Leitsatz (amtlich)

1. Als arbeitsuchend iS des AVAVG § 39 Abs 3 hat jede Person zu gelten, die eine Tätigkeit, für die Arbeitskräfte eingestellt zu werden pflegen, ausüben kann. Daß deren Leistungsvermögen eingeschränkt oder vorübergehend aufgehoben ist, steht der Eigenschaft als Arbeitsuchender nicht entgegen.

2. Die notwendigen Maßnahmen der Arbeits- und Berufsförderung bei geistig oder körperlich behinderten Arbeitsuchenden sind Pflichtleistungen der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG § 39 Abs 3 und 4), sofern aufgrund gesetzlicher Vorschriften nicht anderweit hierfür ein Kostenträger vorrangig zuständig ist.

 

Normenkette

AVAVG § 39 Abs. 3 S. 1 Fassung: 1957-04-03, Abs. 4 Fassung: 1957-04-03

 

Tenor

Auf die Revisionen des Klägers und des Beigeladenen wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 3. März 1965 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

 

Gründe

I. Der 1937 geborene Kläger arbeitete von 1952 bis 1957 im landwirtschaftlichen Betrieb seiner Eltern und anschließend bis 1960 bei seinem Bruder, der den Hof übernommen hatte. Im August 1960 erkrankte er an spinaler Kinderlähmung. Am 6. Januar 1961 teilte das Staatliche Gesundheitsamt K dem Arbeitsamt C mit, bei dem Kläger sei wegen Lähmungen an den beiden unteren Extremitäten Umschulung für einen sitzenden Beruf notwendig. Nach arbeitsärztlicher Untersuchung und psychologischer Begutachtung des Klägers schlug das Arbeitsamt dem Gesundheitsamt und dem Landesfürsorgeverband N mit der Bitte um weitere Veranlassung im Sinne des § 7 des Körperbehindertengesetzes (KBG) vor, den Kläger bei der Firma J P Umschulungsbetrieb für Schwerbeschädigte in W, als Industriemechaniker ausbilden zu lassen. Den am 1. September 1961 beim Arbeitsamt gestellten Antrag des Klägers, die Kosten für diese Umschulung zu übernehmen, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 2. Oktober 1961 ab. Sein Widerspruch hiergegen blieb erfolglos.

Der Landesfürsorgeverband verständigte mit Schreiben vom 14. März 1962 das Arbeitsamt, daß er vorläufig die Kosten der Umschulung des Klägers für die Dauer eines Jahres übernehme; hierbei wies er darauf hin, daß dies eine Mitteilung und Anzeige nach § 21 a Abs. 1 und 2 der Reichsfürsorgepflichtverordnung (RFVO) darstelle und machte den Übergang seiner Rechtsansprüche geltend. Mit weiteren Schreiben vom 11. Juli 1962 und 19. April 1963 gab der Landesfürsorgeverband, der als Träger der Sozialhilfe im Sinne des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) auch die weiteren Kosten des am 30. September 1963 beendeten Umschulungskurses trug, Überleitungsanzeige nach § 90 BSHG ab. Die von dem Kläger am 21. April 1962 erhobene Klage wies das Sozialgericht (SG) München ab (Urteil vom 13. September 1963). Die Bundesanstalt habe nach § 39 Abs. 3 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) die erforderlichen Maßnahmen zur Eingliederung von Arbeitsuchenden und Berufsanwärtern zu veranlassen, soweit diese zur Eingliederung von Arbeitsuchenden und Berufsanwärtern zur Erhaltung, Besserung und Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit geistig oder körperlich behinderter Personen erforderlich werden. Falls andere Träger fehlten, stehe es im Ermessen der Bundesanstalt, derartige Maßnahmen selbst durchzuführen. Sie werde nur subsidiär tätig, wie der Hinweis auf § 137 in § 139 AVAVG zeige. Der Kläger sei aber kein Arbeitsuchender oder Berufsanwärter im Sinne des § 39 Abs. 3 AVAVG, weil er wegen seiner körperlichen Behinderung der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung gestanden habe. Schon aus diesem Grund entfalle die Leistungspflicht der Beklagten.

Das Landessozialgericht (LSG) hat den Regierungsbezirk N - Sozialhilfeverwaltung - zum Verfahren beigeladen (Beschluß vom 15. Juli 1964) und die vom Kläger eingelegte Berufung im wesentlichen mit folgender Begründung zurückgewiesen (Urteil vom 3. März 1965): Sowohl aus der systematischen Einordnung als auch aus der Entstehungsgeschichte des § 39 Abs. 3 und 4 AVAVG gehe hervor, daß diese Vorschrift nur im Zusammenhang mit der Vermittlungstätigkeit der Beklagten Anwendung finden könne. Daneben setzten alle Vorschriften, nach denen Rehabilitationsmaßnahmen durchgeführt werden können oder müßten, ein bestimmtes Rechtsverhältnis zwischen dem Leistungsträger und der behinderten Person voraus. Ein solches Rechtsverhältnis habe jedoch nicht bestanden, weil der Kläger vor Beginn seiner Erkrankung ausschließlich im landwirtschaftlichen Betrieb seiner Eltern bzw. seines Bruders versicherungsfrei beschäftigt und auch nach seiner Erkrankung von sich aus mit der Beklagten nicht in Berührung getreten sei. Der Kläger sei schon deshalb kein Arbeitsuchender im Sinne des § 39 Abs. 3 AVAVG gewesen, weil er sich nicht zwecks Vermittlung in Arbeit an die Beklagte gewandt, sondern sich dort nur auf Ersuchen des Gesundheitsamtes vorgestellt habe. Der Bescheid der Beklagten sei aber selbst dann nicht rechtswidrig, wenn der Kläger zu dem Personenkreis des § 39 Abs. 3 AVAVG zu rechnen wäre. Die Beklagte sei schon nach dem Gesetzeswortlaut nicht verpflichtet, die angeführten Maßnahmen durchzuführen. Sie brauche diese nur zu "veranlassen", d. h. auf deren Durchführung bei den jeweils zuständigen Stellen hinzuwirken. Die Beklagte sei aber ihrer vom Gesetz auferlegten Verpflichtung nachgekommen, indem sie den Kläger nach ärztlicher und psychologischer Begutachtung zu einer Umschulung als Industriemechaniker vorgeschlagen habe. Ein Ermessensfehler sei nicht festzustellen. Die Leistungspflicht der Beklagten sei auch nicht damit zu begründen, daß im Falle ihrer Ablehnung der Träger der Sozialhilfe leisten müßte. Die Ermessensfreiheit eines Leistungsträgers bestehe schlechthin, ohne Rücksicht darauf, ob und von wem eine Leistung gewährt wird. Das ergebe sich auch daraus, daß nach der Verkündung des AVAVG vom 23. Dezember 1956 die gleichen Rehabilitationsmaßnahmen in dem KBG vom 28. Februar 1957 und dem BSHG vom 1. Juni 1962 den Fürsorgeträgern auferlegt worden sei. Das wäre überflüssig gewesen, wenn die Beklagte schon aufgrund der Kann-Vorschrift des § 39 Abs. 3 AVAVG zur Leistung verpflichtet sei.

Revision wurde zugelassen.

Der Kläger und der beigeladene Träger der Sozialhilfe haben form- und fristgerecht Revision eingelegt und beantragt,

das Urteil des Bayerischen LSG vom 3. März 1965 und das Urteil des SG München vom 13. September 1962 sowie den Bescheid des Arbeitsamtes vom 2. Oktober 1961 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. März 1962 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten der Umschulungsmaßnahmen für den Kläger zu übernehmen,

hilfsweise,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zu erneuter Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Das Berufungsgericht habe in § 39 AVAVG den Begriff "Arbeitsuchender" verkannt. Als solcher müsse der Kläger gelten, auch wenn er im Zeitpunkt der Kontaktaufnahme mit dem Arbeitsamt nicht sofort arbeits- und vermittlungsfähig gewesen sei; jedenfalls habe er nach seiner Umschulung der Vermittlung in Arbeit zur Verfügung gestanden. Ebenso sei die Auslegung des Begriffs "veranlassen" fehlerhaft. Da die Beklagte nach § 39 Abs. 3 Satz 2 AVAVG derartige Maßnahmen selbst durchführen könne und das Sozialhilferecht nur subsidiär eintrete, werde die "Kann-Vorschrift" im vorliegenden Fall zu einer "Muß-Vorschrift". Sollte jedoch die Durchführung dieser Maßnahmen im Ermessen der Beklagten stehen, dann liege hier eine Ermessensüberschreitung vor. Die Beklagte sei aufgrund ihrer Monopolstellung verpflichtet, auch die Personen zu betreuen, die bisher in keiner Rechtsbeziehung zu ihr standen. Schließlich sei die Ansicht des Berufungsgerichts fehlerhaft, daß zwischen den Leistungsträgern von Rehabilitationsmaßnahmen und den begünstigten Personen stets ein Rechtsverhältnis bestehen müsse. Derartige Maßnahmen müßten schon dann durchgeführt werden, wenn bestimmte Tatbestände oder Eigenschaften des Rehabilitanten vorlägen. Da aber der Kläger nicht zu einer Personengruppe gehöre, die anderwärts von Sonderregelungen erfaßt werde, sei allein die Beklagte verpflichtet, die Rehabilitation durchzuführen und ihre Kosten zu tragen.

Die Beklagte beantragt,

die Revisionen zurückzuweisen,

hilfsweise,

den Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Der Kläger sei kein Arbeitsuchender im Sinne des § 39 Abs. 3 AVAVG, weil nur solche Personen dazu zählten, die sich zum Zwecke der Arbeitsvermittlung an die Beklagte wenden und auch in der Lage seien, eine Tätigkeit auszuüben, für die Arbeitskräfte eingestellt zu werden pflegen. Die Vermittlungsfähigkeit sei also entscheidend. Ferner bedeute der Begriff "veranlassen" in der gesetzlichen Vorschrift nur, daß die Beklagte bei den zuständigen Stellen auf die Durchführung entsprechender Maßnahmen hinzuwirken habe. Das Prinzip einer Subsidiarität der Fürsorgeleistungen greife hier nicht zu Lasten der Beklagten durch. Da der Kläger mangels der Eigenschaft eines Arbeitsuchenden nicht unter ihre Zuständigkeit falle, sei der Grundsatz des Nachranges der Sozialhilfe ihr gegenüber unanwendbar.

II

Die nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zugelassenen Revisionen, die form- und fristgerecht eingelegt sowie begründet wurden, sind statthaft (§§ 164, 166 SGG). Sie sind auch begründet.

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, gemäß § 39 Abs. 3 AVAVG iVm § 139 AVAVG und den hierzu ergangenen Vorschriften des Verwaltungsrates vom 27. März 1958 (BABl S. 609) die Kosten der Umschulung des Klägers zum Industriemechaniker zu tragen.

Nach § 39 Abs. 3 Satz 1 AVAVG hat die Bundesanstalt die notwendigen Maßnahmen der Arbeits- und Berufsförderung zu veranlassen, soweit zur Eingliederung von Arbeitsuchenden und Berufsanwärtern Maßnahmen zur Erhaltung, Besserung und Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit geistig oder körperlich behinderter Personen erforderlich werden. Nach Satz 2 dieser Vorschrift kann sie derartige Maßnahmen selbst durchführen. Danach bestimmt das Gesetz einmal den Personenkreis (Arbeitsuchende und Berufsanwärter), der von der Bundesanstalt betreut werden soll, zum anderen die Aufgaben, die ihr im Rahmen der beruflichen Rehabilitation zufallen.

Bei Auslegung dieser Vorschriften ist zu beachten, daß der Gesetzgeber die Durchführung berufsfördernder Maßnahmen durch die Bundesanstalt im Rahmen der Arbeitsvermittlung (Zweiter Abschnitt des AVAVG) geregelt hat. Das Gesetz behandelt in § 39 AVAVG - im unmittelbaren Anschluß an die Begriffsbestimmung (§ 37) und die Aufgabenstellung (§ 38) - des Näheren die Durchführung der Vermittlung, wobei es die Eingliederung behinderter Personen besonders berücksichtigt. Schon die systematische Stellung des § 39 Abs. 3 AVAVG zeigt, daß diese gesetzliche Aufgabe der Bundesanstalt innerhalb ihrer Vermittlungstätigkeit obliegt. Das bestätigt auch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift. Die jetzige Fassung des § 39 Abs. 3 und 4 AVAVG hat ihren Ursprung in dem früheren § 51 AVAVG vom 23. Dezember 1956 (BGBl. I 1018), den der Ausschuß für Arbeit in den Regierungsentwurf eingefügt hatte (BT-Drucks. II/2714). Dieser schrieb vor, daß die Bundesanstalt die erforderlichen Maßnahmen zur Eingliederung von Arbeitsuchenden und Berufsanwärtern in Arbeit zu veranlassen hat, soweit sie notwendig sind. Der Entwurf sah ferner in § 138 c Abs. 1 vor, daß der Verwaltungsrat der Bundesanstalt mit Zustimmung des Bundesministers für Arbeit Richtlinien zur Durchführung dieser Eingliederungsmaßnahmen für die in § 51 erwähnten Personen, deren Eingliederung wegen einer körperlichen oder geistigen Behinderung unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes gefährdet oder erschwert ist, erläßt. In § 138 c Abs. 2 des Entwurfs war schließlich vorgesehen, der Verwaltungsrat könne zulassen, daß die Bundesanstalt die erforderlichen Maßnahmen der Arbeits- und Berufsförderung selbst durchführt. Die endgültige Fassung des jetzigen § 39 (früher § 51) Abs. 3 und 4 und des § 139 (früher § 138 c) AVAVG, die auf einen Änderungsvorschlag des Abgeordneten Dr. B. zurückgeht, sollte keine materielle Änderung, sondern nur eine redaktionelle Verbesserung des Gesetzes bringen. Der Änderungsvorschlag bezwecke allein, die Fragen der Rehabilitation im Rahmen der Arbeitsverwaltung mit der Terminologie des Bundesversorgungsgesetzes und des Entwurfs eines Rentenversicherungsgesetzes in Einklang zu bringen (Sitzungs-Protokoll des Deutschen Bundestags, 171. Sitzung, 2. Wahlperiode 1956, S. 9397).

Die Auffassung, daß § 39 Abs. 3 AVAVG nur im Rahmen der Vermittlungstätigkeit der Bundesanstalt zur Anwendung gelangt, wird weiterhin durch die Stellungnahme der Bundesregierung zu der Empfehlung Nr. 99 der Internationalen Arbeitskonferenz erhärtet (BT-Drucks. II/3044 S. 10). Die Bundesregierung, die hier die verschiedenen gesetzlich geregelten Maßnahmen zur beruflichen Eingliederung behinderter Personen aufzählt (zB nach dem BVG, der Unfallversicherung, der Rentenversicherung, der öffentlichen Fürsorge), führte aus: "In dem bereits dem Bundestag vorliegenden Entwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des AVAVG sind Bestimmungen enthalten, nach denen die Bundesanstalt bei der Arbeitsvermittlung die besonderen Verhältnisse derjenigen Arbeitsuchenden, deren Unterbringung unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes erschwert ist, gebührend zu berücksichtigen und - soweit erforderlich - arbeits- und berufsfördernde Maßnahmen zu veranlassen hat. Die BfArb hat bei der Durchführung dieser Maßnahmen mit den Trägern der Versorgung, der Sozialversicherung, der öffentlichen und privaten Fürsorge sowie mit anderen einschlägigen Einrichtungen zusammenzuwirken".

Abweichend von der Auffassung des LSG ist allerdings davon auszugehen, daß die Vorschriften, nach denen Rehabilitationsmaßnahmen durchgeführt werden, nicht sämtlich unbedingt ein "Rechtsverhältnis" zwischen Leistungsträger und Rehabilitanten voraussetzen. Vielmehr genügt im allgemeinen die Erfüllung eines bestimmten Tatbestandes, um die erforderlichen Eingliederungsmaßnahmen auszulösen. Nach § 39 Abs. 3 AVAVG ist eine solche Voraussetzung, daß der Behinderte Arbeitsuchender oder Berufsanwärter ist. Wer als "Arbeitsuchender" gilt, hat die beklagte Bundesanstalt - im Einklang mit der gesetzlichen Vorschrift - in ihren Richtlinien für die Arbeitsvermittlung vom 3. September 1962 (vgl. ANBA S. 467) unter Ziff. 31 festgelegt. Danach ist als arbeitsuchend jede Person zu führen, die eine Tätigkeit, für die Arbeitskräfte eingestellt zu werden pflegen, ausüben kann. Da es nach § 39 AVAVG einer der Hauptaufgaben der Bundesanstalt ist, Arbeitnehmer in Arbeit zu vermitteln, kann als Arbeitsuchender auch nur eine Person angesehen werden, die grundsätzlich vermittlungsfähig ist. Dabei ist unerheblich, wer das Arbeitsgesuch stellt und ob der Arbeitsuchende im Sinne des § 76 AVAVG verfügbar ist (Krebs, Komm. zum AVAVG, 2. Aufl., 1964, § 39 Anm. 3). Es genügt, ist aber andererseits erforderlich, daß die Fähigkeit, irgendeine Arbeit auf dem Arbeitsmarkt ausüben zu können, vorhanden ist. Indessen steht der Annahme und Führung des Arbeitsgesuches nicht entgegen, daß das Leistungsvermögen des Arbeitsuchenden eingeschränkt oder vorübergehend aufgehoben ist.

In Anwendung der vorstehend gekennzeichneten Merkmale muß daher für die Person des Klägers zunächst festgestellt werden, ob vor Einleitung der Rehabilitationsmaßnahmen ein echtes Arbeitsgesuch vorlag. Die Auffassung des LSG, ein solches Gesuch habe nicht vorgelegen, ist nicht bedenkenfrei. Unabhängig von dem Einleitungsschreiben des Staatlichen Gesundheitsamtes K. vom 6. Januar 1961 (Bl. 1 der VerwAkten der Beklagten), das die Maßnahmen der Beklagten in Lauf gesetzt und zu deren Eingliederungsvorschlag vom 22. August 1961 nach § 7 KBG geführt hat, spricht neben dem Umstand, daß der damals 24-jährige Kläger bereits seit mehr als acht Jahren in der Landwirtschaft (1952 bis 1957 bei den Eltern; 1957 bis 1960 im Betrieb des Bruders) als Arbeitskraft tätig war, der Inhalt seines Schreibens vom 29. Juni 1961 an das Arbeitsamt Cham (Bl. 3 der VerwAkten) dafür, daß er einen Arbeitsplatz in einem für ihn geeigneten Beruf ernsthaft anstrebte. Der Eigenschaft als Arbeitsuchender steht, wie oben unter Berücksichtigung der Richtlinien der Beklagten vom 3. September 1962 ausgeführt ist, nicht entgegen, daß das Leistungsvermögen des Klägers eingeschränkt oder vorübergehend aufgehoben war. Auch die Auffassung des LSG, daß der Kläger zur BfArb in keinem Rechtsverhältnis gestanden habe, begegnet rechtlichen Bedenken. Es ist aus den tatsächlichen Feststellungen des LSG nicht erkennbar, aus welchen Gründen die Beschäftigung des Klägers im landwirtschaftlichen Betrieb seines Bruders nicht der Versicherungspflicht unterlegen hat (vgl. BSG 3, 31; 17, 1, 6, 8; vgl. ferner BVerfG vom 13. 12. 1966, SozR GG Art. 3 Ab 49 Nr. 59). Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben. Da die Feststellungen des Berufungsgerichts zu einer eigenen Entscheidung des Senats nicht ausreichen, ist der Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Sollte der Kläger Arbeitsuchender im Sinne des § 39 Abs. 3 AVAVG gewesen sein, so wird das LSG feststellen müssen, ob ihm die erforderlichen Mittel nicht oder nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung gestanden haben und auch nicht von Dritten zur Verfügung gestellt werden konnten. Dies gilt insbesondere, wenn Stellen außerhalb der Beklagten die Kosten aufgrund gesetzlicher Bestimmungen zu übernehmen haben. In Zweifelsfällen kommt als Kostenträger grundsätzlich die Stelle in Betracht, die nach den gesetzlichen Bestimmungen vorrangig verantwortlich ist, dem Kläger als Behinderten zu helfen (vgl. die aufgrund des § 139 i. V. m. § 39 Abs. 3 Satz 2 AVAVG erlassenen Vorschriften des Verwaltungsrats der BfArb vom 27. März 1958, ANBA S. 445 = BABl 1958, 609, Abschn. II Ziff. 6). Der Kosteneintritt der Beklagten ist subsidiär, wie sich aus § 39 Abs. 3 i. V. m. §§ 137 und 139 AVAVG ergibt. Daher wäre vorab zu prüfen, ob für den Kläger nicht Rehabilitationsmaßnahmen auf anderer gesetzlicher Grundlage, z. B. nach §§ 1236 ff RVO oder nach § 21 des Schwerbeschädigtengesetzes in Betracht gekommen wären.

Ist allerdings ein anderer Leistungsträger nicht zu ermitteln, der vorrangig für die Kosten einzutreten hat, dann gehen die notwendigen Maßnahmen der Arbeits- und Berufsförderung zu Lasten der Beklagten. Dies folgt aus § 39 Abs. 4 AVAVG: "Die Bundesanstalt hat die zur Durchführung von Abs. 2 und 3 erforderlichen Vorkehrungen zu treffen", also auch die Mittel dafür bereitzustellen. Es handelt sich insoweit um Pflichtleistungen und nicht um "Kann-"Leistungen der Beklagten (Draeger/Buchwitz/Schönefelder, AVAVG, § 39 Anm. 195; Krebs, AVAVG § 39 Anm. 18). Diesen aus dem Gesetz erwachsenen Rechtscharakter vermögen die Vorschriften des Verwaltungsrates der Beklagten vom 27. März 1958 nicht zu ändern. In ihrem pflichtgemäßen Ermessen liegt nur die Auswahl der anzuwendenden Maßnahmen sowie die Entschließung über deren eigene Durchführung. Auf Übernahme der Kosten durch die Träger der Sozialhilfe darf - entsprechend ihrer absoluten Subsidiarität - nicht verwiesen werden (vgl. Draeger/Buchwitz/Schönefelder aaO Anm. 5 zu § 137 AVAVG). Die Auffassung, daß für Maßnahmen der Arbeits- und Berufsförderung bei Arbeitsuchenden - sofern der Gesetzgeber nicht ausdrücklich etwas anderes festgelegt hat - jeweils die Beklagte die Kosten zu übernehmen hat, entspricht im übrigen sozialen Normen, die in langjähriger Entwicklung herausgebildet worden sind und zuletzt abermals in dem Siebenten Gesetz zur Änderung des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (Siebentes Änderungsgesetz zum AVAVG) vom 10. März 1967 (BGBL I 266) ihren Niederschlag gefunden haben.

Das Berufungsgericht wird auch zu prüfen haben, ob die Anträge der Beteiligten sach- und prozeßgerecht gestellt sind (§ 265 der Zivilprozeßordnung), nachdem Anspruchsüberleitung (§ 90 BSHG) stattgefunden hat.

Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.

 

Fundstellen

BSGE, 155

NJW 1967, 2332

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