Beteiligte

Kläger und Revisionsbeklagter

Beklagte und Revisionsklägerin

 

Tatbestand

I

In diesem Rechtsstreit geht es noch um den Zeitpunkt der Wirksamkeit der Rentenumwandlung insbesondere darum, ob die Beklagte bei der Rentenumwandlung gemäß § 86 Reichsknappschaftsgesetz (RKG = § 1286 Reichsversicherungsordnung -RVO-) die Anhörungspflicht nach § 34 Abs. 1 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - (SGB 1) verletzt hat und wie sich dieser Mangel auswirkt.

Mit Bescheid vom 15. Februar 1974 gewährte die Beklagte dem Kläger Knappschaftsrente wegen Erwerbsunfähigkeit, die sie im Bescheid vom 4. März 1976 - zugestellt am 9. März 1976 - wegen einer Besserung des Gesundheitszustandes ab 1. Mai 1976 in Bergmannsrente wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit umwandelte. Der Widerspruch des Klägers, mit dem er die Änderung in den Verhältnissen bestritt und die Weitergewährung der Knappschaftsrente wegen Erwerbsunfähigkeit begehrte, blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 28. Mai 1976).

Das Sozialgericht (SG) hat durch Urteil vom 7. September 1978 die Klage abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die erstinstanzliche Entscheidung sowie den angefochtenen Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid insoweit abgeändert, als die Beklagte die Rente für die Zeit vor dem 1. Juni 1976 umgewandelt hat. Im übrigen hat es die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 15. März 1979). Es hat der Beklagten und der Vorinstanz darin zugestimmt, daß der Kläger infolge einer Änderung in seinen Verhältnissen jedenfalls ab März 1976 nicht mehr berufs- oder erwerbsunfähig sei. Deshalb habe die Beklagte gemäß §§ 86 Abs. 1 RKG, 1286 Abs. 1 RVO die bis dahin gewährte Rente umwandeln können. Sie sei jedoch ihrer Verpflichtung aus § 34 Abs. 1 SGB 1, den Kläger zuvor anzuhören, nicht nachgekommen. Allerdings müsse davon ausgegangen werden, daß die Beklagte mit der Erteilung des Bescheides vom 4. März 1976 dem Kläger Gelegenheit gegeben habe, sich zu den rechtserheblichen Tatsachen zu äußern, wovon dieser mit dem Widerspruch vom 2. April 1976 Gebrauch gemacht habe. Dadurch sei die unterbliebene Anhörung geheilt worden. Wegen der Besonderheit des § 86 Abs. 3 RKG, wonach die Rente bis zum Ablauf des Monats zu gewähren ist, der auf den Monat folgt, in dem der Bescheid zugestellt wird, könne die Beklagte sich nicht auf die Heilung des Verfahrensmangels berufen. Daran sei sie nach Treu und Glauben (§ 242 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB) solange gehindert, wie die Erteilung des Umwandlungsbescheides durch die Anhörung verzögert worden wäre. Deshalb sei es geboten, dem Kläger die ursprüngliche Leistung bis zum Ablauf des auf den Widerspruch folgenden Monats zu belassen.

Die Beklagte hat dieses Urteil mit der vom LSG zugelassenen Revision angefochten und rügt eine Verletzung der §§ 128 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG), 34 SGB 1 und 86 Abs. 3 RKG, in Verbindung mit der unrichtigen Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB). Das LSG habe unberücksichtigt gelassen, daß der Kläger bereits am 23. März 1976 rechtswirksam - wie sich aus den Knappschaftsakten ergebe - Widerspruch erhoben habe. Von seinem Rechtsstandpunkt aus habe das LSG daher die Berufung in vollem Umfang zurückweisen müssen. Im übrigen fehle es an gesetzlich vorgeschriebenen Sanktionen für den Fall der unterlassenen Anhörung. Zumindest müsse wegen der insoweit bestehenden Unsicherheit daran gedacht werden, einen solchen Verstoß für eine Übergangszeit als unschädlich anzusehen.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des LSG dahingehend abzuändern, daß die Berufung in vollem Umfang zurückgewiesen wird.

Der Kläger beantragt, die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Er ist der Ansicht, daß es weiterer, über die bisherige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) hinausgehender Sanktionen bedürfe, um die Anhörung auch dann durchzusetzen, wenn sie durch das Widerspruchsverfahren als ersetzt gelte.

II

Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet.

Es bedarf hier keiner Entscheidung darüber, ob das Verfahren vor dem Berufungsgericht an der von der Revision gerügten Verletzung des § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG leidet, denn die Revision der Beklagten führt unabhängig davon aus anderen Gründen zum Erfolg.

Mit dem Umwandlungsbescheid vom 4. März 1976 hat die Beklagte die bis dahin bestehende Rechtsposition des Klägers beeinträchtigt und daher in seine Rechte eingegriffen. Sie hat es unterlassen, ihm zuvor Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Es sind auch nicht die Voraussetzungen des § 34 Abs. 2 SGB 1 erfüllt. Keiner der dort abschließend aufgeführten Tatbestände berechtigte die Beklagte, von der in § 34 Abs. 1 SGB 1 vorgeschriebenen Anhörung abzusehen.

Obwohl die Beklagte vor der Rentenumwandlung § 34 Abs. 1 SGB 1 verletzt hat, durfte das LSG den angefochtenen Bescheid nicht ändern, soweit er die Umwandlung der Rente für die Zeit vor dem 1. Juni 1976 betraf. Die Verletzung des § 34 Abs. 1 SGB 1 führt im allgemeinen zur Rechtswidrigkeit und damit zur Aufhebung des mit dem Mangel behafteten Verwaltungsaktes. Die unterbliebene oder die nicht ordnungsgemäße Anhörung kann zwar nicht mehr im gerichtlichen Verfahren, wohl aber im Widerspruchsverfahren mit der Folge nachgeholt werden, daß der Mangel geheilt wird und als nicht vorhanden gilt (vgl. BSG in SozR 1200 § 34 Nrn. 1, 7).

Die Anhörungspflicht des § 34 Abs. 1 SGB 1 entspricht dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs, der für das gerichtliche Verfahren in Art 103 Abs. 1 Grundgesetz (GG) verankert ist. Ein Verstoß gegen diese Verfassungsnorm durch ein Gericht wird nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) geheilt, wenn das rechtliche Gehör im Rechtsmittelzuge gewährt wird und das Rechtsmittelgericht die Möglichkeit hat, das Vorbringen zu berücksichtigen (vgl. BVerfGE 5, 9, 10, 22, 24; 8, 184, 185; 19, 93, 99; 22, 282, 286 f.). Die Anforderungen an die Verwaltung bei der Anhörung Beteiligter können nicht größer sein als diejenigen an die Gerichte aufgrund des verfassungsmäßig verankerten Prinzips in Art 103 Abs. 1 GG. Wenn folglich die Verletzung des rechtlichen Gehörs durch das erstinstanzliche Gericht im Berufungsverfahren geheilt werden kann, so muß die unterlassene Anhörung im Widerspruchsverfahren ebenfalls nachgeholt und geheilt werden können. Ob der Verwaltungsakt rechtmäßig oder rechtswidrig ist, beurteilt sich nicht nach dem Zeitpunkt seines Erlasses, sondern nach der Sach- und Rechtslage zur Zeit der letzten Verwaltungsentscheidung, das ist bei durchgeführtem Vorverfahren der Widerspruchsbescheid, in dessen Gestalt der Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens wird (§ 95 SGG). Der Eingriff in die Rechtsposition des Versicherten durch die Verwaltung hat erst mit der Klageerhebung deren Herrschaftsbereich verlassen; bis dahin kann die Anhörung nachgeholt werden. Davon geht auch § 45 Abs. 2 Verwaltungsverfahrensgesetz (VVerfG) aus, der die Nachholung der Anhörung bis zum Abschluß des Vorverfahrens zuläßt. Diese Vorschrift ist zwar für die Sozialgerichtsbarkeit weder unmittelbar noch entsprechend anwendbar. Sie läßt aber die Willensrichtung des Gesetzgebers erkennen, zumal auch der Entwurf des 10. Buches - Verwaltungsverfahren - im SGB (BT-Drucks 8/4022) in § 39 Abs. 2 eine entsprechende Regelung vorsieht.

Zwar bleibt der Verwaltungsakt auch nach der Heilung des Mangels mit dem Fehlen des rechtlichen Gehörs behaftet, dieser Mangel kann aber künftig keine Wirkungen mehr entfalten (vgl. BSG in SozR 1200 § 34 Nr. 7) Das bedeutet jedoch nicht, daß die Rente bis zur Nachholung der Anhörung und damit bis zur Heilung des Mangels gezahlt werden müßte. Die Heilung macht den Mangel unbeachtlich. Das bedeutet, daß der Bescheid mit seinem ursprünglichen Inhalt der nicht verändert wird, als mangelfrei gilt. Dazu gehört auch der im Bescheid genannte Zeitpunkt der Rentenumwandlung. Weder § 34 Abs. 1 SGB 1 noch § 86 Abs. 3 RKG (= § 1286 Abs. 2 RVO) bieten die Grundlage dafür, nach Sinn und Zweck dieser Vorschriften sowie dem damit vom Gesetzgeber verfolgten Plan trotz Heilung des Mangels den materiell-rechtlich rechtmäßigen Umwandlungs- oder Entziehungszeitpunkt hinauszuschieben, bis die Anhörung ordnungsgemäß nachgeholt worden ist.

Das LSG hat es dahingestellt sein lassen, ob die Heilung des Mangels stets rückwirkend eintritt oder ob es insoweit Ausnahmen gibt. Es sieht in § 34 Abs. 1 SGB 1 und in § 86 Abs. 3 RKG "eine Ausformung des dem Recht der sozialen Sicherheit eigenen besonderen Vertrauensschutzes". Wird dem Versicherten jedoch die Rente entzogen oder umgewandelt, so steht im Vordergrund, daß er seinen Unterhalt und den seiner Familie anderweitig sicherstellen muß; denn die Funktion der bislang gezahlten Rente bestand generell darin, die Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit wirtschaftlich auszugleichen. § 86 Abs. 3 RKG soll dem Versicherten die Umstellung auf die veränderten wirtschaftlichen Verhältnisse erleichtern, indem der Unterhalt noch für mindestens einen Monat durch die Rentenzahlung gesichert wird. Das ist weniger - wie das LSG meint - eine Auswirkung des dem Recht der Sozialen Sicherheit eigenen besonderen Vertrauensschutzes, sondern hängt mit der Funktion der Rente zusammen. Sind materiell-rechtlich die Voraussetzungen der Rentenentziehung oder -umwandlung erfüllt, dann muß der Versicherte sich darauf einrichten, daß ihm die Rente nur noch kurze Zeit gezahlt wird, nachdem er Kenntnis von der Entziehung oder Umwandlung erhalten hat.

Wenn man hier überhaupt von einer Schutzwürdigkeit des Versicherten reden kam, so besteht sie nur für die Übergangszeit des § 86 Abs. 3 RKG und wird zeitlich bestimmt durch die Kenntnis des Entziehungs- oder Umwandlungstatbestandes und durch die darauf beruhende Verwaltungsentscheidung. Das LSG räumt ein, zwar wolle § 34 Abs. 1 SGB 1 den Vertrauensschutz verbessern, daraus sei jedoch nicht unbedingt zu schließen, daß sich der Versicherte darauf verlassen könne, die Rente werde erst nach Anhörung und Bescheiderteilung mit Ablauf des Folgemonats entzogen. Es liegt auch nicht die vom Berufungsgericht angenommene, gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) verstoßende Rechtsausübung darin, daß die Beklagte sich auf die Heilung des Verfahrensmangels im Widerspruchsverfahren beruft. § 34 Abs. 1 SGB 1 hat die Aufgabe, den Bürger vor Überraschungsentscheidungen zu schützen. Das ist allerdings nicht geschehen, wenn die Anhörung vor der Erteilung des Entziehungs- oder Umwandlungsbescheides unterblieben ist. Läßt man jedoch die Heilung dieses Mangels zu, solange des Verwaltungsverfahren nicht abgeschlossen ist, so kann der inzwischen eingetretene Überraschungseffekt nicht mehr beseitigt werden. Sobald der Versicherte durch den Verwaltungsakt Kenntnis von dem Eingriff in seine bisherige Rechtsposition erlangt hat, wird er nicht mehr in seinem Vertrauen geschützt, die Rente werde nach Ablauf des folgenden Monats weitergezahlt. Läßt er den Verwaltungsakt bindend werden, so tritt die Bestandskraft trotz des Mangels ein.

Der Versicherte muß vielmehr den fehlerhaften Verwaltungsakt anfechten, um die unterlassene Anhörung geltend zu machen. Ist als Rechtsbehelf der Widerspruch vorgesehen und macht der Versicherte davon Gebrauch, so hat der Versicherungsträger den Vortrag des Beteiligten entweder im Widerspruchsbescheid oder in der Vorlage an das SG nach § 85 Abs. 4 SGG zu berücksichtigen. Weder der Zweck des § 34 Abs. 1 SGB 1 noch die Funktion des § 86 Abs. 3 RKG erfordern eine Sanktion, die im Weiterzahlen der Rente besteht. Die begrenzte Möglichkeit der Heilung von Verfahrensmängeln soll gerade vermeiden, daß der materiell richtige Verwaltungsakt wegen formeller Mängel, die keine Nichtigkeit zur Feige haben, aufgehoben oder abgeändert wird.

Der Senat hält es zwar mit dem Gesetz für unvereinbar, wenn ein Versicherungsträger im Vertrauen auf die Heilung im unabdingbaren Widerspruchsverfahren generell die Anhörung vor Erlaß eines Entziehungs- oder Umwandlungsbescheides unterläßt. Es ist aber primär nicht Aufgabe der Rechtsprechung, sonder der Aufsichtsbehörde, den Versicherungsträger zur Beachtung von Gesetz und Satzung anzuhalten. Für das Gericht bestehen insoweit Einwirkungsmöglichkeiten nur, wenn sich dieses Fehlverhalten auf die Entscheidung auswirkt.

Da der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 4. März 1976 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 28. Mai 1976 nach den unangegriffenen Feststellungen des LSG inhaltlich und materiell rechtmäßig ist, hat das SG zutreffend die dagegen gerichtete Klage abgewiesen. Soweit das LSG dieses Urteil abgeändert hat, mußte auf die demnach begründete Revision der Beklagten durch Zurückweisung der Berufung der erstinstanzliche Urteilsausspruch in vollem Umfange wiederhergestellt werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.5 RKn 9/79

Bundessozialgericht

verkündet am 24. Juli 1980

 

Fundstellen

Dokument-Index HI518615

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