeit. Das gilt aber nicht nur für diese erste nachweisbare Zeit der Arbeitslosigkeit vom 19. Januar 1949 bis zum 8. Mai 1952, sondern auch für die weiteren Zeiten der Arbeitslosigkeit, die das LSG als anrechenbare Ausfallzeiten angesehen hat. Es ist nicht feststellbar, daß der Kläger vor diesen weiteren Zeiten in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden hat. Selbst wenn die entsprechenden Zwischenzeiten als überbrückt in dem obigen Sinne anerkannt werden könnten, würde einer Anrechnung der weiteren Zeiten der Arbeitslosigkeit als Ausfallzeiten auch hier letztlich entgegenstehen, daß unmittelbar vor dem Beginn der ersten Zeit der Arbeitslosigkeit kein Beschäftigungsverhältnis nachweisbar ist.

Da die Voraussetzungen des § 1259 Abs. 1 Ziff. 3 RVO für die noch streitige Zeit nicht erfüllt sind, konnte das der Klage insoweit stattgebende Urteil des LSG nicht bestehen bleiben. Auf die Revision der Beklagten war daher - wie geschehen - zu entscheiden (§ 170 Abs. 2 Satz 1 SGG).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1670264

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