Entscheidungsstichwort (Thema)

Förderung des Studiums an einer Ingenieurschule

 

Normenkette

AFG § 41 Abs. 1, § 47 Abs. 1

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 8. Februar 1974 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, das Studium des Klägers zum Elektroingenieur an der Staatlichen Ingenieur-Akademie Gauß, Berlin (später: Technische Fachhochschule Berlin) zu fördern.

Der Kläger (geboren 1940) hat das Elektrohandwerk erlernt und die Meisterprüfung bestanden.

Seit Oktober 1968 nahm er berufsbegleitend eine Ausbildung zum Techniker an der Techniker-Abendschule der Staatlichen Ingenieur-Akademie Gauß auf. Im Mai 1970 stellte er bei der Beklagten den Antrag, diese Maßnahme zu fördern. Dem wurde für die Zeit von Juli 1969 bis Februar 1971 entsprochen (Bescheid vom 29. Dezember 1970). Die weiteren Leistungen bis zum Lehrgangsende im Februar 1972 blieben offen.

Bereits am 6. März 1970 stellte der Kläger bei der Beklagten den Antrag, im Anschluß an die Techniker-Ausbildung ein Studium zum graduierten Elektroingenieur an der Staatlichen Ingenieur-Akademie Gauß zu fördern. Dieser Antrag wurde abgelehnt (Bescheid vom 8. April 1970), da das Studium an einer Ingenieurschule nicht zu den Fortbildungsgängen gehöre, die gefördert werden könnten. Widerspruch, Klage und Berufung blieben ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 26. Juni 1970, Urteil des Sozialgerichts -SG - Berlin vom 2. Dezember 1971, Urteil des Landessozialgerichts -LSG - Berlin vom 8. Februar 1974).

Das LSG hat die Auffassung vertreten, daß das Ingenieurstudium für den Kläger keine Fortbildung darstelle.

Eine Aufstiegsfortbildung, wie sie hier vorliege, könne nur dann bejaht werden, wenn die Weiterbildung im Rahmen des vorhandenen Berufs liege. Das sei insoweit der Fall gewesen, als der Kläger sich vom Elektriker zum Meister fortgebildet habe. Die von ihm nunmehr angestrebte Weiterbildung zum graduierten Ingenieur stelle dagegen eine zusätzliche Ausbildung dar. Dies werde auch dadurch deutlich, daß das Studium an der Technischen Fachhochschule keine abgeschlossene Berufsausbildung oder besondere Berufserfahrung voraussetze. Der Senat schließe sich der Auffassung der Beklagten an, daß nach § 41 Abs. 1 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) nur solche Maßnahmen in die Förderung einbezogen werden könnten, die eine abgeschlossene Berufsausbildung oder entsprechende Berufserfahrung voraussetzten. Dies ergebe sich auch aus § 2 Abs. 6 AFuU 1969.

Eine Förderung als Umschulung scheide gleichermaßen aus, weil der Kläger nicht als Arbeitsuchender angesehen werden könne.

Mit der - zugelassenen - Revision vertritt der Kläger die Auffassung, daß der Elektroingenieur im Verhältnis zum Elektromeister oder Elektrotechniker einen beruflichen Aufstieg darstelle. Der enge Zusammenhang ergebe sich daraus, daß dem Kläger aufgrund seiner Vorbildung zwei Studiensemester und das zweijährige Praktikum bis auf einen Monat erlassen worden seien.

Der Kläger ist darüber hinaus der Auffassung, daß die Staatliche Ingenieurschule stets zumindest angemessene Berufserfahrung voraussetze, denn für den Besuch dieser Schule sei mindestens ein zweijähriges Praktikum vorgeschrieben.

Der generelle Ausschluß von Fachhochschulstudien in § 2 Abs. 6 AFuU 1969 sei nicht wirksam. Die Beklagte habe hier den ihr durch § 39 AFG gesetzten Rahmen überschritten.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des LSG Berlin vom 8. Februar 1974 und des Urteils des SG Berlin vom 2. Dezember 1974 sowie des Bescheides des Arbeitsamtes IV Berlin-West vom S. April 1970 in der Fassung des Widerspruchsbescheides des Landesarbeitsamtes Berlin vom 26. Juni 1970 zu verurteilen, dem Kläger Leistungen im Rahmen der individuellen Förderung der beruflichen Fortbildung und Umschulung nach dem Arbeitsförderungsgesetz zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Revision des Klägers gegen das Urteil des LSG Berlin vom 8. Februar 1974 als unbegründet zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, daß eine Förderung nicht in Betracht komme, weil das vom Kläger gewählte Studium an der Technischen Fachhochschule Berlin weder eine Berufsausbildung noch angemessene Berufserfahrung voraussetze. Sie beruft sich auf die Urteile des Senats vom 5. Juni 1973 - 7 RAr 67/72 - und vom 29. März 1974 - 7 RAr 3/72 -.

II

Die Revision des Klägers ist unbegründet. Er hat keinen Anspruch auf Förderung seines Studiums an der Staatlichen Ingenieur-Akademie Gauß, Berlin (später: Technische Fachhochschule Berlin).

Das LSG geht zwar zu Unrecht davon aus, daß dieses Studium für den Kläger als Ausbildung im Sinne des AFG zu werten ist. Die Entscheidung des LSG stellt sich aber aus anderen Gründen als richtig dar (§ 170 Abs. 1 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG -).

Ob eine berufliche Bildungsmaßnahme als Ausbildung, Fortbildung oder Umschulung anzusehen ist, richtet sich im Rahmen des AFG nicht nach dem allgemeinen Sprachgebrauch und ebenso nicht nach den in anderen Rechtsgebieten vorhandenen Begriffsbestimmungen, sondern ist - wie der Senat bereits entschieden hat (Urteil vom 19. März 1974 - 7 RAr 9/73 - SozR 4100 § 41 Nr. 1) - den besonderen Bestimmungen und Zielsetzungen des AFG selbst zu entnehmen. Ausbildung im Sinne des AFG ist - abgesehen von den in § 40 AFG genannten Lehrgängen und anderen berufsvorbereitenden Maßnahmen - stets nur die erste zu einem Abschluß führende berufliche Bildungsmaßnahme, Alle späteren Schritte zur weiteren beruflichen Bildung sind entweder als Fortbildung oder als Umschulung zu werten.

Da der Kläger nach den Feststellungen des LSG das Elektrohandwerk erlernt und in diesem Beruf die Meisterprüfung abgelegt hat, kann es sich bei seinem Studium demnach nur um die Teilnahme an einer Fortbildungs- oder Umschulungsmaßnahme handeln (§§ 41, 47 AFG).

Nach § 41 Abs. 1 AFG ist berufliche Fortbildung die Teilnahme an einer Maßnahme, die das Ziel hat, berufliche Kenntnisse und Fertigkeiten festzustellen, zu erhalten, zu erweitern oder der technischen Entwicklung anzupassen oder einen beruflichen Aufstieg zu ermöglichen, und eine abgeschlossene Berufsausbildung oder eine angemessene Berufserfahrung voraussetzt.

Diese Begriffsbestimmung nimmt allerdings keinen Bezug auf den beruflichen Werdegang des Teilnehmers an der Bildungsmaßnahme, sondern ist allein an ihren Bildungszielen ausgerichtet. Aus der Aufzählung der einzelnen Ziele einer Fortbildungsmaßnahme und dem Umstand, daß eine abgeschlossene Berufsausbildung oder angemessene Berufserfahrung objektiv die Voraussetzung dafür ist, daß die Teilnahme an der Fortbildungsmaßnahme gefördert werden kann, wird jedoch (mittelbar) deutlich, daß die Bildungsmaßnahme stets an ein bestimmtes Berufswissen des einzelnen Teilnehmers anknüpft. Es sollen "berufliche Kenntnisse und Fertigkeiten" durch die Maßnahme erweitert oder der technischen Entwicklung angepaßt oder erhalten oder ein "beruflicher" Aufstieg ermöglicht werden. Im Zusammenhang mit den (objektiv für eine Förderung notwendigen) Zugangsvoraussetzungen ergibt sich, daß der berufliche Werdegang, aber auch die (zukünftige) Fortentwicklung in dem bisherigen Beruf für den Teilnehmer maßgebend dafür ist, ob die Bildungsmaßnahme eine berufliche Fortbildung im Sinne des § 41 Abs. 1 AFG ist. Hieraus ist der Schluß zu ziehen, daß für den einzelnen, der über eine Berufsausbildung oder entsprechende Berufserfahrung verfügt, alle weiteren Bildungsbemühungen in derselben Berufsrichtung als Fortbildung in diesem Sinne anzusehen sind.

Daraus ergibt sich die Abgrenzung zwischen der Fortbildung und der Umschulung. Während die berufliche Fortbildung den Zweck hat, den Bildungswilligen in seinem bisherigen Beruf weiter zu qualifizieren und ihm dadurch die Möglichkeit zu geben, auf seinem Berufsgebiet beweglicher zu werden, zielt die Umschulung nach § 47 Abs. 1 AFG darauf hin, "eine andere geeignete berufliche Tätigkeit" nach Abschluß der Umschulungsmaßnahmen ergreifen zu können. Sowohl bei der Fortbildung als auch bei der Umschulung ist zwar der bisherige Beruf mit den erlernten Fertigkeiten der maßgebende Anknüpfungspunkt für die Unterscheidung beider Bildungsmaßnahmen, jedoch ist entscheidend, ob die in dem bisherigen Beruf erlernten Fertigkeiten in den angestrebten Beruf inhaltlich mit übernommen werden, oder ob diese Fertigkeiten entweder nicht oder nur unwesentlich für die "andere geeignete berufliche Tätigkeit" i. S. des § 47 Abs. 1 AFG Bedeutung haben, insoweit also ein Beruf "mit neuem Inhalt" erlernt wird. Die Unterscheidung zwischen beiden Bildungsmaßnahmen kann im Einzelfall zu gewissen Schwierigkeiten führen, dies insbesondere dann, wenn mit der Teilnahme an der Bildungsmaßnahme für den Bildungwilligen ein beruflicher Aufstieg verbunden sein wird; insoweit sind die einzelnen Verhältnisse für die Abgrenzung von Fortbildung und Umschulung maßgebend.

Kommt es sonach für die Frage, ob im Einzelfall eine berufliche Fortbildung oder eine berufliche Umschulung vorliegt, darauf an, welche Berufsrichtung sich aus der Bildungsmaßnahme ergibt, so ist im vorliegenden Fall das Studium des Klägers nicht - wie die Beklagte meint - als Umschulung, sondern als Fortbildung im Sinne des § 41 Abs. 1 AFG einzuordnen. Die berufliche Entwicklung des Klägers vom Elektromeister über den Elektrotechniker zum Elektroingenieur führt nicht zu einer Tätigkeit mit neuem Inhalt im oben gekennzeichneten Sinne. Die vor dem Ingenieurstudium als Elektromeister und Elektrotechniker erlernten Fertigkeiten sind auch für die Ausübung des späteren Berufs als Ingenieur von nicht unwesentlicher Bedeutung. Zwar kann angenommen werden, daß das Schwergewicht der Tätigkeit eines Meisters mehr im handwerklichen, die Tätigkeit eines Ingenieurs mehr auf dem Gebiet des Planens liegt. Diese Aufgabenstellung eines Meisters, Technikers und Ingenieurs desselben Fachgebiets kann sich in der Praxis weitgehend überschneiden. Inwieweit dies der Fall ist, hängt von der Art der jeweils beabsichtigten, übernommenen oder übertragenen Aufgabe ab. In jedem Fall sind aber die Fertigkeiten der unteren Berufsebene und das dabei erworbene Berufwissen für die höhere Berufsebene bedeutsam. Diese enge Wechselbeziehung zwischen den jeweiligen Berufsebenen schließt es aus, das Erreichen der höheren Berufsebene als Umschulung im Sinne des § 47 AFG anzusehen. Gewisse Schwerpunktverschiebungen innerhalb eines Berufsbereichs begründen noch nicht die Annahme, daß damit eine Tätigkeit mit anderem Inhalt vorliegt.

Dabei ist zu berücksichtigen, daß eine Bildungsmaßnahme, die - wie hier - zu einem beruflichen Aufstieg führt, in aller Regel zur Folge hat, daß der Bildungswillige zukünftig in einen anderen Aufgabenkreis seines Berufes gelangt - und auch gelangen will -, er also mit der Bildungsmaßnahme gerade von der unteren in die höhere Berufsebene gelangt. Insoweit kann im vorliegenden Fall von einer schrittweisen Entwicklung im selben Berufsweg gesprochen werden. Die schrittweise zunehmende Übernahme höherer Aufgaben bei der Entwicklung vom Elektriker über den Elektromeister und den Elektrotechniker zum Elektroingenieur ist somit inhaltlich als Fortbildung im Sinne des § 41 Abs. 1 AFG einzuordnen.

Die Förderung des Klägers im Rahmen der Fortbildung scheitert jedoch daran, daß die objektiven Zugangsvoraussetzungen für eine Förderung nach § 41 Abs. 1 AFG nicht gegeben sind (BSG SozR 4100 § 41 Nr. 1). Die Teilnahme am Studium an der Fachhochschule setzt nämlich weder eine abgeschlossene Berufsausbildung noch eine angemessene Berufserfahrung voraus. Nach den nicht angegriffenen und daher für den Senat bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) sind nach der Studienordnung vom 7. Februar 1966 (§ 2) u.a, auch Bewerber mit dem Abschlußzeugnis einer höheren Schule zugelassen, die - je nach Art der Schule - zusätzlich ein (gelenktes) Praktikum von 1 1/2 oder 2 Jahren nachweisen. Das für diese Bewerber geforderte Praktikum ist keine abgeschlossene Berufsausbildung im Sinne des § 41 Abs. 1 AFG. Es ersetzt auch nicht die alternative Zugangsvoraussetzung einer angemessenen Berufserfahrung. Aus dem Begriff der Angemessenheit der Berufserfahrung und dem Umstand, daß diese Erfahrung neben der abgeschlossenen Berufsausbildung als (objektiv erforderliche) Zugangsvoraussetzung in § 41 Abs. 1 AFG gefordert wird, um eine Fortbildungsmaßnahme als förderungsfähig anzusehen (vgl. BSG a.a.O.), folgt bereits, daß die angemessene Berufserfahrung zu etwa gleichwertigen und gleichartigen beruflichen Kenntnissen und Fertigkeiten geführt haben soll wie die abgeschlossene Berufsausbildung. Welcher zeitliche Aufwand hierzu erforderlich ist, kann für den vorliegenden Fall dahinstehen, auch wenn man - möglicherweise - davon ausgehen kann, daß regelmäßig der Erwerb von beruflichen Kenntnissen und Fertigkeiten durch eine angemessene Berufserfahrung mindestens den gleichen Zeitraum benötigt, der erforderlich ist, um eine Berufsausbildung abzuschließen. Abgesehen davon ist jedenfalls ein Praktikum nicht dazu bestimmt, eine einer abgeschlossenen Berufsausbildung etwa gleichwertige angemessene Berufserfahrung zu vermitteln; es soll dem Praktikanten einen gewissen Überblick über die Aufgaben und praktischen Erfordernisse eines Berufs oder Berufszweiges verschaffen. Der Praktikant soll - worauf der Ausdruck "Praktikum" schon hindeutet - gewisse praktische Erfahrungen sammeln, nicht jedoch zu einer so umfassenden - angemessenen - Berufserfahrung gelangen, daß diese Erfahrungen den Kenntnissen und Fertigkeiten einer abgeschlossenen Berufsausbildung entsprechen. Die Kenntnisse und Fertigkeiten eines Praktikanten nach Beendigung des Praktikums sollen vielmehr nur dazu dienen, daß er bei einem späteren Studium ein gewisses Verständnis für die ihm dabei vermittelten theoritischen Grundlagen seines späteren Berufes hat. Steht aber das Studium des Klägers auch dem hier bezeichneten Personenkreis offen, so besteht wegen Fehlens der objektiven Zugangsvoraussetzungen kein Anspruch auf Förderung der inhaltlich als Fortbildung anzusehenden Bildungsmaßnahme, selbst dann nicht, wenn zum Studium gleichermaßen solche Bewerber zugelassen werden, die im Einzelfall den Nachweis einer abgeschlossenen Berufsausbildung oder angemessenen Berufserfahrung erbringen müssen.

Da somit eine Förderung des vom Kläger durchgeführten Studiums nach den Vorschriften des AFG ausscheidet, kommt es für die Entscheidung nicht mehr darauf an, ob § 2 Abs. 6 AFuU 1969, der den Besuch einer Ingenieurschule generell von der Förderung ausschließt, dem Inhalt der Ermächtigung des § 39 AFG entspricht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Unterschriften

Dr. Brocke, Vorsitzenden Richter

Hennig, Richter

Dr. Gagel, Richter

 

Fundstellen

BSGE, 174

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