Entscheidungsstichwort (Thema)

Berufsanwärter. Notwendigkeit des Vorliegens eines Vermittlungsgesuchs vor Einleitung der Rehabilitationsmaßnahmen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Im öffentlichen Recht gilt auch ohne ausdrückliche Normierung allgemein der Grundsatz, daß Leistungen, die ein Träger für einen anderen Träger des öffentlichen Rechts ohne Rechtsgrund, aus Geschäftsführung ohne Auftrag oder aus einem gesetzlich normierten auftragsähnlichen Verhältnis erbracht hat, von dem vorrangig verpflichteten Träger zu ersetzen sind, wenn hierfür ein öffentlich rechtliches Interesse besteht (vergleiche BSG 1957-12-19 8 RV 317/55 = BSGE 6, 195-197, BSG 1961-02-24 11 RV 60/60 = BSGE 14, 59-63, BSG 1962-01-30 2 RU 219/59 = BSGE 16, 222, 225 und BSG 1965-07-30 2 RU 29/64 = BSGE 23, 213-217).

2. Ein öffentlich-rechtlicher Ersatzanspruch, den der Träger der Sozialhilfe gegenüber der BA wegen einer vorrangig von dieser gemäß AVAVG § 39 Abs 3 und 4 zu erbringenden Leistung geltend macht, unterliegt - im Unterschied zu einem Übergeleiteten Anspruch nach BSHG § 90 - nicht der # Vorverfahrenspflicht nach SGG §§ 78, 80 Nr 1.

3. Die Verpflichtung der BA, einem körperbehinderten Arbeitsuchenden oder Berufsanwärter nach AVAVG § 39 Abs 3 und 4 berufsfördernde Maßnahmen zu gewähren, setzt grundsätzlich ein Vermittlungsgesuch vor Einleitung der Rehabilitationsmaßnahmen voraus (vergleiche BSG 1967-03-15 7 RAr 19/65 = BSGE 26, 155-158). Die BA kann sich indessen auf das Fehlen eines Vermittlungsgesuchs nicht berufen, wenn sie anläßlich eines Beratungsgesprächs nach Eintritt des Körperbehinderten in ein Lehr- oder Anlernverhältnis keine Bedenken äußert und gegenüber dem Träger der Sozialhilfe erklärt, der Körperbehinderte sei in dem von ihm selbst gewählten Ausbildungsverhältnis förderungswürdig .

 

Leitsatz (redaktionell)

Berufsanwärter sind nicht nur Jugendliche, die noch keinen Beruf haben, sondern auch Umschüler (Berufswechsler), ohne Rücksicht auf das Alter. Es genügt, wenn vor Einleitung der Berufsförderungsmaßnahmen in irgendeiner Form die Absicht des Arbeitsuchenden oder Berufsanwärters auf Vermittlung dem Arbeitsamt zur Kenntnis gekommen ist.

 

Normenkette

AVAVG § 39 Abs. 3 Fassung: 1957-04-03, Abs. 4 Fassung: 1957-04-03, § 46 Abs. 1 S. 2 Fassung: 1957-04-03, Abs. 2 Fassung: 1957-04-03; BSHG § 2 Fassung: 1961-06-30, § 46 Abs. 2 Fassung: 1961-06-30, § 90 Fassung: 1961-06-30; SGG § 78 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03, § 80 Nr. 1 Fassung: 1953-09-03; BGB § 679

 

Tenor

Das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 12. September 1968 wird aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Gründe

I

Die klagende Hansestadt L begehrt als Träger der Sozialhilfe von der beklagten Bundesanstalt für Arbeit die Erstattung eines Betrages von 2.360 DM, den sie in der Zeit vom 1. Mai bis 31. Dezember 1965 dem Zivilblinden J S (S.) als Eingliederungshilfe zur beruflichen Umschulung gewährt hat.

Der 1921 geborene S. ist seit dem 12. Lebensjahr erblindet. Er besuchte von 1928 bis 1937 die Landesblindenanstalt in M und erlernte dort den Beruf des Bürstenmachers. Er war in der Zeit von September 1937 bis zum 14. April 1965 mit Unterbrechung bei der Arbeitsfürsorge in N und in privaten Werkstätten N als Bürstenmacher beschäftigt. Am 8. April 1965 verzog er mit seiner ebenfalls blinden Ehefrau von F nach L. Es gelang ihm aufgrund eigener Bemühungen, am 26. April 1965 in ein Anlernverhältnis als Strandkorbflechter bei der Firma S-A, T, gegen ein monatliches Taschengeld von 80 DM einzutreten. Am 23. Februar 1966 schied S. bei der Firma S-A aus. Vom 1. März 1966 bis 26. September 1967 arbeitete er wieder als Bürstenmacher beim Hilfswerk blinder Handwerker in L. Am 21. September 1967 meldete er sich beim Arbeitsamt L als Arbeitsuchender, das ihn unter Gewährung eines Anlernzuschusses zur Firma N H M in L als Hilfskraft für eine Tätigkeit in der Dunkelkammer vermittelte.

Am 21. April 1965 hatten S. und seine Ehefrau bei der Klägerin Blindenhilfe nach § 67 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) beantragt. Die Klägerin gab diesem Antrag vom 1. Mai 1965 an statt. Am 11. Mai 1965 sprach S. bei der Vermittlungsstelle für Schwerbeschädigte und Rehabilitation des Arbeitsamts L vor. Es fand ein Beratungsgespräch statt. Anschließend richtete der Direktor des Arbeitsamts ein Schreiben vom 11. Mai 1965 mit folgendem Inhalt an die Klägerin:

" Betr.:

Arbeits- und Berufsförderung behinderter Personen;

hier: Zivilblinder J St, geb. 17.8.21, L, O ...

Vorg.:

Ohne.

Herr St ist seit dem 12. Lebensjahr erblindet und hat nach Besuch der Landesblindenanstalt in M das Bürstenmacherhandwerk erlernt.

Von 1937 bis 1965 war er mit Unterbrechung als Bürstenmacher bei der Arbeitsfürsorge in N, Abtlg. B, und in privaten Werkstätten tätig.

Er ist nunmehr nach L verzogen und kann bei der Firma A-Strandkorbflechterei -- in T zum Strandkorbflechter angelernt und nach erfolgter Ausbildung auch beschäftigt werden.

Herr St fällt unter den Personenkreis nach § 39 Abs. 1 Nr. 2 des Bundessozialhilfegesetzes in Verbindung mit § 1 der Verordnung vom 27.5.64 und hat damit einen Anspruch auf Gewährung einer Eingliederungshilfe im Rahmen des § 40 der vorgenannten Gesetzesvorschrift.

Ich bitte, Herrn St die erforderliche Hilfe nach dem BSHG zu gewähren.

Da er bereits seit dem 26.4.65 in einem Anlernverhältnis bei der vorgenannten Firma steht, wäre ich Ihnen für eine bevorzugte Bearbeitung dieses Berufsförderungsfalles sehr dankbar.

Sollte nach Ihrer Auffassung ein anderer Kostenträger in Betracht kommen, bitte ich um vorläufige Hilfeleistung nach § 44 BSHG".

S. beantragte daraufhin am 24. Mai 1965 bei der Klägerin, ihm Eingliederungshilfe nach den §§ 39 ff BSHG zu gewähren. Die Klägerin bewilligte die Eingliederungshilfe mit Bescheid vom 23. Juli 1965 als vorläufige Hilfeleistung nach § 44 BSHG für die Zeit vom 1. Mai bis 31. Dezember 1965 in Höhe von 2.360 DM. Mit einem Schreiben vom selben Tag teilte sie das dem Arbeitsamt L mit und leitete Ansprüche des S. gegen die Beklagte nach § 90 BSHG auf sich über.

Der Direktor des Arbeitsamts L lehnte daraufhin mit einem an die Klägerin gerichteten Schreiben vom 30. August 1965 jede Übernahme von Kosten für die Umschulung des S. ab. Er führte dazu aus:

"Der obengenannte Erwerbsbehinderte befindet sich seit dem 26.4.65 in der Ausbildung zum Strandkorbflechter bei der Fa. A in T. Ihren Ersatzanspruch vom 23.7.65 erkenne ich hiermit nicht an. Nach § 39 Abs. 3 und 4 AVAVG in Verbindung mit den Vorschriften des Verwaltungsrates der BAVAV vom 27.3.58 umfaßt der von der Bundesanstalt zu betreuende Kreis behinderter Personen Arbeitsuchende und Berufsanwärter.

Da bei Herrn S diese Voraussetzungen vor Beginn der Berufsförderungsmaßnahme nicht vorlagen, ist eine Förderung aus Mitteln der Bundesanstalt nicht möglich".

Diesen Rechtsstandpunkt hielt das Arbeitsamt Lübeck auch in einem weiteren Schreiben an die Klägerin vom 4. Januar 1966 aufrecht.

Die von der Klägerin am 2. Juni 1966 erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) Lübeck durch Urteil vom 26. Juli 1967 abgewiesen. Die - vom SG zugelassene - Berufung der Klägerin hat das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht (LSG) durch Urteil vom 12. September 1968 zurückgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt: Nach § 39 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) sei die Beklagte zur beruflichen Rehabilitation von Arbeitsuchenden und Berufsanwärtern nur im Rahmen ihrer Vermittlungstätigkeit verpflichtet. Infolgedessen seien die von der Beklagten zu betreuenden behinderten Arbeitsuchenden und Berufsanwärter solche, die von ihr vermittelt zu werden wünschten. Für diese Personen müsse nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) als zwingende Voraussetzung schon vor Einleitung der Rehabilitationsmaßnahmen, wenn es sich um einen Arbeitsuchenden handele, ein Gesuch um Arbeitsvermittlung (Arbeitsgesuch) und, wenn es sich um einen Berufsanwärter handele, ein Gesuch um Vermittlung einer Lehrstelle (vgl. § 46 Abs. 1 AVAVG) vorliegen (BSG 26, 155, 158 = SozR Nr. 1 zu § 39 AVAVG). Nur dann habe die Beklagte die Möglichkeit, auf die Wahl des Ausbildungszweiges und der Ausbildungsstelle Einfluß zu nehmen, um den Erfolg der jeweiligen Ausbildung auch sicherstellen zu können. Das könne sie aber nur, wenn sie die Lehrstelle selbst vermittle. In diesem Fall könne sie die körperliche und geistige Eignung der behinderten Personen für die von diesen gewünschte oder sonst in Betracht kommende berufliche Ausbildung sowie die Krisenfestigkeit des betreffenden Berufs prüfen. Überdies sei sie nach § 46 Abs. 1 Satz 2 AVAVG verpflichtet, darauf hinzuwirken, daß bei Eignung die Unterbringung in einwandfreien Ausbildungsstellen erfolge. Mithin seien hierdurch der Eigeninitiative zwangsläufig und auch nach dem Willen des Gesetzgebers Grenzen gesetzt. Für sie sei allenfalls hinsichtlich solcher Lehrstellen Raum, die auch die Beklagte vermittelt hätte, wenn sie um Lehrstellenvermittlung gebeten worden wäre. In solchen Fällen möge die Auffassung vertretbar sein, daß die Beklagte auch ohne ein vorheriges Gesuch um Vermittlung einer Lehrstelle die Mittel für die berufsfördernde Maßnahme bereitzustellen habe. Im vorliegenden Fall könne das LSG jedoch die Feststellung nicht treffen, daß die Beklagte die von S. selbst ausgesuchte Strandkorbflechter-Anlernstelle ihm auch vermittelt hätte, wenn er um Lehrstellenvermittlung gebeten hätte. Gegen die Krisenfestigkeit des Strandkorbflechterberufs spreche nämlich, daß S. schon nach 10 Monaten aus dem Beschäftigungsverhältnis als Strandkorbflechter-Anlernling ausgeschieden sei und schließlich am 21. September 1967 bei der Beklagten beantragt habe, ihm Arbeit zu vermitteln.

Die Klägerin hat gegen das Urteil des LSG - die zugelassene - Revision eingelegt. Sie rügt die Verletzung des § 123 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) und des § 39 AVAVG. Sie führt dazu aus: Das Berufungsgericht habe § 123 SGG insofern verletzt, als es die von ihm selbst eingeräumte Möglichkeit des Wegfalls des Vermittlungsgesuchs aus Gründen verneint habe, die im Zeitpunkt der Entscheidung durch die Beklagte nicht vorgelegen hätten. B i der Entscheidung dürfe aber nur von dem Tatbestand ausgegangen werden, der zu dem Zeitpunkt, als die Beklagte ihre Entscheidung habe treffen müssen, vorgelegen habe. Die Klägerin vertritt im übrigen die Auffassung, daß vor Beginn der Ausbildung ein Gesuch auf Vermittlung nicht habe vorliegen müssen, weil sonst jede Eigeninitiative des Behinderten gelähmt werde.

Die Klägerin beantragt,

die vorinstanzlichen Urteile aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin die von ihr für S. zur Umschulung aufgewendeten Kosten in der Zeit vom 1. Mai bis 31. Dezember 1965 in Höhe von 2.360 DM zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält die Rügen der Klägerin für unbegründet und schließt sich den Ausführungen im angefochtenen Urteil an. Im übrigen ist sie der Auffassung, daß der Klage schon deshalb der Erfolg hätte versagt werden müssen, weil das nach § 80 Nr. 1 SGG notwendige Vorverfahren nicht durchgeführt worden sei.

Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil nach § 124 Abs. 2 SGG einverstanden erklärt.

II

Die Revision ist begründet. Die Klägerin kann von der Beklagten Ersatz der von ihr für die Umschulung des S. aufgewendeten Kosten verlangen.

Es kann dahinstehen, ob das Klagebegehren aufgrund des vom LSG festgestellten Sachverhalts als ein auf die Klägerin übergeleiteter (§ 90 BSHG) versicherungsrechtlicher Anspruch des S. gegen die Beklagte auf Übernahme der Umschulungskosten nach § 39 Abs. 3 und 4 AVAVG zu werten ist. Jedenfalls stellt sich dieses Klagebegehren auch als ein öffentlich-rechtlicher Ersatzanspruch der Klägerin gegenüber der gleichgeordneten Beklagten wegen Erbringung einer Leistung - der Umschulungskosten - dar, die die Beklagte nach § 39 Abs. 3 und 4 AVAVG primär zu tragen hat. Das in den Anträgen der Klägerin zum Ausdruck gekommene Begehren ist verfahrensrechtlich nicht nur eine kombinierte Aufhebungs- und Verpflichtungsklage nach § 54 Abs. 1 SGG, sondern es enthält durch die Formulierung in Ziffer 2 der Klageanträge vor dem LSG auch eine reine Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG. Aus der Formulierung der Klageanträge ist überdies zu folgern, daß die Klägerin in erster Linie die Rechtsfolge des Ersatzes aus eigenem Recht begehrt und nur in zweiter Linie sich zur Durchsetzung ihres Klagebegehrens auch auf den nach § 90 BSHG übergeleiteten Anspruch des S. gegen die Beklagte stützen will. Da sich das Klagebegehren aber als öffentlich-rechtlicher Ersatzanspruch der Klägerin rechtfertigen läßt, ist es unerheblich, daß ein Vorverfahren nicht stattgefunden hat. Der Vorverfahrenspflicht nach den §§ 78, 80 Nr. 1 SGG unterliegen nämlich nur Ansprüche aus einem Über- und Unterordnungsverhältnis, nicht aber solche zwischen gleichgeordneten Trägern der öffentlichen Verwaltung, bei denen - wie beim öffentlich-rechtlichen Ersatzanspruch - keiner der Beteiligten in der Lage ist, das Rechtsverhältnis einseitig durch Verwaltungsakt zu regeln. Für diesen von der Klägerin geltend gemachten öffentlich-rechtlichen Ersatzanspruch gegenüber der Beklagten auf Ausgleich der von ihr vorläufig erbrachten Umschulungskosten für S. ist der Rechtsweg vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit nach § 51 SGG gegeben (BSG 16, 151, 152; 222, 224; 23, 213, 214).

Im öffentlichen Recht gilt auch ohne ausdrückliche Normierung allgemein der Grundsatz, daß Leistungen, die ein Träger des öffentlichen Rechts für einen anderen Träger der öffentlichen Verwaltung ohne Rechtsgrund, aus Geschäftsführung ohne Auftrag oder aus einem gesetzlich normierten auftragsähnlichen Verhältnis erbracht hat, von dem primär verpflichteten Träger des öffentlichen Rechts zu ersetzen sind, wenn hierfür ein öffentliches Interesse gegeben ist (BSG 6, 197; 14, 59, 63; 16, 151 und 222, 225; 23, 213, 217). Es soll eine mit der Rechtslage im öffentlichen Recht nicht übereinstimmende Vermögenslage zwischen zwei Verwaltungsträgern ausgeglichen werden. Die Klägerin kann im vorliegenden Fall die von ihr nach § 44 in Verbindung mit § 39 Abs. 1 Nr. 2 und § 40 Abs. 1 Nr. 5 BSHG für S. als vorläufige Hilfsleistung aufgewendeten Kosten für die Umschulung bei der Firma S-A von der Beklagten ersetzt verlangen. Die Beklagte war nämlich nach § 39 Abs. 3 und 4 AVAVG verpflichtet, dem S. Berufsförderung zu gewähren.

Nach § 39 Abs. 3 AVAVG hat die Beklagte, soweit zur Eingliederung von Arbeitsuchenden und Berufsanwärtern Maßnahmen zur Erhaltung, Besserung und Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit geistig oder körperlich behinderter Personen erforderlich werden, die notwendigen Maßnahmen der Arbeits- und Berufsförderung zu veranlassen. Die Beklagte kann derartige Maßnahmen selbst durchführen; sie kann ferner Einrichtungen, die Maßnahmen zur Erhaltung, Besserung und Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit durchführen, durch Darlehen und Zuschüsse fördern. Durch § 39 Abs. 4 AVAVG wird die Beklagte verpflichtet, die notwendigen Vorkehrungen selbst zu treffen und, soweit das notwendig ist, mit anderen Leistungsträgern, insbesondere auch mit den Trägern der Sozialversicherung und der Sozialhilfe, sowie mit anderen Einrichtungen zusammenzuwirken. Der Senat hat bereits in ständiger Rechtsprechung (vgl. BSG 26, 155; 30, 139; SozR Nr. 2 zu § 39 AVAVG; entschieden, daß die notwendigen Maßnahmen der Arbeits- und Berufsförderung bei geistig und körperlich behinderten Arbeitsuchenden oder Berufsanwärtern Pflichtleistungen der Beklagten sind. Nach § 46 Abs. 2 AVAVG gilt § 39 Abs. 2 und 4 AVAVG entsprechend für jede Tätigkeit, die auf das Zustandekommen von beruflichen Ausbildungsverhältnissen gerichtet ist. Insoweit sind daher Berufsanwärter den Arbeitsuchenden gleichgestellt, ohne daß es darauf ankommt, ob ein typisches Lehr- oder Anlernverhältnis vorliegt.

Im Verhältnis zwischen der Klägerin und der Beklagten scheidet in jedem Fall eine Vorrangigkeit der Klägerin in der Leistungsverpflichtung aus, wenn die Voraussetzungen des § 39 Abs. 3 und 4 AVAVG für S. gegeben sind. Als Träger der Sozialhilfe geht nämlich die Klägerin allen anderen verpflichteten Sozialleistungsträgern im Range nach (§ 2 BSHG). Eine Verpflichtung der Beklagten zur Berufsförderung des S. besteht allerdings nur, wenn dieser als Berufsanwärter im Sinne des AVAVG (§ 39 Abs. 3, § 46 Abs. 1 Satz 2) anzusehen ist. Im Sinne dieser Vorschriften hat als Berufsanwärter grundsätzlich jede Person zu gelten, die einen Beruf ernsthaft anstrebt. Berufsanwärter sind daher nicht nur Jugendliche, die noch keinen Beruf haben, sondern auch Umschüler (Berufswechsler) ohne Rücksicht auf das Alter (Draeger/Buchwitz/Schönefelder, Kommentar zum AVAVG, § 46 Anm. 13). Eine körperbehinderte Person ist dann als Berufsanwärter im Sinne der §§ 39, 46 AVAVG anzusehen, wenn sie sich Ausbildungs- und Förderungsmaßnahmen unterzieht, die mit Aussicht auf Erfolg dahin zielen, sie für den Eintritt in das Erwerbsleben zu befähigen (BSG 30, 139, 142; SozR Nr. 2 zu § 39 AVAVG). Diese Voraussetzungen hat S. nach den das Revisionsgericht bindenden (§ 163 SGG) Feststellungen des LSG erfüllt. Er hat sich bei der Firma S-A in T einer Anlernzeit als Strandkorbflechter unterzogen, um als Körperbehinderter in das Erwerbsleben mit Aussicht auf Erfolg eingegliedert werden zu können.

Zu Unrecht hat das Berufungsgericht entschieden, daß die Beklagte zum Ersatz der von der Klägerin für die Berufsförderung des S. aufgewendeten Umschulungskosten deshalb nicht verpflichtet sei, weil vor Einleitung der Berufsförderungsmaßnahmen ein Vermittlungsgesuch des S. in ein Anlernverhältnis bei der Beklagten nicht vorgelegen habe. Das LSG hat allerdings zutreffend darauf hingewiesen, daß der Senat in seiner Entscheidung vom 15. März 1967 - 7 RAr 19/65 - (BSG 26, 155, 158 = SozR Nr. 1 zu § 39 AVAVG) ausgeführt hat, für die Annahme einer Verpflichtung der Beklagten nach § 39 Abs. 3 AVAVG müsse festgestellt werden, ob für den Arbeitsuchenden (Berufsanwärter) vor Einleitung der Rehabilitationsmaßnahmen ein echtes Arbeitsgesuch vorgelegen habe. Der Senat hat aber auch in ständiger Rechtsprechung zum Ausdruck gebracht, daß es eines förmlichen Gesuchs um Vermittlung einer Arbeits-, Lehr- oder Ausbildungsstelle gegenüber dem Arbeitsamt nicht bedarf (BSG aaO; ferner BSG 30, 139, 143; SozR Nr. 2 zu § 39 AVAVG). Es genügt, wenn vor Einleitung der Berufsförderungsmaßnahmen in irgendeiner Form die Absicht des Arbeitsuchenden oder Berufsanwärters auf Vermittlung dem Arbeitsamt - sei es auch von dritter Seite - zur Kenntnis gekommen ist. Das vom Senat geforderte Vorliegen eines - wenn auch nicht förmlichen - Vermittlungsgesuchs vor Einleitung der Rehabilitationsmaßnahmen ist, worauf das Berufungsgericht mit Recht hingewiesen hat, deshalb notwendig, weil die Beklagte die Möglichkeit haben muß, auf die Wahl des Ausbildungszweiges und der Ausbildungsstelle Einfluß zu nehmen, damit die Ausbildung Erfolg verspricht. Das kann die Beklagte nur, wenn sie die in Aussicht genommene Ausbildungsstelle kennt und in der Lage ist, die körperliche und geistige Eignung der behinderten Person für diese gewünschte oder eine sonst in Betracht kommende berufliche Ausbildung sowie deren Krisenfestigkeit zu beurteilen. Die Beklagte kann sich jedoch auf das Fehlen eines Vermittlungsgesuchs vor Einleitung der Rehabilitationsmaßnahmen nicht berufen, wenn sie aufgrund eines Beratungsgesprächs mit dem Berufsanwärter nach Eintritt in ein Lehr- oder Anlernverhältnis keinerlei Bedenken erhebt und sogar gegenüber dem Berufsanwärter oder dritten Stellen, insbesondere dem zuständigen Träger der Sozialhilfe, erklärt, der Körperbehinderte sei in dem von ihm selbst eingegangenen Anlernverhältnis förderungswürdig, wie es im vorliegenden Fall das Arbeitsamt L am 11. Mai 1965 getan hat. Die Beklagte ist als zuständiger und sachlich berufener Träger der Arbeitsvermittlung gegenüber anderen Sozialleistungsträgern, die für einen Körperbehinderten Berufsförderungsmaßnahmen einleiten wollen, verpflichtet, diesen Trägern der öffentlichen Verwaltung im Rahmen ihrer gesetzlich niedergelegten Mitwirkungspflicht bei der Aufstellung eines Gesamtplanes in jedem Fall eine Beurteilung abzugeben, die auch bereits bei eingeleiteten Maßnahmen sich klar dazu äußert, ob die zu fördernde Person und die Lehrstelle geeignet sind und für den angestrebten Beruf Krisenfestigkeit, insbesondere auch Vermittlungsmöglichkeiten, bestehen. Die Mitwirkungspflicht der Beklagten ergibt sich insoweit aus § 39 Abs. 4 AVAVG. Diese Verpflichtung hätte aber die Beklagte verletzt, wenn sie selbst das von S. eingegangene Umschulungsverhältnis bei der Firma S-A nicht als förderungswürdig angesehen hätte, obwohl sie mit Schreiben vom 11. Mai 1965 gegenüber der Klägerin das Gegenteil zum Ausdruck brachte. Da die Beklagte in diesem Schreiben die Berufsförderungsmaßnahme bejaht hat, kann sie sich nicht darauf berufen, sie habe wegen des Fehlens eines Vermittlungsgesuchs nicht die Möglichkeit gehabt, auf die Wahl des Ausbildungszweigs und der Ausbildungsstätte Einfluß zu nehmen. Es ist daher im vorliegenden Fall unerheblich, daß S. erst nach Beginn des Anlernverhältnisses die Beklagte unterrichtet und mit dem Arbeitsamt L ein Beratungsgespräch geführt hat. Nach dem Schreiben der Beklagten vom 11. Mai 1965 mußte und konnte die Klägerin davon ausgehen, daß die Beklagte im Rahmen ihrer gesetzlich festgelegten Mitwirkungspflichten (§ 39 Abs. 4 AVAVG; § 46 Abs. 2 BSHG) gegen die Eignung des S., die ausgesuchte Anlernstelle und die Krisenfestigkeit des gewählten Berufes keine Bedenken als sachkundige öffentliche Verwaltung hatte.

Da nach allem für die Beklagte nach § 39 Abs. 3 und 4 AVAVG in Verbindung mit § 46 AVAVG eine vorrangige Pflicht zur Berufsförderung des S. bestand, kann die Klägerin die von ihr gemachten Aufwendungen ersetzt verlangen, soweit dies im öffentlichen Interesse liegt. Die Klägerin war gemäß den §§ 39, 40, 44 BSHG in jedem Fall ohne Säumnis gegenüber dem S. gesetzlich verpflichtet (§ 4 BSHG), die notwendigen und sinnvollen Berufsförderungsmaßnahmen einzuleiten. Sie mußte deshalb das der Beklagten möglicherweise bei einer Verpflichtung aus § 39 Abs. 3 und 4 AVAVG hinsichtlich der Art und des Ausmaßes der Pflichtleistung eingeräumte Ermessen stellvertretend für diese ausüben. Ihr Verhalten dabei kann nachträglich im Rahmen der Geltendmachung ihrer Aufwendungen gegenüber der Beklagten nur unter dem Gesichtspunkt betrachtet werden, ob die von der Klägerin vorgenommene Ermessensausübung nicht zu beanstanden ist. Auf die Frage, ob die Beklagte selbst eine andere mögliche und zulässige Maßnahme ergriffen hat, kann es dabei in Anlehnung an den in § 679 BGB niedergelegten Rechtsgedanken nicht ankommen, wonach ein der Geschäftsführung entgegenstehender Wille des Geschäftsherrn nicht in Betracht kommt, wenn ohne die Geschäftsführung eine Pflicht des Geschäftsherrn, deren Erfüllung im öffentlichen Interesse liegt, nicht rechtzeitig erfüllt worden wäre.

Für den Ersatzanspruch der Klägerin gegenüber der Beklagten ist auch das notwendige öffentliche Interesse gegeben (BSG 16, 151, 157). Dieses entfällt nur dann, wenn beide beteiligten öffentlich-rechtlichen Leistungsträger finanziell auf denselben Rechtstitel angewiesen wären und beide die Angelegenheiten desselben Personenkreises zu verwalten hätten (BSG aaO). Für die hier am Rechtsstreit Beteiligten trifft dies jedoch nicht zu. Die Leistungen für Rehabilitationsmaßnahmen der Beklagten sind dem Beitragsaufkommen der in der Arbeitslosenversicherung versicherten Arbeitnehmer und ihrer Arbeitgeber zu entnehmen (§ 157 AVAVG). Die Mittel der Klägerin für berufliche Rehabilitationsmaßnahmen im Rahmen der Sozialhilfe müssen den Haushaltsmitteln der örtlichen und überörtlichen Träger der Sozialhilfe entnommen werden, die wiederum aus Steuermitteln der Bürger finanziert werden.

Nach allem war die Beklagte zur Berufsförderung des S. in dem Anlernverhältnis bei der Firma Strandkorb-A in der Zeit von Mai bis Dezember 1965 gemäß § 39 Abs. 3 und 4 AVAVG in Verbindung mit § 46 Abs. 2 AVAVG verpflichtet. Die Beklagte hat daher der Klägerin die Aufwendungen zu ersetzen, die sie zur Herstellung der Vermittlungsfähigkeit des S. im Rahmen der Berufsförderung gemacht hat. Das angefochtene Urteil, dem eine hiervon abweichende Rechtsauffassung zugrunde liegt, muß deshalb aufgehoben werden. In der Sache selbst kann der Senat nicht entscheiden, muß vielmehr den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverweisen, weil noch festzustellen ist, ob der Anspruch der Klägerin in voller Höhe gerechtfertigt ist. Insoweit hat das LSG - von seinem Rechtsstandpunkt aus zutreffend - bisher keine Feststellungen getroffen. Solche sind aber im einzelnen notwendig, weil die Beklagte die gesetzliche Aufgabe der Rehabilitation behinderter Personen nur im Rahmen ihrer Vermittlungstätigkeit zugewiesen bekommen hat (BSG 26, 155; SozR Nr. 2 zu § 39 AVAVG). Daraus ergibt sich, daß sie auch nur solche Aufwendungen zu ersetzen hat, die für Maßnahmen notwendig waren, die unmittelbar dieser Vermittlungstätigkeit dienen. Dazu gehören nicht Maßnahmen, die - unabhängig von der Wiedereingliederung in das Berufsleben - allgemein dem Zweck dienen, dem Behinderten ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen, oder deren Zweck es ist, den Behinderten zu einem Arbeitsuchenden oder Berufsanwärter zu machen, ihn also erst in den Stand zu versetzen, eine Arbeits- oder Lehrstelle anzutreten.

In seinem abschließenden Urteil wird das LSG über die Kosten des Revisionsverfahrens mit zu befinden haben.

 

Fundstellen

MDR 1971, 959

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