Leitsatz (amtlich)

Die einem Esten (russischer Staatsangehörigkeit) vom NKWD im Jahre 1956 erteilte Anweisung, in einer bestimmten größeren Stadt in Estland Wohnung zu nehmen und seinen Aufenthaltsort nicht zu wechseln, stellt kein "Festgehaltenwerden" iS des UBG § 2 Abs 2 dar.

 

Leitsatz (redaktionell)

Beendigung der Kriegsgefangenschaft - Gebietseingliederung Estlands in die UdSSR - "Heimschaffung" - Überwachung durch NKWD: 1. Die Frage, wann die Kriegsgefangenschaft ihr Ende gefunden hat, ist nach Völkerrecht zu beurteilen. 2. Mit dem Tage der Gebietseingliederung Estlands in die UdSSR auf Grund des Gesetzes vom 1940-08-06 hatte H die russische Staatsangehörigkeit erworben. 3. Bei der Frage, ob der Kriegsgefangene noch von einer ausländischen Macht festgehalten wird, stellt das Gesetz nicht auf das staatsrechtliche Verhältnis zwischen dem Festgehaltenen und der festhaltenden Macht ab sondern geht ersichtlich vom Standpunkt des deutschen Gesetzgebers aus, der alle nichtdeutschen Mächte als ausländische ansieht. 4. Die Heimschaffung bedeutet die Verbringung des Kriegsgefangenen in das Land, von dem er abhängt. 5.Die Beschränkung der Freizügigkeit, denen H in K unterworfen war, genügen nicht den Erfordernissen des Festgehaltenwerdens iS des UBG § 2 Abs 2. Der Senat ist der Auffassung, daß eine solche auch in anderen östlichen Staaten keineswegs ungewöhnlichen Aufenthaltsbeschränkung in der Heimat und ohne den mit einer Verbannung verbundenen psychischen Zwang nur als eine administrative Maßnahme angesehen werden kann.

 

Normenkette

UBG § 2 Abs. 2 Fassung: 1952-04-30

 

Tenor

Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 8. Februar 1968 aufgehoben, soweit es die Verpflichtung der Kläger zur Rückzahlung der für die Zeit vom 1. April 1957 bis zum 31. Dezember 1957 gewährten Witwen- und Waisenrente betrifft. Insoweit wird der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Im übrigen wird die Revision der Kläger zurückgewiesen.

 

Gründe

Die Kläger begehren Versorgung nach dem Gesetz über die Unterhaltsbeihilfe für Angehörige von Kriegsgefangenen (UBG) für die Zeit vom 1. Januar 1957 bis zum 31. Dezember 1963 und wenden sich hilfsweise gegen die Rückforderung überzahlter Witwen- und Waisenrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) in Höhe von 2.235,- DM für die Zeit vom 1. April bis 31. Dezember 1957.

Der 1903 in Estland geborene Ehemann und Vater der Kläger, M H (H.), der bis zu seiner im Mai 1966 bewilligten Namensänderung den Familiennamen L trug, war bis September 1940 Berufsoffizier der estnischen Armee gewesen und unterstand ab Februar 1942 als Bataillonskommandeur eines Selbstschutz- bzw. Grenzschutzregiments der deutschen Wehrmacht. Nach seinem Einsatz an der Ostfront galt er seit September 1944 als vermißt und wurde auf Antrag der Klägerin durch Beschluß des Amtsgerichts Schwäbisch-Gmünd vom 6. April 1951 für tot erklärt. Im Jahre 1956 kehrte er zu seiner Schwester in Estland zurück und reiste im Dezember 1965 in die Bundesrepublik (BRD) ein. Wie sich herausstellte, war H. im September 1944 mit seiner Einheit von russischen Truppen gefangengenommen worden, am folgenden Tage aus der Kriegsgefangenschaft geflohen und hatte den Kampf mit einer acht Mann starken Kampfgruppe bis zum 10. Mai 1945 fortgesetzt. In der Zeit danach bis 1948 hielt er sich in den Wäldern Estlands verborgen, lebte bis Januar 1956 unter falschem Namen und erhielt, nachdem er sich freiwillig gestellt hatte, vom NKWD im August 1956 die Weisung, seinen Wohnsitz in K (Estland) zu nehmen. Die Kläger selbst flüchteten Ende 1944 nach Deutschland und wurden gemäß Urkunde vom 5. Januar 1957 als deutsche Staatsangehörige eingebürgert. H. erwarb am 6. März 1967 die deutsche Staatsangehörigkeit.

Mit Bescheiden vom 31. August 1951 gewährte das Versorgungsamt (VersorgA) den Klägern ab 1. April 1950 Witwen- und Waisenrente zunächst nach dem KB-Leistungsgesetz und ab 1. Oktober 1950 nach § 38 BVG. Am 4. Dezember 1957 gab die Klägerin beim VersorgA an, sie habe kurz vor Weihnachten 1956 von ihrer Schwägerin in Estland erfahren, daß ihr Mann dort vollständig heruntergekommen und schwer krank eingetroffen sei. Von ihrem Mann selbst habe sie im März 1957 einen Brief aus Estland erhalten. Auf Grund dieser Angaben der Klägerin hat das VersorgA die Zahlung der Versorgungsbezüge zum 31. Dezember 1957 eingestellt und mit Bescheid vom 24. Juni 1958 wegen wesentlicher Änderung der Verhältnisse gemäß § 62 Abs. 1 BVG i. V. m. der Verwaltungsvorschrift (VerwV) Nr. 3 zu § 52 BVG unter Bestätigung dieser Einstellung eine Überzahlung an Witwen- und Waisenrente für die Zeit vom 1. Januar 1957 bis zum 31. Dezember 1957 in Höhe von insgesamt 2.940,- DM festgestellt und diese gemäß § 47 Abs. 2 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (VerwVG) zurückgefordert. Gleichzeitig hat es einen im Januar 1958 gestellten Antrag der Kläger auf Gewährung von Versorgung nach dem UBG mit der Begründung abgelehnt, daß die Kriegsgefangenschaft des H. nach Erlangung der Freiheit in der estnischen Heimat beendet gewesen sei. Nach erfolglosem Widerspruch haben die Kläger im Verfahren vor dem Sozialgericht (SG) den Anspruch auf Versorgung nach dem UBG weiterverfolgt und sich im übrigen gegen die Rückforderung überzahlter Witwen- und Waisenrente nach dem BVG gewandt. Das SG hat mit Urteil vom 12. Mai 1959 antragsgemäß unter Aufhebung des Bescheides des VersorgA I Stuttgart vom 24. Juni 1958 und des Widerspruchsbescheides des Landesversorgungsamtes (LVersorgA) Baden-Württemberg vom 31. Oktober 1958 den Beklagten verurteilt, den Klägern Leistungen nach dem UBG ab 1. Januar 1958 (Monat der Antragstellung) zu gewähren. Die Klage gegen die Rückforderung der überzahlten Witwen- und Waisenrente nach dem BVG in Höhe von 2.940,- DM hat das SG als unbegründet abgewiesen.

In Ausführung dieses Urteils hat das VersorgA den Klägern ab 12. Mai 1959 - unter teilweiser Anrechnung der Rückzahlungsverpflichtung (im Betrage von 1.666,70 DM) - vorläufig Versorgung nach dem UBG gewährt.

Die Kläger und der Beklagte haben gegen das Urteil des SG Berufung eingelegt. Die Kläger haben u. a. vorgetragen, das von der Klägerin der Versorgungsverwaltung am 4. Dezember 1957 vorgelegte Schreiben des H. trage zwar das Datum vom März 1957, doch müsse wegen der Zensur, der alle Schreiben aus Rußland unterworfen seien, und wegen des sehr langen Beförderungsweges in den Westen hier mit einem Zustellungszeitraum von einigen Monaten gerechnet werden; tatsächlich habe die Klägerin nach ihrer glaubhaften Versicherung dieses Schreiben erst mindestens drei Monate später erhalten. Eine Rückforderung der überzahlten Versorgungsleistungen schon ab 1. Januar 1957 sei somit auf jeden Fall ungerechtfertigt. Das VersorgA hat mit Bescheid vom 4. August 1966 den Klägern gemäß § 5 Abs. 3 UBG idF des Zweiten Neuordnungsgesetzes vom 21. Februar 1964 (2. NOG) für die Zeit vom 1. Januar 1964 bis zum 31. Dezember 1965 (d. h. bis zur Rückkehr des H.) und gemäß § 5 Abs. 2 UBG für weitere sechs Monate darüber hinaus bis zum 30. Juni 1966 Unterhaltsbeihilfe im Wege der Kann-Versorgung bewilligt. Mit Rücksicht hierauf haben die Kläger den Anspruch auf Unterhaltsbeihilfe nach dem UBG eingeschränkt und nur noch Leistungen bis zum 31. Dezember 1963 gefordert, andererseits den Antrag auf die Zeit vom 1. Januar 1957 bis 31. Dezember 1957 erweitert. Sie haben demgemäß beantragt, den Beklagten unter Abänderung des Urteils des SG zu verpflichten, ihnen einen Bescheid über die Gewährung von Unterhaltsbeihilfe für die Zeit vom 1. Januar 1957 bis zum 31. Dezember 1963 zu erteilen, hilfsweise, den Bescheid des VersorgA vom 24. Juni 1958 auch insoweit aufzuheben, als die Rückerstattung überhobener Witwen- und Waisenrente im Betrage von 2.940,- DM gefordert werde. Ferner haben sie beantragt, die Berufung des Beklagten zurückzuweisen. Der Beklagte hat beantragt, unter Abänderung des Urteils des SG die Klage in vollem Umfang abzuweisen und die Berufung der Kläger zurückzuweisen.

Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 8. Februar 1968 das Urteil des SG abgeändert. Es hat - auf die Berufung des Beklagten - die Klage auf Unterhaltsbeihilfe nach dem UBG abgewiesen und - auf die Berufung der Kläger - festgestellt, daß diese nur noch zur Rückzahlung der für die Zeit vom 1. April 1957 bis 31. Dezember 1957 geleisteten Witwen- und Waisenrente verpflichtet seien. Im übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen. Es hat ausgeführt, nach den §§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 1 UBG erhielten die Ehefrau und die sonstigen unterhaltsberechtigten Angehörigen eines Kriegsgefangenen, der sich nach dem 31. März 1950 in Kriegsgefangenschaft befinde, die gleichen Leistungen, auf die nach geltendem Recht Kriegshinterbliebene Anspruch hätten. H. habe als estnischer Volks- und Staatsangehöriger zwar nicht unmittelbar zu dem versorgungsberechtigten Personenkreis im Sinne der §§ 1 bis 3 und 7 BVG gehört. Er werde jedoch durch Abschnitt A Ziffer 6 c der Richtlinien für die Versorgung von Kriegsopfern im Ausland erfaßt, zu denen nach Abschnitt II Ziffer 3 des Rundschreibens des Bundesministers für Arbeit (BMA) vom 21. November 1961 - V a 1-5 190.1.12 - 4813/61 auch Personen gehörten, die als estnische ... Staatsangehörige im Rahmen der deutschen Wehrmacht eine gesundheitliche Schädigung erlitten hätten, sowie ihre Hinterbliebenen. H. habe, solange er als Bataillonskommandeur des 2. estnischen Grenzschutzregiments der 300. Sonderdivision der deutschen Wehrmacht unterstanden habe, militärischen Dienst im Sinne dieser Richtlinien geleistet. Diese Unterstellung habe nach der Gefangennahme der Einheit im September 1944, spätestens jedoch am 10. Mai 1945, dem Zeitpunkt geendet, bis zu dem er nach seinen Angaben den Kampf befehlsgemäß fortgesetzt habe. Die nachfolgende Zeit bis 1948, in welcher er sich in den Wäldern Estlands verborgen gehalten und die Zeit von 1948 bis 1956, in welcher er unter fremdem Namen gelebt habe, seien dem militärischen Dienst nicht mehr zuzurechnen und stellten auch keine Kriegsgefangenschaft dar, da sich H. während dieser Zeit nach eigenem Willensentschluß frei im Lande habe bewegen können. Eine Beschränkung seiner Freizügigkeit sei erst im August 1956 eingetreten, als er nach seiner freiwilligen Meldung bei dem NKWD die Weisung erhalten habe, seinen Wohnsitz in K zu nehmen. Es könne dahingestellt bleiben, welche Gründe für diese Anordnung maßgebend gewesen seien und welche Rechtswirkungen sie für H. gehabt hätten, denn auf alle Fälle sei diese Maßnahme nicht "anläßlich" seines inzwischen mehr als 10 Jahre zurückliegenden Militärdienstes getroffen worden und stünde daher mit diesem auch nicht mehr in einem unmittelbaren Zusammenhang im Sinne des § 2 Abs. 1 UBG. Auch die Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 UBG seien nicht gegeben, da H. bis 1956 nicht von einer ausländischen Macht festgehalten worden sei und die im August 1956 getroffene Maßnahme mit den Kriegsereignissen in keinem unmittelbaren Zusammenhang mehr gestanden habe. Ein nur allgemeiner Zusammenhang mit dem Kriege genüge nicht. Die Kläger gehörten deshalb auch nicht zu dem versorgungsberechtigten Personenkreis im Sinne des § 1 UBG. Sie hätten deshalb weder für das Jahr 1957 noch, entgegen der Auffassung des SG, für die Zeit ab 1. Januar 1958 einen Rechtsanspruch auf Unterhaltsbeihilfe. Dem hilfsweise gestellten - die Rückforderung betreffenden - Antrag der Kläger könne nur teilweise entsprochen werden. Das VersorgA habe zwar seinen Bescheid vom 24. Juni 1958 auf § 62 Abs. 1 BVG gestützt, doch hätten sich nicht die Verhältnisse, wie sie dem Bescheid vom 31. August 1951 zugrunde gelegen hätten, geändert, vielmehr habe sich herausgestellt, daß H. noch gelebt habe und damit die tatsächlichen Verhältnisse anders gewesen seien, als beim Erlaß des Bescheides vom 31. August 1951 angenommen worden sei. Damit aber seien die Tatbestandsmerkmale des § 41 VerwVG erfüllt. Der Bescheid vom 24. Juni 1958 sei in einen Berichtigungsbescheid nach § 41 VerwVG umzudeuten. Dies sei auch zulässig, da die verschiedenen Rechtsfolgen des § 41 VerwVG (ex tunc-Wirkung) und des § 62 BVG (ex nunc-Wirkung) sich hier nicht auswirkten, weil von den Klägern nur die vom 1. Januar bis 31. Dezember 1957 gezahlte Hinterbliebenenrente zurückgefordert werde, was im Rahmen des § 62 BVG auch zulässig sei, wenn man die wesentliche Änderung der maßgeblich gewesenen Verhältnisse im Auftauchen des H. im Dezember 1956 erblicke. Die Klägerin zu 1) sei in dem Bescheid vom 31. August 1951 ausdrücklich darauf hingewiesen worden, daß sie alle Tatsachen sofort zu melden habe, welche darauf hindeuteten, daß ihr verschollener und für tot erklärter Mann noch lebe. Sie habe also gewußt, daß dieser Umstand für den Bezug der Hinterbliebenenrente von Bedeutung sei und zur Entziehung der Rente habe führen können. Die Klägerin zu 1) habe spätestens bei Empfang der Versorgungsbezüge für den Monat April 1957 durch den Empfang des Briefes vom März 1957 Gewißheit darüber erlangt, daß H. noch lebe, und damit auch gewußt, daß ihr Hinterbliebenenversorgung nicht mehr zugestanden habe. Der Beklagte sei daher gemäß § 47 Abs. 3 a VerwVG, nicht nach § 47 Abs. 2 VerwVG, berechtigt gewesen, die vom 1. April 1957 bis 31. Dezember 1957 gewährte Witwen- und Waisenrente zurückzufordern.

Mit der zugelassenen Revision rügen die Kläger eine Verletzung der §§ 2, 5 UBG, 62 BVG, 41, 47 VerwVG und 128 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), § 2 Abs. 1 und 2 UBG erfordere als Anspruchsvoraussetzung für die Gewährung von Unterhaltsbeihilfe u. a. nur, daß Kriegsgefangene oder diesen gleichgestellte Personen von einer ausländischen Macht festgehalten würden. Dieser Tatbestand treffe aber für die streitige Zeit auf H. zu, der nachgewiesenermaßen schon ab 1956 und über den 31. Dezember 1963 hinaus in K von den russischen Behörden festgehalten worden sei und der in dieser Zeit auch unter ständiger Bewachung gestanden habe. Diese Festhaltung habe auch noch mit dem vorher als Offizier geleisteten Militärdienst, jedenfalls noch mit den Kriegsereignissen im Zusammenhang gestanden, denn ohne die vorherige Dienstleistung in der deutschen Wehrmacht und die spätere Flucht aus der Gefangenschaft hätte für die Russen keine Veranlassung zu derartigen Maßnahmen bestanden. Wenn das LSG diese Voraussetzung mit der Begründung verneint habe, daß sich H. von 1948 bis 1956 unter fremdem Namen nach eigenem Willensentschluß frei im Lande habe bewegen können, so könne dem nicht zugestimmt werden, da diese Zeit nicht als "Freiheit" bezeichnet werden könne. Er habe nur wegen seiner militärischen Dienstleistung für Deutschland als Todeskandidat in ständiger Lebensgefahr geschwebt und sich auch unter falschem Namen nicht frei und ungezwungen bewegen können. Der Anspruch auf Unterhaltsbeihilfe - für die Zeit vom 1. Januar 1957 bis 31. Dezember 1963 - werde auch nicht etwa deshalb ausgeschlossen, weil H. nach seiner Flucht aus der Kriegsgefangenschaft in seine Heimat zurückgekehrt sei, da als maßgebliches Heimkehrland im Sinne der gesetzlichen Vorschriften hier nur Deutschland in Frage kommen könne. Eine Rückforderung der überzahlten Witwen- und Waisenrente sei aber auf jeden Fall unzulässig. Wenn es sich tatsächlich, wie das LSG gemeint habe, bei dem Bescheid vom 24. Juni 1958 um einen Bescheid nach § 41 VerwVG handele, sei ein solcher Berichtigungsbescheid deshalb rechtswidrig, weil es in diesem Fall an der erforderlichen vorherigen Zustimmung des LVersorgA nach § 41 Abs. 2 VerwVG fehle. Ein Rückforderungsanspruch sei aber auch deshalb ausgeschlossen, weil es bei den Klägern an der zur Rückforderung erforderlichen Bösgläubigkeit fehle. Insoweit sei auf die seinerzeit noch fortbestehende Todeserklärung und den Umstand zu verweisen, daß die zunächst erhaltenen Briefe mit Decknamen unterzeichnet gewesen seien, die berechtigte Zweifel hinsichtlich des tatsächlichen Briefschreibers zugelassen hätten. Außerdem sei nicht berücksichtigt worden, was bereits im Schriftsatz vom 25. August 1959 vorgetragen worden sei, daß das am 4. Dezember 1957 der Versorgungsverwaltung vorgelegte Schreiben zwar das Datum vom März 1957 trage, aber tatsächlich frühestens drei bis vier Monate später erst in Deutschland eingetroffen sei. Damit erweise sich aber eine sichere Kenntnis der Kläger vom Fortleben des H. schon im März 1957, dem Absendedatum des Briefes, als unmöglich. Die gegenteilige Annahme des Berufungsgerichts beruhe auf einer Verletzung des § 128 SGG.

Die Kläger beantragen,

unter Aufhebung des Urteils des LSG Baden-Württemberg vom 8. Februar 1968 die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG Stuttgart vom 12. Mai 1959 zurückzuweisen und den Beklagten unter entsprechender Abänderung dieses Urteils zu verurteilen, den Klägern auch für die Zeit vom 1. Januar 1957 bis 31. Dezember 1963 Unterhaltsbeihilfe zu gewähren und hierüber einen entsprechenden Bescheid zu erteilen;

hilfsweise,

das Urteil des LSG insoweit aufzuheben, als es die gegen die Rückforderung im Bescheid vom 24. Juni 1958 idF vom 31. Oktober 1958 gerichtete Klage für die Zeit vom 1. April 1957 bis 31. Dezember 1957 abgewiesen habe und unter entsprechender Abänderung des Urteils des SG Stuttgart vom 12. Mai 1959 diese Bescheide hinsichtlich der Rückforderung auch für die Zeit vom 1. April 1957 bis 31. Dezember 1957 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Revision der Kläger gegen das Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 8. Februar 1968 als unbegründet zurückzuweisen.

Die durch Zulassung statthafte Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und daher zulässig (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164, 166 SGG); sie ist sachlich zum Teil auch begründet.

Der Beklagte und das LSG haben zunächst den Anspruch der Kläger auf Gewährung von Versorgung sowohl nach § 2 Abs. 1 wie auch nach § 2 Abs. 2 UBG idF vom 30. April 1952 (BGBl I 262) für die Zeit vom 1. Januar 1957 bis zum 31. Dezember 1963 im Ergebnis zu Recht verneint, weil der Ehemann und Vater der Kläger, H., in diesem Zeitraum im Sinne dieser Vorschrift weder als Kriegsgefangener festgehalten noch als eine den Kriegsgefangenen gleichgestellte Person im Zusammenhang mit den Kriegsereignissen verschleppt oder von einer ausländischen Macht festgehalten worden ist. Die Vorschrift des § 2 UBG ist für den noch im Streit befindlichen Zeitraum seit dem Inkrafttreten des Gesetzes vom 13. Juni 1950 (BGBl 204) nicht mehr geändert worden. Die auf Grund des Zweiten Neuordnungsgesetzes (2. NOG) vom 21. Februar 1964 (BGBl I 85) eingetretenen Änderungen des UBG müssen außer Betracht bleiben, da sie gemäß Art. VI § 5 des 2. NOG erst mit Wirkung vom 1. Januar 1964 in Kraft getreten sind. Deshalb ist auch das UBG hier nicht in der Neufassung vom 18. März 1964 (BGBl I 219) anwendbar.

Nach § 1 Abs. 1 UBG erhalten die Ehefrau und die sonstigen unterhaltsberechtigten Angehörigen eines Kriegsgefangenen, der sich nach dem 31. März 1950 noch in Kriegsgefangenschaft befindet, Unterhaltsbeihilfe. § 2 Abs. 1 UBG bestimmt, daß Kriegsgefangene im Sinne dieses Gesetzes Personen sind, die anläßlich militärischen oder militärähnlichen Dienstes gefangengenommen wurden und noch von einer ausländischen Macht festgehalten werden. Das UBG knüpft damit an den im Völkerrecht vorgegebenen Begriff des Kriegsgefangenen und an die völkerrechtliche Stellung an, die der Kriegsgefangene in der Haager Landkriegsordnung vom 18. Oktober 1907 (RGBl 1910, 107) und in dem III. Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über die Behandlung von Kriegsgefangenen (BGBl 1954 II 838) erfahren hat. Das bis 1949 geltende Genfer Abkommen über die Behandlung von Kriegsgefangenen vom 27. Juli 1929 (RGBl 1934 II 227) ist durch das Abkommen vom 12. August 1949 (Art. 134) ersetzt worden. Da sich die Rechtsstellung des H. als Kriegsgefangener nach Völkerrecht bestimmt, ist auch die Frage, wann seine Kriegsgefangenschaft ihr Ende gefunden hat, nach Völkerrecht zu beurteilen (BVerwG, Urt. vom 13. November 1957 - VC 595/56 -, DVBl 1958 S. 134; Urt. des erkennenden Senats - 9 RV 130/68 - vom 8. September 1970).

Das LSG ist zu Unrecht davon ausgegangen, daß H. noch estnischer Staatsangehöriger gewesen sei, als er militärischen Dienst im Rahmen der deutschen Wehrmacht geleistet hat. Es hat nicht berücksichtigt, daß H. mit dem Tage der Gebietseingliederung Estlands in die UdSSR auf Grund des Gesetzes vom 6. August 1940 die russische Staatsangehörigkeit erworben hatte (Geilke, Das Staatsangehörigkeitsrecht der Sowjetunion, Band 25 der Sammlung geltender Staatsangehörigkeitsgesetze, 1964 S. 81, 160 unter Hinweis auf das Dekret vom 7. September 1940 über den Erwerb der Staatsbürgerschaft der UdSSR durch Staatsangehörige der Litauischen, Lettischen und Estnischen Sozialistischen Sowjetrepubliken, abgedruckt bei Geilke, aaO, S. 334, und auf das Gesetz über die Aufnahme der Estnischen SSR in die UdSSR vom 6. August 1940 (VVS v. 22. August 1940) - Geilke aaO S. 81 -). Für H. war somit staatsrechtlich der Sowjetstaat keine ausländische Macht. Zwar setzt der Verschleppungstatbestand des § 2 Abs. 2 UBG die zwangsweise Verbringung in ein ausländisches Staatsgebiet, d. h. in ein für den Betroffenen in bezug auf seine Staatsangehörigkeit fremdes Staatsgebiet voraus (BSG in SozR Nr. 3 zu § 2 UBG). Bei der Frage jedoch, ob im Sinne des § 1 Abs. 1 UBG der Kriegsgefangene noch von einer ausländischen Macht festgehalten wird, stellt das Gesetz nicht auf das staatsrechtliche Verhältnis zwischen dem Festgehaltenen und der festhaltenden Macht ab, sondern geht ersichtlich vom Standpunkt des deutschen Gesetzgebers aus, der alle nichtdeutschen Mächte als ausländische ansieht (s. hierzu das Urteil des erkennenden Senats vom 23. April 1964 - 9 RV 778/61 - in SozR Nr. 1 zu § 2 UBG). H. unterstand nach den von der Revision nicht angegriffenen und daher gemäß § 163 SGG für den Senat bindenden Feststellungen des LSG als Bataillonskommandeur des 2. estnischen Grenzschutzregiments der 300. Sonderdivision der deutschen Wehrmacht und wurde im September 1944 von russischen Truppen gefangengenommen. Er floh jedoch aus der Kriegsgefangenschaft und setzte bis zum 10. Mai 1945 den Kampf befehlsgemäß fort. Ob die Fortsetzung des Kampfes in einem kleinen, aus nur wenigen Soldaten bestehenden Verband und ohne jedes Zusammenwirken mit einer größeren Einheit den Erfordernissen einer "gelungenen Flucht" durch Erreichen der Streitkräfte der Macht, von der der Kriegsgefangene abhängt, im Sinne des Art. 91 Nr. 1 des III. Genfer Abkommens vom 12. August 1949 genügt, kann dahingestellt bleiben. Denn jedenfalls war die Gefangenschaft beendet, nachdem H. aus fremdem Gewahrsam geflohen war, den Kampf fortgesetzt hatte und später - bis 1948 - in den estnischen Wäldern untergetaucht war. Er befand sich damit außerhalb einer Gefangenschaft in dem estnischen Teil der Sowjetunion, also in dem Land und sogar in dem Gebiet, in das er ohne die Flucht auch als Kriegsgefangener entlassen worden wäre. Die nach den Art. 5, 91, 118 des III. Genfer Abkommens vom 12. August 1949 zur Beendigung der Kriegsgefangenschaft erforderliche "Heimschaffung", sofern die Gefangenschaft nicht durch eine gelungene Flucht beendet worden ist, bedeutet die Verbringung des Kriegsgefangenen in das Land, "von dem er abhängt". Heimat des Kriegsgefangenen ist nicht etwa der Staat, mit dem er sich besonders verbunden fühlt und in den er deshalb verbracht werden möchte (BVerwG, Urteil vom 13. November 1957 aaO). Der Anspruch der Kläger ist deshalb für den streitigen Zeitraum vom 1. Januar 1957 bis zum 31. Dezember 1963 aus dem Gesichtspunkt, daß H. im Sinne des § 2 Abs. 1 UBG als Kriegsgefangener noch festgehalten worden wäre, auch dann unbegründet, wenn er als Aussiedler in das Gebiet der Bundesrepublik verbracht werden wollte.

Auch ein Anspruch der Kläger auf Unterhaltsbeihilfe nach § 2 Abs. 2, 1. Alternative UBG ist nicht gegeben, da H. im Zusammenhang mit den Kriegsereignissen nicht verschleppt worden ist. Er ist weder überhaupt "verschleppt" noch in ein ausländisches, d. h. in ein für den Betroffenen in bezug auf seine Staatsangehörigkeit fremdes Staatsgebiet verbracht worden (BSG in SozR Nr. 3 zu § 2 UBG). H. ist aber auch nicht seit 1956 im Sinne der 2. Alternative des § 2 Abs. 2 UBG im Zusammenhang mit den Kriegsereignissen von einer ausländischen Macht festgehalten worden. Hierbei kann dahingestellt bleiben, ob H. im August 1956 vom NKWD nur die Weisung erhielt, seinen Wohnsitz in Kohtla-Järve zu nehmen, wie das LSG festgestellt hat, oder aber, wie die Revision vorträgt, schon ab 1956 und über den 31. Dezember 1963 hinaus in Kohtla-Järve von den russischen Behörden "festgehalten" wurde und während dieser Zeit unter "ständiger Bewachung" stand. Was damit gemeint ist, ergibt sich aus der eidesstattlichen Versicherung des H. vom 25. August 1967, in der er angegeben hat, er habe im August 1956 die Anweisung erhalten, in K zu leben. Es sei ihm verboten worden, den Wohnsitz zu wechseln. Seit seiner Meldung am 7. Januar 1956 habe er bis 1965 "unter ständiger geheimer Bewachung" gestanden. Der Sache nach handelte es sich somit um eine Überwachung der Aufenthaltsbeschränkungen des H. durch die Organe der NKWD. Ob diese Anordnung noch im Zusammenhang mit den Kriegsereignissen getroffen wurde, bedarf nicht der Entscheidung, da die Beschränkungen der Freizügigkeit, denen H. in Kohtla-Järve unterworfen war, nicht den Erfordernissen des Festgehaltenwerdens im Sinne des § 2 Abs. 2 UBG genügen. Der Gesetzgeber war bei Erlaß des UBG zwar genötigt, eine elastische, nicht zu enge Formulierung zu wählen, wenn er die Tatbestände erfassen wollte, die wegen des "Festgehaltenwerdens" des Ernährers Ansprüche der unterhaltsberechtigten Angehörigen auf Unterhaltsbeihilfe begründen sollten. Es bestand insbesondere kein Anlaß, den Begriff des Festgehaltenwerdens wie bei Kriegsgefangenen und Internierten im wesentlichen auf die Fälle einer Unterbringung auf eng begrenztem Raum unter ständiger Bewachung zu beschränken (s. das Urteil des erkennenden Senats vom 23. April 1964 - 9 RV 778/61 - in SozR Nr. 1 zu § 2 UBG). Wie in dem Urteil vom 23. April 1964 dargelegt worden ist, war dem deutschen Gesetzgeber im Zeitpunkt des Inkrafttretens des UBG im Jahre 1950 bekannt, daß die deutschen Volkszugehörigen in der Sowjetunion in größtem Umfange nach Trennung von ihren Angehörigen in weit entlegene unwirtliche Gebiete oder Zwangsarbeitslager verbracht und in ihrer Rechtsstellung den feindlichen Ausländern gleichgestellt worden waren. Zu einer räumlichen Einengung der persönlichen Freiheit trat somit auch noch eine durch Verweisung auf einen Sonderstatus begründete Minderung der allgemeinen Rechtsstellung hinzu. Das weitere Schicksal dieser Personengruppe war von deutscher Seite aus im einzelnen nicht zu übersehen. Hier wollte der Gesetzgeber durch eine spezialgesetzliche Regelung helfen, soweit es sich um die Rückwirkungen dieses Schicksals auf die Angehörigen der Deutschen und Volksdeutschen in Deutschland handelte. Er hat deshalb den umfassenden Begriff der Festhaltung gewählt, mit dem zugleich auch eine etwaige spätere Lockerung der Freiheitsbeschränkung erfaßt und den Besonderheiten des Einzelfalles besser Rechnung getragen werden konnte. Die an sich gebotene weite Auslegung des Begriffs des Festgehaltenwerdens im Sinne des UBG findet aber dort eine Grenze, wo nach den besonderen Umständen des Falles die Freiheitsbeschränkung nicht mehr den Charakter einer psychisch erzwungenen Unterbringung auf einem bestimmten Raum, sondern nur noch den einer psychisch wirksamen Kontrolle behördlicher Anordnungen hat. Deshalb erfüllen auch nach dem UBG bloße Einschränkungen der Freizügigkeit, z. B. die Stellung unter Polizeiaufsicht oder Ausreiseschwierigkeiten, für sich allein nicht den Begriff des Festgehaltenwerdens (so zu § 2 Abs. 2 des Kriegsgefangenenentschädigungsgesetzes BVerwG, Urteil vom 15. Januar 1958 - V C 614/56 - im Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des BVerwG Bd. 4 b, 412. 4 Nr. 6). Die Lage, in der sich H. ab August 1956 befand, kann nicht mit dem Schicksal und den Lebensbedingungen der Personen verglichen werden, die etwa während des 2. Weltkrieges aus ihrer Heimat in weit entlegene Gebiete der Sowjetunion verbracht worden waren und dort einem Sonderrecht unterstanden, nach dem sie nicht in die Heimat zurückkehren konnten und ein bestimmtes, ihnen zugewiesenes Gebiet nicht verlassen durften (vgl. BSG in SozR Nr. 1 zu § 2 UBG). Zwar war auch H. auf seinen Wohnsitz in der Stadt K beschränkt und stand, wie die Revision vorträgt, auch unter "ständiger Bewachung", die sich hier aber nur als Durchführung einer administrativen Kontrolle der Aufenthaltsbeschränkung auswirken konnte. Bei den nach Sibirien verbrachten Personen dagegen war eine förmliche Bewachung nur deswegen nicht erforderlich, weil die Überwachungsmaßnahmen und die Isolierung fern von der Heimat in dem weiten östlichen Raum schon genügten, um eine "Festhaltung" tatsächlich zu erzwingen. H. dagegen hielt sich in seiner engeren Heimat auf, lebte in einer größeren Stadt mit allen ihren Vorteilen, umgeben von seiner Schwester sowie von Landsleuten gleicher Sprache und Kultur, nur ca 130 km von seinem letzten Wohnsitz in Tartu entfernt, und konnte ungehindert seiner Arbeit nachgehen. Der Senat ist der Auffassung, daß eine solche auch in anderen östlichen Staaten keineswegs ungewöhnliche Aufenthaltsbeschränkung in der Heimat und ohne den mit einer Verbannung verbundenen psychischen Zwang nur als eine administrative Maßnahme, nicht als ein Festgehaltenwerden im Sinne des § 2 Abs. 2 UBG angesehen werden kann. Die Kläger können deshalb Rechtsansprüche auf Versorgung selbst dann nicht aus dem UBG herleiten, wenn man entgegen der Auffassung des LSG annehmen wollte, daß die gegen H. getroffenen Maßnahmen noch im Zusammenhang mit den Kriegsereignissen gestanden hätten (ablehnend auch auf Grund der dort beurteilten Verhältnisse: Urteil des erkennenden Senats vom 8. September 1970 - 9 RV 130/68 -).

Begründet ist indes die Rüge der Revision zu ihrem Hilfsantrag, das LSG habe trotz des Vortrages der Kläger in ihrem Schriftsatz vom 25. August 1959 nicht berücksichtigt, daß das am 4. Dezember 1957 der Versorgungsverwaltung vorgelegte Schreiben des H. zwar das Datum vom März 1957 trage, aber tatsächlich drei bis vier Monate später erst in Deutschland eingetroffen sei (§ 128 SGG). Eine sichere Kenntnis der Kläger vom Fortleben ihres Ehemannes und Vaters erweise sich somit entgegen der Auffassung des LSG schon im März 1957, dem Absendedatum des Briefes, als unmöglich.

Dem LSG ist zwar insoweit zuzustimmen, als es davon ausgegangen ist, daß die Klägerin gemäß dem von ihr selbst unterschriebenen Protokoll am 4. Dezember 1957 erklärt hatte, im März 1957 einen Brief von ihrem verschollenen Ehemann erhalten zu haben. In ihrer Berufungsschrift vom 25. August 1959 hat sie jedoch vorgetragen, daß im vorliegenden Fall wegen der Zensur, der Briefe aus Rußland unterworfen seien, bei diesem mit einem Zustellungszeitraum von einigen Monaten gerechnet werden müsse; tatsächlich habe sie das Schreiben vom März 1957 mindestens erst drei Monate später erhalten. In dem Schreiben vom 12. Dezember 1957 hatte die Klägerin dem VersorgA mitgeteilt, daß sie "den ersten Brief" (von März 1957) nicht mehr gefunden habe. Wenn sich das LSG trotz dieser in dem Tatbestand des Urteils nicht besonders erwähnten Angaben der Klägerin bei seiner Entscheidung allein auf deren Erklärung vom 4. Dezember 1957 stützen wollte, etwa weil es diese ersten Angaben für glaubhaft hielt, so hätte es zumindest zum Ausdruck bringen müssen, weshalb es ihnen den Vorzug vor den späteren Angaben gegeben habe und weshalb auch etwaige weitere Beweiserhebungen zu dieser Frage nicht geeignet seien, die Beweiskraft der Angaben vom 4. Dezember 1957 zu beeinträchtigen. Zwar mußte das LSG nicht der Meinung sein, daß die späteren Ausführungen der Klägerin zutrafen. Es ist aber nicht hinreichend erkennbar, daß das LSG das spätere Vorbringen überhaupt berücksichtigt hat, und es ist nicht auszuschließen, daß, wenn dies geschehen wäre, das LSG sich hätte veranlaßt sehen können, Zweifel über den vermutlichen Eingang des Briefes vom März 1957 durch Vernehmung des Sohnes Aare und des Ehemannes der Klägerin zu klären und anschließend etwa noch Erkundigungen bei der Deutschen Bundespost über den Zustellungszeitraum von Briefen aus Rußland im März 1957 einzuholen. Wären die späteren Angaben der Klägerin durch die Beweisaufnahme bestätigt worden, hätte das LSG dieses Ergebnis bei der Beurteilung der Glaubhaftigkeit ihrer Angaben berücksichtigen und ihnen folgen können. Das Gericht muß zwar nicht auf jedes einzelne Vorbringen eines Beteiligten ausdrücklich eingehen; aus dem Urteil muß sich jedoch ergeben, daß das Berufungsgericht alle für seine Entscheidung maßgebenden Umstände sachentsprechend gewürdigt hat (BSG 1, 91; Urteil des erkennenden Senats vom 5. Juli 1966 - 9 RV 122/66 in Sgb 1966, S. 312 Nr. 24). Wenn das LSG dagegen, wie hier, Ausführungen der Kläger, die für die Feststellung wesentlich waren, zu welchem Zeitpunkt die Klägerin erfahren habe, daß H. noch lebe, einfach übergangen hat, so liegt hierin ein wesentlicher Verfahrensmangel, da nicht ersichtlich ist, daß das Gericht seine Überzeugung insoweit aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gebildet hat (BSG in SozR Nr. 8 zu § 128 SGG).

Wegen dieses Verstoßes gegen § 128 SGG ist die Revision begründet, da die Möglichkeit nicht auszuschließen ist, daß das LSG, wenn es sich mit diesen Einwendungen der Klägerin auseinandergesetzt hätte, hinsichtlich der Rückforderung zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre. Das angefochtene Urteil war daher insoweit aufzuheben. Der Senat konnte, da der von dem LSG unangefochten festgestellte Sachverhalt nicht zu einer Entscheidung über den Umfang der Rückerstattungspflicht der Kläger ausreichte, über diesen Streitgegenstand nicht selbst entscheiden. Daher war der Rechtsstreit in diesem Punkt zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Bei der erneuten Entscheidung wird das LSG zu beachten haben, daß im Revisionsverfahren - und auch schon nach den im Berufungsverfahren gestellten Anträgen - nur noch die Rückforderung und der Anspruch auf Unterhaltsbeihilfe nach dem UBG, nicht mehr die mit Bescheid vom 5. Dezember 1957 angeordnete und mit weiterem Bescheid vom 24. Juni 1958 bestätigte Entziehung der nach dem BVG gewährten Leistungen und der Rechtsgrund dieser Entziehung streitig gewesen sind. Das LSG hat zwar geglaubt, den auf § 62 BVG gestützten Bescheid in einen solchen nach § 41 VerwVG umdeuten zu können. Es hat aber über die Rechtmäßigkeit dieser Rücknahme selbst nicht mehr entscheiden können und wollen. Schon deshalb ist eine Nachprüfung unzulässig, ob der Bescheid vom 24. Juni 1958 hätte angefochten werden können, weil die Voraussetzungen des § 62 BVG nicht vorgelegen hatten, und ob er in einen Bescheid nach § 41 VerwVG umgedeutet werden kann. Es ist von der Unanfechtbarkeit dieses Verfügungssatzes in den erwähnten Bescheiden auszugehen ohne Rücksicht darauf, ob die Zustimmung des LVersorgA nach § 41 Abs. 2 VerwVG hätte eingeholt werden müssen und ob eine solche Zustimmung etwa in dem Schreiben des LVersorgA vom 23. April 1958 erblickt werden könnte (vgl. BSG Urteil vom 24. August 1965 - 10/11 RV 752/63 - in SozR Nr. 17 zu § 47 VerwVG).

Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlußurteil vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1669183

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