Leitsatz (amtlich)

Zur Frage des Versicherungsschutzes bei Unfällen, von denen Bundesbahnbedienstete als Mitglieder einer Musikkapelle des Bundesbahn-Sozialwerks betroffen werden, wenn sie an der Beerdigung eines ehemaligen Bundesbahnangehörigen zur Ausgestaltung der Bestattungsfeier teilnehmen.

 

Normenkette

RVO § 542 Fassung: 1942-03-09, § 543 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1942-03-09

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 27. Juli 1966 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Gründe

I

Der bei der Deutschen Bundesbahn (DB) auf dem Bahnhof K als Fernschreiber im Angestelltenverhältnis beschäftigte Kläger wurde am 8. August 1962 kurz vor 13 Uhr von einem Verkehrsunfall betroffen. Er gehört als freiwilliges Mitglied der Musikkapelle des Bundesbahn-Sozialwerks (BSW), Ortsstelle K, an. Als der Kläger verunglückte, war er aus Anlaß einer Besorgung unterwegs, die er als Angehöriger der Musikkapelle zu erledigen hatte. Das BSW ist ein Teil der DB und stellt eine betriebliche Sozialeinrichtung im Sinne des Bundesbahngesetzes vom 13. Dezember 1951 (BGBl I 955) dar. Es hat eine eigene Organisationsform und eigene Wirtschafts- und Rechnungsführung. An Aufgaben führt es außer besonderen Auftragsangelegenheiten der DB in Ergänzung der sozialen Leistungen der DB und ihrer Sozialversicherungsträger Maßnahmen zur sozialen Betreuung und Förderung kultureller Bestrebungen durch. Zu diesem Zweck unterhält es auf gemeinnütziger Grundlage entsprechende Einrichtungen. In § 21 seiner am 1. Januar 1961 in Kraft getretenen Geschäftsordnung (GO) sind die Aufgaben der Bezirksvorstände des BSW festgelegt und in die Abteilungen A, B und V gegliedert. In der Abt. A werden die allgemeinen Geschäfte geführt; in sie fällt auch die Förderung des Teilhabens an allgemeingültigen kulturellen Leistungen und die Vermittlung von Anregungen zu gemeinschaftsbildenden Beschäftigungen während der Freizeit zur Besinnung und Muße; diese Abteilung hat die im Bezirk bestehenden Gesangs- und Instrumentalvereinigungen zu unterstützen. In Abt. B werden die Aufgaben erledigt, welche die Bezirksfürsorge betreffen, und der Abt. V obliegt die Führung der Geschäfte der bundesbahneigenen Verpflegungseinrichtungen des Bezirks. Abt. B und V erledigen ihre Aufgaben im allgemeinen nach Maßgabe des von der DB erteilten Auftrags. Die kulturelle Betreuung wird in den zahlreichen Ortsstellen des BSW durchgeführt. Der Personenkreis des BSW, der sich aus sog. Spendern zusammensetzt, ist auf aktive Bedienstete und ehemalige Bedienstete, Ehefrauen, Kinder und Hinterbliebene beschränkt.

Am Unfalltag nahm die Musikkapelle der Ortsstelle K nachmittags an der Beerdigungsfeier für einen ehemaligen Zugschaffner der DB teil. Davon erfuhr der Kläger, der an diesem Tag um 13 Uhr Schichtbeginn hatte und am Vormittag nicht zu Hause gewesen war, erst mittags durch einen in seiner Wohnung abgegebenen Bestellzettel des Musikzugführers. Er sah sich aber aus dienstlichen Gründen verhindert, an dem Auftreten der Musikkapelle bei der Beerdigung teilzunehmen. Hiervon wollte er vor Dienstantritt den Musikzugführer benachrichtigen und fuhr deshalb mit seinem Motorrad nicht auf seinem üblichen, rd. 800 m betragenden direkten Weg zum Bahnhof, sondern wollte auf einem rd. 1100 m längeren, an der Wohnung des Musikzugführers vorüberführenden Weg zu seiner Arbeitsstätte gelangen. Auf diesem Wege verunglückte er durch Zusammenstoß mit einem Kraftwagen. Er zog sich eine Oberschenkelfraktur links, eine Tibiakopffraktur rechts und Knochenbrüche an den Fingern der rechten Hand zu.

Die Beklagte lehnte den Entschädigungsanspruch durch Bescheid vom 2. September 1963 mit der Begründung ab, der Unfall habe sich auf einem erheblichen Umweg ereignet, der nicht durch einen der dienstlichen Tätigkeit des Klägers zuzurechnenden Umstand erforderlich gewesen sei; die Absicht, unter Benutzung des Umweges den Leiter der Musikkapelle zu sprechen, habe nicht im Zusammenhang mit einer dienstlichen Charakter tragenden Veranstaltung des BSW gestanden.

Der Kläger hat diesen Bescheid angefochten und ua geltend gemacht, die Teilnahme der Musikkapelle an der Beerdigung sei Ehrensache für die Bundesbahn und damit für ihn Dienst gewesen. Das Sozialgericht Hannover hat die Klage abgewiesen. Es ist der Ansicht, bei der Teilnahme des Musikzuges des BSW an der Beerdigung eines früheren DB-Angehörigen handele es sich lediglich um eine kollegiale Geste der Musikzugmitglieder gegenüber dem Verstorbenen und seiner Familie.

Auf die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) am 27. Juli 1966 die Beklagte verurteilt, den Kläger wegen der Folgen des Unfalls vom 8. August 1962 zu entschädigen. Zur Begründung ist ua ausgeführt: Der Kläger habe am Unfalltag seine Dienststelle mit dem Motorrad auf einem erheblichen Umweg erreichen wollen, um auf diesem Weg im Vorüberfahren seinen Musikzugführer der Musikkapelle des BSW davon zu benachrichtigen, daß er aus dienstlichen Gründen verhindert sei, an der am Nachmittag stattfindenden Beerdigungsfeier für einen ehemaligen Bundesbahn (BB) - Bediensteten teilzunehmen. Hierbei habe es sich nicht um einen privaten Zwecken des Klägers dienenden Umweg gehandelt, da für die Wahl dieses Weges das Vorhaben des Klägers, den Musikzugführer aufzusuchen, mitbestimmend gewesen sei. Der Zweck des verlängerten Weges habe in einer gewissen Beziehung zur betrieblichen Beschäftigung des Klägers gestanden. Dabei könne die Frage, wie eine Beteiligung im Musikzug und überhaupt in den Einrichtungen des BSW für sich allein zu beurteilen sei, auf sich beruhen, da im vorliegenden Falle nur die beim Zusammentreffen einer dem Betrieb und einer dem BSW zuzurechnenden Betätigung gegebene Rechtslage zu beurteilen sei. Wie sich aus Wesen, Organisation und Aufgaben des BSW ergebe, bestünden zwischen ihm und der DB so enge Beziehungen, daß der Versicherungsschutz für die im Rahmen des BSW am Unfalltag ausgeführte Fahrt des Klägers nicht in Frage gestellt werden könne.

Der Entschädigungsanspruch des Klägers sei daher begründet. Unfallfolgen in dem erforderlichen Umfange seien unstreitig vorhanden.

Die Revision ist zugelassen.

Das Urteil ist der Beklagten am 16. August 1966 zugestellt worden. Sie hat gegen das Urteil am 31. August 1966 Revision eingelegt und sie gleichzeitig wie folgt begründet: Das LSG habe den Sachverhalt unrichtig beurteilt. Es bestehe nicht der in dem angefochtenen Urteil angenommene enge Zusammenhang zwischen der DB und dem BSW. Das BSW sei zwar Teil und Zweig der DB; ein enger Zusammenhang zwischen beiden sei auch gegeben, soweit das BSW sog. Auftragsangelegenheiten der DB nach § 21 Abs. 4 Buchst. b und c der GO des BSW erledige. Diese Auftragsangelegenheiten seien jedoch beschränkt auf die Bezirksfürsorge und die Verpflegungsangelegenheiten. Die Einrichtungen zur Förderung kultureller Betätigung (§ 21 Abs. 4 Buchst. a der GO) seien hingegen eigene Aufgaben des BSW. Die in diesen Einrichtungen tätigen Bediensteten der DB seien außerhalb ihrer Dienstzeit auf freiwilliger, privater Grundlage tätig. Auf die Betätigung in diesen Einrichtungen werde von der DB kein unmittelbarer Einfluß ausgeübt. Die Teilnahme von Musikkapellen an Beerdigungen vollziehe sich auch auf privater Ebene, es sei denn, die Teilnahme erfolge auf besondere dienstliche Anordnung. Im vorliegenden Falle habe es an einer solchen Anordnung und deshalb einem rechtlich wesentlichen inneren Zusammenhang der Tätigkeit in dem Musikzug mit dem Dienstbetrieb der DB gefehlt. Deshalb sei der unfallbringende Umweg des Klägers von einem rein privaten Zweck bestimmt gewesen.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil erster Instanz zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er pflichtet den Ausführungen des angefochtenen Urteils bei.

II

Die Revision ist zulässig. Sie hatte jedoch keinen Erfolg.

Ob der Kläger am 8. August 1962 bei einer gegen Arbeitsunfall versicherten Tätigkeit verunglückt ist, richtet sich nach § 543 Abs. 1 Satz 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) in der bis zum Inkrafttreten des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes (UVNG) vom 30. April 1963 (BGBl I 241) geltenden Fassung - RVO aF - (Art. 4 § 1 UVNG).

Der Kläger stand im Zeitpunkt des Unfalls unter Versicherungsschutz nach § 543 RVO aF. Er befand sich nach den vom LSG getroffenen tatsächlichen Feststellungen auf der Fahrt zu seiner Arbeitsstätte, allerdings legte er diese Fahrt nicht auf dem nächsten und für ihn üblichen Weg, sondern auf einem Umweg zurück. Dieser Umweg war auch erheblich; er war rd. 1100 m länger als der 830 m betragende gewöhnliche Weg von der Wohnung zur Arbeitsstätte und nicht durch Umstände bedingt, welche einer möglichst raschen und sicheren Zurücklegung des Weges dienen sollten. Der Kläger konnte daher auf dem zum Unfall führenden Wegstück unter Versicherungsschutz nur stehen, wenn der verlängerte Weg der Erledigung einer betrieblichen Angelegenheit diente (vgl. BSG 4, 219, 222). Diese Voraussetzung hat das LSG nach Auffassung des erkennenden Senats zu Recht als gegeben erachtet.

Wie sich aus der Rechtsnatur, der Organisation und vor allem den Aufgaben des BSW ergibt, bestehen zwischen ihm und der Verwaltung der DB Beziehungen, welche die Schlußfolgerung rechtfertigen, daß eine im Rahmen des BSW tätige Person betrieblichen Interessen der DB dienen kann. Diese Beziehungen mögen, wie die Revision dargelegt hat, je nach der Art der Geschäfte, welche dem Büro des Bezirksvorstands in den Abteilungen A, B und V obliegen, verschieden eng geknüpft sein. So möge es sich bei der Abt. A im Gegensatz zu Abt. B und V nicht um reine Auftragsangelegenheiten, sondern um Geschäfte handeln, welche den persönlichen Interessen der im BSW zusammengeschlossenen Personen dienen. Dies kann aus Anlaß der Prüfung des vorliegenden Streitfalles jedoch unerörtert bleiben. Denn die Entscheidung darüber, ob der als Voraussetzung für den vom Kläger begehrten Versicherungsschutz erforderliche innere Zusammenhang zwischen dem Auftreten einer Musikkapelle des BSW und dem BB-Betrieb gegeben ist, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. Dies ist besonders gerade auch in den gutachtlichen Richtlinien, welche das BB-Sozialamt zur Frage des Unfallversicherungsschutzes für die Mitglieder der BB-Orchester, -Kapellen und -Chöre an die Bezirksleitungen der BB-Ausführungsbehörde für Unfallversicherung unter dem 9. März 1962 mitgeteilt hat, zum Ausdruck gekommen. Jedenfalls schließt entgegen der Ansicht der Revision der Umstand, daß die kulturellen Aufgaben des BSW auf freiwilliger Grundlage - von Idealisten - erledigt werden, nicht ohne weiteres den Versicherungsschutz für die in den kulturellen Einrichtungen des BSW tätigen Personen aus. Allerdings ist für solche Personen der Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung nur gegeben, wenn ihre auf Zwecke des BSW gerichtete Betätigung im konkreten Falle dem Gesamtbetrieb der DB zugerechnet werden kann. Dies wird regelmäßig nicht der Fall sein, wenn zB eine Tanzkapelle des BSW bei Kirmesfeiern und ähnlichen Veranstaltungen aufspielt.

Nach Lage des vorliegenden Streitfalles läßt sich jedoch die Auffassung rechtfertigen, daß die Mitglieder der Musikkapelle des BSW bei ihrer Mitwirkung an der Beerdigung des ehemaligen Bundesbahnbediensteten am 8. August 1962, insbesondere auch auf den Wegen, die sie im Zusammenhang mit der Teilnahme an der Beerdigung zurückzulegen hatten, versichert waren. Hierbei läßt der erkennende Senat nicht die Grundsätze außer acht, welche in seiner Entscheidung vom 27. Oktober 1961 (BSG 15, 193) zur Frage des Versicherungsschutzes bei dem Unfall eines in dem Unternehmen seines Vaters Beschäftigten, der in dessen Auftrag an der Beerdigung eines Geschäftskunden teilgenommen hat, dargelegt sind. Danach ist die Teilnahme an einer Beerdigung ihrem Wesen nach zwar dem persönlichen, unversicherten Bereich des Versicherten zuzurechnen, weil dessen Entschluß, an einer Beerdigung teilzunehmen, im allgemeinen durch die Rücksicht auf gesellschaftliche, in Sitte und religiöser Bindung wurzelnde Anschauungen bestimmt wird. Aus diesem Grunde sind aus der Sicht des damals zu entscheidenden Falles geschäftliche Rücksichten grundsätzlich nicht als ein ausreichender Umstand dafür anerkannt worden, daß ein rechtlich wesentlicher Zusammenhang zwischen der Teilnahme an der Beerdigung und dem versicherten Unternehmen begründet sei. Von dem jener Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt unterscheidet sich der vorliegende Streitfall jedoch wesentlich dadurch, daß sich die Mitglieder der Musikkapelle des BSW nicht nur am Trauergefolge beteiligten, sondern an der Ausgestaltung der Trauerfeier aktiv mitwirkten. Sie nahmen deshalb nicht nur aus Gründen der Pietät an der Beerdigung teil, ihre Mitwirkung war vielmehr wesentlich durch Rücksichten bestimmt, welche in ihren dienstlichen Beziehungen zum BSW und damit zur DB liegen.

Das LSG ist erkennbar davon ausgegangen, daß die gesamte Musikkapelle der Ortsstelle des BSW in Kirchweyhe an der Beerdigung eines verdienten ehemaligen Bundesbahnbediensteten in Uniform und geschlossen teilgenommen hatte, um diesem die letzte Ehre zu erweisen. Der Mitwirkung hierbei hatte sich der Kläger nur deshalb entziehen wollen, weil er zur Zeit der Beerdigung nicht dienstlich abkömmlich war. Dies zeigt gerade, daß bei ihm als Mitglied der Kapelle persönliche Motive für seine Teilnahme an der Beerdigung keine ausschlaggebende Rolle gespielt hätten. Die Revision hat nichts dargetan, was geeignet wäre, zu einer abweichenden Beurteilung zu führen. Sie hat vor allem keine Gründe vorgetragen, welche der Annahme entgegenstünden, daß die DB durch den Musikzug bei der Beerdigung repräsentiert wurde. Unter den Umständen des vorliegenden Streitfalles hält es der erkennende Senat jedenfalls nicht für rechtsfehlerhaft, daß das LSG die Mitwirkenden der Musikkapelle, soweit es sich um Angestellte und Arbeiter der DB handelte, bei ihrer Teilnahme an der Beerdigung auf Grund ihres jeweiligen Beschäftigungsverhältnisses bei der DB als unfallversichert angesehen hat.

Bei dieser Rechtslage steht der zum Unfall führende Weg, den der Kläger für notwendig hielt, um seine dienstliche Verhinderung an der Mitwirkung bei der musikalischen Ausgestaltung der Beerdigungsfeier rechtzeitig zu melden, mit dem Dienstbetrieb der DB in einem nach § 543 Abs. 1 Satz 1 RVO aF erforderlichen inneren Zusammenhang. Ob es dem Kläger möglich gewesen wäre, nach Antritt seines Nachmittagsdienstes dem Musikführer noch rechtzeitig von seiner Verhinderung an der Beerdigungsteilnahme Mitteilung zu machen, steht der Annahme dieses Zusammenhanges nicht entgegen.

Das LSG hat daher den Unfall des Klägers zutreffend als Arbeitsunfall im Sinne der angeführten Vorschrift in Verbindung mit § 537 Nr. 1 RVO aF gewertet und die Beklagte zu Recht zur Entschädigungsleistung verurteilt. Die Voraussetzungen für den Erlaß eines Grundurteils im Berufungsverfahren waren gegeben. Nach den Feststellungen des LSG ist es wahrscheinlich, daß der geltend gemachte Leistungsanspruch in einer Mindesthöhe besteht (vgl. SozR Nr. 3 und 4 zu § 130 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).

Die Revision mußte daher zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG).

Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens ergeht auf Grund des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2365150

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