Leitsatz (redaktionell)

Ausschluß der Krankenversorgung nach BEG § 141a für die gemäß BEG §§ 150, 160 entschädigungsberechtigten Verfolgten:

Den lediglich aufgrund des BEG § 150 als Vertriebene oder des BEG § 160 als Staatenlose bzw politische Flüchtlinge iS der Genfer Konvention entschädigungsberechtigten Verfolgten steht ein Anspruch auf Leistungen der Krankenversorgung für nicht verfolgungsbedingte Leiden nicht zu.

 

Normenkette

BEG §§ 141a, 150, 160

 

Tenor

Die Revision der beklagten Krankenkasse gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 10. August 1972 wird zurückgewiesen.

Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Das klagende Land, dessen Behörden nach dem Bundesgesetz zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung (Bundesentschädigungsgesetz - BEG -) für Entschädigungsansprüche des inzwischen verstorbenen Ehemanns der Beigeladenen zuständig waren (§ 185 Abs. 5 BEG), wendet sich gegen einen Bescheid der beklagten Krankenkasse, durch den dem Ehemann der Beigeladenen ein Anspruch auf Krankenversorgung für nicht verfolgungsbedingte Leiden (§§ 141 a ff BEG) zuerkannt worden ist.

Der Ehemann der Beigeladenen gehörte zu einer besonderen Gruppe von Verfolgten (Verfolgte aus Vertreibungsgebieten, §§ 150 ff BEG), denen nach Ansicht des Klägers keine Ansprüche nach §§ 141 a ff BEG zustehen. Dieser Ansicht hatte sich zunächst auch die Beklagte angeschlossen und die beantragte Ausstellung eines Krankenversorgungsscheins mit Bescheid vom 9. Januar 1969 abgelehnt. Auf den Widerspruch des Ehemanns der Beigeladenen hat sie jedoch festgestellt, daß dieser zum krankenversorgungsberechtigten Personenkreis gehört (Widerspruchsbescheid vom 21. Februar 1969).

Die hiergegen erhobene Klage des Landes, das der Beklagten die aus der Verwendung von Versorgungsscheinen entstandenen Kosten von 64,39 DM zunächst ersetzt hat (§ 227 b BEG), diese aber im Falle des Obsiegens von ihr zurückfordern würde, hat das Sozialgericht (SG) abgewiesen. Auf die Berufung des Landes hat das Landessozialgericht (LSG) den ursprünglichen Bescheid der Beklagten wiederhergestellt (Urteil vom 10. August 1972).

Mit der zugelassenen Revision beantragt die Beklagte, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG zurückzuweisen. Der Kläger beantragt die Zurückweisung der Revision.

II

Die Revision der beklagten Krankenkasse ist unbegründet.

Wie der Senat in einer gleichzeitig entschiedenen Parallelsache (3 RK 66/72) näher ausgeführt hat, kann das klagende Land in Fällen der vorliegenden Art den - ihm zugestellten - Widerspruchsbescheid der beklagten Krankenkasse anfechten, weil es durch ihn jedenfalls insofern betroffen ist, als es - wenn der Bescheid ihm gegenüber bindend geworden wäre - die darin festgestellte Krankenversorgungsberechtigung des Ehemanns der Beigeladenen nicht mehr hätte bestreiten und deshalb hier die der Beklagten vorläufig ersetzten Behandlungskosten von 64,- DM nicht mehr hätte zurückfordern können (zum Rückforderungsanspruch des Landes wegen zu Unrecht gewährten Kostenersatzes vgl. § 227 b Abs. 3 BEG).

Auch Verfolgte aus Vertreibungsgebieten, die die Stichtags- und Wohnsitzvoraussetzungen des § 4 BEG nicht erfüllen (§ 150 BEG) - zu dieser besonderen Verfolgtengruppe gehörte der Ehemann der Beigeladenen -, haben ebenso wie die Gruppe der Staatenlosen und Flüchtlinge (§ 160 BEG) nur einen "nach Art und Umfang beschränkten Anspruch auf Entschädigung" (§ 149 BEG). Auch sie können deshalb Entschädigung nur für die in § 150 BEG numerativ aufgeführten, verfolgungsbedingten Schäden beanspruchen, nämlich nur Entschädigung für Schäden an Körper oder Gesundheit, an Freiheit, durch Zahlung von Sonderabgaben und im beruflichen Fortkommen.

Der hier streitige Anspruch auf Krankenversorgung für nicht verfolgungsbedingte Leiden nach §§ 141 a ff BEG (in das BEG eingefügt durch das BEG-Schlußgesetz vom 14.9.1965, BGBl I, 1315), ist weder ein Anspruch auf Entschädigung für Schäden an Körper oder Gesundheit noch, wie nicht näher begründet zu werden braucht, für Schäden an einem der anderen genannten Rechtsgüter.

Der Anspruch auf Entschädigung für Schäden an Körper oder Gesundheit (§ 28 ff BEG) setzt - ebenso wie die übrigen in den Titeln 1 bis 7 des Zweiten Abschnitts geregelten Ansprüche - einen ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Schaden und der Verfolgung voraus (§ 28 Abs. 1 Satz 2). Zum Ausgleich solcher verfolgungsbedingten Körper- oder Gesundheitsschäden sind eine Reihe von Leistungen, in erster Linie Heilverfahren vorgesehen (§ 29). Nachdem sich jedoch bei Durchführung des Gesetzes gezeigt hatte, daß "für die nach Deutschland zurückgekehrten Emigranten Schwierigkeiten bestehen, für ihre Krankheitskosten Versicherungsleistungen zu erhalten ..., insbesondere in den Fällen, in denen die Verfolgten zur Zeit der Schädigung nicht der Sozialversicherung angeschlossen waren und heute wegen vorgerückten Alters von privaten Krankenversicherungen nicht mehr aufgenommen werden", wurde für sie in Anlehnung an Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes über die Heil- bzw. Krankenbehandlung von Schwerbeschädigten und ihren Familienangehörigen ein Anspruch auf Krankenversorgung für nicht verfolgungsbedingte Leiden geschaffen (Begründung zum Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des BEG, BT-Drucks. IV/1550, S. 32 zu Nr. 62 Allgemeines).

Dieser Versorgungsanspruch wurde zwar allen Verfolgten, deren Anspruch auf Rente für Schäden an Leben oder für Schaden an Körper oder Gesundheit oder auf Soforthilfe festgestellt worden ist, zuerkannt und insofern an diese Ansprüche "angehängt", im übrigen aber selbständig - als eine besondere, weil für nicht verfolgungsbedingte Leiden gewährte Art der Entschädigung (im weiteren Sinne) - in einem eigenen (Neunten) Titel des Zweiten Abschnitts geregelt. In die Leistungskataloge für "Besondere Gruppen von Verfolgten" (§§ 149 ff) wurde der Anspruch auf Krankenversorgung nicht aufgenommen. Schon daraus folgt, daß diesen Gruppen, insbesondere der hier in Betracht kommenden Gruppe der Verfolgten aus Vertreibungsgebieten (§ 150), ein Anspruch auf Krankenversorgung für nicht verfolgungsbedingte Leiden nicht zusteht. Diese Gruppen sind vielmehr, wie sich aus der Systematik des Gesetzes und seiner Entstehungsgeschichte ergibt, auch soweit es sich um Schäden an Körper oder Gesundheit handelt, allein auf Entschädigungsansprüche für verfolgungsbedingte Tatbestände beschränkt (ebenso im Ergebnis Blessing-Giessler, BEG-Schlußgesetz, Nachtrag 1969, S. 86, Rand-Nr. 1 zu § 141 a; Brunn-Hebenstreit, BEG, Schlußnachtrag 1966 bis 1969, S. 122, Rand-Nr. 1 zu § 141 a).

Für die von der Revisionsklägerin vertretenen Auffassung, der Gesetzgeber habe bei Einfügung der §§ 141 ff in das BEG versehentlich unterlassen, ihre Anwendung für die hier in Rede stehenden besonderen Verfolgtengruppen vorzuschreiben, gibt es keine Anhaltspunkte; das Gegenteil ist wahrscheinlich. So ist der Vierte Abschnitt des BEG, der die genannten Gruppen betrifft, durch das BEG-Schlußgesetz in mehrfacher Hinsicht geändert oder ergänzt worden, insbesondere durch Einfügung von neuen Vorschriften für den Fall des Zusammentreffens von Entschädigungsansprüchen (§§ 166 a ff), in denen die (ebenfalls auf dem BEG-Schlußgesetz beruhenden) §§ 141 d ff für entsprechend anwendbar erklärt worden sind. Wenn demgegenüber Vorschriften über eine entsprechende Anwendung der §§ 141 a ff BEG für die besonderen Verfolgtengruppen nicht getroffen worden sind, so läßt dies nur den Schluß zu, daß der Gesetzgeber eine Anwendung jener Vorschriften insoweit nicht hat vorsehen wollen. Für die Annahme einer anderen Willensrichtung bieten auch die Protokolle des zuständigen Bundestagsausschusses keine Stütze; die hier streitige Frage ist in den Ausschußberatungen, soweit ersichtlich, nicht behandelt worden.

Da die Entscheidung des LSG sich somit im Ergebnis als richtig erweist, hat der Senat die Revision als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2145625

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