Entscheidungsstichwort (Thema)

Kindergeld

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zu den Voraussetzungen, unter denen einem Arbeitnehmer aus einem anderen EG-Mitgliedstaat für sein im Heimatland wohnendes arbeitsloses Kind Kindergeld zu gewähren ist.

2. In einem Rechtsstreit um das Kindergeld für mehrere Kinder ist die Zulässigkeit der Berufung für die kindergeldrechtliche Berücksichtigung jedes Kindes gesondert zu prüfen.

 

Normenkette

BKKG § 27 Abs. 2b; V 1408/71 Art. 73 Abs. 5

 

Gründe

I. Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger für seine Kinder Felicita und Francesco Kindergeld zusteht.

Der Kläger ist italienischer Staatsbürger. Er arbeitet seit Jahren in der Bundesrepublik Deutschland als Arbeitnehmer. Seine sechs Kinder leben in Italien. Für seine Tochter Felicita wurde ab Dezember 1982 Kindergeld nicht mehr gezahlt. Francesco beendete am 30. Juni 1984 seine Schulausbildung und wird seitdem nicht mehr bei der Kindergeldgewährung berücksichtigt.

Am 30. Mai 1985 beantragte der Kläger, ihm unter Berücksichtigung von Felicita und Francesco erneut Kindergeld ab 1. Januar bzw ab 1. März 1985 zu gewähren, weil beide arbeitslos und als Arbeitsuchende in Italien gemeldet seien. Seinem Antrag fügte er Bescheinigungen des Arbeitsamtes Cosenza vom 17. April 1985 über die Arbeitslosmeldung von Francesco ab 27. März 1985 und von Felicita ab 15. Oktober 1984 bei.

Die Beklagte lehnte den Kindergeldantrag mit Bescheid vom Juni 1985 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Juli 1985 ab. Die Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt: Die Berufung sei zwar statthaft und zulässig, insbesondere stehe ihr § 27 Abs. 2 des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) nicht entgegen, obwohl zur Zeit der Berufungseinlegung am 12. Juni 1987 bezüglich der Tochter Felicita Kindergeld gemäß § 2 Abs. 4 Bundeskindergeldgesetz (BKGG) nur noch für eine in der Vergangenheit liegende Zeit in Streit stehe, nämlich für den Zeitraum 1. Januar bis 28. November 1985, dem Tage an dem Felicita das 21. Lebensjahr vollendet habe.

Bei Francesco sei dies nicht der Fall gewesen. Er sei zur Zeit der Berufungseinlegung noch keine 21 Jahre alt gewesen. Deshalb werde für ihn nicht nur Kindergeld für einen abgelaufenen Zeitraum gemäß § 27 Abs. 2 Bundeskindergeldgesetz (BKGG) geltend gemacht. Da es sich bei dem Anspruch auf Kindergeld um einen einheitlichen Anspruch handele, sei die Berufung insgesamt zulässig. Sie könne jedoch keinen Erfolg haben. § 2 Abs. 4 Bundeskindergeldgesetz (BKGG) in der ab 1. Januar 1985 geltenden Fassung setze voraus, daß die zu berücksichtigenden Kinder der deutschen Arbeitsvermittlung im Geltungsbereich des Bundeskindergeldgesetz (BKGG) zur Verfügung ständen und hier eine Berufsausbildung suchten oder fortsetzen wollten. Diese Voraussetzungen seien im Falle der Kinder des Klägers nicht erfüllt. Die Regelung des § 2 Abs. 4 Bundeskindergeldgesetz (BKGG) dürfe auch nicht über den Geltungsbereich des Bundeskindergeldgesetz (BKGG) hinaus erweitert werden. Die Vorschrift stelle nämlich eine Ausnahme von der Regelung des § 2 Abs. 2 Satz 1 1. Halbsatz Bundeskindergeldgesetz (BKGG) dar. Allein schon deshalb verbiete sich eine extensive Auslegung dieser Bestimmung.

Aber auch die Vorschriften der EWG-VO Nr. 1408/71 führten nicht dazu, daß im Ausland lebende, arbeitslose Kinder bei der Kindergeldgewährung in der Bundesrepublik Deutschland berücksichtigt werden müßten.

Mit der - vom Landessozialgericht (LSG) zugelassenen - Revision macht der Kläger ua geltend, das Landessozialgericht habe zu Unrecht einen Verstoß Von § 2 Abs. 4 Bundeskindergeldgesetz (BKGG) gegen höherrängiges Recht verneint. Diese Vorschrift sei mit Art. 51 des EWG-Gründungsvertrages vom 25. März 1957 idF vom 31. Juli 1987 nicht in Einklang zu bringen. Darüber hinaus verstoße § 2 Abs. 4 Bundeskindergeldgesetz (BKGG) auch gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 des Grundgesetzes (GG).

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 20. September 1988, das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 14. Mai 1987 und die Bescheide der Beklagten vom 5. Juni 1985 und vom 5. Juli 1985 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger unter Berücksichtigung seiner Kinder Felicita und Francesco Kindergeld zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Die Beklagte macht geltend, das Landessozialgericht (LSG) hätte die Berufung als unzulässig verwerfen müssen, soweit es um den Anspruch auf Kindergeld für die Tochter Felicita gehe. Denn die Klage betreffe zwei voneinander unabhängige Kindergeldansprüche. Der Kindergeldanspruch für Felicita sei nicht berufungsfähig, weil dieser Anspruch nur für einen Zeitraum geltend gemacht werden könne, der bei Einlegung der Berufung bereits abgelaufen gewesen sei.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) habe in den Rechtssachen C 228/88 und C 12/89 inzwischen geklärt, daß die Aufenthaltsfiktion des Art. 73 EWG-VO Nr. 1408/71 auch den erforderlichen Inlandstatbestand der Arbeitslosigkeit bzw der Verfügbarkeit des § 2 Abs. 4 Bundeskindergeldgesetz (BKGG) fingiere. Der Rechtsstreit sei insoweit jedoch nicht entscheidungsreif. Denn es stehe nicht fest, ob Francesco iS der hier anwendbaren deutschen Rechtsvorschriften der §§ 101 und 103 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) arbeitslos und verfügbar gewesen sei.

Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, nachdem die Beteiligten sich hiermit einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - Sozialgerichtsgesetz (SGG) -).

II.

Die Revision des Klägers hat keinen Erfolg, soweit der Rechtsstreit den geltend gemachten Anspruch für die Tochter betrifft. Insoweit war lediglich die angefochtene Entscheidung dahingehend zu ändern, daß die Berufung nicht zurückgewiesen, sondern als unzulässig verworfen wird. Im übrigen führt die Revision zur Aufhebung der vorinstanzlichen Entscheidung und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG.

Entgegen der Auffassung des Landessozialgericht (LSG) ist die Berufung nicht uneingeschränkt zulässig. Nach § 27 Abs 2 Bundeskindergeldgesetz (BKGG) ist die Berufung ua nicht zulässig, soweit sie nur das Kindergeld für bereits abgelaufene Zeiträume betrifft. Das ist hinsichtlich des geltend gemachten Anspruchs auf Kindergeld für Fe. der Fall. Zum Zeitpunkt der Berufungseinlegung am 12. Juni 1987 hatte die Tochter des Klägers bereits das 21. Lebensjahr vollendet. Ein Kindergeldanspruch - gestützt auf § 2 Abs 4 Bundeskindergeldgesetz (BKGG) - kommt für die Zeit nach Vollendung des 21. Lebensjahres nicht mehr in Betracht. Obwohl der in erster und zweiter Instanz gestellte Prozeßantrag keine zeitliche Beschränkung enthält, ist davon auszugehen, daß eine Leistungsgewährung nur im Rahmen des § 2 Abs 4 Bundeskindergeldgesetz (BKGG) auch hinsichtlich der zeitlichen Begrenzung gewollt ist. Selbst wenn der Kläger mit seinem in erster Instanz gestellten Prozeßantrag hätte darüber hinausgehen wollen, so wäre der Kindergeldanspruch für seine Tochter dadurch nicht berufungsfähig geworden. Denn Prozeßanträge, die nur deshalb - entgegen einer eindeutigen gesetzlichen Regelung - unbeschränkt gestellt werden, um die Berufungsfähigkeit zu erreichen, sind insoweit willkürlich und führen nicht zur Statthaftigkeit des durch § 27 Abs 2 Bundeskindergeldgesetz (BKGG) ausgeschlossenen Rechtsmittels (vgl hierzu Meyer-Ladewig, SGG, Komm, 3. Aufl, Anm 10 vor § 143 mN aus der Rechtspr).

Entgegen der Auffassung des Landessozialgericht (LSG) betrifft die Klage keinen einheitlichen Anspruch auf Kindergeld. Zwar könnten für diese Auffassung § 1 und § 2 Bundeskindergeldgesetz (BKGG) herangezogen werden. Wenn es in § 1 heißt: "Nach den Vorschriften dieses Gesetzes hat Anspruch auf Kindergeld für seine Kinder ..." und in § 2 Abs 1: "Als Kinder werden auch berücksichtigt ..." so spricht der Wortlaut zunächst für einen einheitlichen Kindergeldanspruch, der sich in seiner Höhe nach der Zahl der Kinder richtet. Die Regelungen über das Antragsrecht (§ 9 BKGG), die Höhe des Kindergeldes (§ 10 Abs 1 BKGG) sowie der Zuschlag zum Kindergeld (§ 11a BKGG) machen indessen deutlich, daß der Anspruch auf Kindergeld für jedes Kind gesondert zu behandeln ist. So muß, wenn ein weiteres Kind berücksichtigungsfähig wird, ein entsprechender Antrag gestellt werden. Geschieht dies erst verspätet, so wird das Kindergeld rückwirkend für dieses Kind nur für die letzten sechs Monate vor Beginn des Monats geleistet, in dem der Antrag auf Kindergeld eingegangen ist (§ 9 Abs 2 BKGG). Auch die Höhe des Kindergeldes wird in § 10 Abs 1 Bundeskindergeldgesetz (BKGG) für das erste, zweite, dritte und jedes weitere Kind gesondert festgelegt.

Besonders deutlich wird die Aufspaltung in einzelne Ansprüche für zu berücksichtigende Kinder durch die Regelung des § 11a Abs 1 BKGG. Danach erhöht sich das Kindergeld für Kinder, für die dem Berechtigten der Kinderfreibetrag nach § 32 Abs 6 EStG zusteht, um einen Zuschlag.

Dafür, daß der Anspruch auf Berücksichtigung des einzelnen Kindes durch § 27 Abs 2 Bundeskindergeldgesetz (BKGG) ausgeschlossen sein kann, sprechen auch der Sinn und Zweck dieser Regelung. Durch die Berufungsausschlußnormen der §§ 144 ff Sozialgerichtsgesetz (SGG) und des § 27 Abs 2 Bundeskindergeldgesetz (BKGG) sollen die LSGe von weniger bedeutsamen Streitigkeiten entlastet werden (BSG SozR Nr 22 zu § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und SozR 1500 § 144 Nr 10). Der Gesetzgeber hat die Berufungsausschlußgründe weitgehend im Hinblick auf die im Sozialrecht möglichen materiell-rechtlichen Ansprüche gestaltet (BT-Drucks I/4357, S 30 zu den §§ 92 bis 97 des Regentw; Meyer-Ladewig, SGb 1980, 461, 466; Kummer in Sozialrechtshandbuch, herausgegeben von v. Maydell und Ruland, Beitrag 13 Rz 158). Dementsprechend ist bei der Auslegung der Berufungsausschlußnormen und der Ansprüche auf den einzelnen Gebieten des Sozialrechts darauf zu achten, daß die vom Gesetzgeber angestrebte Entlastung der LSGe auch tatsächlich erreicht werden kann. Für das Kindergeldrecht bedeutet dies: Die Zulässigkeit der Berufung muß für die kindergeldrechtliche Berücksichtigung jedes Kindes gesondert geprüft werden. Denn bei mehreren Kindern eines Kindergeldberechtigten können jeweils unterschiedliche Tatbestände in Betracht kommen (vgl hierzu § 2 Abs 1 Nrn 1 und 2 sowie § 2 Abs 2 Nrn 1 bis 5 BKGG). Es würde dem Sinn und Zweck des § 27 Abs 2 Bundeskindergeldgesetz (BKGG) zB widersprechen, wenn das Landessozialgericht (LSG) die Voraussetzungen der kindergeldrechtlichen Berücksichtigung eines über 16 Jahre alten Kindes, das sich zur Zeit der Einlegung der Berufung schon seit mehreren Monaten nicht mehr in einer Schul- oder Berufsausbildung befand, nach § 2 Abs 2 Nr 1 Bundeskindergeldgesetz (BKGG) prüfen müßte, nur weil auch die Berücksichtigung eines anderen Kindes streitig ist.

Obwohl nur der Kläger Revision eingelegt hat, ist der Senat nicht durch das Verbot der reformatio in peius daran gehindert, die Entscheidung des LSG, soweit es sich um das Kindergeld für Fe. handelt, zu ändern und die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Damit wird lediglich eine Rechtsfolge ausgesprochen, die sich zwangsläufig daraus ergibt, daß insoweit die Zulässigkeit der Berufung fehlt. Der Revisionskläger wird nicht schlechter gestellt, wenn seine Berufung nunmehr verworfen statt zurückgewiesen wird (BSGE 12, 223, 225; s ferner BSGE 11, 63, 68 f und BSGE 13, 163, 166 jeweils für die Abweisung der Klage als unzulässig statt als unbegründet).

Soweit die Klage den Kindergeldanspruch für den Sohn betrifft, konnte der Senat noch nicht abschließend entscheiden, weil hierzu noch weitere Tatsachenfeststellungen notwendig sind, die der Senat nicht selbst treffen kann.

Entgegen der Auffassung des Landessozialgericht (LSG) ist die Gewährung von Kindergeld für den Sohn nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil sich das Kind in Italien aufhält. Denn Kindergeldberechtigte haben in Anwendung der Vertrag z. Gründung d. Europ. Wirtschaftsgemeinschaft (EWGV) Nr 1408/71 unter bestimmten Voraussetzungen auch Anspruch auf Kindergeld für ihre in einem anderen Mitgliedstaat lebenden arbeitslosen Kinder. Die Vertrag z. Gründung d. Europ. Wirtschaftsgemeinschaft (EWGV) Nr 1408/71 ist auf den Kläger anzuwenden. Dies folgt aus Art 2 Abs 1 Vertrag z. Gründung d. Europ. Wirtschaftsgemeinschaft (EWGV) Nr 1408/71. Danach gilt diese VO für Arbeitnehmer und Selbständige, für die die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, soweit sie Staatsangehörige eines Mitgliedstaats sind. Der Kläger ist als Italiener Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats der EG. Für ihn gelten zumindest die Rechtsvorschriften Italiens.

Die Regelungen der Familienleistungen sind in Titel III, Kap 7 Vertrag z. Gründung d. Europ. Wirtschaftsgemeinschaft (EWGV) Nr 1408/71 enthalten. Für den hier geltend gemachten Anspruch auf Kindergeld ist auszugehen von Art 73 Abs 1 Vertrag z. Gründung d. Europ. Wirtschaftsgemeinschaft (EWGV) Nr 1408/71. Nach dieser Vorschrift hat ein Arbeitnehmer, der den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats als Frankreich unterliegt, für seine Familienangehörigen, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des ersten Staates, als ob die Familienangehörigen in diesem Staat wohnten. Der Kläger gehört zu dem von dieser Vorschrift erfaßten Personenkreis. Der Begriff des Arbeitnehmers ist in Art 1 Buchst a Vertrag z. Gründung d. Europ. Wirtschaftsgemeinschaft (EWGV) Nr 1408/71 definiert. Arbeitnehmer ist danach jede Person, die gegen ein Risiko oder mehrere Risiken, die von den Zweigen eines Systems der sozialen Sicherung erfaßt werden, pflichtversichert oder freiwillig weiterversichert ist. Da der Kläger in der Bundesrepublik Deutschland als Arbeitnehmer beschäftigt ist, unterliegt er hier der Pflichtversicherung in der KV, UV, Arbeitslosenversicherung (ArblV) und RV (vgl zB für die KV § 165 Abs 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) aF und § 5 Abs 1 SGB V). Sein Sohn Fr., für den er Kindergeld beansprucht, gehört zu den Familienangehörigen iS des Art 1 Buchst f Vertrag z. Gründung d. Europ. Wirtschaftsgemeinschaft (EWGV) Nr 1408/71. Auch die weitere Voraussetzung, daß zwei unterschiedliche Mitgliedstaaten betroffen sein müssen, liegt vor. Fr. wohnt in Italien. Der Kläger hält sich seit Jahren in der Bundesrepublik Deutschland auf. Es handelt sich bei dem Kindergeld schließlich auch um eine Familienleistung iS des Art 73 Abs 1 Vertrag z. Gründung d. Europ. Wirtschaftsgemeinschaft (EWGV) Nr 1408/71. Dazu rechnen nach Art 1 Buchst u) i) alle Sach- und Geldleistungen, die zum Ausgleich von Familienlasten im Rahmen der in Art 4 Abs 1 Buchst h) genannten Rechtsvorschriften bestimmt sind. Die Bundesregierung hat in ihrer Erklärung zu Art 5 Vertrag z. Gründung d. Europ. Wirtschaftsgemeinschaft (EWGV) Nr 1408/71 als Leistung, die unter Art 4 Abs 1 Vertrag z. Gründung d. Europ. Wirtschaftsgemeinschaft (EWGV) Nr 1408/71 fällt, ausdrücklich das Kindergeld benannt (vgl ABL-EG Nr C 139/6 vom 9. Juni 1980).

Nach § 2 Abs 5 Satz 1 Bundeskindergeldgesetz (BKGG) werden zwar Kinder, die weder ihren Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich des Gesetzes haben, bei der Gewährung von Kindergeld nicht berücksichtigt. Ausnahmen von diesem Territorialitätsgrundsatz für im Ausland lebende Kinder gelten jedoch, soweit dies durch das EG-Recht oder durch zwischenstaatliche Abk bestimmt ist (vgl BSG SozR 5870 § 2 Nr 51). Nach Art 73 Abs 1 Vertrag z. Gründung d. Europ. Wirtschaftsgemeinschaft (EWGV) Nr 1408/71 steht der Aufenthalt der Kinder in Italien dem Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland gleich. Diese Gleichstellung gilt nicht nur hinsichtlich des Wohnsitzes. Hängt nach den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, der bestimmte Familienleistungen erbringt, die Gewährung dieser Leistungen davon ab, daß der Familienangehörige des Arbeitnehmers als Arbeitsloser der Arbeitsvermittlung im Geltungsbereich dieser Rechtsvorschriften zur Verfügung steht, so ist diese Voraussetzung als erfüllt anzusehen, wenn der Familienangehörige als Arbeitsloser der Arbeitsvermittlung in dem Mitgliedstaat zur Verfügung steht, in dem er wohnt. Dies hat der Gerichtshof d. Europäischen Gemeinschaften (EuGH) durch Urteil vom 22. Februar 1990 in der Rechtssache C - 228/88 - entschieden. Zwar könnte der erkennende Senat, da die Entscheidung des Gerichtshof d. Europäischen Gemeinschaften (EuGH) in einer Parallelsache ergangen ist, das Verfahren hier aussetzen und den Gerichtshof d. Europäischen Gemeinschaften (EuGH) erneut anrufen und ihn mit der gleichen Rechtsfrage, die Gegenstand des Urteils vom 22. Februar 1990 in der Rechtssache C - 228/88 - war, befassen. Dies kommt aber schon deshalb nicht in Betracht, weil die Begr der Entscheidung des Gerichtshof d. Europäischen Gemeinschaften (EuGH) überzeugt.

Im vorliegenden Fall läßt sich indessen noch nicht sagen, ob alle Voraussetzungen erfüllt sind, die - auch unter Berücksichtigung der Gleichstellung nach Art 73 Vertrag z. Gründung d. Europ. Wirtschaftsgemeinschaft (EWGV) Nr 1408/71 - nach innerstaatlichem Recht erfüllt sein müssen, um den geltend gemachten Anspruch zu bejahen. Nach § 2 Abs 4 Satz 1 Bundeskindergeldgesetz (BKGG) in der hier anwendbaren, ab 1. Januar 1985 geltenden Fassung des Zehnten Gesetzes zur Änderung des Bundeskindergeldgesetz (BKGG) vom 21. Dezember 1984 (BGBl I 1726) werden Kinder, die das 16., aber noch nicht das 21. Lebensjahr vollendet haben, bei dem Kindergeldanspruch berücksichtigt, wenn sie im Geltungsbereich des Bundeskindergeldgesetz (BKGG) eine Berufsausbildung mangels Arbeitsplatz nicht beginnen oder fortsetzen können oder als Arbeitslose der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stehen. Ob jemand iS von § 2 Abs 4 Bundeskindergeldgesetz (BKGG) arbeitslos ist und der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht, richtet sich - da das Bundeskindergeldgesetz (BKGG) insoweit keine abweichende Definition der genannten Begriffe enthält - nach den Vorschriften der §§ 101 und 103 des AFG. Arbeitslos iS des Arbeitsförderungsgesetz (AFG) ist gemäß § 101 Abs 1 Satz 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) ein Arbeitnehmer, der vorübergehend nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht oder nur eine kurzzeitige Beschäftigung ausübt. Nach § 103 Abs 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) steht der Arbeitsvermittlung ua zur Verfügung, wer eine zumutbare Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes ausüben kann und darf und bereit ist, jede zumutbare Beschäftigung anzunehmen, die er ausüben kann und darf. Durch die Vorinstanzen sind insoweit bisher - worauf die Beklagte in der Revisionsinstanz zu Recht hingewiesen hat - keinerlei Feststellungen getroffen worden. Das LSG-Urteil erwähnt lediglich die Bescheinigung des italienischen ArbA Cosenza vom 17. April 1985 über die Arbeitslosmeldung von Fr. ab 27. März 1985. In ihr wird lediglich bestätigt, daß der Sohn arbeitslos bei diesem ArbA mit der Berufsbezeichnung Elektromonteur geführt wird. Für die Anwendung der §§ 101 und 103 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) genügt dies nicht.

Auch wenn bei der Anwendung des § 2 Abs 4 Bundeskindergeldgesetz (BKGG) auf Kinder, die in der Bundesrepublik Deutschland oder in einem anderen Mitgliedstaat der EG leben, schon wegen des Gleichbehandlungsgrundsatzes (Art 3 Vertrag z. Gründung d. Europ. Wirtschaftsgemeinschaft (EWGV) Nr 1408/71) die gleichen Anforderungen zu stellen sind, also grundsätzlich auch bei im Ausland lebenden Kindern die Voraussetzungen der §§ 101 und 103 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) vorliegen müssen, können die Gegebenheiten des Wohnsitzstaates aber nicht völlig außer acht gelassen werden. Der Senat hat dies bereits in seinem Urteil vom 11. März 1987 (SozR 5870 § 2 Nr 51) zur Anwendung des Begriffs "Berufsausbildung" iS von § 2 Abs 2 Satz 1 Nr 1 Bundeskindergeldgesetz (BKGG) auf Ausbildungsverhältnisse in Italien entschieden und ausgeführt, es müsse genügen, daß die im anderen EG-Mitgliedstaat absolvierte Ausbildung in Zielsetzung und Charakter der Ausbildung in Deutschland im wesentlichen vergleichbar ist. Für die kindergeldrechtliche Berücksichtigung in Italien wohnender arbeitsloser Kinder bedeutet das: Es kommt nicht darauf an, ob die Voraussetzungen der §§ 101 und 103 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) in jedem Punkte erfüllt sind, es muß aber feststehen, daß die Kinder als arbeitslos gemeldet sowie bereit und in der Lage sind, den Arbeitsangeboten der Arbeitsverwaltung nach den im Wohnsitzland üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes nachzukommen. Denn nur wenn diese Voraussetzungen gegeben sind, kann die Arbeitslosigkeit eines in einem anderen Mitgliedstaat der EG lebenden Kindes als im wesentlichen vergleichbar angesehen werden und den Kindergeldanspruch nach § 2 Abs 4 Bundeskindergeldgesetz (BKGG) alter und neuer Fassung begründen.

Außerdem kann der Anspruch auf Kindergeld gemäß § 2 Abs 4 Satz 2 Bundeskindergeldgesetz (BKGG) ausgeschlossen sein, wenn der Sohn eigenes Erwerbseinkommen hat. Auch dieser Frage ist die Vorinstanz - von ihrer Rechtsauffassung zu Recht - bisher nicht nachgegangen.

 

Fundstellen

BSGE, 194

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