Leitsatz (amtlich)

Auch nach Einfügung des BVG N 51 Abs 8 Fassung: 1960-06-27 hat sich in den Fällen, in denen das einzige leibliche Kind an den Folgen einer Schädigung iS des BVG gestorben ist, nichts daran geändert, daß die Elternrente nach BVG § 51 Abs 4 zu erhöhen ist, wenn noch ein Adoptiv-, Stief- oder Pflegekind iS des BVG § 49 Abs 2 vorhanden ist und die Eltern keine leiblichen Kinder mehr bekommen haben. Hierbei kommt es nicht darauf an, ob das Adoptiv-, Stief- oder Pflegekind vor oder nach dem Tod des einzigen leiblichen Kindes angenommen worden ist (Fortsetzung BSG 1959-04-22 11 RV 1212/58 = BSGE 9, 295-300).

 

Normenkette

BVG § 51 Abs. 4 Fassung: 1950-12-20, Abs. 8 Fassung: 1960-06-27, § 49 Abs. 2 Fassung: 1950-12-20

 

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Schleswig vom 18. August 1959 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Die Klägerin stellte im Juni 1951 Antrag auf Gewährung von Elternrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG), weil ihr einziger leiblicher Sohn A am 20. September 1941 als Soldat gefallen sei. Seit 1937 hatte die Klägerin einen Pflegesohn R, geb. 15. Februar 1936, in ihren Haushalt aufgenommen; für das Kind erhielt sie zunächst 30 RM, später 40 RM bzw. DM monatlich vom Jugendamt N als Unterhaltsleistung. Das Versorgungsamt (VersorgA) Kiel erkannte durch die Bescheide vom 22. Mai 1954, 10. Mai 1955, 29. Oktober 1955 und 21. Dezember 1956 den Tod des leiblichen Sohnes A als Schädigungsfolge an und gewährte der Klägerin eine Elternrente. In dem Bescheid vom 21. Dezember 1956 behielt sich das VersorgA die Entscheidung darüber vor, ob die Elternrente nach § 51 Abs. 4 BVG zu erhöhen ist, weil das einzige Kind gefallen sei. Mit Bescheid vom 15. Januar 1958 lehnte das VersorgA eine Erhöhung der Elternrente nach § 51 Abs. 4 BVG jedoch mit der Begründung ab, daß die Klägerin neben ihrem gefallenen leiblichen Sohn A noch ein Pflegekind R habe, das sie unentgeltlich i. S. des § 49 Abs. 2 Nr. 2 BVG unterhalten habe. Dieses Pflegekind sei daher bei der Prüfung der Frage, ob das einzige Kind an den Folgen einer Schädigung gestorben ist, zu berücksichtigen mit der Folge, daß der gefallene leibliche Sohn nicht das einzige Kind i. S. des § 51 Abs. 4 BVG gewesen sei. Der Widerspruch der Klägerin hatte keinen Erfolg (Bescheid des LVersorgA Schleswig-Holstein vom 4.7.1958).

Mit der Klage hat die Klägerin geltend gemacht, daß ihr Pflegesohn R entgegen den Feststellungen der Versorgungsbehörde nicht als Pflegekind i. S. des § 49 Abs. 2 Nr. 2 BVG anzusehen sei, weil sie das Kind im Hinblick auf die monatlichen Zahlungen durch das Jugendamt N nicht unentgeltlich gepflegt habe. Außerdem habe sie neben dem monatlichen Pflegegeld von der Kindesmutter noch Zuwendungen erhalten. Das Pflegekind sei daher bei der Prüfung, ob ihr eine Erhöhung der Elternrente nach § 51 Abs. 4 BVG zustehe, nicht zu berücksichtigen. Das Sozialgericht (SG) hat durch Urteil vom 9. Oktober 1958 die Bescheide vom 15. Januar und 4. Juli 1958 aufgehoben und den Beklagten verurteilt, der Klägerin seit dem 1. April 1956 einen neuen Bescheid mit der Maßgabe zu erteilen, daß die Einkommensgrenze um 35 DM monatlich erhöht wird. Das SG hat die Auffassung vertreten, daß bei der Klägerin die Einkommensgrenze nach § 51 Abs. 4 BVG zu erhöhen gewesen sei, weil ihr einziger Sohn Alfred im Jahre 1941 gefallen sei. Ein Pflegekind könne im Rahmen dieser Vorschrift nur berücksichtigt werden, wenn es von den Pflegeeltern unentgeltlich unterhalten worden sei; denn nur dann hätten die Pflegeeltern nach § 49 Abs. 2 Nr. 2 BVG einen Anspruch auf Elternrente. Ein solcher Anspruch nach ihrem Pflegesohn R stünde der Klägerin jedoch nicht zu, weil für ihn von den Fürsorgebehörden monatlich 30 und später 40 RM bzw. DM für den Unterhalt gezahlt wurden und sie damit den Pflegesohn im Hinblick auf die Unterhaltssätze für uneheliche Kinder nicht unentgeltlich unterhalten habe.

Gegen dieses Urteil hat der Beklagte Berufung und die Klägerin Anschlußberufung eingelegt. Das Landessozialgericht (LSG) Schleswig hat durch Urteil vom 18. August 1959 die Berufung des Beklagten zurückgewiesen und auf die Berufung der Klägerin das Urteil des SG Schleswig vom 9. Oktober 1958 wie folgt neu gefaßt: Der Beklagte wird unter Aufhebung der Bescheide vom 15. Januar und 4. Juli 1958 verurteilt, der Klägerin einen neuen Bescheid dahin zu erteilen, daß die Elternrente mit Wirkung vom 1. April 1956 nach § 51 Abs. 4 BVG zu berechnen ist. Das LSG hat die Revision zugelassen. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, daß es im vorliegenden Falle darauf ankomme, ob außer den leiblichen auch andere Kinder bei Prüfung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 4 BVG zu berücksichtigen seien. Hierzu habe der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung (BMA) durch Erlaß vom 4. März 1958 - Va 2 - 1000/58 - dahin Stellung genommen, daß die Erhöhung der Elternrente und der Einkommensgrenze nach § 51 Abs. 4 BVG für solche Kinder in Betracht komme, auf die nach § 49 BVG ein Anspruch auf Elternrente gestützt werden könne. Da einerseits der Tod von Adoptiv-, Stief- und Pflegekindern zur Bewilligung oder Erhöhung einer Elternrente führen könne, sei es anderseits gerechtfertigt, eine Erhöhung nach § 51 Abs. 4 BVG zu versagen, wenn solche Kinder vorhanden seien. Dieser Auffassung des BMA könne jedoch nicht beigepflichtet werden, da es für die Frage, ob das gefallene Kind das einzige i. S. des § 51 Abs. 4 BVG war, nicht entscheidend sei, ob ein Pflegekind entgeltlich oder unentgeltlich unterhalten werde. § 49 BVG stelle zwar Pflegeeltern bei unentgeltlicher Pflege den leiblichen Eltern gleich, schaffe also eine besondere Anspruchsvoraussetzung zugunsten der Pflegeeltern. Daraus lasse sich aber nicht der Umkehrschluß ableiten, daß ein unentgeltlich unterhaltenes Pflegekind im Gegensatz zu einem entgeltlich unterhaltenen Pflegekind eine Rentenerhöhung nach § 51 Abs. 4 BVG ausschließe. Andernfalls würde eine Mutter, deren einziger leiblicher Sohn gefallen sei und die außer diesem Sohn noch ein weiteres Kind unentgeltlich in Pflege genommen habe, deswegen benachteiligt werden, weil die Erhöhung der Elternrente nach § 51 Abs. 4 BVG abgelehnt werde, während eine andere Mutter, die neben ihrem einzigen, leiblichen, gefallenen Sohn ein fremdes Kind gegen volle Pensionszahlung bei sich aufgenommen habe, in den Genuß des § 51 Abs. 4 BVG käme. Es sei vielmehr der Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 22. April 1959 (BSG 9, 295) zuzustimmen, daß § 51 Abs. 4 BVG einen Ausgleich für den besonders schweren ideellen Schaden durch den Verlust des einzigen leiblichen Kindes geben wolle. Wenn schon ein Adoptivkind nach Auffassung des BSG nicht geeignet sei, einen Ausgleich für den Verlust des einzigen leiblichen Kindes zu bieten, so treffe dies erst recht für das sehr viel losere Pflegschaftsverhältnis zu. Entsprechend diesem Charakter eines sozialen Schmerzensgeldes in § 51 Abs. 4 BVG könne es nicht darauf ankommen, ob ein vor dem Tode des einzigen leiblichen Kindes aufgenommenes Pflegekind einen größeren ideellen Ersatz bieten könnte als ein erst nach dem Tode aufgenommenes Pflegekind. Das vor dem Tod des einzigen leiblichen Kindes aufgenommene Pflegekind stehe daher dem Bezug der Elternrente nach § 51 Abs. 4 BVG nicht entgegen, so daß die Berufung des Beklagten unbegründet sei. Die Berufung der Klägerin habe sich dagegen als begründet erwiesen. Zwar habe das angefochtene Urteil des SG der Klägerin eine um 35 DM erhöhte Einkommensgrenze zugebilligt, nicht aber auch die auf dieser Vorschrift beruhende Erhöhung der Elternrente selbst. Da die Klägerin hierdurch beschwert sei, habe ausgesprochen werden müssen, daß der Beklagte der Klägerin einen neuen Bescheid dahin zu erteilen hat, daß die Elternrente mit Wirkung vom 1. April 1956 nach § 51 Abs. 4 BVG zu berechnen ist.

Gegen das am 8. Dezember 1959 zugestellte Urteil des LSG Schleswig hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 15. Dezember 1959, eingegangen beim BSG am 17. Dezember 1959, Revision eingelegt; er beantragt,

das Urteil des LSG Schleswig vom 18. August 1959 und das Urteil des SG Schleswig vom 9. Oktober 1958 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Mit dem am 12. Januar 1960 eingegangenen Schriftsatz vom 11. Januar 1960 rügt der Beklagte eine Verletzung des § 51 Abs. 4 BVG. Nach dieser Vorschrift solle eine Entschädigung nur für den Fall gewährt werden, daß Eltern oder Elternteile infolge des Krieges ihre gesamte Nachkommenschaft verloren haben, weil das einzige Kind oder alle Kinder durch schädigende Einwirkungen i. S. des § 1 BVG umgekommen sind. Im vorliegenden Falle habe jedoch die Klägerin vor dem Tod des einzigen leiblichen Sohnes ein Pflegekind angenommen, das sie unentgeltlich unterhalten habe. Sie habe daher im Zeitpunkt des Verlustes ihres leiblichen Sohnes noch ein weiteres Kind gehabt. Insbesondere könne der Auffassung des LSG nicht gefolgt werden, daß es kein Unterschied sei, ob das Pflegekind vor oder nach dem Tod des leiblichen Kindes angenommen worden ist; denn bei der Annahme eines Pflegekindes vor dem Tod des leiblichen Kindes sei dieses nicht als Ersatz für das verstorbene einzige Kind angenommen, sondern von vornherein als weiteres Kind neben dem eigenen leiblichen Kind in den Familienkreis aufgenommen worden. Es habe sich also im Zeitpunkt des Todes des leiblichen Kindes um eine Familie mit mehreren Kindern gehandelt.

Die Klägerin beantragt die Zurückweisung der Revision; sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Das LSG hat die Revision nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zugelassen. Sie ist daher statthaft, aber nicht begründet.

Zwischen den Parteien ist streitig, ob der Klägerin nach § 51 Abs. 4 BVG eine Erhöhung der nach ihrem am 20. September 1941 als Soldat gefallenen leiblichen Kind A gewährten Elternrente zusteht, obwohl sie bereits vor dessen Tod - im Jahre 1937 - ein Pflegekind R in ihren Haushalt aufgenommen hat. Nach § 51 Abs. 4 BVG a. F. erhöhen sich die Elternrenten und die Einkommensgrenzen bei einem Elternteil um 35 DM, wenn das einzige oder das letzte Kind oder alle Kinder an den Folgen einer Schädigung gestorben sind. In dem Ersten Neuordnungsgesetz vom 27. Juni 1960 (BGBl. I 453) ist diese Vorschrift, soweit sie für den vorliegenden Fall in Betracht kommt, nicht geändert worden. Seit der Geltung dieses Gesetzes erhöht sich die Elternrente bei einem Elternteil um 40 DM; ferner tritt eine Erhöhung der Elternrente auch dann ein, wenn mindestens drei Kinder an den Folgen einer Schädigung gestorben sind.

Der am 20. September 1941 gefallene Sohn Alfred ist das einzige leibliche Kind der Klägerin gewesen; allerdings hatte sie noch vor dessen Tod ein Pflegekind in ihren Haushalt aufgenommen. Im Hinblick darauf vertritt der Beklagte die Auffassung, daß durch den Tode des leiblichen Sohnes A nicht das "einzige" Kind i. S. des § 51 Abs. 4 BVG an den Folgen einer Schädigung gestorben ist. Er meint, ein Pflegekind, das von der Klägerin unentgeltlich unterhalten worden ist, berechtige nach § 49 Abs. 2 Nr. 2 BVG beim Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen zum Bezug einer Elternrente. Wenn dies aber der Fall sei, so müsse ein vor dem Tod eines leiblichen Kindes unentgeltlich unterhaltenes Pflegekind bei der Prüfung, ob eine Elternrente nach § 51 Abs. 4 BVG zu erhöhen ist, berücksichtigt werden. Die Klägerin habe somit beim Tod ihres leiblichen Sohnes noch ein Kind - das unentgeltlich unterhaltene Pflegekind R - gehabt.

Dieser Auffassung des Beklagten kann jedoch nicht beigepflichtet werden. Der 11. Senat des BSG hat in seinem Urteil vom 22. April 1959 (BSG 9, 295) bereits ausgesprochen, daß sich die Elternrenten und die Einkommensgrenzen nach § 51 Abs. 4 BVG auch dann erhöhen, wenn die Eltern nach dem Tod des einzigen leiblichen Kindes, das an den Folgen einer Schädigung i. S. des BVG gestorben ist, ein fremdes Kind an Kindes Statt angenommen und keine leiblichen Kinder mehr bekommen haben. Der 11. Senat hat in diesem Urteil zutreffend darauf hingewiesen, daß das BVG nicht allgemein geregelt hat, wer als "Kind" i. S. dieses Gesetzes anzusehen ist. Im BVG ist vielmehr bei den einzelnen gesetzlichen Tatbeständen besonders bestimmt, wer als "Kind" i. S. der jeweiligen Vorschriften zu berücksichtigen ist. Ein solche Regelung enthalten § 32 Abs. 5 BVG a. F. (jetzt § 33 b Abs. 2 BVG nF) für die Höhe der Ausgleichsrente der Schwerbeschädigten, ferner § 41 Abs. 1 Buchst. c BVG a. u. n. F. für die Ausgleichsrente der Witwe und § 45 Abs. 2 BVG a. u. n. F. für die Waisenrente, während erst durch das am 1. Juni 1960 in Kraft getretene Erste Neuordnungsgesetz in § 51 BVG ein neuer Abs. 8 eingefügt worden ist, nach dem als Kinder i. S. dieser Vorschrift alle Kinder gelten, die einen Anspruch auf Gewährung von Elternrente nach § 49 BVG auslösen können. Aus dieser Regelung kann jedenfalls bis zum Inkrafttreten des Ersten Neuordnungsgesetzes nicht auf eine entsprechende Anwendung der genannten Vorschriften im Rahmen des § 51 Abs. 4 BVG geschlossen werden, weil es sich nicht um rechtsähnliche Tatbestände handelt. Für die Frage, ob wegen des Vorhandenseins von Kindern die Beschädigtenausgleichsrente zu erhöhen oder die Witwenausgleichsrente zu gewähren ist oder ob ein Kind Waisenrente zu beanspruchen hat, sind wirtschaftliche Gesichtspunkte maßgebend, während es sich in den Fällen des § 51 Abs. 4 BVG um ein sogenanntes "soziales Schmerzensgeld" handelt. Durch die Erhöhung der Elternrente nach § 51 Abs. 4 BVG soll nämlich den Eltern ein bescheidener Ausgleich des besonders schweren ideellen Schadens deswegen gewährt werden, weil sie das einzige oder letzte Kind oder alle Kinder (nach § 51 Abs. 4 BVG n. F. auch mindestens 3 Kinder) verloren haben (vgl. BSG aaO). Es ist somit der Auffassung des 11. Senats des BSG beizupflichten, daß dem Sinn und Zweck des § 51 Abs. 4 BVG a. F. nur die Auslegung gerecht wird, die auf das einzige "leibliche" Kind abstellt; diesem besonderen ideellen Opfer soll durch eine Erhöhung der Elternrente Rechnung getragen werden. Daß im vorliegenden Rechtsstreit im Gegensatz zu dem vom 11. Senat entschiedenen Fall, in dem ein fremdes Kind nach dem Tod des einzigen leiblichen Kindes an Kindes Statt angenommen worden ist, die Klägerin schon vor dem Tod ihres leiblichen Sohnes ein Pflegekind in ihren Haushalt aufgenommen hat, ist ohne rechtliche Bedeutung. Da es sich - wie bereits ausgeführt - bei § 51 Abs. 4 BVG um ein "soziales Schmerzensgeld" für den Verlust des einzigen leiblichen Kindes handelt, müssen die Fälle des Verlustes eines solchen Kindes gleich behandelt werden ohne Rücksicht darauf, ob ein Adoptivkind oder Pflegekind i. S. des § 49 Abs. 2 BVG vor oder nach dem Tode des einzigen leiblichen Kindes angenommen worden ist. Der 11. Senat des BSG hatte allerdings in dem angeführten Urteil lediglich die Frage zu entscheiden, ob ein nach dem Tod des einzigen leiblichen Kindes angenommenes Adoptivkind im Rahmen des § 51 Abs. 4 BVG zu berücksichtigen ist. Er hat diese Frage aber nicht deswegen verneint, weil in jedem Falle das Adoptivkind erst nach dem Tode des einzigen leiblichen Kindes angenommen worden ist. Wie sich aus den Entscheidungsgründen des angeführten Urteils vielmehr ergibt, hat auch der 11. Senat die Auffassung vertreten, daß entscheidend darauf abzustellen ist, daß das einzige leibliche Kind an den Folgen einer Schädigung gestorben ist. Die Entscheidung des 11. Senats steht daher der vom erkennenden Senat vertretenen Auffassung, daß auch ein vor dem Tode des einzigen leiblichen Kindes angenommenes Pflegekind im Rahmen des § 51 Abs. 4 BVG nicht zu berücksichtigen ist, nicht entgegen; sie bestätigt vielmehr die von dem erkennenden Senat getroffene Auslegung.

Der BMA hat allerdings in den Verwaltungsvorschriften zu § 51 BVG (Fassung vom 31.7.1956 - BVBl 1956, 106, 109, vom 4.3.1958 - BVBl 1958, 38, 39 - und vom 3.9.1958 - BVBl 1958, 102, 104 -) offenbar eine andere Auffassung vertreten. Insoweit sind diese Verwaltungsvorschriften jedoch nicht mit § 51 Abs. 4 BVG vereinbar, wie der 11. Senat in BSG 9, 295 unter eingehender Begründung dargelegt hat. Der BMA hat nicht hinreichend berücksichtigt, daß § 49 Abs. 2 BVG lediglich die Frage betrifft, daß den leiblichen Eltern Adoptiv-, Stief- und Pflegeeltern gleichgestellt werden, wenn ein vor der Schädigung angenommenes Adoptivkind oder unentgeltlich unterhaltenes Pflegekind an den Folgen einer Schädigung gestorben ist. § 51 Abs. 4 BVG regelt dagegen einen anderen Tatbestand, nämlich die Erhöhung der Elternrente im Falle des Todes des einzigen oder letzten Kindes. Es kann daher hier - auch für die Zeit nach dem Inkrafttreten des Ersten Neuordnungsgesetzes - dahingestellt bleiben, ob Adoptiv-, Stief- und Pflegeeltern unter den in § 49 Abs. 2 BVG genannten Voraussetzungen dann, wenn das verstorbene Adoptiv-, Stief- oder Pflegekind das einzige oder das letzte Kind gewesen ist, die Erhöhung der Einkommensgrenzen und damit der Elternrenten nach § 51 Abs. 4 BVG beanspruchen können.

Der Senat hatte ferner zu prüfen, ob sich infolge der Einfügung des Abs. 8 in § 51 BVG durch das Erste Neuordnungsgesetz insofern etwas geändert hat, als nunmehr unter dem "einzigen" Kind i. S. des § 51 Abs. 4 BVG nicht mehr das einzige leibliche Kind zu verstehen wäre, daß es sich also nicht mehr um das "einzige" Kind handeln würde, wenn neben dem gefallenen leiblichen Kind noch ein Adoptiv-, Stief- oder Pflegekind vorhanden ist. Zwar ist das angefochtene Urteil am 18. August 1959 - also vor Inkrafttreten des Ersten Neuordnungsgesetzes - ergangen; das Revisionsgericht muß aber von dem im Zeitpunkt seiner Entscheidung geltenden Recht ausgehen, wenn das streitige Rechtsverhältnis - wie im vorliegenden Falle - von einer nach der Entscheidung des LSG und vor der Entscheidung des BSG eingetretenen Rechtsänderung erfaßt wird (BSG 2, 188; vgl. auch BSG 15, 239).

Nach § 51 Abs. 8 BVG n. F. gelten als Kinder i. S. dieser Vorschrift alle Kinder, die einen Anspruch auf Gewährung von Elternrente nach § 49 BVG auslösen können, daher also auch Pflegekinder, wenn die Pflegeeltern das verstorbene Pflegekind vor der Schädigung unentgeltlich unterhalten haben. In § 49 Abs. 2 Nr. 2 BVG handelt es sich aber nur um den Fall, daß das Pflegekind infolge einer Schädigung i. S. des BVG gestorben ist. Hiernach können Adoptiv-, Stief- oder Pflegekinder im Rahmen des § 51 BVG als Kinder nur berücksichtigt werden, soweit sie selbst an einer Schädigung gestorben sind. Sie sind insoweit den leiblichen Kindern gleichgestellt und führen somit beim Verlust von mehreren Kindern - gleichgültig ob es sich um leibliche Kinder oder um Adoptiv-, Stief- und Pflegekinder handelt - zu einer Erhöhung der Elternrente nach § 51 Abs. 3 und 4 BVG, sofern im letzteren Falle alle oder mindestens drei Kinder an den Folgen einer Schädigung gestorben sind. § 51 Abs. 8 BVG sagt aber nichts darüber aus, ob beim Verlust des einzigen leiblichen Kindes auch ein noch lebendes Adoptiv-, Stief- oder Pflegekind zu berücksichtigen ist mit der Folge, daß es sich dann bei dem Verlust des einzigen leiblichen Kindes nicht mehr um den Verlust des "einzigen" Kindes i. S. des § 51 Abs. 4 BVG handeln würde. Hinsichtlich des Begriffs "einziges Kind" i. S. des § 51 Abs. 4 BVG hat sich also durch die Einfügung des Abs. 8 in § 51 BVG durch das Erste Neuordnungsgesetz nichts geändert, so daß die in dieser Vorschrift vorgesehene Erhöhung der Elternrente nach Inkrafttreten des Ersten Neuordnungsgesetzes auch dann zu gewähren ist, wenn außer dem gefallenen einzigen leiblichen Kind noch ein Adoptiv-, Stief- oder Pflegekind i. S. des § 49 Abs. 2 BVG vorhanden ist.

Diese Auslegung wird auch durch die Gesetzesmaterialien zum Ersten Neuordnungsgesetz bestätigt. In der Begründung zu dem von der Bundesregierung dem Bundestag vorgelegten Entwurf des Ersten Neuordnungsgesetzes (BT-Drucks. 3. Wahlperiode Nr. 1239 zu § 50 Abs. 7, jetzt § 51 Abs. 8) wird folgendes ausgeführt: "Während einmal davon ausgegangen wird, daß die in § 51 genannten Erhöhungen nur dann gewährt werden können, wenn es sich um Kinder handelt, die einen Anspruch auf Elternrente nach § 49 auslösen können, hat das Bundessozialgericht in seinem Urteil vom 22. April 1959 - 11 RV 1212/58 - entschieden, daß unter Kindern i. S. des § 51 Abs. 4 nur die leiblichen Kinder zu verstehen sind. Es besteht ein dringendes Bedürfnis für eine gesetzliche Regelung im vorgeschlagenen Sinne." Aus dieser Begründung läßt sich ebenfalls nur entnehmen, daß der Gesetzgeber den Eltern die in § 51 BVG vorgesehene Erhöhung der Elternrente auch dann gewähren wollte, wenn nicht nur leibliche, sondern auch Adoptiv-, Stief- oder Pflegekinder an einer Schädigung gestorben sind. Unberührt davon bleibt aber die vom erkennenden Senat in Übereinstimmung mit dem 11. Senat des BSG getroffene Auslegung des § 51 Abs. 4 BVG hinsichtlich des "einzigen" Kindes, da insoweit im vorliegenden Falle nicht zu entscheiden war, ob die Erhöhung der Elternrente nach § 51 Abs. 4 den Adoptiv-, Stief- oder Pflegeeltern zusteht, wenn nur ein einziges Adoptiv-, Stief- oder Pflegekind vorhanden war, das an einer Schädigung gestorben ist. Da somit die Elternrente der Klägerin auch nach dem Inkrafttreten des Ersten Neuordnungsgesetzes am 1. Juni 1960 nach § 51 Abs. 4 BVG zu berechnen ist, war das angefochtene Urteil nicht zu beanstanden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2324044

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