Leitsatz (amtlich)

Die Voraussetzung für den Anspruch auf vorzeitiges Altersruhegeld gemäß RVO § 1248 Abs 3, daß die Versicherte eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung nicht mehr ausübt, erfüllt die Versicherte nicht, wenn sie als Beamtin beschäftigt ist, auch wenn sie als solche gemäß RVO § 1229 Abs 1 Nr 3 rentenversicherungsfrei ist.

 

Normenkette

RVO § 1248 Abs. 3 Fassung: 1957-02-23, § 1229 Abs. 1 Nr. 3 Fassung: 1957-02-23

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten werden die Urteile des Landessozialgerichts Berlin vom 23. Juli 1963 und des Sozialgerichts Berlin vom 14. Juni 1962 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Die am ... 1901 geborene Klägerin war von 1942 bis 1959 bei der Post rentenversicherungspflichtig beschäftigt und wurde dann - zum 1. Oktober 1959 - dort in das Beamtenverhältnis übernommen. Zum 1. März 1962 wurde sie in den Ruhestand versetzt. Seitdem bezieht sie beamtenrechtliches Ruhegehalt und vorzeitiges Altersruhegeld gemäß § 1248 Abs. 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO). Die Gewährung des vorzeitigen Altersruhegeldes schon vom 1. Oktober 1961 an lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 22. Dezember 1961 ab, weil die Klägerin, obwohl als Beamtin nach § 1229 Abs. 1 Nr. 3 RVO für ihre Person versicherungsfrei, doch noch eine an sich nach § 1227 RVO rentenversicherungspflichtige Beschäftigung ausübe. Das Sozialgericht (SG) verurteilte die Beklagte, der Klägerin für die Zeit vom 1. Oktober 1961 bis 28. Februar 1962 das vorzeitige Altersruhegeld zu gewähren. Das Landessozialgericht (LSG) Berlin wies mit Urteil vom 23. Juli 1963 die Berufung der Beklagten als unbegründet zurück und ließ die Revision zu. Die Klägerin sei in der streitigen Zeit im Sinne des § 1248 Abs. 3 RVO nicht mehr rentenversicherungspflichtig beschäftigt gewesen. Die Tätigkeit als Beamtin seit dem 1. Oktober 1961 stehe der Gewährung des Altersruhegeldes bis zum 28. Februar 1962 nicht entgegen.

Mit der gegen dieses Urteil eingelegten Revision beantragt die Beklagte,

das angefochtene Urteil und das Urteil des SG Berlin vom 14. Juni 1962 aufzuheben und die Klage abzuweisen,

hilfsweise,

die Sache an das LSG zurückzuverweisen.

Die Revision rügt, das LSG habe bei der Anwendung des § 1248 Abs. 3 RVO das Gesetz verletzt. Nach dem in dieser Vorschrift objektivierten Willen des Gesetzgebers solle den berufstätigen Frauen ein Altersruhegeld nur dann gewährt werden, wenn sie ihre Beschäftigung aufgäben. Diese Auslegung werde bestätigt durch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift, wonach die Absicht des Gesetzgebers gewesen sei, die berufstätigen Hausfrauen, die doppelt belastet seien, durch die Zahlung einer Rente zu entlasten, wenn sie ihre Berufstätigkeit aufgäben. Die Auslegung werde ferner durch den Zweck der Vorschrift getragen. Es könne nicht Wille des Gesetzgebers gewesen sein, einer Gruppe von Frauen eine zweifache Last, nämlich die der Beitragsentrichtung bei Nichtanspruch auf Rente, aufzubürden, während er einer anderen Gruppe eine zweifache Gesetzeswohltat, d. h. die der Beitragsfreiheit und des Rentenbezuges, zukommen lasse. Auch bei systematischer Auslegung der im Streit stehenden Gesetzesnorm könne man zu keinem anderen Schluß kommen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision der Beklagten zurückzuweisen,

hilfsweise,

die Sache an das Vordergericht zurückzuverweisen.

Sie hält die Auffassung des Berufungsgerichts für zutreffend. Der Wortlaut des § 1248 Abs. 3 RVO sei eindeutig und nicht auslegungsfähig. Deshalb sei für eine Funktions-, Sinn-, Zweck- und entstehungsgeschichtliche Auslegung kein Raum. Der Hilfsantrag rechtfertige sich daraus, daß die Klägerin möglicherweise seit dem 19. Juni 1961 berufs- oder erwerbsunfähig sei. Dies hätte das Tatsachengericht daher noch zu prüfen, sollte die Rechtsauffassung der Vorinstanzen nicht gebilligt werden.

Die Revision der Beklagten ist zulässig; sie ist auch begründet.

Es ging darum, ob der Klägerin das vorzeitige Altersruhegeld auch schon für die Zeit von ihrer Überführung in das Postbeamtenverhältnis (1. Oktober 1961) bis zu ihrer Versetzung in den Ruhestand (1. März 1962) zusteht, für die Zeit also, in der sie aktive Beamtin war.

Der Anspruch auf das vorzeitige Altersruhegeld beurteilt sich nach § 1248 Abs. 3 RVO. Danach erhält Altersruhegeld auf Antrag auch die Versicherte, die das 60. Lebensjahr vollendet hat, wenn sie die Wartezeit erfüllt hat und wenn sie in den letzten 20 Jahren überwiegend eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt hat und eine solche Beschäftigung oder Tätigkeit nicht mehr ausübt.

Zweifelhaft und streitig war im vorliegenden Falle nur, ob die Klägerin die letzte Bedingung des Gesetzes erfüllt hat, ob sie also in der streitigen Zeit vom 1. Oktober 1961 bis zum 28. Februar 1962 eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung nicht mehr ausgeübt hat. Die Ansicht, sie habe diese Bedingung erfüllt, weil sie in dieser Zeit als Beamtin mit Anwartschaft auf lebenslängliche Versorgung und auf Hinterbliebenenversorgung nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen gemäß § 1229 Abs. 1 Nr. 3 RVO versicherungsfrei gewesen sei, kann nicht für zutreffend erachtet werden.

Den Ausdruck "rentenversicherungspflichtige Beschäftigung", um dessen Auslegung im Sinne des § 1248 Abs. 3 RVO es geht, verwendet das Gesetz in dieser Vorschrift dreimal, nämlich

1. bei der Normierung der Anspruchsvoraussetzung, daß in den letzten 20 Jahren überwiegend eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt sein muß,

2. bei der Normierung der Anspruchsvoraussetzung, daß eine solche Beschäftigung nicht mehr ausgeübt wird, und

3. - über die Verweisung im letzten Satz auf Abs. 2 Satz 2 - insofern, als das Altersruhegeld mit dem Ablauf des Monats wegfällt, in dem der Berechtigte in eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung eintritt.

Zu 1 geht die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) dahin, daß unter einer rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung eine Beschäftigung zu verstehen ist, die nicht nur an sich rentenversicherungspflichtig gewesen ist, sondern für die auch die erforderlichen Beiträge entrichtet worden sind oder als entrichtet gelten (SozR RVO § 1248 Bl. Aa 24 Nr. 20; Urteil vom 23. Juni 1964 - 11/1 RA 236/60 -).

Damit ist jedoch keineswegs gesagt, daß der Ausdruck "rentenversicherungspflichtige Beschäftigung" zu 2 und 3 im gleichen Sinne wie zu 1 auszulegen ist, so nahe eine solche Annahme auch liegen mag.

Zu 3 ergibt sich dies aus der folgenden Erwägung: Wollte man auch hier unter einer "rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung" nur eine solche Beschäftigung verstehen, für welche auch die erforderlichen Beiträge entrichtet sind oder als entrichtet gelten, so wäre die Vorschrift nicht sinnvoll. Denn zu 3 geht es um den Fall, daß eine Bezieherin von vorzeitigem Altersruhegeld in eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung eintritt; für einen Bezieher von Altersruhegeld können aber, wenn er in eine Beschäftigung eintritt, Beiträge zur Rentenversicherung nicht entrichtet werden, weil er nach § 1229 Abs. 1 Nr. 1 RVO versicherungsfrei ist. § 1386 RVO, der Pflichtbeiträge besonderer Art betrifft, aus denen dem Versicherten kein Leistungsanspruch erwächst, hat hier außer Betracht zu bleiben. Es könnte also der Fall nicht eintreten, daß eine Versicherte vorzeitiges Altersruhegeld bezieht und alsdann in eine Beschäftigung eintritt, aus der die "erforderlichen Rentenversicherungsbeiträge" entrichtet werden (oder als entrichtet gelten) mit der Rechtsfolge, daß dann mit dem Monatsablauf das Altersruhegeld wegfällt. Zu 3 kann also unter einer "rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung" nicht das gleiche verstanden werden wie zu 1. - Ebensowenig geht dies zu 2 an. Soweit hier der Ausdruck "rentenversicherungspflichtige Beschäftigung" gebraucht ist, kann es nicht entscheidend sein, ob Beiträge entrichtet worden sind oder zu entrichten waren; denn Sinn und Zweck dieser Gesetzesvorschrift ist es nicht, derjenigen Versicherten das vorzeitige Altersruhegeld bereits zu gewähren, die noch in einer an sich versicherungspflichtigen Beschäftigung steht und daraus ein Erwerbseinkommen hat. Eine zunächst rentenversicherungspflichtig beschäftigte Versicherte wie die Klägerin, die in das Beamtenverhältnis überführt wird, aber im Dienst ihres bisherigen Arbeitgebers als Dienstherrn weiterbeschäftigt ist, kann nicht schon deshalb als eine Versicherte angesehen werden, die nicht mehr rentenversicherungspflichtig beschäftigt wird, weil sie für ihre Person mit Rücksicht auf § 1229 Abs. 1 Nr. 3 RVO versicherungsfrei und damit auch beitragsfrei ist. Das Ergebnis wäre, wie die Beklagte zutreffend ausgeführt hat, dieses, daß sie Rente bezöge und keine Beiträge mehr entrichten müßte, während eine andere weiterbeschäftigte, aber nicht in das Beamtenverhältnis überführte Versicherte keine Rente erhielte, aber weiter Beiträge entrichten müßte. Ein solches Ergebnis könnte offenbar nicht als billig empfunden werden und wäre mit dem Willen des Gesetzgebers nicht vereinbar. Deshalb muß unter einer rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung, die eine Versicherte nicht mehr ausübt, im Sinne des § 1248 Abs. 3 Satz 1 RVO auch eine solche Beschäftigung verstanden werden, die nur an sich eine Rentenversicherungspflicht begründet, ohne daß es darauf ankommt, ob die Versicherte aus einem besonderen Grunde - hier auf Grund des § 1229 Abs. 1 Nr. 3 RVO - für ihre Person versicherungsfrei ist. Auch nach ihrer Überführung in das Beamtenverhältnis gehörte die Klägerin zum Kreise der Personen, die an sich gemäß § 1227 Abs. 1 Nr. 1 RVO rentenversicherungspflichtig sind (vgl. VerbKomm., 6. Aufl., § 1227 RVO Anm. 7). Daher war bei ihr die Voraussetzung des § 1248 Abs. 3 Satz 1 RVO, daß sie eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung nicht mehr ausübe, in der Zeit vom 1. Oktober 1961 bis zum 28. Februar 1962 nicht erfüllt.

Steht nach alledem der Klägerin das beanspruchte vorzeitige Altersruhegeld nicht zu, so konnten die Urteile der Vorinstanzen nicht aufrechterhalten bleiben.

Die Sache war aber auch nicht - entsprechend dem Hilfsantrag der Klägerin - an das Berufungsgericht der Klägerin zurückzuverweisen. Denn zu der Frage, ob in dem unbegründeten Antrag der Klägerin auf vorzeitiges Altersruhegeld ein begründeter Antrag auf Rente wegen Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit zu erblicken ist, wird zunächst die Beklagte durch Bescheid Stellung zu nehmen haben.

Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2379968

BSGE, 137

NJW 1964, 2448

NJW 1965, 789

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