Verfahrensgang

SG Düsseldorf (Urteil vom 21.09.1990)

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 21. September 1990 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Streitig ist, ob der Klägerin aus der Versicherung ihres früheren Ehemannes Hinterbliebenenrente zusteht, obwohl die Ehe auf ihr Verlangen ohne Schuldausspruch geschieden wurde.

Die am 6. September 1928 geborene Klägerin heiratete im Jahre 1951 den 1924 geborenen E. S. (im folgenden: Versicherter). Aus dieser Ehe sind drei Kinder (geboren 1951, 1957 und 1958) hervorgegangen. Als der Versicherte seit 1966 eine langjährige Haftstrafe zu verbüßen hatte, wurde die Ehe auf Antrag der Klägerin durch Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 17. April 1975 – 2(18) R 80/75 – (rechtskräftig am 6. Juni 1975) gemäß § 48 des Ehegesetzes (EheG) wegen einer tiefgreifenden und unheilbaren Zerrüttung des ehelichen Verhältnisses geschieden. Das Urteil enthält keinen Schuldausspruch. Eine Unterhaltsvereinbarung wurde nicht getroffen.

Nach seiner Haftentlassung bezog der Versicherte seit Oktober 1982 von der Beklagten Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Bis zu seinem Tode am 18. Februar 1987 hat er der Klägerin keinen Unterhalt geleistet. Ebensowenig hat sie gegen ihn Unterhaltsansprüche geltend gemacht.

Der im März 1987 gestellte Antrag der Klägerin auf Gewährung von Hinterbliebenenrente wurde von der Beklagten mit Bescheid vom 22. Mai 1987 abgelehnt. Das Sozialgericht (SG) Düsseldorf wies die Klage ab (Urteil vom 7. Juli 1988 – S 21 J 256/87 –). Die Berufung zum Landessozialgericht (LSG) für das Land Nordrhein-Westfalen – L 18 J 152/88 – wurde von der Klägerin zurückgenommen.

Im Mai 1989 beantragte die Klägerin erneut Hinterbliebenenrente und bat gemäß §§ 44, 48 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) um Überprüfung der ablehnenden Entscheidung vom 22. Mai 1987. Dabei bezog sie sich auf die geänderte Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), wonach ein Unterhaltsverzicht nicht in jedem Fall rentenschädlich sei (BSG, Urteil vom 23. November 1988 – 5/5b RJ 100/86 –, in BSGE 64, 167 = SozR 2200 § 1265 Nr 90). Ihr Einverständnis mit einer Scheidung nach § 48 EheG komme einem solchen Unterhaltsverzicht gleich, da sicherlich eine Scheidung aus alleinigem Verschulden des Ehemannes in Frage gekommen wäre. Der gegen den ablehnenden Bescheid vom 12. Juni 1989 erhobene Widerspruch wurde von der Beklagten als Klage an das SG weitergeleitet.

Durch Urteil vom 21. September 1990 – S 21 J 58/90 – wies das SG die Klage ab, weil die Klägerin keinen Anspruch auf Hinterbliebenenrente habe. Die neue Rechtsprechung zu § 1265 Abs 1 Satz 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) betreffe den vorliegenden Sachverhalt und dessen rechtliche Würdigung nicht.

Mit ihrer durch Beschluß des SG zugelassenen Sprungrevision macht die Klägerin in Ergänzung ihres bisherigen Vorbringens geltend, daß sowohl § 61 Abs 2 EheG als auch die Nichtanwendung der gewandelten Rechtsprechung des BSG zum Unterhaltsverzicht auf ihren Fall gegen Art 3 Abs 1 Grundgesetz (GG) verstoße. Darüber hinaus sei sie in ihren Grundrechten aus Art 6 Abs 1 und 4, Art 2 Abs 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip verletzt.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des SG Düsseldorf aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 12. Juni 1989 und 22. Mai 1987 zu verurteilen, ihr Hinterbliebenenrente nach ihrem verstorbenen geschiedenen Ehemann E. S. zu zahlen.

Die Beklagte hat keinen förmlichen Antrag gestellt. Sie hält das angegriffene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich gemäß § 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

II

Die gemäß § 161 SGG statthafte Sprungrevision ist zulässig, da die formellen Anforderungen des § 164 SGG erfüllt sind.

Die Revision ist aber nicht begründet. Das klageabweisende Urteil des SG verstößt nicht gegen revisibles Recht im Sinne von § 162 SGG. Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, der Klägerin in Abänderung des bindenden Verwaltungsaktes vom 22. Mai 1987 Hinterbliebenenrente zu gewähren. Der Umstand, daß die Klägerin nach ihren Angaben einen ihr unterhaltsrechtlich vorteilhaften Schuldausspruch im Scheidungsverfahren nicht beantragt hat, vermag einen Rentenanspruch nicht zu begründen. Ein Grundrechtsverstoß läßt sich insofern nicht feststellen.

Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 12. Juni 1989 beruht auf einer Anwendung des § 44 SGB X. Soweit sich im Einzelfall ergibt, daß bei Erlaß eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nach Abs 1 Satz 1 dieser Vorschrift mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Danach kann die Klägerin keine Rücknahme des Bescheides der Beklagten vom 22. Mai 1987 beanspruchen. Denn die damalige Ablehnung des Antrages der Klägerin auf Hinterbliebenenrente war rechtmäßig.

Der Anspruch der Klägerin auf die begehrte Rente aus der Versicherung ihres früheren Ehemannes richtete sich nach den §§ 1263, 1265 RVO in der damals und bis zum 31. Dezember 1991 geltenden Fassung (vgl Art 6 Nr 24 des Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung ≪Rentenreformgesetz 1992 – RRG 1992 -≫ vom 18. Dezember 1989, BGBl I S 2261; dazu auch § 300 Abs 2 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches ≪SGB VI≫ idF des Art 1 RRG 1992). Die allgemeinen Voraussetzungen für eine Hinterbliebenenrente waren nach § 1263 RVO gegeben. Insbesondere stand dem Versicherten zur Zeit seines Todes Versichertenrente (wegen Erwerbsunfähigkeit) zu (vgl § 1263 Abs 2 RVO). Die Klägerin hatte jedoch keinen Rentenanspruch nach § 1265 RVO. Diese Vorschrift unterteilt sich in zwei Anspruchsalternativen mit jeweils unterschiedlichen Tatbestandsvoraussetzungen:

Gemäß § 1265 Abs 1 Satz 1 RVO wird einer früheren Ehefrau des Versicherten, deren Ehe mit dem Versicherten vor dem 1. Juli 1977 geschieden, für nichtig erklärt oder aufgehoben ist, nach dem Tode des Versicherten Rente gewährt, wenn ihr der Versicherte zur Zeit seines Todes Unterhalt nach den Vorschriften des EheG oder aus sonstigen Gründen zu leisten hatte oder wenn er im letzten Jahr vor seinem Tode Unterhalt geleistet hat. Ein Rentenanspruch nach dieser Alternative scheitert daran, daß die Klägerin von ihrem früheren Ehemann weder Unterhalt erhalten noch zu beanspruchen hatte. Nach den Feststellungen des LSG hat ihr der Versicherte nach der Scheidung zu keiner Zeit Unterhalt geleistet. Er war auch nicht zur Unterhaltszahlung verpflichtet. Eine Unterhaltsvereinbarung bestand nicht. Ein gesetzlicher Unterhaltsanspruch kam nach den einschlägigen Vorschriften des EheG (vgl Art 3 Nr 1, Art 12 Nr 3 Abs 2 des Ersten Gesetzes zur Reform des Ehe- und Familienrechts ≪1. EheRG≫ vom 14. Juni 1976, BGBl I S 1421) von vornherein nicht in Betracht. Da die Ehe ohne Schuldausspruch gemäß § 48 EheG wegen ehezerrüttender Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft geschieden worden war, richtete sich der nacheheliche Unterhalt nach § 61 Abs 2 EheG. Diese Vorschrift bestimmt: Enthält das Urteil keinen Schuldausspruch, so hat der Ehegatte, der die Scheidung verlangt hat, dem anderen Unterhalt zu gewähren, wenn und soweit dies mit Rücksicht auf die Bedürfnisse und die Vermögens- und Einkommensverhältnisse der geschiedenen Ehegatten und der nach § 63 EheG unterhaltspflichtigen Verwandten des Berechtigten der Billigkeit entspricht. Danach war allenfalls eine Unterhaltspflicht der Klägerin dem Versicherten gegenüber möglich, nicht jedoch – wie von § 1265 Abs 1 Satz 1 RVO gefordert – ein Anspruch der Klägerin gegen den Versicherten (vgl LSG Rheinland-Pfalz, Breithaupt 1975, 955). Selbst wenn die Klägerin durch das Unterlassen einer auf ein Verschulden des Versicherten gestützten Scheidungsklage inzidenter auf einen für sie unterhaltsrechtlich günstigeren Urteilsausspruch „verzichtet” haben sollte, wäre dies im Rahmen des § 1265 Abs 1 Satz 1 RVO unbeachtlich. Denn insofern ist auch ein ausdrücklich erklärter Verzicht auf einen dem Grunde nach möglichen Unterhaltsanspruch in jedem Fall rentenschädlich (vgl BSG SozR 2200 § 1265 Nr 92, S 316 mwN; BSG SozR 3-2200 § 1265 Nr 4, S 15).

Auch aus § 1265 Abs 1 Satz 2 RVO kann die Klägerin keinen Anspruch auf die begehrte Rente herleiten. Ist eine Witwenrente nicht zu gewähren, findet nach dieser Vorschrift Satz 1 auch dann Anwendung,

1. wenn eine Unterhaltsverpflichtung wegen der Vermögens- oder Erwerbsverhältnisse des Versicherten oder wegen der Erträgnisse der früheren Ehefrau aus einer Erwerbstätigkeit nicht bestanden hat und 2. wenn die frühere Ehefrau im Zeitpunkt der Scheidung, Nichtigerklärung oder Aufhebung der Ehe mindestens ein waisenrentenberechtigtes Kind zu erziehen oder für ein Kind, das wegen körperlicher oder geistiger Gebrechen Waisenrente erhielt, zu sorgen oder das 45. Lebensjahr vollendet hatte und 3. solange sie berufsunfähig (§ 1246 Abs 2 RVO) oder erwerbsunfähig (§ 1247 Abs 2 RVO) ist oder mindestens ein waisenrentenberechtigtes Kind erzieht oder für ein Kind, das wegen körperlicher oder geistiger Gebrechen Waisenrente erhält, sorgt oder wenn sie das 60. Lebensjahr vollendet hat.

Zwar ist im vorliegenden Fall keine Witwenrente zu gewähren; darüber hinaus müssen aber auch die Voraussetzungen der Nrn 1 – 3 kumulativ vorliegen (vgl BSG SozR 2200 § 1265 Nr 22 S 69). Hier sind die Tatbestandsmerkmale des § 1265 Abs 1 Satz 2 Nr 1 RVO nicht erfüllt. Diese Bestimmung verlangt, daß eine Unterhaltsverpflichtung iS des Satzes 1 (nur) deswegen nicht bestanden hat, weil der Versicherte angesichts seiner Vermögens- oder Erwerbsverhältnisse nicht unterhaltsfähig und/oder die frühere Ehefrau wegen ihrer Erträgnisse aus einer Erwerbstätigkeit nicht unterhaltsbedürftig war. Erforderlich ist, daß die unterhaltsrechtlichen Beziehungen der früheren Ehegatten so ausgestaltet waren, daß sie bei Unterstellung der vollen Leistungsfähigkeit des Versicherten und Fehlen von Erwerbs- oder Erwerbsersatzeinkommen der früheren Ehefrau zu einer konkreten, nennenswerten Unterhaltsverpflichtung des Versicherten geführt hätten (vgl Komm zur RVO – 4. und 5. Buch –, herausgegeben vom Verband Deutscher Rentenversicherungsträger – Verbandskommentar –, § 1265 RVO Anm 15). Fehlte die Unterhaltspflicht des Versicherten aus anderen Gründen, kann Satz 2 keinen Rentenanspruch begründen (vgl BSGE 40, 155, 156 = SozR 2200 § 1265 Nr 6 S 18; Eicher/ Haase/ Rauschenbach, Die Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten, § 1265 RVO Anm 16; Koch/ Hartmann/Wagner, Das Angestelltenversicherungsgesetz ≪AVG≫, Komm, Bd IVb, § 42 AVG Anm C.III. 2.c dd, S V 364/15). Da der Versicherte hier der Klägerin schon deswegen keinen Unterhalt zu gewähren hatte, weil die Ehe auf Betreiben der Klägerin ohne Schuldausspruch geschieden und eine Unterhaltsvereinbarung zugunsten der Klägerin nicht getroffen worden war, scheidet § 1265 Abs 1 Satz 2 Nr 1 RVO jedenfalls seinem Wortlaut nach als Anspruchsgrundlage aus.

Eine erweiternde Auslegung, wie sie die Klägerin erstrebt, kommt nicht in Betracht. Die Klägerin beruft sich insofern auf die neuere Rechtsprechung des BSG zur Bedeutung eines vollständigen und endgültigen Unterhaltsverzichts (vgl BSG SozR 2200 § 1265 Nrn 89, 90, 92, 93, 94, 98; SozR 3-2200 § 1265 Nrn 3, 4). Dort ist aber nur in Fällen, in denen allein die in § 1265 Abs 1 Satz 2 Nr 1 RVO aufgeführten Umstände einer Unterhaltspflicht des Versicherten entgegenstanden, der Verzicht für unschädlich erachtet worden, wenn er sich angesichts der wirtschaftlichen Verhältnisse der Ehegatten als „leere Hülse” darstellt (vgl zB BSGE 64, 167, 169 = SozR 2200 § 1265 Nr 90, S 309; BSG SozR 2200 § 1265 Nr 92, S 320). Bei der Klägerin fehlt es hingegen schon an einem Unterhaltsanspruch dem Grunde nach. Für die Erklärung eines Unterhaltsverzichts im Zusammenhang mit der Scheidung bestand daher für sie von vornherein keine Veranlassung; sie ist auch nicht erfolgt.

Einen „Unterhaltsverzicht” sieht die Klägerin dementsprechend bereits in dem Unterlassen einer Scheidungsklage nach den §§ 42, 43 EheG. Damit habe sie auf einen Schuldausspruch im Scheidungsurteil zu Lasten des Versicherten und zugleich auf die unterhaltsrechtlichen Folgen des § 58 Abs 1 EheG (Unterhaltspflicht des allein oder überwiegend für schuldig erklärten Ehegatten) verzichtet. Nach Auffassung des erkennenden Senats läßt § 1265 Abs 1 Satz 2 RVO indes keine Auslegung zu, die bei einer derartigen Fallkonstellation eine Rentengewährung ermöglichen würde.

Den Gesetzesmaterialien ist ein so weites Verständnis der Regelung des § 1265 Abs 1 Satz 2 RVO nicht zu entnehmen. Die Ausgestaltung dieser Vorschrift vollzog sich in zwei Schritten: Durch Art 1 § 1 Nr 27 des Gesetzes zur Beseitigung von Härten in den gesetzlichen Rentenversicherungen und zur Änderung sozialrechtlicher Vorschriften (Rentenversicherungs-Änderungsgesetz ≪RVÄndG≫ vom 9. Juni 1965, BGBl I S 476) wurde dem § 1265 RVO zunächst folgender Satz 2 angefügt:

Ist eine Witwenrente nicht zu gewähren, findet Satz 1 auch dann Anwendung, wenn eine Unterhaltsverpflichtung wegen der Vermögens- oder Erwerbsverhältnisse des Versicherten nicht bestanden hat.

Art 1 § 1 Nr 14 des Gesetzes zur weiteren Reform der gesetzlichen Rentenversicherung und über die Fünfzehnte Anpassung der Renten aus den gesetzlichen Rentenversicherungen sowie über die Anpassung der Geldleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung (Rentenreformgesetz ≪RRG≫) vom 16. Oktober 1972 (BGBl I S 1965) brachte dann eine Fassung des Satzes 2, die bis auf kleinere – hier nicht wesentliche – Änderungen (vgl Art 2 § 1 Nr 20 des Gesetzes über die Sozialversicherung Behinderter vom 7. Mai 1975, BGBl I S 1061; Art 4 Nr 1 Buchst b des 1. EheRG; Art 1 Nr 27 des Gesetzes zur Neuordnung der Hinterbliebenenrenten sowie zur Anerkennung von Kindererziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung ≪Hinterbliebenenrenten- und Erziehungszeiten-Gesetz -HEZG-≫ vom 11. Juli 1985, BGBl I S 1450) bereits der hier anwendbaren entsprach.

Ein Ausgangspunkt der gesetzgeberischen Aktivitäten war die Stellungnahme des Bundesrates zum Entwurf des 1. RVÄndG. Darin wurde die Auffassung vertreten, daß die Unterhaltsersatzfunktion der Geschiedenen-Witwenrente zu unbilligen Härten geführt habe, vor allem für schuldlos geschiedene und unterhaltsbedürftige frühere Ehefrauen von Versicherten, deren Unterhaltspflicht entfallen sei. Im Gegensatz hierzu habe der Gesetzgeber gemäß § 1291 RVO für wiederverheiratete Witwen ohne Rücksicht auf die Leistung von Unterhalt den Rentenanspruch dann zuerkannt, wenn deren Ehe ohne alleiniges oder überwiegendes Verschulden aufgelöst worden sei. Der Bundesrat halte es für erforderlich, im Verlauf des weiteren Gesetzgebungsverfahrens zu prüfen, ob auf die Unterhaltsersatzfunktion der Rente nach § 1265 RVO verzichtet werden und die Gewährung auch dieser Rente allein davon abhängig gemacht werden könne, daß die Ehe ohne alleiniges oder überwiegendes Verschulden der früheren Ehefrau des Versicherten aufgelöst oder für nichtig erklärt worden sei (vgl BT-Drucks IV/2572, ≪Anlage 2≫, S 33 f). Daraufhin schlug der Bundestagsausschuß für Sozialpolitik die Gesetz gewordene Erweiterung der vorhandenen Regelung vor. Danach sollte es auf das Bestehen einer Unterhaltsverpflichtung des Versicherten nicht mehr ankommen, wenn neben der früheren Ehefrau eine Witwe nicht vorhanden sei (vgl Antrag des Ausschusses, BT-Drucks IV/3233, S 16; Bericht des Abgeordneten Ollesch, zu BT-Drucks IV/3233, S 6). Nach dem Regierungsentwurf zum RRG 1972 war zunächst vorgesehen, daß eine frühere Ehefrau – ohne Rücksicht auf Unterhaltsbeziehungen zu dem Versicherten – in bestimmten Bedarfslagen Rente erhielt, wenn in die Ehe anrechnungsfähige Versicherungsjahre oder Rentenbezugszeiten des Versicherten fielen (vgl BT-Drucks VI/2916, S 5). Diese Bestimmung sollte eine Übergangsregelung für Ehescheidungsfälle vor Inkrafttreten des im Rahmen der Eherechtsreform vorgesehenen Versorgungsausgleichs darstellen (aaO S 41; vgl auch die Rede des Bundesministers Arendt, 160. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 16. Dezember 1971, stenografische Berichte – 6. Wahlperiode –, S 9236 D). Diese Verbesserung wurde durch den Bundestagsausschuß für Arbeit und Sozialordnung gestrichen, weil die betreffenden Vorschriften erst mit der Eherechtsreform in Kraft treten könnten (vgl den Bericht der Abgeordneten Müller ≪Remscheid≫, Killat-von Coreth und Schmidt ≪Kempten≫, zu BT-Drucks VI/3767, S 9). In der dritten Plenarberatung des Gesetzentwurfs brachten dann die Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP einen Änderungsantrag mit der dann beschlossenen Neufassung des § 1265 Satz 2 RVO ein (Umdruck 315, Anlage 2 zum stenografischen Bericht über die 198. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 21. September 1972, stenografische Berichte – 6. Wahlperiode –, S 11719). Zur Begründung führte der Abgeordnete Dr. Schellenberg aus, daß durch die Regelung geschiedenen Frauen in einer Reihe von Fällen besonderer sozialer Härte geholfen werden könne (vgl stenografische Berichte aaO S 11711 B).

Dieser Ablauf zeigt, daß sich der Gesetzgeber nicht hat entschließen können, den Anspruch auf Geschiedenen-Witwenrente völlig von unterhaltsrechtlichen Anforderungen zu lösen und etwa entsprechend dem Gedanken der Teilhabe an den vom Versicherten während der Ehezeit erworbenen Rentenanwartschaften (vgl den Versorgungsausgleich nach §§ 1587 ff BGB) auszugestalten (vgl dazu BSGE 40, 155, 157 = SozR 2200 § 1265 Nr 6, S 18). Vielmehr ist die in § 1265 Abs 1 Satz 1 RVO zum Ausdruck kommende Unterhaltsersatzfunktion dieser Rente nur weiter gelockert worden, und zwar für Frauen, bei denen ehebedingte Lücken in den eigenen Rentenanwartschaften unterstellt werden konnten und deren Lebenssituation sowohl im Zeitpunkt der Scheidung als auch nach Eintritt des Versicherungsfalles (Tod des Versicherten) die Möglichkeit eines ausreichenden Anwartschaftserwerbs durch berufliche Tätigkeit regelmäßig nicht mehr zuließ (vgl § 1265 Abs 1 Satz 2 Nrn 2 und 3 RVO; dazu allgemein BSGE 48, 146, 156 f = SozR 2200 § 1265 Nr 41, S 137 f mwN). In dem Anknüpfen an typische Bedarfslagen der früheren Ehefrau liegt zwar ein Bestreben um Ausgleich für ehebedingten Versorgungsausfall, daneben ist jedoch ein Restbestand der ursprünglichen Unterhaltsersatzfunktion erhalten geblieben (vgl BSGE aaO S 157 = SozR aaO S 138; aA wohl Gleitze/ Försterling, SGb 1990, 144, 145; Peters, ZfS 1975, 173, 174; Verbandskommentar, § 1265 RVO Anm 8). Insbesondere sind nur die einem Unterhaltsanspruch des früheren Ehegatten entgegenstehenden wirtschaftlichen Verhältnisse beider Ehegatten – größtenteils – für unschädlich erklärt worden. An den unterhaltsrechtlichen Grunderfordernissen, wie sie in Satz 1 dieser Vorschrift niedergelegt sind (hier: Unterhaltsrechtliche Folgen einer Scheidung ohne Schuldausspruch nach § 61 Abs 2 EheG) hat sich ansonsten nichts geändert. Mit dieser Rechtslage läßt sich eine Auslegung des § 1265 Abs 1 Satz 2 Nr 1 RVO nicht vereinbaren, welche gerade in diese vom Gesetzgeber aufrechterhaltenen Unterhaltsanforderungen eingreift. Darauf läuft das Anliegen der Klägerin jedoch hinaus, wenn sie verlangt, daß nicht von dem tatsächlichen Scheidungsurteil, sondern von einem bei anderem prozessualen Vorgehen erreichbaren Scheidungsausspruch ausgegangen werden solle.

Da somit in § 1265 Abs 1 Satz 2 Nr 1 RVO der „Anschluß an das Unterhaltsrecht” (vgl BSGE 40, 155, 156) unter dem hier entscheidenden Gesichtspunkt einer Unterhaltsverpflichtung des Versicherten dem Grunde nach gewahrt bleibt,

muß nach der gesetzlichen Systematik „… findet Satz 1 auch dann Anwendung …”) eine Bindung an die Feststellung im Scheidungsurteil zur Schuld (vgl BSGE 10, 171, 172; 13, 166, 167; 27, 256, 257 f) im Rahmen des Satzes 2 ebenso gelten, wie bei der unmittelbaren Anwendung des Satzes 1. Eine derartige Tatbestandswirkung des Scheidungsausspruchs schließt es aus, die Frage nach der Unterhaltspflicht des Versicherten aufgrund einer hypothetischen Beurteilung des Scheidungsverschuldens zu beantworten. Eine solche Prüfung ist von der Rechtsprechung nur in Fällen mit DDR- oder Auslandsbezug zugelassen worden (vgl BSG SozR 2200 § 1265 Nrn 13, 15, 43; SozR 3-2200 § 1265 Nr 3). Diese zeichnen sich dadurch aus, daß sich der Unterhaltsanspruch nach dem EheG richtete, das in der ehemaligen DDR oder im Ausland ergangene Scheidungsurteil aber keinen hinreichenden Aufschluß über die Verschuldensfrage gab. Für den vorliegenden Sachverhalt, der ein bundesdeutsches Scheidungsurteil betrifft, kann die genannte Rechtsprechung mangels Vergleichbarkeit der Ausgangssituation nicht herangezogen werden.

Die Versagung eines Rentenanspruchs nach § 1265 Abs 1 RVO im Falle der Klägerin verstößt nicht gegen das GG. Die Klägerin macht insofern in erster Linie eine Verfassungswidrigkeit des § 61 Abs 2 EheG geltend. Darüber hinaus hält sie auch § 1265 Abs 1 RVO selbst für mit dem GG unvereinbar, soweit diese Regelung keine für sie günstige Auslegung zuläßt.

Wegen der Anknüpfung des § 1265 Abs 1 Satz 1 RVO an das Unterhaltsrecht nach dem EheG stellt die für die Klägerin ungünstige Regelung des § 61 Abs 2 EheG das entscheidende Anspruchshindernis dar. Dies gilt auch für § 1265 Abs 1 Satz 2 RVO, da diese Bestimmung insofern auf Satz 1 verweist. Eine Verfassungswidrigkeit des § 61 Abs 2 EheG ist also hier entscheidungserheblich. Zwar würde sie es nicht ermöglichen, der Klage stattzugeben, das Verfahren müßte aber bis zu einer gesetzlichen Neuregelung der unterhaltsrechtlichen Folgen einer Scheidung ohne Schuldausspruch ausgesetzt werden. Denn es bestünde immerhin die Möglichkeit, daß eine Neufassung dieser Vorschrift einen Unterhaltsanspruch der früheren Ehefrau in Fällen wie dem der Klägerin vorsehen würde.

Da sich die Klägerin im Vergleich zu anderen geschiedenen Ehefrauen durch die Regelung des § 61 Abs 2 EheG ungerecht behandelt fühlt, kommt in erster Linie Art 3 Abs 1 GG als Prüfungsmaßstab in Betracht. Diese Verfassungsnorm gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Demgemäß ist dieses Grundrecht vor allem dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (vgl etwa BVerfGE 55, 72, 88). Auch eine für alle Betroffenen gleiche Regelung verletzt Art 3 Abs 1 GG, wenn sie für eine Personengruppe Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht zur Folge hätte, daß ihr gegenüber eine gleichartige Behandlung nicht mehr zu rechtfertigen wäre (vgl BVerfGE 72, 141, 150).

Die Anwendung des Art 3 Abs 1 GG verlangt den Vergleich von Lebensverhältnissen, die nicht in allen, sondern stets nur in einzelnen Elementen gleich sein können. Grundsätzlich ist es Sache des Gesetzgebers zu entscheiden, welche von diesen Elementen er als maßgebend für eine Gleich- oder Ungleichbehandlung ansieht (vgl BVerfGE 71, 255, 271; 81, 108, 117). So steht dem Gesetzgeber auch bei der Bestimmung des Personenkreises, für den die gesetzliche Regelung Anwendung finden soll, ein weiter Gestaltungsbereich zu (vgl BVerfGE 23, 12, 28; 27, 1, 10 mwN). Die Gerichte können insofern nicht prüfen, ob der Gesetzgeber im einzelnen die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung gefunden hat (vgl BVerfGE 71, 255, 271; 81, 156, 206 mwN).

Die im Rahmen des allgemeinen Gleichheitssatzes bestehende Entscheidungsfreiheit des Gesetzgebers findet ihre Grenze nicht nur im Willkürverbot und in den Konkretisierungen des allgemeinen Gleichheitssatzes, insbesondere in Art 3 Abs 2 und 3 GG, sondern auch in sonstigen Grundsatznormen, in denen für bestimmte Bereiche der Rechts- und Sozialordnung Wertentscheidungen des Verfassungsgebers verbindlich ausgedrückt sind (vgl BVerfGE 9, 237, 248 mwN). Der vorliegende Prüfungsgegenstand hat Bezug zu Art 6 GG, weil die Regelung des § 61 Abs 2 EheG den nachehelichen Unterhalt betrifft. Der in Art 6 Abs 1 GG statuierte besondere Schutz der staatlichen Ordnung für Ehe und Familie umschließt zweierlei: positiv die Aufgabe für den Staat, Ehe und Familie nicht nur vor Beeinträchtigungen durch andere Kräfte zu bewahren, sondern auch durch geeignete Maßnahmen zu fördern, negativ das Verbot für den Staat selbst, die Ehe und Familie zu schädigen oder sonst zu beeinträchtigen (vgl BVerfGE 6, 55, 76). Dem Gesetzgeber steht allerdings Gestaltungsfreiheit bei der Entscheidung darüber zu, auf welche Weise er den ihm aufgetragenen Schutz verwirklichen will (vgl BVerfGE 82, 60, 81 mwN). Art 6 Abs 4 GG enthält den bindenden Auftrag an den Gesetzgeber, jeder Mutter Schutz und Fürsorge angedeihen zu lassen. Dieses Schutzgebot hat – auch – das Ziel, die Tendenz, den Gesetzgeber zu verpflichten, wirtschaftliche Belastungen der Mütter, die im Zusammenhang mit ihrer Schwangerschaft und Mutterschaft stehen, auszugleichen. Insoweit schützt Art 6 Abs 4 GG die Mütter in vergleichbarer Weise wie Art 6 Abs 1 GG die Ehe und Familie. Indessen bedeutet das nicht, daß der Gesetzgeber gehalten wäre, jede mit der Mutterschaft zusammenhängende wirtschaftliche Belastung oder Folge auszugleichen (vgl BVerfGE 60, 68, 74 mwN). Schließlich begründet das Sozialstaatsprinzip (Art 20 Abs 1 GG), auf das sich die Klägerin ebenfalls beruft, zwar die Pflicht des Staates, für eine gerechte Sozialordnung zu sorgen (vgl BVerfGE 59, 231, 263 mwN). Angesichts seiner Weite und Unbestimmtheit läßt sich daraus jedoch regelmäßig kein Gebot entnehmen, soziale Leistungen in einem bestimmten Umfang zu gewähren (vgl BVerfGE 82, 60, 80).

Die Klägerin rügt zum einen ihre Gleichbehandlung mit aus alleinigem oder überwiegendem Verschulden geschiedenen Ehegatten und zum anderen ihre Ungleichbehandlung mit Ehegatten, die im Scheidungsurteil beide in gleichem Maße für schuldig erklärt worden sind. Damit benennt sie zwei Vergleichsgruppen, die bei der Prüfung nach Art 3 Abs 1 GG heranzuziehen sind. In der Tat weist die Klägerin insofern auf Unstimmigkeiten im alten Unterhaltsrecht hin, die teilweise auch in Rechtsprechung (vgl LSG Niedersachsen, JZ 1975, 742, 745) und Literatur (vgl Gernhuber, Familienrecht, 2. Aufl, S 309) kritisch vermerkt worden sind.

Wenn sich die Klägerin mit allein oder überwiegend für schuldig erklärten Ehegatten iS von § 58 EheG vergleicht, so trifft es zu, daß sie ebenso wie diese von dem früheren Partner keinen Unterhalt beanspruchen konnte. Da es sich bei § 61 Abs 2 EheG um eine abschließende Regelung handelt, können nach einer Scheidung gemäß § 48 EheG (wegen Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft) ehewidrige Handlungen des Scheidungsbeklagten nicht mehr zur Begründung von Unterhaltsansprüchen des Scheidungsklägers herangezogen werden (vgl Bundesgerichtshof ≪BGH≫, FamRZ 1966, 492, 495). Während § 58 EheG die unterhaltsrechtlichen Folgen der Scheidung nach dem Verschuldensprinzip regelt, weist § 61 Abs 2 EheG die nacheheliche Unterhaltsverpflichtung entsprechend einem (prozessualen) „Veranlassungsprinzip” dem Ehegatten zu, der die Scheidung verlangt hat.

Abgesehen davon, daß sich die Rechtspositionen eines allein schuldig Geschiedenen und die eines nach § 48 EheG auf sein Begehren hin Geschiedenen insbesondere hinsichtlich des Umfanges der jeweiligen Unterhaltspflichten unterscheiden (§ 61 Abs 2 EheG verlangt eine Billigkeitsprüfung), konnte der Gesetzgeber beide Personengruppen in gleicher Weise von Unterhaltsansprüchen gegen den früheren Ehegatten ausschließen. Denn beide trifft im Zusammenhang mit der Scheidung eine Verantwortung. Dies ergibt sich für die eine Gruppe aus ihrem ehewidrigen Verhalten iS der §§ 42, 43 EheG. Bei der anderen läßt sich die nacheheliche Verantwortung für den Lebensunterhalt des früheren Ehegatten aus dem ehelichen Pflichtenverhältnis herleiten, das auch nach Beendigung der Ehe fortwirkt (vgl BVerfGE 53, 257, 297). Beruht die Ehezerrüttung auf geistigen Störungen oder gravierenden Krankheiten des Partners iS der §§ 44 – 46 EheG, so leuchtet diese Belastung des gesunden Ehegatten ohne weiteres ein (vgl BSGE 42, 290, 291 f = SozR 2200 § 1265 Nr 23 = SGb 1978, S 78 mit zustimmender Anmerkung von Glücklich). Aber auch im Falle einer Scheidung nach § 48 EheG erscheint die Rechtsfolge des § 61 Abs 2 EheG nicht sachwidrig.

Zunächst kann ein unterhaltsrechtlicher Ausgleich dadurch herbeigeführt werden, daß jeder der beiden Ehegatten die Scheidung begehrt. Ist nämlich die Ehe außer auf die Klage auch auf die Widerklage des Beklagten aus einem kein Verschulden erfordernden Scheidungsgrund geschieden worden, so kann jeder Ehegatte Unterhaltsberechtigter oder Unterhaltsschuldner sein, je nachdem, wie es die nach § 61 Abs 2 EheG anzustellenden Billigkeitserwägungen ergeben (vgl BGB-RGRK § 61 EheG Anm 8 mwN). Hat der Ehegatte, der die Scheidung begehrt, die Zerrüttung ganz oder überwiegend verschuldet, so darf die Ehe gemäß § 48 Abs 2 EheG gegen den Widerspruch des Scheidungsbeklagten nur ausnahmsweise geschieden werden. Außerdem ist in solch einem Fall auf Antrag des Beklagten auch ohne Widerklage im Scheidungsurteil auszusprechen, daß den Kläger ein Verschulden trifft (vgl § 53 Abs 2 EheG). Dann würde diesen gemäß § 61 Abs 1 iVm §§ 58, 59 EheG die Unterhaltspflicht treffen, ohne daß Billigkeitserwägungen eine Rolle spielten. Ein Ehegatte, der – wie offenbar die Klägerin – die Möglichkeit einer Scheidung nach §§ 42, 43 EheG – aus welchen Gründen auch immer – ungenutzt läßt und – ggf nach Ablauf der Fristen des § 50 EheG – (nur) eine Scheidung nach § 48 EheG begehrt, kann keinen besonderen Schutz gegen die unterhaltsrechtlichen Folgen seiner Vorgehensweise (vgl § 61 Abs 2 EheG) beanspruchen. Dies hat insbesondere dann zu gelten, wenn die Fortdauer der ehezerrütteten Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft von vornherein absehbar war. Dabei ist zu berücksichtigen, daß die kurze Frist des § 50 Abs 1 Satz 1 EheG für die Geltendmachung von Scheidungsgründen nach §§ 42, 43 EheG nicht läuft, solange die häusliche Gemeinschaft der Ehegatten aufgehoben ist (§ 50 Abs 1 Satz 2 EheG). Das soll auch im Falle einer Strafhaft gelten (vgl BGB-RGRK, § 48 EheG Anm 19, 21, § 50 Anm 24, jeweils mwN). Maßgebend ist dann die Zehnjahresfrist des § 50 Abs 2 EheG. Unter diesen Umständen erscheint es jedenfalls nicht als willkürlich, wenn der Klägerin nach einer gemäß § 48 EheG ohne Schuldausspruch erwirkten Scheidung nach dem Gesetz kein Unterhaltsanspruch gegen ihren früheren Ehemann zustand. Diese Beurteilung bestätigt sich, wenn man die Regelung des § 61 Abs 2 EheG aus der Sicht des Scheidungsbeklagten (hier des Versicherten) betrachtet. Es ist nämlich nachvollziehbar, daß dieser, nachdem seine etwaigen Eheverfehlungen keinen Scheidungsgrund gegen ihn (mehr) abgeben konnten, in vergleichbarer Weise wie ein früherer Ehegatte, der die Scheidung nicht zumindest mitverschuldet hat, von jeglicher Unterhaltsverpflichtung freigestellt werden sollte.

Die zweite Art von Geschiedenen, mit denen sich die Klägerin vergleicht, sind diejenigen, bei denen beide Ehegatten an der Scheidung schuld sind, aber keiner die überwiegende Schuld trägt. Während die Klägerin gegen ihren früheren Ehemann keinen Unterhaltsanspruch besaß, kann bei der Vergleichsgruppe dem Ehegatten, der sich nicht selbst unterhalten kann, nach Maßgabe des § 60 Abs 1 EheG ein Beitrag zu seinem Unterhalt zugebilligt werden. Auch wenn die Lebenssituation von Ehegatten, deren Ehe ohne Schuldausspruch nach § 48 EheG wegen Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft geschieden wurde, derjenigen von zu gleichen Teilen schuldig Geschiedenen ähneln mag, läßt ein Blick auf das prozessuale Zustandekommen der jeweiligen Scheidungsurteile doch hinreichende Differenzierungsgründe für die unterschiedlichen unterhaltsrechtlichen Folgen erkennbar werden. Bedeutsam ist insofern, daß der von § 60 Abs 1 EheG vorausgesetzte Schuldausspruch im Scheidungsurteil als Ausgangspunkt grundsätzlich eine Scheidungsklage wegen Verschuldens voraussetzt und nur auf einen entsprechenden Gegenangriff des Beklagten hin zustande kommen kann. Es handelt sich dann entweder um eine Widerklage gegen eine auf §§ 42, 43 EheG gestützte Scheidungsklage (vgl § 52 Abs 2 Satz 1 EheG) oder um einen Mitschuldantrag des Beklagten bei einer Scheidung wegen seines Verschuldens (vgl § 52 Abs 3 EheG). Wer entgegen der Rechtsprechung des BGH im Rahmen des § 53 Abs 2 EheG (Mitschuldantrag des Beklagten auf eine Scheidungsklage nach §§ 44 – 46 und 48 EheG) einen Gegenschuldantrag des die Scheidung verlangenden Ehegatten zuläßt, muß § 60 EheG auch anwenden, wenn auf dieser Grundlage beide Ehegatten für gleich schuldig erklärt sind (vgl BGB-RGRK, § 60 EheG Anm 6 mwN). In den Fällen des § 52 Abs 2 und 3 EheG – der umstrittene Sonderfall eines Gegenschuldantrages iS des § 53 Abs 2 EheG soll hier unberücksichtigt bleiben -zieht § 60 EheG nur die Konsequenz aus dem (teilweise) erfolgreichen Gegenangriff des Scheidungsbeklagten, indem er den dem Kläger ansonsten nach §§ 58, 59 EheG in Aussicht stehenden Unterhaltsanspruch auf einen von Billigkeitserwägungen abhängigen Unterhaltsbeitrag herabstuft. Da jedoch im Scheidungsurteil zugleich auch die Rechtmäßigkeit des auf ein Verschulden des Beklagten gestützten Scheidungsbegehrens des Klägers bestätigt wurde, erschiene es nicht gerechtfertigt, den Beklagten dem Kläger gegenüber von jeder Unterhaltsverpflichtung freizustellen. Eine ähnliche unterhaltsrechtliche Lage ergibt sich, wenn § 61 Abs 2 EheG auf beide Ehegatten anwendbar ist, weil die Ehe auf Klage und Widerklage ohne Verschuldensausspruch geschieden worden ist. Anders verhält es sich nur, wenn lediglich einer der beiden Ehegatten die Scheidung aus einem der in §§ 44 – 46 und 48 EheG aufgeführten Gründe begehrt. Da dieser durch sein einseitiges Scheidungsverlangen das ohne Schuldausspruch ergehende Urteil allein „verursacht” hat, soll er nicht darauf spekulieren können, daß ihm daraus auch noch Unterhaltsansprüche gegen den Scheidungsbeklagten erwachsen.

Auch unter dem Gesichtspunkt des Art 6 GG ergeben sich keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die vom Gesetzgeber in §§ 58, 60, 61 EheG vorgenommenen unterhaltsrechtlichen Differenzierungen. Durch die Regelung des § 61 Abs 2 EheG soll einem Mißbrauch des Rechts, die Scheidung ohne ein Verschulden des anderen Ehegatten erreichen zu können, vorgebeugt werden (vgl RGZ 164, 92, 96). Damit dient sie dem Schutz von Ehe und Familie (Art 6 Abs 1 GG). Der spezielle Schutzbereich des Art 6 Abs 4 GG ist hier kaum berührt, zumal die Unterhaltsansprüche der Kinder von § 61 Abs 2 EheG nicht betroffen werden. Zwar mag eine andere Ausgestaltung, die auch im Falle des § 61 Abs 2 EheG einen Unterhaltsanspruch des Scheidungsklägers aus Billigkeitsgründen zuläßt, möglich und sogar sachgerechter erscheinen (vgl dazu LSG Niedersachsen JZ 1975, 742, 745). Dies begründet jedoch angesichts der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers noch keinen Verfassungsverstoß. Entscheidend ist, daß der Gesetzgeber die Wertentscheidungen des GG hinreichend berücksichtigt hat.

Nach alledem ist § 61 Abs 2 EheG mit dem GG vereinbar. Dementsprechend ist diese Vorschrift von den obersten Bundesgerichten im Laufe der Zeit mehrfach angewandt worden, ohne daß sie – soweit ersichtlich – in verfassungsrechtlicher Hinsicht beanstandet worden wäre (vgl BSG, Urteil vom 17. Mai 1962 – 11 RV 344/59 –; BSGE 26, 190; BSG, Urteil vom 2. Juni 1976 – 1 RA 125/75 –, Breithaupt 1977, 135; BSGE 42, 60 = SozR 2200 § 1265 Nr 17; BSGE 42, 56 = SozR 2200 § 1265 Nr 18; BSGE 42, 290 = SozR 2200 § 1265 Nr 23; BGH, FamRZ 1966, 492; 1986, 661; BVerwGE 39, 221).

Auch die Regelung des § 1265 Abs 1 RVO selbst verstößt nicht gegen das GG. Insbesondere verletzt die Nichtanwendung der Rechtsprechung des BSG zur Unbeachtlichkeit eines Unterhaltsverzichts keine Rechte der Klägerin aus Art 3 Abs 1 GG. Ihre Situation weicht in wesentlicher Hinsicht von den Fällen ab, die von der genannten Rechtsprechung erfaßt werden. Während sie es unterlassen hat, ein Scheidungsurteil mit Schuldausspruch zu Lasten ihres Ehemannes zu erstreiten, und daher nach § 62 Abs 1 EheG von vornherein unter keinen Umständen von diesem Unterhalt beanspruchen konnte, haben jene früheren Ehefrauen, mit denen sie sich vergleicht, nur auf einen Unterhaltsanspruch verzichtet, der angesichts ihres Scheidungsurteils gemäß den Bestimmungen des EheG dem Grunde nach bestand, sich jedoch wegen der wirtschaftlichen Verhältnisse der geschiedenen Ehegatten nicht verwirklichen ließ. Der „Verzicht” der Klägerin lag schon auf der Ebene des Scheidungsverfahrens, derjenige der anderen beschränkte sich hingegen auf die Ebene des nachehelichen Unterhalts. Eine unterschiedliche Behandlung dieser beiden Fallkonstellationen im Rahmen des § 1265 Abs 1 Satz 2 RVO rechtfertigt sich aus der gesetzgeberischen Konzeption dieser Regelung. Zum einen setzt diese – wie oben bereits dargelegt – ein Mindestmaß an unterhaltsrechtlichen Beziehungen zwischen der früheren Ehefrau und dem Versicherten voraus. Zum anderen haben die Versicherungsträger und die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit das jeweilige Scheidungsurteil auch hinsichtlich seines Ausspruchs zur Schuldfrage bei ihrer Entscheidung zugrundezulegen (vgl zB BSGE 27, 256, 257 f), sind also insofern bei der Beurteilung der unterhaltsrechtlichen Folgen gebunden, die nach Maßgabe des EheG gerade an dieses Merkmal anknüpfen. Diese Bindung entspricht nicht nur der Zuständigkeitsverteilung zwischen Scheidungsrichter und Rechtsanwender im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung, sondern folgt auch aus der Gestaltungswirkung des Scheidungsurteils für und gegen jedermann (vgl BSG aaO). Nur wo im Ausland oder in der ehemaligen DDR erlassene Scheidungsurteile keinen Aufschluß über die Verschuldensfrage geben, kann es – wie dargelegt -geboten sein, ihr bei der Prüfung des Anspruchs auf Geschiedenen-Witwenrente nachzugehen. Ansonsten sprechen gewichtige Sachgründe gegen eine (erneute) Prüfung des Scheidungsverschuldens. Insbesondere wäre infolge des erheblichen Zeitablaufs eine verläßliche Sachverhaltsaufklärung erschwert und in vielen Fällen sogar unmöglich. Durch den Tod des Versicherten ist ein wesentlicher Beteiligter des Scheidungsverfahrens und damit gleichzeitig eine wichtige Auskunftsperson weggefallen. Ebenso werden andere Zeugen und Beweismittel häufig nicht mehr zur Verfügung stehen. Darüber hinaus kann es nicht Aufgabe der Versicherungsträger und der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit sein, von Amts wegen Tatsachen zur Verschuldensfrage zu ermitteln, die von den seinerzeitigen Parteien des Scheidungsverfahrens – vielleicht sogar aus wohlerwogenen Gründen – nicht vorgebracht und unter Beweis gestellt worden sind. Vielmehr erscheint es gerechtfertigt, daß der hinterbliebene frühere Ehegatte insofern im Rahmen des § 1265 Abs 1 RVO die Folgen seines damaligen Prozeßverhaltens und des Ergebnisses des Scheidungsverfahrens zu tragen hat.

Auch sonst läßt § 1265 Abs 1 RVO keinen Verfassungsverstoß erkennen. Zwar mag man es in Anbetracht der gleichberechtigten Mitarbeit der Ehefrau während der Ehezeit für problematisch halten, daß ihr nicht schon nach dem alten Geschiedenen-Witwenrentenrecht (für Scheidungen ab dem 1. Juli 1977 gibt es den Versorgungsausgleich nach §§ 1587 ff BGB) eine Teilhabe an den vom Ehemann erworbenen Rentenanwartschaften zugebilligt wurde (vgl dazu Ruland, Familiärer Unterhalt und Leistungen der Sozialen Sicherheit, 1973, S 329 ff). Diese sozialpolitischen Bedenken reichen aber nicht aus, um eine Verfassungswidrigkeit feststellen zu können. Dementsprechend hat das Bundesverfassungsgericht es nicht beanstandet, daß § 1265 RVO (= § 42 des Angestelltenversicherungsgesetzes ≪AVG≫) an das nacheheliche Unterhaltsrecht anknüpft und der Geschiedenen-Witwenrente damit im Grundsatz eine Unterhaltsersatzfunktion zumißt (vgl BVerfG SozR 2200 § 1265 Nrn 57, 95).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

NJW 1992, 3319

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