Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfassungswidrigkeit der Kindergeldkürzung gem BKGG § 10 Abs 2 F: 1982-12-20 und Verfassungsmäßigkeit des Ausschlusses des Verlustausgleichs gem. BKGG § 11 Abs. 1 F: 1982-12-20. Prüfungsgegenstand. Kindergeld als Sozialleistung und als steuerliche Entlastungsfunktion. Steuerfreiheit des Existenzminimums

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine für verfassungswidrig erachtete Rechtslage, die sich aus dem Zusammenwirken mehrerer Einzelregelungen ergibt, kann grundsätzlich anhand jeder der betroffenen Normen zur verfassungsgerichtlichen Prüfung gestellt werden.

2. Bei der Einkommensbesteuerung muß ein Betrag in Höhe des Existenzminimums der Familie steuerfrei bleiben; nur das darüber hinausgehende Einkommen darf der Besteuerung unterworfen werden (Abweichung von BVerfG, 1976-11-23, 1 BvR 150/75, BVerfGE 43, 108).

Trägt der Gesetzgeber der Minderung der steuerlichen Leistungsfähigkeit durch Sozialleistungen Rechnung, müssen diese so bemessen werden, daß eine vergleichbare Entlastung eintritt.

3. Der in § 11 Abs 1 des Bundeskindergeldgesetzes enthaltene Ausschluß eines Verlustausgleichs bei der Berechnung des für die Kindergeldbemessung maßgeblichen Einkommens ist verfassungsrechtlich unbedenklich.

 

Orientierungssatz

1. Die Kürzungsvorschrift des BKGG § 10 Abs 2 ist verfassungsrechtlich unbedenklich, soweit sie das Kindergeld als Sozialleistung betrifft:

a) kein Verstoß gegen den Sozialstaatsgrundsatz - GG Art 20 Abs 1, denn die Mindestvoraussetzungen, die der Staat für ein menschenwürdiges Dasein zu schaffen hat, werden durch die Kindergeldkürzungen nicht berührt, da diese nur Familien treffen, denen ein beträchtlich über dem Durchschnitt liegendes Einkommen zur Verfügung steht.

b) Die Herabsetzung der Kindergeldbeträge steht auch in keiner sachlichen Beziehung zum Alterssicherungssystem und kann deshalb auch nicht im Hinblick auf dieses System als eine gegen GG Art 6 Abs 1 verstoßende Benachteiligung der Familie angesehen werden.

c) Wenngleich die allgemeine Pflicht des Staates zu einem Familienlastenausgleich besteht, lassen sich, schon wegen der dem Gesetzgeber zustehenden Gestaltungsfreiheit, konkrete Ansprüche auf bestimmte staatliche Leistungen aus dem Förderungsgebot des GG Art 6 Abs 1 nicht herleiten. Auch kann in Anbetracht der Leistungen, die der Staat für Kinder erbringt (BVerfG, 1976-11-23, 1 BvR 150/75, BVerfGE 43, 108 ≪121f≫) und die unter dem Vorbehalt des Möglichen im Sinne dessen, was der Einzelne vernünftigerweise von der Gesellschaft beanspruchen kann, stehen, nicht festgestellt werden, daß die Familienförderung durch den Staat offensichtlich unangemessen ist.

d) Die Anknüpfung der Kindergeldminderung an das Jahreseinkommen des Berechtigten und seines nicht dauernd von ihm getrennt lebenden Ehegatten ist als Kriterium für die Einschränkung einer Sozialleistung offensichtlich sachgerecht im Sinne von GG Art 3 Abs 1, denn angesichts der Funktion des Kindergelds, die besondere wirtschaftliche Belastung der Eltern durch Unterhaltsaufwendungen für Kinder teilweise auszugleichen, kann bei den Empfängern nach dem unterschiedlichen Grad differenziert werden, in dem die kindesbedingte wirtschaftliche Belastung die Familie trifft. Ebenso ist die in BKGG § 10 Abs 2 S 3 festgelegte Freigrenze ohne Verstoß gegen das Willkürverbot bestimmt (hier: zB wird für 1981 für eine vierköpfige Familie der Sockelbetrag erst beim doppelten, durchschnittlichen Arbeitslohn erreicht).

2. BKGG § 10 Abs 2 ist jedoch verfassungsrechtlich zu beanstanden, weil das gekürzte Kindergeld jedenfalls in der Zeit bis zum 31.12.1985 nicht mehr seiner Funktion gerecht geworden ist, der Minderung der Leistungsfähigkeit von Steuerpflichtigen, die durch den Unterhalt ihrer Kinder bedingt ist, Rechnung zu tragen. Bei der für die Prüfung der Kürzungsregelung vorzunehmenden Umrechnung des gekürzten Kindergeldes in einen fiktiven, bei mehreren Kindern einheitlichen Kinderfreibetrag, der dann zusammen mit dem im Einkommensteuerrecht enthaltenen Freibetrag dem Betrag des Existenzminimums gegenüberzustellen ist, ergibt sich, daß in einem wesentlichen Teil der Fälle die fiktiven Kinderfreibeträge die Sozialleistungen nicht erreichen (wird tabellarisch dargestellt).

3. Damit bleiben die folgenden verfassungsrechtlichen Mindestanforderungen unerfüllt:

a) Zu Ls 1: Bei der Prüfung eines Normengeflechts (hier: Kombination der Entlastung im Steuerrecht und durch das Kindergeld), wenn nur einzelne der zusammenwirkenden Normen unmittelbar für die Entscheidung erheblich sind, würde es zu einer mit GG Art 100 Abs 1 nicht mehr zu vereinbarenden Einschränkung der verfassungsgerichtlichen Kontrolle führen, unterließe man die Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Rechtslage, die durch die betroffene Norm mit herbeigeführt wird, mit der Erwägung, daß die Einzelnorm Bestand haben könnte, wenn die gesetzliche Nachbesserung an anderer Stelle erfolgte, denn dieses Argument würde für jede der beteiligten Einzelnormen zutreffen. Allerdings muß hinzukommen, daß die Norm objektiv erkennbar dem Regelungsziel dient, das in verfassungswidriger Weise verfehlt worden ist (hier: Einführung des Kindergeldes als Entlastungsfunktion vgl BVerfG, 1982-11-03, 1 BvR 620/78, BVerfGE 61, 319 ≪354≫ nach Abschaffung des Kinderfreibetrags im Steuerrecht).

b) zu Ls 2: Aus dem verfassungsrechtlichen Gebot GG Art 1 Abs 1 iVm GG Art 20 Abs 1, dem Steuerpflichtigen sein Einkommen insoweit steuerfrei zu belassen, als es zur Schaffung der Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein benötigt wird und der Verpflichtung des Staates, dem mittellosen Bürger diese Mindestvoraussetzungen erforderlichenfalls durch Sozialleistungen zu sichern, und zusätzlich aus GG Art 6 Abs 1 folgt, daß bei der Besteuerung der Familie das Existenzminimum sämtlicher Familienmitglieder steuerfrei bleiben muß, was sich auch auf die Besteuerung eines Einkommens auswirkt, das dieses Existenzminimum übersteigt. Nur dieses Einkommen darf besteuert werden, weil andernfalls Familien mit unterhaltsbedürftigen Kindern gegenüber den sonstigen Familien, kinderlosen Ehepaaren und kinderlosen Alleinstehenden benachteiligt wären. Die für den Steuerpflichtigen unvermeidbare Sonderbelastung durch Unterhaltsverpflichtungen mindert seine Leistungsfähigkeit und darf ohne Verstoß gegen GG Art 3 Abs 1 vom Gesetzgeber nicht unberücksichtigt bleiben (vgl BVerfG, 1984-10-17, 1 BvL 527/80, BVerfGE 68, 143 ≪152≫), zumal es sich beim Unterhalt für Kinder nicht um Aufwendungen im privaten Bereich handelt, die nach der Grundregel des EStG § 12 Nr 1 steuerlich als allgemeine Kosten der Lebensführung nicht abzugsfähig sind. Daneben darf der Staat Kinder und private Bedürfnisse nicht auf eine Stufe stellen und auf die Mittel, die für den Lebensunterhalt von Kindern unerläßlich sind, nicht in gleicher Weise zugreifen wie auf solche, die zur Befriedigung beliebiger Bedürfnisse eingesetzt werden.

c) Der Höhe nach muß der Staat bei der Beurteilung der steuerlichen Leistungsfähigkeit den Unterhaltsaufwand in dem Umfang als besteuerbares Einkommen außer Betracht lassen, in dem die Unterhaltsaufwendungen zur Gewährleistung des Existenzminimums der Kinder erforderlich sind. Es stellt eine Ungleichbehandlung und Benachteiligung gegenüber Kinderlosen dar, wenn - entsprechend dem Grundsatz, daß der Gesetzgeber bei der steuerlichen Berücksichtigung zwangsläufiger Unterhaltsaufwendungen nicht realitätsferne Grenzen setzen darf, vgl BVerfGE 68, 143 ≪153≫ - vom Einkommen des Steuerpflichtigen mit Kindern der Unterhaltsaufwand nicht wenigstens in Höhe des Existenzminimums abgezogen wird, da insoweit das Einkommen gebunden ist und nicht mehr zur freien Verfügung steht.

d) Besondere Gründe zur Rechtfertigung der Ungleichbehandlung liegen weder in der Dringlichkeit einer Haushaltssanierung noch in sozialpolitischen Erwägungen. Selbst wenn die Regelung lediglich Steuerpflichtige mit überdurchschnittlichem Einkommen trifft, für die eine Kürzung des Kindergeldes und die damit verbundene Minderung der steuerlichen Entlastungsfunktion leichter zu verkraften ist, wäre in GG Art 6 Abs 1 widersprechender Weise die "horizontale" Steuergerechtigkeit durchbrochen (wird ausgeführt).

e) Das Existenzminimum kann bei der Besteuerung in einem einheitlichen, nicht zwingend nach Altersgruppen gestaffelten Betrag berücksichtigt werden, der allerdings so zu bemessen ist, daß er in möglichst allen Fällen, auch regionaler Art, den entsprechenden Bedarf abdeckt, wobei jedoch eine individuelle Bemessung des Entlastungsbetrages nach den Umständen des Einzelfalles bzw nach dem sozialen Status der einzelnen Familie (BVerfGE 43, 108 ≪121, 132≫ verfassungsrechtlich nicht geboten ist.

4. zu Ls 3: Der Ausschluß des Verlustausgleichs nach BKGG § 11 Abs 1 verstößt nicht gegen GG Art 3 Abs 1, da er von dem legitimen Ziel des Gesetzgebers getragen wird, zur dringlichen Haushaltssanierung eine sofort greifende gesetzliche Regelung ohne großen Verwaltungsaufwand (hier: steuerliche Ermittlungen der Kindergeldbehörden zum Zwecke der Auseinanderrechnung fiktiver und realer Verluste, einschließlich der Auswirkungen auf die soziale Bedürftigkeit) zu schaffen (vgl BVerfG, 1970-12-15, 1 BvR 559/70, BVerfGE 29, 402 ≪411f≫). Nicht zu beanstanden ist auch das Verbot des Verlustausgleichs zwischen Ehegatten, da er sich nicht gezielt gegen die verheirateten Kindergeldberechtigten richtet und diese nicht um der Ehe willen diskriminiert, sondern auch Alleinstehende in gleicher Weise trifft.

5. Zur Verfassungswidrigkeit der Kinderfreibetragsregelung gem EStG § 32 Abs 8 F: 1982-12-20 vgl BVerfG, 1990-06-12, 1 BvL 72/86.

Diese Entscheidung hat Gesetzeskraft.

 

Normenkette

BKGG § 10 Abs. 2 S. 3 Fassung 1982, S. 4 Fassung 1982, § 11 Abs. 1 S. 2 Fassung 1982, Abs. 2 Fassung 1982-12-20, § 12 Abs. 4; GG Art. 1 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1; BAföG § 21 Abs. 1; GG Art. 100 Abs. 1; HBegleitG Art. 13 Nrn. 2-3; HBegleitG 1983 Art. 13 Nrn. 2-3; EStG §§ 7b, 12 Nr. 1, § 32 Abs. 8 Fassung 1982-12-20

 

Verfahrensgang

BSG (Beschluss vom 10.12.1985; Aktenzeichen 10 RKg 8/84)

SG Lüneburg (Vorlegungsbeschluss vom 24.09.1984; Aktenzeichen S 7 Kg 11/84)

SG Trier (Vorlegungsbeschluss vom 07.06.1984; Aktenzeichen S 2 Kg 14/83; FamRZ 1984, 1218)

 

Tenor

§ 10 Absatz 2 des Bundeskindergeldgesetzes in der Fassung des Artikels 13 Nummer 2 des Gesetzes zur Wiederbelebung der Wirtschaft und Beschäftigung und zur Entlastung des Bundeshaushalts (Haushaltsbegleitgesetz 1983) vom 20. Dezember 1982 (BGBl I Seite 1857) war bis zum 31. Dezember 1985 mit Artikel 3 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 6 Absatz 1 des Grundgesetzes unvereinbar.

§ 11 Absatz 1 des Bundeskindergeldgesetzes in der Fassung des Artikels 13 Nummer 3 des Haushaltsbegleitgesetzes 1983 vom 20. Dezember 1982 (BGBl I Seite 1857) ist mit dem Grundgesetz vereinbar.

 

Gründe

A.

Die Vorlagen betreffen die Verfassungsmäßigkeit der im Haushaltsbegleitgesetz 1983 eingeführten Kürzung des Kindergeldes für Besserverdienende und der Vorschriften über die Berechnung des dafür maßgeblichen Einkommens.

1. Bis zum Ende des Jahres 1974 wurden zum Ausgleich der allgemeinen Belastungen, die mit dem Unterhalt, und der Betreuung von Kindern verbunden sind, Kindergeld und Kinderfreibeträge bei der Einkommensbesteuerung nebeneinander gewährt (sogenanntes duales System des Kinder- oder Familienlastenausgleichs). Kindergeld wurde dabei zuletzt vom zweiten Kind an gezahlt. Es betrug für dieses 25 DM, für das dritte und vierte Kind je 60 DM und für jedes weitere Kind 70 DM, monatlich. Die Gewährung des Kindergeldes für das zweite Kind war für Berechtigte mit nicht mehr als zwei Kindern von einer Einkommensgrenze abhängig (§ 4 Abs. 1, § 10 Abs. 1 des Bundeskindergeldgesetzes - BKGG - in der damals geltenden Fassung). Die Kinderfreibeträge bei der Einkommensteuer betrugen zuletzt jährlich 1.200 DM für das erste, 1.680 DM für das zweite und 1,800 DM für jedes weitere Kind (§ 32 Abs. 2 Nr. 4 des Einkommensteuergesetzes - EStG - in der Fassung vom 15. August 1961 ≪BGBl. I S. 1253≫).

Für die Zeit ab 1975 wurde durch das Gesetz zur Reform der Einkommensteuer, des Familienlastenausgleichs und der Sparförderung (Einkommensteuerreformgesetz - EStRG) vom 5. August 1974 (BGBl. I S. 1769) das Nebeneinander von Kindergeld und steuerlichen Kinderfreibeträgen durch einen einheitlichen Familienlastenausgleich in Form eines vom Elterneinkommen unabhängigen, gestaffelten Kindergeldes vom ersten Kind an ersetzt, das monatlich 50 DM für das erste, 70 DM für das zweite und 120 DM für jedes weitere Kind betrug (§ 10 BKGG in der Fassung des Art. 2 Nr. 9 EStRG). Die Kinderfreibeträge im Einkommensteuerrecht wurden - neben weiteren kindesbedingten Steuerermäßigungen - abgeschafft. Nach mehrfachen Änderungen betrugen die Kindergeldsätze im Jahre 1982 monatlich 50 DM für das erste, 100 DM für das zweite, 220 DM für das dritte u. 240 DM für jedes weitere Kind (§ 10 BKGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 21. Januar 1982 ≪BGBl. I S. 13≫).

Mit dem Gesetz zur Wiederbelebung der Wirtschaft und Beschäftigung und zur Entlastung des Bundeshaushalts (Haushaltsbegleitgesetz 1983) vom 20. Dezember 1982 (BGBl. I S. 1857) begann die Rückkehr zu einem dualen System des Kinderlastenausgleichs. Von 1983 an wurde wieder ein Kinderfreibetrag im Einkommensteuerrecht eingeführt, der allerdings nur 432 DM für jedes zu berücksichtigende Kind betrug. Gleichzeitig erhielt das Bundeskindergeldgesetz die hier zur Prüfung gestellte Fassung. Die bisherigen Kindergeldbeträge blieben dabei im Grundsatz unverändert. Sie wurden jedoch, abhängig vom Jahreseinkommen der Berechtigten, vom zweiten Kind an stufenweise bis auf Sockelbeträge von 70 DM für das zweite und 140 DM für das dritte und jedes weitere Kind gekürzt.

Die einschlägigen Vorschriften des Bundeskindergeldgesetzes in der Fassung des Haushaltsbegleitgesetzes 1983 haben folgenden Wortlaut:

§ 10

Höhe des Kindergeldes

(1) Das Kindergeld beträgt für das 1. Kind 50 Deutsche Mark, für das 2. Kind 100 Deutsche Mark, für das 3. Kind 220 Deutsche Mark und für das 4. und jedes weitere Kind je 240 Deutsche Mark monatlich.

(2) Das Kindergeld für das 2. und jedes weitere Kind wird nach dem in Satz 4 genannten Maßstab stufenweise bis auf einen Sockelbetrag von 70 Deutsche Mark für das 2. Kind, 140 Deutsche Mark für jedes weitere Kind gemindert, wenn das Jahreseinkommen des Berechtigten und seines nicht dauernd von ihm getrenntlebenden Ehegatten den für ihn maßgeblichen Freibetrag um wenigstens 480 Deutsche Mark übersteigt. Für die Minderung des nach § 8 Abs. 2 bemessenen Kindergeldes verringert sich der Sockelbetrag des Satzes 1 um den Betrag der bei der Bemessung nach § 8 Abs. 2 berücksichtigten anderen Leistung. Der Freibetrag setzt sich zusammen aus

25 920 Deutsche Mark für Berechtigte, die verheiratet sind und von ihrem Ehegatten nicht dauernd getrennt leben, 18 120 Deutsche Mark für sonstige Berechtigte sowie 7 800 Deutsche Mark für jedes Kind, für das dem Berechtigten Kindergeld zusteht oder ohne Anwendung des § 8 Abs. 1 zustehen würde. Für je 480 Deutsche Mark, um die das Jahreseinkommen den Freibetrag übersteigt, wird das Kindergeld um 20 Deutsche Mark monatlich gemindert; kommt die Minderung des für mehrere Kinder zu zahlenden Kindergeldes in Betracht, wird sie beim Gesamtkindergeld vorgenommen.

§ 11

Jahreseinkommen

(1) Als Jahreseinkommen gilt die Summe der in dem nach Absatz 3 oder 4 maßgeblichen Kalenderjahr erzielten positiven Einkünfte im Sinne des § 2 Abs. 1 und 2 des Einkommensteuergesetzes. Ein Ausgleich mit Verlusten aus anderen Einkunftsarten und mit Verlusten des Ehegatten ist nicht zulässig.

(2) Vom Einkommen werden abgezogen

1. die Einkommensteuer und die Kirchensteuer, die für das nach Absatz 3 oder 4 maßgebliche Kalenderjahr zu leisten waren oder sind,

2. die steuerlich anerkannten Vorsorgeaufwendungen für das nach Absatz 3 oder 4 maßgebliche Kalenderjahr,

3. die Unterhaltsleistungen, die der Berechtigte oder sein nicht dauernd von ihm getrenntlebender Ehegatte in dem nach Absatz 3 oder 4 maßgeblichen Kalenderjahr erbracht hat oder erbringt

a) an Kinder, für die der Freibetrag nach § 10 Abs 2 Satz 3 nicht erhöht worden ist, jedoch nur bis zu dem durch Unterhaltsurteil oder -vergleich festgesetzten Betrag,

b) an sonstige Personen, soweit die Leistungen nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 oder § 33 a Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes berücksichtigt worden oder zu berücksichtigen sind.

(3) Maßgeblich ist das Einkommen im vorletzten Kalenderjahr vor dem Kalenderjahr, für das die Zahlung des Kindergeldes in Betracht kommt, und zwar so, wie es der Besteuerung zugrunde gelegt worden ist. Steht die Steuerfestsetzung noch aus, so werden zunächst nur die Sockelbeträge (§ 10 Abs. 2 Satz 1) gezahlt; sobald die Steuer festgesetzt ist, ist endgültig über die Höhe des Kindergeldes zu entscheiden.

(4) Macht der Berechtigte vor Ablauf des Kalenderjahres, für das die Zahlung des Kindergeldes in Betracht kommt (Leistungsjahr), glaubhaft, daß das Einkommen in diesem Jahr voraussichtlich so gering sein wird, daß bei seiner Berücksichtigung das Kindergeld nicht nur in Höhe des Sockelbetrages (§ 10 Abs. 2 Satz 1) zu leisten wäre, so wird dieses Einkommen zugrunde gelegt und Kindergeld in Höhe des den Sockelbetrag übersteigenden Betrages unter dem Vorbehalt der Rückforderung gezahlt. Sobald sich das im Leistungsjahr erzielte Einkommen endgültig feststellen läßt, wird abschließend entschieden. Ergibt sich dabei, daß der Berechtigte zu Unrecht Kindergeld erhalten hat, hat er den überzahlten Betrag zurückzuzahlen. Mit dem Erstattungsanspruch kann gegen laufende Kindergeldansprüche bis zu deren voller Höhe aufgerechnet werden; § 23 Abs. 2 gilt entsprechend.

Durch das Haushaltsbegleitgesetz 1984 vom 22. Dezember 1983 (BGBl. I S. 1532) wurde § 11 BKGG in Absatz 2 Nr. 2 und in Absatz 3 geändert. § 11 Abs. 2 Nr. 2 BKGG erhielt dabei folgende Fassung:

2. die steuerlich anerkannten Vorsorgeaufwendungen für das nach Absatz 3 oder 4 maßgebliche Kalenderjahr, soweit sie im Rahmen der Höchstbeträge nach § 10 des Einkommensteuergesetzes abziehbar sind, zumindest die Vorsorgepauschale oder der Vorsorge-Pauschbetrag (§ 10 c des Einkommensteuergesetzes).

2. Vom Veranlagungszeitraum 1986 an wurde im Einkommensteuerrecht der Kinderfreibetrag auf 2.484 DM erhöht (§ 32 Abs. 6 EStG in der Fassung des Steuersenkungsgesetzes 1986/1988 vom 26. Juni 1985 ≪BGBl. I S. 1 153≫). Vom Veranlagungszeitraum 1990 an wurde er weiter auf 3.024 DM angehoben (§ 32 Abs. 6 EStG in der Fassung des Steuerreformgesetzes 1990 vom 25. Juli 1988 ≪BGBl. I S. 1093≫).

II.

Den Vorlagen liegen Fälle zugrunde, in denen den Klägern in den Jahren 1983 und 1984 das Kindergeld gekürzt worden ist.

1. Vorlage das Sozialgerichts Trier (1 BvL 20/84)

a) Der Kläger des Ausgangsverfahrens ist verheiratet und hat aus der Ehe zwei in den Jahren 1977 und 1982 geborene Kinder, die in seinem Familienhaushalt leben. Bis April 1982 bezog er für die Kinder ein Kindergeld von monatlich insgesamt 150 DM. Aufgrund der Angaben des Klägers über sein Einkommen im Jahre 1981 errechnete die Kindergeldkasse eine Überzahlung des Kindergeldes in Höhe von je 30 DM für die Monate Januar bis April 1983. Sie forderte das überzahlte Kindergeld zurück und setzte den Kindergeldanspruch ab Mai 1983 auf monatlich 120 DM fest.

Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos. Aufgrund des vom Kläger im Widerspruchsverfahren vorgelegten Einkommensteuerbescheids der zusammen veranlagten Eheleute für 1981 ermittelte die Widerspruchsbehörde ein Jahreseinkommen gemäß § 11 BKGG von 46.991,06 DM, das zur Kürzung des Kindergeldes bis auf die Sockelbeträge führte. Bei der Einkommensberechnung blieb ein im Steuerbescheid festgestellter Verlust des Klägers aus Vermietung u. Verpachtung in Höhe von 18.039 DM unberücksichtigt.

Mit der gegen den Kürzungs- und den Widerspruchsbescheid erhobenen Klage begehrte der Kläger die Gewährung des Kindergeldes ab 1. Januar 1983 in voller Höhe.

b) Das Sozialgericht hat das Verfahren ausgesetzt und die Sache dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt. Es hält, § 10 Abs. 2 und § 11 BKGG in der Fassung des Haushaltsbegleitgesetzes 1983 für nicht vereinbar mit dem Grundgesetz.

Die Kürzungsregelung verstoße gegen das in Art. 3 Abs. 1 GG enthaltene Gebot der Steuergerechtigkeit, denn sie benachteilige Ehepaare mit Kindern gegenüber kinderlosen Ehepaaren mit gleich hohem Einkommen. Der Gesetzgeber besitze zwar Gestaltungsfreiheit bei der Entscheidung, wie die kinderbedingte Minderung der steuerlichen Leistungsfähigkeit zu ermitteln und zu berücksichtigen sei. Er könne daher der Minderung der Leistungsfähigkeit außerhalb des Steuerrechts durch ein einheitliches Kindergeld Rechnung tragen. Er könne auch davon ausgehen, daß bei steigendem Einkommen dessen Nutzbarkeit für die Befriedigung der notwendigen Bedürfnisse immer mehr abnehme. Danach könnte eine Kürzung das Kindergeldes bei höherem Einkommen verfassungsrechtlich zulässig sein, soweit man Eltern aus verschiedenen Einkommensgruppen miteinander vergleiche. Im Verhältnis von Ehepaaren mit Kindern zu solchen ohne Kinder führe sie jedoch bei den ersteren zu Einbußen, weil deren verfügbares Einkommen "gedrückt" werde. Diese Ungleichbehandlung könne vor Art. 3 Abs. 1 GG vor allem dann keinen Bestand haben, wenn die Kindergeldkürzung zur Wiederbelebung der Wirtschaft und Beschäftigung und zur Entlastung des Bundeshaushalts erfolge.

Die Kindergelddegression verstoße außerdem gegen Art. 33 Abs. 5 GG, der verlange, daß sich Beamte ohne Rücksicht auf die Größe ihrer Familie annähernd das Gleiche leisten könnten. Da der Rechtszustand nach dem Haushaltsbegleitgesetz dieser Anforderung nicht mehr entspreche und die Bundesregierung für die Beamten nicht einseitig ein höheres Kindergeld gewähren wolle, bleibe als verfassungsmäßige Lösung nur übrig, für die gesamte Bevölkerung solche Verhältnisse zu schaffen, daß sich alle Menschen ohne Rücksicht auf die Familiengröße entsprechend ihrer Einkommensgruppe annähernd das Gleiche leisten könnten.

Der unzureichende Kinderlastenausgleich verfälsche den Generationenvertrag, denn kinderlose Ehepaare trügen einerseits finanziell kaum zur Förderung der nachwachsenden Generation bei, die später die Renten zu erarbeiten habe, hätten andererseits aber einen sehr viel höheren Lebensstandard als Eltern mit mehreren Kindern und könnten sich zudem höhere Rentenansprüche für das Alter aufbauen. Die Mehrbelastung, die einem Ehepaar mit mittlerem Einkommen durch die Sorge für zwei Kinder gegenüber Kinderlosen entstehe, betrage rund 400.000 DM. Abstriche beim Kindergeld verletzten daher Art. 3 Abs. 1, Art. 6 und Art. 20 GG. Die Benachteiligung durch die Kindergeldkürzung werde auch mit der Erhöhung der Kinderfreibeträge ab 1986 nicht beseitigt.

2. Vorlage des Sozialgerichts Lüneburg (1 BvL 26/84)

a) Die Klägerin des Ausgangsverfahrens ist in zweiter Ehe verheiratet und hat aus dieser Ehe zwei in den Jahren 1973 und 1974 geborene Kinder. Ferner lebt im Familienhaushalt ihr 1968 geborenes Kind aus ihrer ersten, geschiedenen Ehe. Für die drei Kinder bezog sie bis Ende 1983 das ungeminderte Kindergeld in Höhe von monatlich insgesamt 370 DM.

Die Kindergeldkasse teilte der Klägerin mit, daß ab Januar 1984 nur noch ein gemindertes Kindergeld von insgesamt monatlich 260 DM gezahlt werde. Sie ging dabei von den Angaben in dem Einkommensteuerbescheid der zusammen veranlagten Eheleute für 1982 aus und errechnete danach gemäß § 11 BKGG ein maßgebliches Jahreseinkommen der Klägerin und ihres Ehemannes von 53.063 DM, das zu einer Kürzung des Kindergeldes bis auf die Sockelbeträge führte. Bei der Ermittlung des Jahreseinkommens blieben negative Einkünfte des Ehemannes aus Vermietung und Verpachtung (19.360 DM), Steuerberatungskosten (10 DM) und Kinderbetreuungskosten (l.800 DM) unberücksichtigt, die im Einkommensteuerbescheid zu einer Minderung des zu Versteuernden Einkommens geführt hatten. Die festgesetzte Einkommensteuer betrug 4.954 DM, die Kirchensteuer 143,46 DM.

Nach erfolgloser Durchführung des Widerspruchsverfahrens erhob die Klägerin Klage auf Zahlung des ungeminderten Kindergeldes.

Das Sozialgericht holte eine Auskunft des Finanzamts ein, wonach sich eine festzusetzende Einkommensteuer von 12.250 DM und eine Kirchensteuer von 800,10 DM ergeben hätten, wenn die steuermindernden Beträge von 21.170 DM nicht angefallen wären.

b) Das Sozialgericht hat das Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob § 11 BKGG mit dem Grundgesetz vereinbar sei, "soweit er einen Verlustausgleich ausschließt (Abs. 1) und die im Einkommensteuerrecht als einkommensmindernd berücksichtigungsfähigen Aufwendungen im Kindergeldrecht teilweise nicht berücksichtigungsfähig sein läßt (Abs. 2 Nrn. 2 f.), ohne dafür einen entsprechenden Ausgleich bei der Steueranrechnung (Abs. 2 Nr. 1) zu schaffen".

aa) Die Entscheidung des Rechtsstreits hänge von der Verfassungsmäßigkeit des § 11 BKGG ab. Die Einkommensberechnung der Beklagten entspreche dem Gesetz, so daß die Klage abzuweisen sein werde, falls verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Regelung des § 11 BKGG nicht begründet sein sollten. Dagegen wäre der Klägerin im Jahre 1984 das volle Kindergeld zu zahlen, wenn auch der Steuermehrbetrag von 7.952,64 DM einkommensmindernd berücksichtigt werden würde, den die Klägerin und ihr Ehemann durch ihre nach § 11 BKGG nicht absetzbaren, bei der Steuerbemessung jedoch berücksichtigten Verluste und Aufwendungen von insgesamt 21.170 DM "erspart" hätten. Ihr maßgebliches Jahreseinkommen würde dann den Freibetrag des § 10 Abs. 2 BKGG nicht überschreiten.

bb) Die in § 11 BKGG vorgeschriebene Einkommensberechnung verletze Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG.

Es widerspreche dem Gleichbehandlungsgebot, wenn steuermindernd berücksichtigte Lasten im Kindergeldrecht, einerseits nicht einmal teilweise als einkommensmindernd abgesetzt werden dürften, andererseits aber nur die tatsächlich angefallene Steuer abzuziehen sei. Die Steuerbegünstigung für Aufwendungen und Verluste führe im wirtschaftlichen Ergebnis dazu, daß ein Teil dieser Lasten auf Kosten der Steuerschuld finanziert werde. Diese ersparten Steuerbeträge stellten Geldmittel dar, die für den Familienunterhalt des Steuerpflichtigen in keinem Fall zur Verfügung gestanden hätten und um die seine Leistungsfähigkeit unabänderbar gemindert sei. Die Berücksichtigung dieser Beträge als Einkommen im Kindergeldrecht benachteilige den Betroffenen gegenüber solchen Kindergeldempfängern, die zwar die volle Steuerlast auf sich nähmen, ihr Einkommen aber sonst voll für Konsumzwecke verwendeten. Diese Ungleichbehandlung betreffe weder nur vereinzelte Ausnahmefälle noch sei sie aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität gerechtfertigt.

Die aufgezeigte Ungleichbehandlung verstoße zugleich gegen den durch Art. 6 Abs. 1 GG garantierten Schutz der Familie, denn der Gesetzgeber belaste kinderreiche Familien, die einen Teil ihrer Einkünfte nicht zu Konsumzwecken verbrauchten, mit einer Kindergeldkürzung, die das für den Konsum verfügbare Familieneinkommen noch zusätzlich schmälere.

3. Vorlage des Bundessozialgerichts (1 BvL 4/86)

a) Der Kläger des Ausgangsverfahrens ist verheiratet und hat aus der Ehe zwei in den Jahren 1974 und 1977 geborene Kinder. Bis Februar 1983 bezog er für die beiden in seinem Haushalt lebenden Kinder ein Kindergeld in Höhe von monatlich 150 DM.

Die Kindergeldkasse errechnete eine Überzahlung des Kindergeldes für die Monate Januar und Februar 1983 in Höhe von je 30 DM. Sie forderte den überzahlten Betrag zurück und setzte für die Zeit ab März 1983 das Kindergeld auf monatlich 120 DM fest.

Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos. Nach dem im Widerspruchsverfahren vorgelegten Einkommensteuerbescheid der zusammen veranlagten Eheleute für das Jahr 1981 hatten sie Einkünfte aus nicht selbständiger Arbeit in Höhe von 59.014 DM erzielt und einen Verlust aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von 29.265 DM erlitten. Die Widerspruchsbehörde errechnete aus den positiven Einkünften unter Berücksichtigung der Abzüge nach § 11 Abs. 2 BKGG ein Jahreseinkommen von 48.755,68 DM, das zur Kürzung des Kindergeldes bis auf die Sockelbeträge führte. Der Verlust aus Vermietung und Verpachtung blieb unberücksichtigt.

Das Sozialgericht wies die Klage gegen die Kürzung des Kindergeldes mit der Begründung ab, sie entspreche den gesetzlichen Bestimmungen in § 10 Abs. 2 und § 11 BKGG.

Dagegen wandte sich der Kläger mit der zugelassenen Sprungrevision.

b) Das Bundessozialgericht hat das Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt, ob § 11 Abs. 1 des Bundeskindergeldgesetzes in der Fassung des Art. 13 des Haushaltsbegleitgesetzes 1983 vom 20. Dezember 1982 (BGBl. I S. 1857) mit Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes vereinbar sei.

aa) Die Entscheidung des Rechtsstreits hänge von der Gültigkeit des § 11 Abs. 1 BKGG ab. Wären die negativen Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung einkommensmindernd zu berücksichtigen, würde das Jahreseinkommen des Klägers den maßgeblichen Freibetrag unterschreiten, so daß das Kindergeld nicht zu kürzen und der Klage stattzugeben wäre. Andernfalls sei die Klage abzuweisen, denn die Beklagte habe das Jahreseinkommen gemäß § 11 BKGG richtig berechnet und die Kürzungsregelung des § 10 Abs 2 BKGG zutreffend angewendet.

bb) § 11 BKGG stehe nicht im Einklang mit Art. 3 Abs. 1 GG.

Bei Kindergeldberechtigten mit Einkommen nur aus einer Einkunftsart hätten einkommensmindernde Umstände unbegrenzt Einfluß auf die Höhe des maßgeblichen Jahreseinkommens. Bei Kindergeldberechtigten mit Einkommen aus verschiedenen Einkunftsarten könnten dagegen solche Umstände zwar auch innerhalb der einzelnen Einkunftsarten bis zur Nullgrenze berücksichtigt werden; setze sich aber ihr Einkommen - getrennt nach Einkunftsarten - aus positiven und negativen Einkünften zusammen, so seien nach § 11 Abs. 1 BKGG nur die positiven Einkünfte zu berücksichtigen. Danach könne ein solcher Kindergeldberechtigter als leistungsfähig gelten, obwohl er wirtschaftlich wesentlich schlechter dastehe als ein anderer Berechtigter, dessen Einkommen aus einer Einkunftsart infolge einkommensmindernder Umstände unter dem Freibetrag des § 10 Abs. 2 BKGG bleibe.

Stelle man auf die Leistungsfähigkeit als maßgebliches Kriterium für die Kindergeldkürzung ab, liege eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung beider Gruppen von Kindergeldberechtigten vor. Denn der Berechtigte mit Einkommen aus einer Einkunftsart könne bei entsprechenden Verlusten stets das volle Kindergeld erhalten, während der Berechtigte mit gleich hohem Einkommen aus mehreren Einkunftsarten wegen des Verbots des Verlustausgleichs unter Umständen nur das gekürzte Kindergeld erhalte.

Für diese Ungleichbehandlung lasse sich kein sachlich einleuchtender Grund finden. Zwar habe der Gesetzgeber durch das Verbot des Verlustausgleichs verhindern wollen, daß sich steuerliche Subventionierungen, beispielsweise Abschreibungen, im Kindergeldrecht begünstigend auswirkten. Dieses Ziel sei aber nur ungenügend erreicht worden, denn solche steuerlichen Vergünstigungen wirkten sich innerhalb der jeweiligen Einkunftsart immer bis zur Nullgrenze aus; ferner sei das Verbot des Verlustausgleichs mit anderen Einkunftsarten nicht auf Verluste beschränkt, die durch steuerliche Subventionierungen "künstlich" herbeigeführt würden, sondern erfasse auch reale Verluste, beispielsweise Geschäftsunkosten. Angesichts solcher gravierender Nachteile für die Berechtigten mit Einkommen aus mehreren Einkommensarten rechtfertige das mit der Norm verfolgte Ziel die getroffene Regelung nicht.

Deren Verfassungsmäßigkeit lasse sich auch nicht damit begründen, daß der Gesetzgeber die Ermittlung des Jahreseinkommens für die Verwaltung durch pauschalierende Regelungen so praktikabel wie möglich habe gestalten müssen. Die Grenzen zulässiger Typisierung seien hier überschritten, weil die damit verbundenen Härten oder Ungerechtigkeiten eine erhebliche Zahl von Personen beträfen und auch die Intensität des Verstoßes gegen den Gleichheitssatz zu groß sei. Die Differenz zwischen dem vollen und dem bis auf die Sockelbeträge gekürzten Kindergeld betrage bei vier Kindern jährlich 2.520 DM. Das sei auch bei einem überdurchschnittlichen Einkommen ein erheblicher Betrag. Das Verwaltungsverfahren würde nicht unerträglich erschwert werden, wenn der Gesetzgeber beispielsweise den Abzug von Steuersubventionen im Rahmen des § 11 BKGG für unzulässig erklärte, im übrigen aber den Verlustausgleich unbeschränkt zuließe. Selbst wenn dabei häufiger neben dem Einkommensteuerbescheid auf die Einkommensteuererklärung des Kindergeldberechtigten zurückgegriffen werden müßte, sei diese Erschwerung des Verwaltungsverfahrens weniger bedeutsam als die mit der gesetzlichen Typisierung verbundene Benachteiligung einer relativ großen Zahl von Personen, zumal das Gesetz keine Härteklausel enthalte.

III.

Zu den Vorlagebeschlüssen hat namens der Bundesregierung der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit Stellung genommen. Ferner haben sich einzelne Senate des Bundesfinanzhofs, das Präsidium des Bundes der Steuerzahler e.V., die Evangelische Aktionsgemeinschaft für Familienfragen - zugleich für den Deutschen Familienverband - sowie der Familienbund der Deutschen Katholiken geäußert. Zu den Vorlagen der Sozialgerichte Trier und Lüneburg hat außerdem für das Bundessozialgericht dessen 10. Senat Stellung genommen.

1. Der Bundesminister hält die verfassungsrechtlichen Bedenken für nicht begründet. Eine Prüfung am Maßstab der Steuergerechtigkeit im Sinne der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zur Berücksichtigung zwangsläufiger Unterhaltsaufwendungen stehe dabei nicht in Frage.

Der Gesetzgeber habe ohne Verstoß gegen den Gleichheitssatz bei der Minderung des Kindergeldes nach der Einkommenshöhe differenzieren dürfen. Bei steigendem Einkommen nehme dessen Nutzbarkeit für die Befriedigung der notwendigen Bedürfnisse, die bei der Leistungsfähigkeit zu berücksichtigen seien, immer mehr ab. Im Hinblick auf die unabdingbar gewordenen Einsparungen zur Haushaltssanierung habe der Gesetzgeber unter sozialstaatlichem Aspekt den Höherverdienenden eine sich in Grenzen haltende Verringerung des Kindergeldes zumuten dürfen, um Geringerverdienenden den ungeschmälerten Kindergeldanspruch zu erhalten. Die Abgrenzung des Personenkreises der Höherverdienenden sei ebenfalls verfassungsmäßig. Im Berechnungsjahr 1981 werde für eine Familie mit zwei Kindern in der Regel der Sockelbetrag erst bei einem Bruttoarbeitslohn erreicht, der mehr als das Doppelte des durchschnittlichen Bruttoarbeitslohns ausmache; für eine Familie mit drei Kindern betrage das Verhältnis 252 vom Hundert, mit vier Kindern sogar 313 vom Hundert. Dieser Vergleich sei besonders aussagekräftig, weil über 93 vom Hundert aller Steuerpflichtigen Arbeitnehmer seien.

Im Rahmen des gesetzgeberischen Ermessens habe auch die Festlegung des maßgeblichen Jahreseinkommens in § 11 Abs. 1 und 2 BKGG gelegen. Der Gesetzgeber habe damit insbesondere zwei Zielsetzungen verfolgt: Ungemindertes Kindergeld habe nicht erhalten sollen, wer lediglich aufgrund von steuerlichen Förderungstatbeständen und Subventionsregelungen rechnerisch, nicht aber nach der tatsächlichen wirtschaftlichen Lage zu den nach § 10 Abs. 1 BKGG Kindergeldberechtigten gehöre, und ferner nicht, wer durch planmäßig herbeigeführte, steuerlich wirksame Verluste seine Einkommensteuer mindere.

Der Gesetzgeber habe auch berücksichtigen dürfen, daß die Praktikabilität der gesetzlichen Regelung nur bei einem groben Raster der Bemessungsgrundlage gewährleistet gewesen sei. Nach den zur Prüfung gestellten Vorschriften könnten die erheblichen Daten im allgemeinen aus dem Einkommensteuerbescheid oder aus dem Bescheid über den Lohnsteuerjahresausgleich entnommen werden. Die Kindergeldstellen seien im Hinblick auf den Verwaltungsaufwand und die Ausbildung ihrer Bediensteten nicht in der Lage, ,künstlich" herbeigeführte und "reale" Verluste auseinanderzurechnen. Die Regelung des § 11 Abs. 1 und 2 BKGG stelle danach eine zulässige Typisierung dar. Eindeutige Härtefälle seien bislang nicht bekannt geworden.

2. Der IV., VIII. und IX. Senat des Bundesfinanzhofs führen übereinstimmend aus, es sei nicht verfassungswidrig, wenn der Gesetzgeber bei einer Sozialleistung wie dem Kindergeld solche Merkmale nicht einkommensmindernd berücksichtige, die im Steuerrecht zu einer Einkommensminderung führten. Der VIII. Senat ist allerdings der Auffassung, daß die steuerliche Entlastung für kindesbedingte Aufwendungen bis zum Jahre 1986 unzureichend gewesen sei und danach die zur Prüfung gestellte Regelung zu einer nach dem Gleichheitssatz bedenklichen Benachteiligung für Steuerpflichtige geführt habe, welche die für das ungekürzte Kindergeld maßgebliche Einkommensgrenze überschritten hätten. Ebenso sei es verfassungsrechtlich bedenklich, wenn bei der Einkommensberechnung solche Verluste unberücksichtigt blieben, die nicht auf Sondervorschriften des Steuerrechts beruhten, etwa übliche Anlaufsverluste eines Gewerbebetriebs.

3. Der 10. Senat des Bundessozialgerichts verweist hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Bedenken gegen § 11 Abs. 1 BKGG auf die Begründung seines Vorlagebeschlusses im Verfahren 1 BvL 4/86.

Die Verfassungsmäßigkeit des § 10 Abs. 2 BKGG bejaht er. Die einkommensabhängige Kürzung des Kindergeldes verstoße nicht gegen das Sozialstaatsprinzip. Ein Abbau von Sozialleistungen sei bis zur Grenze des Existenzminimums des Berechtigten zulässig. Auch Art. 6 Abs. 1 GG werde nicht verletzt. Die differenzierte Entlastung der Familie durch eine stufenweise, einkommensabhängige Minderung des Kindergeldes entspreche dem allgemeinen Gerechtigkeitsgedanken in besonderer Weise. Schließlich sei kein Verfassungsgrundsatz erkennbar, wonach Eltern wirtschaftlich im Ergebnis so gestellt, sein müßten, als ob das Existenzminimum ihrer Kinder steuerfrei wäre.

4. Der Bund der Steuerzahler e.V. sieht in der einkommensabhängigen Kürzung des Kindergeldes in den Jahren 1983 und 1984 einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG und hält auch die Berechnungsvorschriften des § 11 Abs. 1 und 2 BKGG für verfassungswidrig. Das gekürzte Kindergeld trage der steuerlich vernachlässigten Minderung der Leistungsfähigkeit von Eltern durch kinderbedingte Lasten nicht ausreichend Rechnung. Selbst bei sechs Kindern erreiche das Gesamtkindergeld noch keinen angemessenen Betrag.

Soweit das Kindergeld - die Verfassungsmäßigkeit der Kürzung unterstellt - eine soziale Leistung darstelle, sei der Gesetzgeber bei seiner Gestaltung an den Gleichheitssatz gebunden; daher hätte er, wenn er sich für die Anknüpfung des Kindergeldes an die Leistungsfähigkeit entscheide, alle die Leistungsfähigkeit wesentlich beeinflussenden Faktoren berücksichtigen müssen. Die Abzugsverbote für Verluste, Berufsausbildungskosten und außergewöhnliche Belastungen verstießen danach gegen Art 3 Abs 1 und Art. 6 Abs. 1 GG. Es habe dem Gesetzgeber lediglich freigestanden, Steuervergünstigungen mit wirtschafts- und sozialpolitischer Gestaltungswirkung im Kindergeldrecht nicht zu berücksichtigen.

5. Die Evangelische Aktionsgemeinschaft für Familienfragen hält die Regelungen in § 10 Abs. 2 und § 11 Abs 1 und 2 BKGG ebenfalls für verfassungswidrig. In empirischen Untersuchungen sei ein monatlicher Unterhaltsaufwand für Kinder zwischen rund 440 DM (Mindestbedarf) und 590 DM (Normalbedarf) ermittelt worden. Lege man bei einer Kinderfreibetragsregelung als realitätsgerecht wenigstens eine Untergrenze von 400 DM zugrunde, ergebe sich daraus ein monatlicher Entlastungsbetrag von 140 DM je Kind bei einem durchschnittlichen Steuersatz von 35 vom Hundert. Selbst die Dreikinderfamilie habe mit dem ungekürzten Gesamtkindergeld in den Streitjahren keinen entsprechenden Entlastungsbetrag erhalten. Die Kindergeldkürzung diskriminiere überdies die kinderreichen Familien gegenüber den Kinderlosen.

Sehe man die Kürzung des Kindergeldes selbst nicht als verfassungswidrig an, verstoße jedenfalls der Einkommensbegriff des § 11 BKGG gegen Art. 3 und Art. 6 GG. Mit der Anknüpfung der Kindergeldkürzung an die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit sei die Übernahme des steuerrechtlichen Einkommensbegriffs in das Kindergeldrecht zwingend.

6. Der Familienbund der Deutschen Katholiken kommt in seiner Stellungnahme zu weitgehend gleichen Ergebnissen. Er beziffert anhand der Aufwendungen für Pflegekinder und der Ergebnisse der Wirtschaftsrechnungen des Statistischen Bundesamtes für Anfang 1984 einen monatlichen Unterhaltsbedarf von 502 DM je Kind und hält danach die Kürzung des Kindergeldes für verfassungswidrig, weil sie dieser Belastung nicht entsprechend dem Grundsatz der Steuergerechtigkeit Rechnung trage.

B.

I.

Die Vorlage des Sozialgerichts Trier ist zulässig, soweit sie sich gegen § 10 Abs. 2 BKGG richtet. Sie ist dagegen unzulässig, soweit sie § 11 BKGG betrifft.

Im Vorlagebeschluß sind als Abzüge, die bei der Einkommensberechnung nach Auffassung des Gerichts zu berücksichtigen gewesen wären, nur Absetzungen nach § 7 b EStG erwähnt. Diese könnten sich auf die Berechnung des maßgeblichen Einkommens nur im Rahmen eines Verlustes aus Vermietung und Verpachtung auswirken, so daß insoweit von vornherein nur das in § 11 Abs. 1 BKGG enthaltene Verbot des Verlustausgleichs, nicht aber auch die in den Absätzen 2 bis 4 dieser Vorschrift enthaltenen Regelungen von Bedeutung sein konnten.

Auch hinsichtlich des § 11 Abs. 1 BKGG hat das Sozialgericht nicht dargelegt, gegen welche Verfassungsnorm der Ausschluß des Verlustausgleichs verstoße und woraus sich dies ergebe (vgl. zu diesem Erfordernis BVerfGE 79, 240 ≪243, 244≫). Die Begründung des Vorlagebeschlusses befaßt sich ausschließlich mit der verfassungsrechtlichen Prüfung der Kindergeldkürzung als solcher und nicht mit der Frage, ob und warum im Falle der grundsätzlichen Zulässigkeit einer solchen Kürzung die Außerachtlassung von Verlusten und insbesondere einer Absetzung nach § 7 b EStG bei der Berechnung des maßgeblichen Einkommens verfassungswidrig sein soll.

II.

1. Die Vorlage des Sozialgerichts Lüneburg ist zulässig, soweit sie § 11 Abs. 1 BKGG zur Prüfung stellt. Das Gericht hat hinreichend dargelegt, daß es für seine Entscheidung auf die Gültigkeit dieser Norm ankommt. Es hält allerdings das darin enthaltene Verbot des Verlustausgleichs nicht in vollem Umfang, sondern nur insoweit für Verfassungswidrig, als bei der Berechnung des für die Kindergeldkürzung maßgeblichen Einkommens nicht einmal die Steuerbeträge abgezogen werden dürfen, die angefallen wären, wenn die bei der Kindergeldberechnung nicht berücksichtigungsfähigen Verluste auch bei der Besteuerung nicht berücksichtigt worden wären. Das Gericht hat dabei die Auswirkungen, welche die Berücksichtigung dieses fiktiven Steuermehrbetrages auf die Kindergeldbemessung gehabt hätte, nicht isoliert für den festgestellten Verlust aus Vermietung und Verpachtung (19.360 DM) berechnet, sondern nur zusammengefaßt für den Betrag dieses Verlustes zuzüglich der Steuerberatungskosten (10 DM) und des Kinderbetreuungsaufwands (1.800 DM). Da jedoch der Verlust aus Vermietung und Verpachtung den wesentlichen Teil des Gesamtbetrags bildete, der insgesamt zu einer Mehrsteuer von 7.952,64 DM geführt hätte, ist aus dem Vorlagebeschluß zweifelsfrei erkennbar, daß sich bereits die Berücksichtigung der auf diesen Verlustbetrag entfallenden fiktiven Steuer bei der Berechnung des Kindergeldes zugunsten der Klägerin des Ausgangsverfahrens auswirken würde.

Die im Ausgangsverfahren vorgenommene Kürzung des Kindergeldes auf die Sockelbeträge trat nach der gesetzlichen Regelung ab einem Einkommen von 52.200 DM ein. Das nach Maßgabe von § 11 BKGG festgestellte Einkommen betrug 53.063 DM. Die Kürzung fiele daher schon dann geringer aus, wenn zusätzlich Abzüge zu berücksichtigen wären, die den Differenzbetrag von 863 DM überstiegen. Unter Berücksichtigung der maßgeblichen Steuersätze ist es offensichtlich, daß schon der Abzug der fiktiven Einkommen- und Kirchensteuer, die allein für den Betrag des Verlustes von 19.360 DM anzusetzen wäre, nicht nur die genannte Grenze überschreiten, sondern sogar zur Gewährung des ungekürzten Kindergeldes führen würde.

2. Aus dem Vorlagebeschluß ergibt sich dagegen nicht, inwiefern es auf den Abzug der fiktiven Steuer, die für den Betrag der Steuerberater- und der Kinderbetreuungskosten von insgesamt 1.810 DM anzusetzen wäre, für die Entscheidung ankommen könnte. Würden die gegen § 11 Abs. 1 BKGG erhobenen verfassungsrechtlichen Bedenken durchgreifen, so wäre allein schon infolge des Abzugs der Steuer, die auf den Betrag des Verlustes aus Vermietung und Verpachtung entfiele, das ungekürzte Kindergeld zu gewähren. Die Berücksichtigung zusätzlicher Abzüge könnte sich dann auf die Entscheidung nicht mehr auswirken. Der Vorlagebeschluß läßt andererseits auch nicht erkennen, daß der Abzug der fiktiven Steuer aus dem Betrag von 1.810 DM für sich allein von Einfluß für die Kürzung des Kindergeldes sein könnte.

Zu den in § 11 Abs. 3 und 4 BKGG enthaltenen Regelungen weisen die Ausführungen des Vorlagebeschlusses von vornherein keinen Bezug auf. Die Vorlage ist daher unzulässig, soweit sie § 11 BKGG über Absatz 1 der Vorschrift hinaus zur Prüfung stellt.

III.

Gegen die Zulässigkeit der auf die Prüfung des § 11 Abs. 1 BKGG beschränkten Vorlage des Bundessozialgerichts bestehen keine Bedenken.

C.

§ 10 Abs. 2 BKGG in der Fassung des Haushaltsbegleitgesetzes 1983 war in der Zeit bis 31. Dezember 1985 mit Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG unvereinbar.

I.

Das Kindergeld hatte bis zur Neugestaltung des Familienlastenausgleichs durch das Einkommensteuerreformgesetz vom 5. August 1974 ausschließlich den Charakter einer staatlichen Sozialleistung. Es war dazu bestimmt, den Aufwand, insbesondere die wirtschaftliche Belastung, die Eltern durch die Sorge für ihre Kinder entsteht, teilweise auszugleichen (vgl BVerfGE 22, 28 ≪36≫; 29, 71 ≪79≫ zum Bundeskindergeldgesetz vom 14. April 1964 ≪BGBl. I S. 265≫; ebenso BVerfGE 11, 105 ≪115≫ und 23, 258 ≪263≫ zum Kindergeldgesetz vom 13. November 1954 ≪BGBl. I S. 333≫ sowie BVerfGE 22, 163 ≪168≫ zum Kindergeldkassengesetz vom 18. Juli 1961 ≪BGBl. I S. 1001≫).

Mit der Einführung eines einheitlichen Familienlastenausgleichs in Form der Kindergeldgewährung durch das Einkommensteuerreformgesetz von 1974 erhielt das Kindergeld zusätzlich die Funktion, einen Ausgleich dafür zu schaffen, daß infolge der Abschaffung der Kinderfreibeträge die Minderung der Leistungsfähigkeit von Steuerpflichtigen durch den Unterhalt ihrer Kinder im Steuerrecht nicht mehr berücksichtigt wurde (vgl. BVerfGE 43, 108 ≪123≫). Diese Funktion wurde dem Kindergeld auch nicht dadurch entzogen, daß der Gesetzgeber im Haushaltsbegleitgesetz 1983 wieder einen Kinderfreibetrag von 432 DM im Einkommensteuerrecht einführte. Dieser war wegen seiner geringen Höhe offensichtlich ungeeignet, für sich allein die Minderung der Leistungsfähigkeit der Eltern infolge der kindesbedingten Aufwendungen angemessen auszugleichen. Der Gesetzgeber wollte auch mit der Einführung dieses Freibetrags die steuerliche Entlastungsfunktion des Kindergeldes nicht voll beseitigen, sondern die Rückkehr zu einem dualen System des Familienlastenausgleichs lediglich einleiten. Das ergibt sich aus der Begründung des Regierungsentwurfs zum Haushaltsbegleitgesetz 1983 (BTDrucks. 9, 140), in der es heißt (a.a.O., S. 66):

Unter familienpolitischen Gesichtspunkten wird, um dem Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit besser als bisher Rechnung zu tragen, ein bei der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens abzuziehender Kinderfreibetrag eingeführt. Er wird neben dem Kindergeld nach dem Bundeskindergeldgesetz gewährt. Damit wird der derzeitige Kinderlastenausgleich wieder verstärkt in Form eines dualen Systems gestaltet. Diese Maßnahme soll eine Übergangsregelung bis zur Einführung eines Familiensplittings sein.

Neben der steuerlichen Entlastungsfunktion des Kindergeldes behielt dieses aber den Charakter einer allgemeinen Sozialleistung, denn es war weiterhin zugleich zur Abmilderung der kindesbedingten Belastungen bestimmt (vgl. BVerfGE 45, 104 ≪131≫). Dem entspricht die gesetzliche Einordnung des Kindergeldes unter die in Art. I §§ 18 ff. des Sozialgesetzbuchs - Allgemeiner Teil - aufgeführten Sozialleistungen (a.a.O., § 25 Abs. 1).

Eine quantitative Aufteilung des Kindergeldes entsprechend seinen beiden genannten Funktionen ist nicht möglich. Es ist vom Gesetzgeber weder ausdrücklich festgelegt noch der gesetzlichen Regelung mittelbar zu entnehmen, daß das Kindergeld bis zu einem bestimmten Betrag der "steuerlichen Entlastung" dienen soll und mit dem überschießenden Betrag als reine Sozialleistung gewährt wird. Die Kürzungsregelung des § 10 Abs. 2 BKGG muß danach sowohl daraufhin untersucht werden, ob das Kindergeld als Sozialleistung in dieser Weise vom Einkommen der Eltern abhängig gemacht werden durfte, als auch daraufhin, ob das gekürzte Kindergeld seine steuerliche Entlastungsfunktion noch ausreichend erfüllt und ein insoweit bestehendes Defizit verfassungsrechtlich zu beanstanden ist.

II.

Soweit das Kindergeld nur in seiner Eigenschaft als Sozialleistung betroffen ist, bestehen gegen § 10 Abs. 2 BKGG keine verfassungsrechtlichen Bedenken.

1. Die Vorschrift verstößt nicht gegen den in Art. 20 Abs. 1 GG verankerten Sozialstaatsgrundsatz. Dieser enthält zwar einen Gestaltungsauftrag an den Gesetzgeber (vgl. schon BVerfGE 1, 97 ≪105≫). Angesichts seiner Weite und Unbestimmtheit läßt sich daraus jedoch regelmäßig kein Gebot entnehmen, soziale Leistungen in einem bestimmten Umfang zu gewähren. Zwingend ist lediglich, daß der Staat die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein seiner Bürger schafft. Diese Mindestvoraussetzungen werden durch die Kindergeldkürzung ersichtlich nicht beeinträchtigt, da diese nur Familien trifft, denen - wie die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme näher dargelegt hat - ein beträchtlich über dem Durchschnitt liegendes Einkommen zur Verfügung steht. Soweit, es nicht um die genannten Mindestvoraussetzungen geht, steht es in der Entscheidung des Gesetzgebers, in welchem Umfang soziale Hilfe unter Berücksichtigung der vorhandenen Mittel und anderer gleichrangiger Staatsaufgaben gewährt werden kann und soll (BVerfGE 40, 121 ≪133≫). Dabei steht ihm ein weiter Gestaltungsraum zu (vgl. BVerfGE 59, 231 ≪263≫ m.w.N.).

2. Auch Art. 6 Abs. 1 GG hinderte den Gesetzgeber nicht an der Einführung der Kürzungsvorschrift.

a) Das in dieser Grundrechtsnorm enthaltene Verbot, Ehe und Familie durch staatliche Maßnahmen zu benachteiligen, gilt auch für den Bereich der staatlichen Gewährung von Leistungen und Vorteilen (vgl. BVerfGE 28, 324 ≪347≫). Eine Benachteiligung von Familien in diesem Sinne hat die Kürzungsregelung jedoch offensichtlich nicht zur Folge. Personen, die nicht einer Familie angehören, erhalten keine stärkere Förderung, denn Kinderlose erhalten überhaupt kein Kindergeld.

Eine die Familie in unzulässiger Weise diskriminierende Benachteiligung ergibt sich auch nicht daraus, daß Familienmitglieder, die durch das Aufziehen von Kindern an einer Erwerbstätigkeit gehindert werden, gegenüber Kinderlosen bei der Alterssicherung benachteiligt werden können, wie das Sozialgericht Trier in der Begründung seines Vorlagebeschlusses herausgestellt hat. Es wird allerdings als Mangel des "Generationenvertrages", der dem Alterssicherungssystem zugrunde liegt, angesehen, wenn das durch die Kindererziehung bedingte Ausscheiden aus dem Erwerbsleben mit Einbußen bei der späteren Rente bezahlt wird, obwohl Kinder die Voraussetzung dafür sind, "daß die Rentenversicherung überlebt" (so Bundesarbeitsminister Blüm, Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 11. Wp., 11. Sitzung am 8. Mai 1987, StenBer. S. 635). Das Kindergeld als Sozialleistung ist aber nicht dazu bestimmt, diesen strukturellen Mangel das Rentenversicherungssystems wenigstens teilweise auszugleichen. Es dient vielmehr dazu, die gegenwärtige wirtschaftliche Belastung durch die Betreuung und den Unterhalt von Kindern zu mildern, und wird unabhängig davon gewährt, ob ohne die persönliche Betreuung der Kinder höhere Rentenansprüche erworben werden könnten. Eine Herabsetzung der Kindergeldbeträge steht daher in keiner sachlichen Beziehung zum Alterssicherungssystem und kann deshalb auch nicht im Hinblick auf dieses System als eine gegen Art. 6 Abs. 1 GG verstoßende Benachteiligung der Familie angesehen werden.

b) Mit der aus Art. 6 Abs. 1 GG folgenden Pflicht des Staates, Ehe und Familie durch geeignete Maßnahmen zu fördern (vgl BVerfGE 6, 55 ≪76≫; 55, 114 ≪126≫), ist die Kürzung des Kindergeldes in seiner Funktion als allgemeine Sozialleistung ebenfalls vereinbar.

Dem Gesetzgeber steht Gestaltungsfreiheit bei der Entscheidung darüber zu, auf welche Weise er den ihm aufgetragenen Schutz verwirklichen will (vgl. BVerfGE 11, 105 ≪126≫; 21, 1 ≪6≫; 39, 316 ≪326≫; 43, 108 ≪123 f.≫; 48, 346 ≪366≫). Aus Art. 6 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip läßt sich zwar die allgemeine Pflicht des Staates zu einem Familienlastenausgleich entnehmen, nicht aber die Entscheidung darüber, in welchem Umfang und in welcher Weise ein solcher sozialer Ausgleich vorzunehmen ist. Konkrete Ansprüche auf bestimmte staatliche Leistungen lassen sich aus dem Förderungsgebot des Art. 6 Abs. 1 GG nicht herleiten (vgl. BVerfGE 39, 316 ≪326≫). Dieses geht insbesondere nicht so weit, daß der Staat gehalten wäre, jegliche die Familie treffende Belastung auszugleichen oder jeden Unterhaltspflichtigen zu entlasten (BVerfGE 43, 108 ≪121≫; 75, 348 ≪360≫ m.w.N.).

Aus Art. 6 Abs. 1 GG folgt auch nicht, daß der Staat die Familie ohne Rücksicht auf sonstige öffentliche Belange zu fördern hätte. Die staatliche Familienförderung durch finanzielle Leistungen steht unter dem Vorbehalt des Möglichen im Sinne dessen, was der Einzelne vernünftigerweise von der Gesellschaft beanspruchen kann. Der Gesetzgeber hat im Interesse des Gemeinwohls neben der Familienförderung auch andere Gemeinschaftsbelange bei seiner Haushaltswirtschaft zu berücksichtigen und dabei vor allem auf die Funktionsfähigkeit und das Gleichgewicht des Ganzen zu achten. Nach diesen Grundsätzen kann bei einer Gesamtbetrachtung der Leistungen, die der Staat für Kinder erbringt (vgl. BVerfGE 43, 108 ≪121 f.≫), nicht festgestellt werden, daß die Familienförderung durch den Staat offensichtlich unangemessen ist und dem Förderungsgebot des Art. 6 Abs. 1 GG nicht mehr genügt.

3. Die Abgrenzung des Kreises der von der Kürzungsregelung Betroffenen innerhalb der Kindergeldberechtigten verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG.

§ 10 Abs. 2 BKGG knüpft bei der Kindergeldminderung an das Jahreseinkommen des Berechtigten und seines nicht dauernd von ihm getrennt lebenden Ehegatten an. Dieses Kriterium ist für die Einschränkung einer Sozialleistung offensichtlich sachgerecht. Da das Kindergeld die besondere wirtschaftliche Belastung der Eltern durch Unterhaltsaufwendungen für Kinder teilweise ausgleichen soll, kann bei den Empfängern nach dem unterschiedlichen Grad differenziert werden, in dem die kindesbedingte wirtschaftliche Belastung die Familie trifft. Ab einer bestimmten Einkommenshöhe kann der Gesetzgeber davon ausgehen, daß der Familie über die Aufwendungen für den Kindesunterhalt hinaus so viel an Einkommen zur Verfügung steht, daß eine finanzielle Entlastung durch eine aus allgemeinen Steuermitteln gezahlte Sozialleistung nicht geboten erscheint. Es ist auch grundsätzlich sachgerecht, dabei nicht nur das Einkommen des Berechtigten (vgl. dazu die Bestimmungen des § 3 BKGG über die Person des Berechtigten), sondern das gemeinsame Einkommen des Berechtigten und seines Ehegatten zu berücksichtigen, sofern dieser nicht dauernd von ihm getrennt lebt. Denn die zusammenlebenden Ehegatten wirtschaften aus einem Topf und bilden eine Bedarfsgemeinschaft, der die Entlastung durch das Kindergeld insgesamt zugute kommt.

Die in § 10 Abs. 2 Satz 3 BKGG festgelegte Freigrenze hat der Gesetzgeber ohne Verstoß gegen das Willkürverbot bestimmt. Wie der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit in seiner Stellungnahme anhand von Zahlenbeispielen dargelegt hat, wurde im Berechnungsjahr 1981 für eine Familie mit, zwei Kindern in der Regel der Sockelbetrag erst bei einem Bruttoarbeitslohn erreicht, der mehr als das Doppelte des durchschnittlichen Bruttoarbeitslohns von 31.457 DM ausmachte. Bei einer Familie mit drei Kindern betrug dieses Verhältnis 252 vom Hundert, mit vier Kindern 313 vom Hundert.

4. Art. 33 Abs. 5 GG, auf den das Sozialgericht, Trier seine Vorlage zusätzlich gestützt hat, gibt keinen tauglichen Prüfungsmaßstab für die Ausgestaltung der Kindergeldregelung ab.

Diese Verfassungsnorm verlangt zwar, daß sich Beamte, ihrer beamten- und besoldungsrechtlichen Einstufung entsprechend, unabhängig von der Familiengröße annähernd das Gleiche leisten können (BVerfGE 44, 249 ≪267≫). Daraus läßt sich aber nichts für die Ausgestaltung des Kindergeldes nach dem Bundeskindergeldgesetz herleiten, das für alle Familien gilt.

III.

§ 10 Abs. 2 BKGG ist jedoch deshalb verfassungsrechtlich zu beanstanden, weil das gekürzte Kindergeld jedenfalls in der Zeit bis zum 31. Dezember 1985 nicht mehr in verfassungsmäßiger Weise seiner Funktion gerecht geworden ist, der Minderung der Leistungsfähigkeit von Steuerpflichtigen, die durch den Unterhalt ihrer Kinder bedingt ist, Rechnung zu tragen. Selbst wenn dies für die Folgezeit wegen der erheblichen Erhöhung des steuerlichen Kinderfreibetrages anders zu beurteilen sein sollte, würde sich daran für die vorher bestehende Rechtslage, die für die Ausgangsverfahren der Vorlagen maßgeblich ist und danach allein zur Prüfung steht, nichts ändern.

1. Das genannte Regelungsdefizit führt zur Verfassungswidrigkeit der zur Prüfung gestellten Norm, auch wenn es sich nicht allein aus dem Kindergeldrecht, sondern erst aus dessen Zusammenhang mit dem (Einkommen-)Steuerrecht ergibt. Dem Gesetzgeber steht es frei, die kindesbedingte Minderung der Leistungsfähigkeit entweder im Steuerrecht zu berücksichtigen oder ihr statt dessen im Sozialrecht durch die Gewährung eines dafür ausreichenden Kindergeldes Rechnung zu tragen oder auch eine Entlastung im Steuerrecht und eine solche durch das Kindergeld miteinander zu kombinieren (vgl. BVerfGE 43, 108 ≪123 f.≫; 61, 319 ≪354≫). Er könnte sie danach ausschließlich im Steuerrecht berücksichtigen. Schlüge er diesen Weg bei der Behebung des verfassungsrechtlichen Mangels ein, dann könnte die zur Prüfung gestellte Regelung über die Kürzung des Kindergeldes bestehen bleiben, weil das Kindergeld dann nur noch die Funktion einer allgemeinen Sozialleistung hätte und die Kürzungsregelung insoweit verfassungsrechtlich unbedenklich wäre.

Eine für verfassungswidrig erachtete Rechtslage, die sich aus dem Zusammenwirken mehrerer Einzelregelungen ergibt und bei der sich deshalb der etwa bestehende verfassungsrechtliche Mangel durch eine Nachbesserung bei der einen oder der anderen Einzelregelung beheben ließe, kann grundsätzlich anhand jeder der betroffenen Normen zur Prüfung gestellt werden. Bei einem solchen Normengeflecht werden in vielen Fällen - wie in den Ausgangsverfahren - nur einzelne der zusammenwirkenden Normen unmittelbar für die Entscheidung erheblich sein. Würde man in diesen Fällen die Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Rechtslage, die durch die betroffene Norm mit herbeigeführt wird, mit der Erwägung unterlassen, daß die Einzelnorm Bestand haben könnte, wenn die gesetzliche Nachbesserung an anderer Stelle erfolgte, dann wäre die verfassungsgerichtliche Kontrolle in einem Maße eingeschränkt, die mit dem Grundgedanken des Art. 100 Abs. 1 GG nicht mehr vereinbar wäre; denn dieses Argument würde für jede der beteiligten Einzelnormen zutreffen. Die Möglichkeit, daß der Gesetzgeber den verfassungsrechtlichen Mangel auch in einer Weise beheben könnte, daß die beanstandete Norm im Endergebnis bestehen bleibt, hat lediglich zur Folge, daß das Bundesverfassungsgericht die Norm nicht für nichtig erklären, sondern nur ihre Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz feststellen kann.

Allerdings ist eine Norm nicht schon deshalb verfassungswidrig, weil sie von ihrem Regelungsgegenstand her geeignet ist, dem Gesetzgeber durch ihre Änderung die Behebung eines - auch oder sogar in erster Linie durch eine andere Norm geschaffenen - verfassungswidrigen Zustands zu ermöglichen. Hinzukommen muß vielmehr, daß die Norm objektiv erkennbar dem Regelungsziel dient, das in verfassungswidriger Weise verfehlt worden ist. Das ist hier der Fall. Nicht nur aus den Gesetzesmaterialien, sondern auch aus dem Umstand, daß mit der Einführung des Kindergeldes vom ersten Kind an gleichzeitig die Kinderfreibeträge im Steuerrecht abgeschafft worden sind, folgt zweifelsfrei, daß das Kindergeld in der Zeit ab 1975 - jedenfalls bis zur Wiedereinführung höherer Freibeträge von 1986 an - dazu bestimmt war, der Minderung der steuerlichen Leistungsfähigkeit, die durch den Unterhalt von Kindern bedingt war, Rechnung zu tragen (vgl. auch BVerfGE 61, 319 ≪354≫).

2. Ausgangspunkt der verfassungsrechtlichen Beurteilung ist der Grundsatz, daß der Staat dem Steuerpflichtigen sein Einkommen insoweit steuerfrei belassen muß, als es zur Schaffung der Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein benötigt wird. Dieses verfassungsrechtliche Gebot folgt aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsgrundsatz des Art. 20 Abs. 1 GG. Ebenso wie der Staat nach diesen Verfassungsnormen verpflichtet ist, dem mittellosen Bürger diese Mindestvoraussetzungen erforderlichenfalls durch Sozialleistungen zu sichern (vgl. BVerfGE 40, 121 ≪133≫), darf er dem Bürger das selbst erzielte Einkommen bis zu diesem,Betrag - der im, folgenden als Existenzminimum bezeichnet wird - nicht entziehen.

Aus den genannten Verfassungsnormen, zusätzlich aber auch aus Art. 6 Abs. 1 GG, folgt ferner, daß bei der Besteuerung einer Familie das Existenzminimum sämtlicher Familienmitglieder steuerfrei bleiben muß. Das gilt unabhängig davon, wie die Besteuerung im einzelnen ausgestaltet ist und welche Familienmitglieder dabei als Steuerpflichtige herangezogen werden. Auch wenn, wie es in aller Regel bei Eltern mit noch nicht selbst verdienenden Kindern der Fall ist, nur einzelne Familienmitglieder ein Einkommen erzielen und diese aufgrund gesetzlicher Verpflichtung für den Unterhalt der weiteren Familienmitglieder aufkommen, muß das Existenzminimum für die gesamte Familie steuerfrei bleiben. Denn auch in diesem Fall müßte der Staat, wenn er dem Steuerpflichtigen die Mittel für die Unterstützung der unterhaltsbedürftigen Familienmitglieder entzöge, diese in entsprechender Höhe aufgrund seiner verfassungsrechtlichen Verpflichtung aus dem Sozialstaatsgebot selbst unterstützen. Überläßt er dagegen in verfassungsmäßiger Weise die Unterstützung dem Bürger, wäre es inkonsequent, diesem die dafür benötigten Mittel im Wege der Besteuerung ganz oder teilweise mit der Folge zu entziehen, daß der Staat die Unterstützung des Bedürftigen selbst übernehmen müßte.

3. Die Steuerfreiheit des Familienexistenzminimums wirkt sich auch auf die Besteuerung eines Einkommens aus, das dieses Existenzminimum übersteigt. Das Existenzminimum muß dem Steuerpflichtigen nicht nur nach Abzug der Steuern erhalten bleiben. Der Gesetzgeber darf auch nur das darüber hinausgehende Einkommen der Besteuerung unterwerfen, weil andernfalls Familien mit unterhaltsbedürftigen Kindern gegenüber den sonstigen Familien, gegenüber kinderlosen Ehepaaren und gegenüber kinderlosen Alleinstehenden benachteiligt werden würden.

a) Prüfungsmaßstab ist insoweit Art. 3 Abs. 1 GG, wobei die in Art. 6 Abs. 1 GG enthaltene Grundsatzentscheidung für den Schutz der Familie mit zu beachten ist (vgl. BVerfGE 13, 290 ≪296 f., 298≫; 75, 348 ≪357≫).

Der allgemeine Gleichheitssatz ist verletzt, wenn der Staat eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (vgl. BVerfGE 55, 72 ≪88≫; st. Rspr.). Daraus folgt für das Gebiet des Steuerrechts, daß die Besteuerung an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ausgerichtet werden muß. Das gilt insbesondere im Einkommensteuerrecht, das auf die Leistungsfähigkeit des einzelnen Steuerpflichtigen hin angelegt ist (vgl. BVerfGE 61, 319 ≪343 f.≫ m.w.N.). Die für den Steuerpflichtigen unvermeidbare Sonderbelastung durch Unterhaltsverpflichtungen mindert seine Leistungsfähigkeit und darf ohne Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG vom Gesetzgeber nicht unberücksichtigt bleiben (vgl. zuletzt BVerfGE 68, 143 ≪152 f.≫).

Auch Unterhaltsaufwendungen für Kinder sind danach grundsätzlich keine Aufwendungen im privaten Bereich, die nach der Grundregel des § 12 Nr. 1 EStG steuerlich als allgemeine Kosten der Lebensführung nicht abzugsfähig sind; vielmehr muß berücksichtigt werden, daß durch diese Aufwendungen die steuerliche Leistungsfähigkeit gemindert wird. Beim Kindesunterhalt folgt diese Konkretisierung des Leistungsfähigkeitsprinzips zusätzlich aus den grundlegenden Entscheidungen der Verfassung in Art. 1 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG. Der Staat, der die Würde des Menschen als höchsten Rechtswert anerkennt (vgl. BVerfGE 45, 187 ≪227≫ m.w.N.) und Ehe und Familie dem besonderen Schutz des Staates anheimgegeben hat, darf Kinder und private Bedürfnisbefriedigung nicht auf eine Stufe stellen und danach auf die Mittel, die für den Lebensunterhalt von Kindern unerläßlich sind, nicht in gleicher Weise zugreifen wie auf finanzielle Mittel, die zur Befriedigung beliebiger Bedürfnisse eingesetzt werden. Er muß die Entscheidung der Eltern zugunsten von Kindern achten und darf den Eltern im Steuerrecht nicht etwa die "Vermeidbarkeit" von Kindern in gleicher Weise entgegenhalten wie die Vermeidbarkeit sonstiger Lebensführungskosten.

b) Der Höhe nach muß der Staat bei der Beurteilung der steuerlichen Leistungsfähigkeit den Unterhaltsaufwand für Kinder des Steuerpflichtigen in dem Umfang als besteuerbares Einkommen außer Betracht lassen, in dem die Unterhaltsaufwendungen zur Gewährleistung des Existenzminimums der Kinder erforderlich sind.

Das folgt mittelbar aus den Erwägungen, die es gebieten, das Existenzminimum der Familie steuerfrei zu lassen (s.o. C III 2). Soweit das Einkommen der Familie benötigt wird, um ihr die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein zu gewährleisten, ist es - unabhängig vom sozialen Status der Familie - nicht disponibel und kann nicht Grundlage der steuerlichen Leistungsfähigkeit sein. Wird die Besteuerung für Kinderlose und Steuerpflichtige mit Kindern nach einem einheitlichen Tarif vorgenommen, so werden die letzteren gegenüber den ersteren benachteiligt, wenn von ihrem Einkommen der Unterhaltsaufwand für Kinder nicht wenigstens in Höhe des Existenzminimums abgezogen wird; denn sie werden dadurch im Ergebnis einer höheren Steuerbelastung unterworfen als kinderlose Ehepaare oder Alleinstehende, weil sie bei gleichem Ausgangseinkommen die gleiche Steuerlast tragen wie Kinderlose, obwohl ihr Einkommen in Höhe des Existenzminimums der Kinder gebunden ist und ihnen daher insoweit nicht zur freien Verwendung zur Verfügung steht.

Das Gebot, Unterhaltsaufwendungen für Kinder mindestens in Höhe des Existenzminimums von der Besteuerung auszunehmen, entspricht im Ergebnis dem Grundsatz, daß der Gesetzgeber bei der steuerlichen Berücksichtigung zwangsläufiger Unterhaltsaufwendungen nicht realitätsfremde Grenzen ziehen darf (vgl. BVerfGE 66, 214 ≪223≫; 68, 143 ≪153≫). Es wird im übrigen nicht dadurch berührt, daß die öffentliche Hand allgemeine Förderungsleistungen für Kinder, insbesondere als Träger des Schul-, Bildungs- und Ausbildungssystems, erbringt (vgl. dazu BVerfGE 43, 108 ≪121≫). Diese Leistungen wirken sich dahin aus, daß der Unterhaltsaufwand der Eltern geringer ist, als er es wäre, wenn sie für diese Einrichtungen selbst sorgen oder solche Einrichtungen gegen ein marktwirtschaftliches Entgelt in Anspruch nehmen müßten. Für die Frage, wie das Existenzminimum steuerlich zu berücksichtigen ist, sind jedoch die Tatsache und der Umfang dieser Förderungsleistungen ohne Bedeutung.

Entsprechendes gilt für die Erleichterungen, die der Staat in einzelner Hinsicht Eltern mit unterhaltsbedürftigen Kindern im Steuerrecht (als sogenannte Kinderadditive) und in anderen Gesetzen gewährt. Solche Regelungen betreffen nicht den allgemeinen Grundbedarf des Kindes. Soweit danach ein besonderer Bedarf des Kindes ausgeglichen oder ein entsprechender Aufwand des Steuerpflichtigen berücksichtigt wird, wie etwa durch die Ausbildungsfreibeträge nach § 33 a Abs. 2 EStG, können diese Kosten nicht zusätzlich im Rahmen des allgemeinen Unterhaltsaufwands angesetzt werden. Derartige punktuelle Erleichterungen entbinden aber den Gesetzgeber nicht von der Pflicht, der Minderung der steuerlichen Leistungsfähigkeit, die durch den allgemeinen Aufwand für Kinder entsteht, steuerlich zu berücksichtigen.

c.) Besondere Gründe, welche die Ungleichbehandlung rechtfertigen könnten, die in der Außerachtlassung des Existenzminimums bei der Besteuerung von Steuerpflichtigen mit unterhaltsbedürftigen Kindern liegt, sind nicht ersichtlich. Sie können auch nicht den besonderen Umständen entnommen werden, die zur Einführung der Kindergeldkürzung führten.

aa) Die Dringlichkeit einer Haushaltssanierung kommt als Rechtfertigung nicht in Betracht. Der Finanzbedarf des Staates ist nicht geeignet, eine verfassungswidrige Steuer zu rechtfertigen (BVerfGE 6, 55 ≪80≫). Auch wenn der Staat auf Einsparungsmaßnahmen angewiesen ist, muß er auf die gerechte Verteilung der Lasten achten.

bb) Eine Regelung, die das Existenzminimum bei der Besteuerung von Steuerpflichtigen mit unterhaltsbedürftigen Kindern außer acht läßt, ist auch nicht mit sozialpolitischen Erwägungen zu rechtfertigen. Das gilt selbst dann, wenn die Regelung lediglich Steuerpflichtige mit überdurchschnittlichem Einkommen trifft.

Dem Umstand, daß eine Kürzung des Kindergeldes und die damit verbundene Minderung der steuerlichen Entlastungsfunktion bei höherem Einkommen leichter zu verkraften ist, kommt bei der Prüfung am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG im Ergebnis keine entscheidende Bedeutung zu. Im Rahmen dieser Prüfung muß zwischen "vertikaler" und "horizontaler" Steuergerechtigkeit unterschieden werden. In vertikaler Richtung muß die Besteuerung höherer Einkommen im Vergleich mit der Steuerbelastung niedriger Einkommen dem Gerechtigkeitsgebot genügen. In horizontaler Richtung muß darauf abgezielt werden, daß Steuerpflichtige bei gleicher Leistungsfähigkeit auch gleich hoch besteuert werden (vgl. dazu etwa D. Birk, Das Leistungsfähigkeitsprinzip als Maßstab der Steuernormen, 1983, S. 165, 170).

Im Verhältnis zu kinderlosen Steuerpflichtigen gleicher Einkommensstufe, also auf horizontaler Ebene, kann die steuerliche Mehrbelastung von Steuerpflichtigen mit unterhaltsbedürftigen Kindern durch den eingangs genannten Umstand nicht gerechtfertigt werden. Andernfalls wäre, sofern nur das Einkommen hoch genug ist, jede steuerliche Ungleichbehandlung auf horizontaler Ebene hinzunehmen und das Gebot der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit außer Kraft gesetzt. Die Kindergeldkürzung entbehrt gerade im Verhältnis zu Kinderlosen auch deshalb der sachlichen Rechtfertigung, weil sie dem Schutzgebot des Art. 6 Abs. 1 GG widerspricht, das den Staat zur Förderung der Familie verpflichtet und ihm jede Benachteiligung der Familie verbietet.

Eine Durchbrechung der horizontalen Steuergerechtigkeit kann nicht mit dem Gedanken der vertikalen Steuergerechtigkeit legitimiert werden. Der Gesetzgeber darf Bezieher höherer Einkommen nur in einer Weise stärker besteuern, die zugleich dem unmittelbar aus Art. 3 Abs. 1 GG folgenden Grundsatz der horizontal gleichmäßigen Besteuerung Rechnung trägt. Er wäre danach beispielsweise nicht gehindert, die Steuerausfälle, die durch die Berücksichtigung von höheren Kinderfreibeträgen entstehen, durch eine Verschärfung des Steuersatzes und (oder) der Steuerprogression auszugleichen. Er darf aber nicht Bezieher höherer Einkommen mit unterhaltsbedürftigen Kindern starker besteuern als Einkommensbezieher gleicher Stufe ohne Kinder.

Da die Minderung der Leistungsfähigkeit im verfassungsrechtlich gebotenen Umfang durch einen Abzug der Aufwendungen von der steuerlichen Bemessungsgrundlage berücksichtigt, werden muß, wirkt sich die Entlastung in einem Einkommensteuersystem mit progressivem Tarif ebenfalls progressiv aus. Mit der Ersetzung progressiv entlastender Kinderfreibeträge durch einen einheitlichen, von der Steuerschuld abziehbaren Entlastungsbetrag oder durch das einheitliche Kindergeld - wird die Besteuerung im Vergleich zu Kinderlosen nicht nur linear, sondern auch hinsichtlich der Steuerprogression verschärft, soweit durch den Entlastungsbetrag die Besteuerung des Existenzminimums des Kindes nicht ausgeglichen wird.

Jenseits des verfassungsrechtlich gebotenen "Freibetrages" in Höhe des Existenzminimums von Kindern ist der Gesetzgeber allerdings frei, soziale Gesichtspunkte verstärkt zu berücksichtigen und dabei insbesondere Bezieher höherer Einkommen steuerlich stärker zu belasten.

d) Das Existenzminimum kann bei der Besteuerung aus Gründen der Praktikabilität in einem einheitlichen Betrag berücksichtigt werden, der von Verfassungs wegen auch nicht zwingend nach Altersgruppen gestaffelt werden muß. Dieser Betrag muß allerdings so bemessen werden, daß er in möglichst allen Fällen den entsprechenden Bedarf abdeckt. Da das Existenzminimum regional verschieden sein kann, darf sich der Gesetzgeber insoweit nicht an einem unteren Grenzwert oder an einem Durchschnittswert orientieren, der in einer größeren Zahl von Fällen nicht ausreichen würde.

Andererseits folgt weder aus Art. 3 Abs. 1 noch aus Art. 6 Abs. 1 GG, daß der Gesetzgeber die Unterhaltsleistungen für Kinder in der vollen Höhe des bürgerlichrechtlichen Unterhaltsanspruchs, der sich regelmäßig nach der Lebensstellung der Eltern bestimmt (vgl. BGH, NJW 1980, S. 1686 ≪1689≫; 1983, S. 1429), berücksichtigen müßte. Eine individuelle Bemessung des Entlastungsbetrages nach den Umständen des Einzelfalles scheidet schon deshalb aus, weil dadurch das Besteuerungsverfahren unverhältnismäßig erschwert würde. Es ist aber auch sachlich nicht geboten, die steuerliche Entlastung für kindesbedingte Aufwendungen am bürgerlichrechtlichen Unterhalt auszurichten und sie damit letztlich nach dem sozialen Status der einzelnen Familie zu bestimmen (vgl. auch BVerfGE 43, 108 ≪121, 123≫). Dabei ist zu berücksichtigen, daß der Staat beim unterhaltsberechtigten Kind auf eine Besteuerung des Unterhalts - die verfassungsrechtlich zulässig wäre, soweit der Unterhalt das Existenzminimum übersteigt - verzichtet (§ 2 Abs. 1 Nr. 7, § 22 Nr. 1 Satz 2 EStG) und damit das Nettoeinkommen der Eltern ungeschmälert der Familie als Bedarfs- und Versorgungsgemeinschaft verbleibt.

4. Bei der Nachprüfung, ob das nach § 10 Abs. 2 BKGG gekürzte Kindergeld hinsichtlich seiner steuerlichen Entlastungsfunktion diesen verfassungsrechtlichen Mindestanforderungen gerecht wird, muß sich das Bundesverfassungsgericht auf eine Evidenzkontrolle beschränken. Wie auch in anderen Fällen, in denen die Erfüllung grundrechtlicher Pflichten des Gesetzgebers von der Beurteilung tatsächlicher Verhältnisse abhängt (vgl. etwa BVerfGE 44, 249 ≪267≫; 77, 170 ≪214 f.≫; 77, 381 ≪405≫), kann es die gesetzliche Regelung nur beanstanden, wenn der Gesetzgeber die maßgeblichen Pflichten entweder überhaupt außer acht gelassen oder ihnen offensichtlich nicht genügt hat. Letzteres war nach der bis zum 31. Dezember 1985 bestehenden Rechtslage, die für die Ausgangsverfahren maßgebend ist, der Fall.

a) Da in diesem Zeitraum die steuerliche Entlastung einerseits durch den Kinderfreibetrag von 432 DM, daneben aber durch das Kindergeld bewirkt werden sollte, muß für die verfassungsrechtliche Prüfung der Kürzungsregelung des § 10 Abs. 2 BKGG das gekürzte Kindergeld in einen fiktiven Kinderfreibetrag umgerechnet und dann zusammen mit dem im Einkommensteuerrecht enthaltenen Freibetrag dem Betrag des Existenzminimums gegenübergestellt werden. Andere steuerliche Vergünstigungen für Kinder können, da sie nicht für den Grundbedarf bestimmt sind, in die vergleichende Betrachtung nicht eingestellt werden. Das gilt auch für die kindesbedingte Erhöhung der Vorsorgepauschale, die Arbeitnehmern im fraglichen Zeitraum nach § 10 c Abs. 3 EStG in der Fassung vom 24. Januar 1984 (BGBl. I S. 113) zustand. Diese Steuervergünstigung diente, auch wenn dafür keine Nachweise erforderlich waren, der Berücksichtigung von Vorsorgeaufwendungen nach § 10 Abs. 1 Nrn. 2 und 3 EStG (Versicherungs- und Bausparkassenbeiträge), die in dem vom Existenzminimum abgedeckten Grundbedarf nicht enthalten sind. Im übrigen kam diese Steuervergünstigung nur Arbeitnehmern, nicht auch den übrigen Steuerpflichtigen zugute.

Bei der Umrechnung des Kindergeldes in einen fiktiven Steuerfreibetrag kann dieser bei Mehrkinderfamilien trotz der Staffelung der Kindergeldsätze nicht für die einzelnen Kinder gesondert und unterschiedlich bemessen werden. Eine solche Abstufung ist weder durch das Steuerrecht vorgegeben noch entspräche sie der Systematik der Kindergeldregelung. Das Kindergeld ist zwar der Höhe nach entsprechend der Ordnungszahl der Kinder gestaffelt. Der Staffelbetrag wird aber nicht für das jeweilige Kind gewährt, sondern das Gesamtkindergeld soll die Familie insgesamt entlasten und allen Kindern gleichmäßig zugute kommen. Das kommt vor allem in der Regelung des § 12 Abs. 4 BKGG zum Ausdruck, wonach als auf ein Kind entfallendes Kindergeld der Betrag gilt, der sich bei gleichmäßiger Verteilung des Kindergeldes auf alle Kinder, für die dem Berechtigten Kindergeld geleistet wird, ergibt (vgl. Wickenhagen/Krebs, Bundeskindergeldgesetz, § 12 Rdnr. 26, mit Hinweis auf die Gesetzesbegründung). Ebenso ergibt sich die einheitliche Betrachtungsweise des Gesetzgebers daraus, daß im Falle der Kürzung des Kindergeldes nach § 10 Abs. 2 Satz 4 BKGG die Minderung des für mehrere Kinder zu zahlenden Kindergeldes beim Gesamtkindergeld vorzunehmen ist. Danach wirkt sich bei der vergleichenden Betrachtung auch die geringe Höhe des Kindergeldsatzes für das erste Kind mit aus, obwohl die dafür maßgebliche Vorschrift des § 10 Abs. 1 BKGG nicht selbst Gegenstand der Prüfung ist.

b) Eine die Regelfälle berücksichtigende Berechnung kann von den Fällen ausgehen, in denen die Berechtigten auch für das erste Kind (das nicht unter die Kürzungsregelung fällt) Kindergeld erhalten. In diesen Fällen setzte die Kürzung des Kindergeldes nach der Freibetragsregelung des § 10 Abs. 2 BKGG frühestens ein, wenn das nach § 11 BKGG errechnete Jahreseinkommen bei nicht dauernd getrennt lebenden Verheirateten 42.000 DM und bei sonstigen Berechtigten 34.200 DM betrug. Für die Ermittlung der Steuerquote muß zu diesen Beträgen die Einkommensteuer hinzugerechnet werden, die nach § 11 Abs. 2 Nr. 1 BKGG abgezogen wird. Bei dieser Einkommenshöhe hätte nach den für die Streitjahre maßgeblichen Einkommensteuertabellen (BGBl. I 1980 S. 1388 ff.) der Abzug von Kinderfreibeträgen bei nicht dauernd getrennt lebenden Verheirateten bereits zu einer Steuerersparnis von mehr als 30 vom Hundert der Freibeträge geführt. Bei Alleinstehenden wäre die Quote noch wesentlich höher. Bei Familien mit höherer Kinderzahl und (oder) mit höheren Einkommen konnte sie bis zum Höchststeuersatz von 56 vom Hundert steigen.

c) Für die Ermittlung des Existenzminimums von Kindern kann auf die Maßstäbe zurückgegriffen werden, die sich aus statistisch ermittelten Richtsätzen oder normativ festgelegten Regelleistungen für den entsprechenden Bedarf ergeben (vgl. BVerfGE 44, 249 ≪274≫ ).

Entscheidende Bedeutung für die Bemessung des Existenzminimums, um das es hier geht, kommt den Leistungen der Sozialhilfe zu, die gerade dieses Existenzminimum gewährleisten sollen und die verbrauchsbezogen ermittelt und regelmäßig den steigenden Lebenshaltungskosten angepaßt werden (vgl. BVerfGE 66, 214 ≪224≫). Für die vergleichende Übersicht, die bundeseinheitlich vorzunehmen ist, muß dabei aus den in den Ländern verschiedenen und altersgestaffelten Regelsätzen der Sozialhilfe ein Durchschnittssatz gebildet werden; zusätzlich ist ein Zuschlag für die durchschnittlich gewährten Sonderleistungen anzusetzen.

Zusammenfassende Berechnungen für Kinder bis zum 18. Lebensjahr enthält der Bericht der Besoldungskommission Bund/Länder über besoldungsrechtliche Folgerungen aus der am 1. Januar 1983 in Kraft getretenen einkommensabhängigen Kürzung des Kindergeldes vom 30. Januar 1984 (im folgenden: BLK-Bericht), der im Auftrag des Bundesministers des Innern erstellt worden ist und auf den der Familienbund der Deutschen Katholiken in seiner Stellungnahme in den vorliegenden Verfahren Bezug genommen hat. Gegen die Ergebnisse dieses Berichts sind weder im Verfahren Einwände erhoben worden noch sonst Bedenken ersichtlich. Danach betrugen die Gesamtleistungen der Sozialhilfe für ein Kind im Jahre 1982 durchschnittlich 318 DM im Monat, jährlich also 3.816 DM. Für die Streitjahre 1983 und 1984 würde sich wegen der Steigerung der Lebenshaltungskosten ein noch höherer Betrag ergeben. Der Familienbund der Deutschen Katholiken ist in seiner Hochrechnung insoweit auf einen Monatsbetrag von 382 DM gekommen. Für die schematische Berechnung bedarf dies jedoch keiner genaueren Klärung.

Aufschlußreich für die Vergleichsrechnung sind im übrigen noch die ebenfalls im BLK-Bericht aufgeführten Berechnungen des Statistischen Bundesamts über den Bedarf für die einfache Lebenshaltung eines Kindes und über den tatsächlichen durchschnittlichen Aufwand einer Familie für ein Kind. Die erstere Berechnung, der ein von Sachverständigen der Jugendhilfe und -betreuung entwickeltes Bedarfsschema für Erstkinder bis zum 18. Lebensjahr, die von der Mutter oder Verwandten betreut werden, zugrunde liegt, kommt für das Jahr 1982 auf einen Betrag von monatlich 390 DM. Die durchschnittlichen Lebenshaltungskosten, die vom Statistischen Bundesamt im Rahmen der laufenden Wirtschaftsrechnungen für Haushalte mit zwei Kindern ermittelt worden sind, betrugen monatlich 470 DM (vgl. dazu auch die in BVerfGE 61, 319 ≪339≫ wiedergegebene Angabe der Landesregierung Rheinland-Pfalz, die den monatlichen Durchschnittsaufwand einer Familie für ein Kind in dieser Zeit mit 500 DM beziffert hat).

d) In der nachfolgenden tabellarischen Übersicht sind die genannten Werte in Jahresbeträgen einander gegenübergestellt:

Tabellarische Übersicht über die zu vergleichenden Beträge

Kinderzahl 2 3 4 5 6 7

Gesamtkindergeld

pro Jahr 1.440 3.120 4.800 6.480 8.160 9.840

gemäß §

10 Abs. 2 BKGG

Umrechnung in

Steuerfrei-

betrag 1) 5.664 11.696 17.728 23.760 29.792 35.824

(30 v.H.)

Umrechnung in

Steuerfrei-

betrag 1) 4.464 9.096 13.728 18.360 22.992 27.624

(40 v.H.)

Umrechnung in

Steuerfrei-

betrag 1) 3.436 6.867 10.300 13.730 17.166 20.595

(56 v.H.)

durchschnittl.jährl.

Sozialhilfeleistung

für Kinder

im Jahre

1982 2) 7.632 11.448 15.264 19.080 22.896 26.712

multipliziert mit Kinderzahl)

durchschnittl. jährl.

Unterhaltsaufwand 1982

(multipliziert mit Kinderzahl)

a) Bedarf bei

einfachen

Lebens-

verhältnissen 9.360 14.040 18.720 23.400 28.080 32.760

b) allgemeiner

durchschnittl.

Aufwand 11.280 16.920 22.560 28.200 33.840 39.480

Erläuterungen:

1) Pro Jahr, unter Hinzurechnung der Freibeträge von 432 DM

je Kind

2) nach den Angaben im BLK-Bericht 1984

Aus der Übersicht ergibt sich, daß die fiktiven Kinderfreibeträge, die der zur Prüfung gestellten Rechtslage entsprechen, schon bei einer Steuerquote von 30 vom Hundert, die nur für die unterste Grenze der betroffenen Einkommen eingreift, die Höhe der Sozialhilfeleistungen (berechnet nach dem Stand des Jahres 1982) erst bei Berechtigten mit drei Kindern erreichen. Schon bei einer Besteuerung der Einkommensspitze mit 40 von Hundert, die von einer großen Zahl der Steuerpflichtigen erreicht wird, kommen die fiktiven Freibeträge erst bei sechs Kindern den Sozialhilfeleistungen gleich. Mit zunehmender Steuerquote unterschreiten sie die Sozialhilfeleistungen immer mehr und liegen schließlich beim (früheren) Höchststeuersatz von 56 vom Hundert weit darunter.

Auch wenn die schematische Betrachtung notwendigerweise Unschärfen aufweist, ergibt sie, daß das gekürzte Kindergeld zusammen mit dem Kinderfreibetrag jedenfalls in einem wesentlichen Teil der Fälle nach der in den Streitjahren bestehenden Rechtslage offensichtlich nicht ausreichte, um der Minderung der Leistungsfähigkeit von Steuerpflichtigen mit Kindern in Höhe des Existenzminimums der Kinder Rechnung zu tragen. Die damit verbundene Ungleichbehandlung eines wesentlichen Teils der betroffenen Steuerpflichtigen kann nicht damit gerechtfertigt werden, daß bei der Ordnung von Massenerscheinungen generalisierende Regelungen notwendig sein können und dabei in Einzelfällen entstehende Härten oder Ungerechtigkeiten hingenommen werden müssen (vgl BVerfGE 79, 87 ≪100≫; m.w.N.). Zum einen gilt letzteres nur, wenn von der Benachteiligung nur eine kleine Zahl von Personen betroffen ist und der Verstoß gegen den Gleichheitssatz nicht sehr intensiv ist (BVerfGE 63, 119 ≪128≫). An dieser Voraussetzung fehlt es hier, weil nur Betroffene an der unteren Grenze der in Betracht kommenden Steuerquoten noch einigermaßen sachgerecht behandelt werden. Zum anderen hätte der Gesetzgeber die Ungleichbehandlung, die mit dem Ausgleich der steuerlichen Benachteiligung durch eine Kindergeldgewährung verbunden war, dadurch vermeiden können, daß er im Steuerrecht Kinderfreibeträge in Höhe des Existenzminimums gewährte, wie dies auch früher geschehen war.

5. Die daraus folgende Feststellung, daß § 10 Abs. 2 BKGG verfassungswidrig ist, beschränkt sich auf die Zeit bis zum 31. Dezember 1985. Mit der Erhöhung des steuerlichen Kinderfreibetrages für die Zeit vom 1. Januar 1986 an ist, eine neue Rechtslage eingetreten. Die Verfassungsmäßigkeit von § 10 Abs. 2 BKGG in Verbindung mit den von da an erhöhten Freibeträgen ist in den Vorlagen nicht zur Prüfung gestellt worden und in den Ausgangsverfahren auch nicht entscheidungserheblich.

Die Vorschrift kann auch für den genannten Zeitraum nicht für nichtig, sondern nur als mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärt werden. Der Gesetzgeber ist zwar verpflichtet, in den noch nicht bestandskräftig gewordenen Fällen die Benachteiligung der betroffenen Steuerpflichtigen zu beheben. Es steht ihm aber frei, diese Rechtsänderung durch eine Streichung des § 10 Abs. 2 BKGG, durch eine Änderung im Steuerrecht oder durch eine anderweitige Ausgleichsregelung vorzunehmen.

D.

§ 11 Abs. 1 BKGG in der Fassung des Haushaltsbegleitgesetzes 1983 ist mit dem Grundgesetz vereinbar.

I.

Die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit dieser Vorschrift erledigt sich nicht dadurch, daß die zugrundeliegende Regelung des § 10 Abs. 2 BKGG nach der in den Streitjahren bestehenden Rechtslage mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar gewesen ist. Zum einen wirkt sich § 11 Abs. 1 BKGG für die spätere Zeit aus, für welche die Verfassungsmäßigkeit des § 10 Abs. 2 BKGG nicht geprüft und festgestellt wird. Zum anderen könnte § 11 Abs. 1 BKGG auch für die Vergangenheit eine Bedeutung behalten, falls der Gesetzgeber bei der Nachbesserung § 10 Abs. 2 BKGG aufrechterhielte und statt dessen die Korrektur im Steuerrecht oder im Wege einer anderweitigen Ausgleichsregelung vornähme.

Allerdings kann die Kürzungsregelung das Kindergeld nur noch als reine Sozialleistung betreffen, denn soweit es eine Ausgleichsfunktion gegenüber der Besteuerung behalten würde, dürfte es überhaupt nicht gekürzt werden (vgl. oben C III).

II.

1. Die vorlegenden Gerichte legen § 11 Abs 1 BKGG übereinstimmend dahin aus, daß Verluste wie im Einkommensteuerrecht innerhalb der einzelnen Einkunftsart mit positiven Einkünften verrechnet werden können (vgl. zum sogenannten horizontalen Verlustausgleich im Einkommensteuerrecht Blümich/Falk, EStG, § 2 Rdnr. 14, 15), daß jedoch, anders als im Einkommensteuerrecht, der Ausgleich eines Verlustes, der innerhalb der gleichen Einkunftsart durch den horizontalen Verlustausgleich nicht verbraucht ist, mit anderen Einkunftsarten untersagt wird. Von diesem Regelungsinhalt ist bei der verfassungsgerichtlichen Prüfung auszugehen. Die Zulassung eines vertikalen Verlustausgleichs würde dem eindeutigen Wortlaut und Sinngehalt der Vorschrift widersprechen und könnte daher - selbst wenn sie von Verfassungs wegen geboten wäre - nicht im Wege einer (verfassungskonformen) Auslegung der Norm erfolgen.

Mit dem Verbot des Verlustausgleichs zwischen mehreren Einkunftsarten rechnet der Gesetzgeber auch denjenigen Kindergeldberechtigten nur die positiven Einkünfte als maßgebliches Einkommen an, die neben positiven Einkünften negative Ergebnisse in einer anderen Einkunftsart erzielt haben und daher - jedenfalls wenn es sich um "reale" Verluste handelt - wirtschaftlich gesehen über ein geringeres Gesamteinkommen verfügen. Diese gesetzliche Gleichbehandlung ungleicher Lebenssachverhalte ist am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG zu messen.

2. a) Vordringliches Ziel des Gesetzgebers war es, zu verhindern, daß sich über die Besteuerung vorgenommene Subventionierungen auf die Sozialleistung auswirken. Das ergibt sich aus dem Bericht des Bundestagsausschusses für Bildung und Wissenschaft (BTDrucks. 9/603, S. 23) zur entsprechenden Regelung des § 21 Abs. 1 BAföG in der Fassung des Siebenten Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes vom 13. Juli 1981 (BGBl. I S. 625) - 7. BAföGÄndG -, an die sich § 11 BKGG nach der Begründung zum Entwurf des Haushaltsbegleitgesetzes 1983 (BTDrucks. 9/2140, S. 86) ausdrücklich anlehnen sollte. Derartige fiktive Verluste nicht auszugleichen, ist grundsätzlich sachlich gerechtfertigt. Die für den Lebensstandard der Familie maßgeblichen wirtschaftlichen Verhältnisse werden durch solche Verluste, deren steuerliche Anerkennung eigentlich eine Subvention darstellt, nicht beeinträchtigt. Die Kindergeldberechtigten, deren Einkommen aufgrund von steuerlichen Förderungstatbeständen und Subventionsregelungen lediglich rechnerisch, nicht jedoch effektiv gemindert ist, sind unter sozialen Gesichtspunkten nicht in gleicher Weise schutzbedürftig wie Berechtigte, die tatsächlich nur entsprechend geringere Einkünfte erzielt haben und denen daher die Mittel in Höhe des fiktiven Verlustes nicht zur Verfügung stehen.

Das gilt auch für Verluste aus Vermietung und Verpachtung aufgrund von erhöhten Absetzungen nach § 7 b EStG, denen bei der Anwendung des § 11 Abs. 1 BKGG besondere praktische Bedeutung zukommt. Der Gesetzgeber hat allerdings in § 21 Abs. 1 BAföG Absetzungen nach § 7 b EStG vom Verbot des Verlustausgleichs ausgenommen. Maßgebend hierfür war die Erwägung, daß "die durch die Ausbildungskosten ohnehin stark belasteten Eltern … nicht vor die Alternative: Ausbildungs- oder Wohnheimbauförderung gestellt werden (sollten), zumal gerade Familien mit Kindern auf die Förderung des Familienheimbaues angewiesen sind" (BTDrucks. 9/410, S. 11). Dementsprechend war auch nach dem Entwurf des Haushaltsbegleitgesetzes 1983 in § 11 BKGG der Abzug der Absetzungen nach § 7 b EStG ursprünglich vorgesehen (BTDrucks. 9/2140, S. 28). Wenngleich es aber sozialpolitische Erwägungen rechtfertigen könnten, die Absetzungen nach § 7 b EStG von einem generell angeordneten Verbot des Ausgleichs von Einkünften mit fiktiven Verlusten auszunehmen, folgt daraus nicht, daß der Gesetzgeber eine solche Ausnahmeregelung von Verfassungs wegen treffen mußte. Eine derartige Verpflichtung folgt weder aus Art. 3 Abs. 1 noch aus Art. 6 Abs. 1 GG. Durch die Verwendung eines Teils der positiven Einkünfte für den Erwerb oder Bau eines Hauses wird der aktuelle finanzielle Bewegungsspielraum der Familie allerdings eingeschränkt. Die - vorübergehende Einschränkung des Lebensstandards beruht aber nicht auf dem steuerlichen Abschreibungsverlust nach § 7 b EStG, dem keine reale Wertminderung in gleicher Höhe entspricht. Der unterschiedslose Ausschluß aller fiktiven Verluste vom Verlustausgleich ist daher sachlich gerechtfertigt.

b) Für das Verbot des Ausgleichs von Einkünften mit realen Verlusten aus anderen Einkunftsarten gilt das dagegen nicht in gleicher Weise. Anders als fiktive Verluste mindern diese das Einkommen effektiv und führen dazu, daß bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise das Gesamteinkommen geringer ist als die Summe der positiven Einkünfte.

Diese Ungleichheit der wirtschaftlichen Lage kann nicht durchweg mit der Erwägung unberücksichtigt bleiben, daß sich der Kindergeldberechtigte von der verlustbringenden Einkunftsart trennen kann. Bei vielen Fallgruppen wird er zwar in zumutbarer Weise vor die Wahl gestellt werden können, entweder auf die verlustbringende Betätigung zu verzichten oder sich mit dem gekürzten Kindergeld zu begnügen. Dies gilt etwa für Betätigungen, bei denen nicht die Absicht der Gewinnerzielung im Vordergrund steht, sondern mit denen steuerliche oder sonstige Vorteile verfolgt werden, oder für unrentable Tätigkeiten, die mehr oder weniger aus Liebhaberei ausgeübt werden. Auch eine Erwerbstätigkeit, die der Kindergeldberechtigte fortsetzt, obwohl sie auf Dauer keine positiven Einkünfte mehr erwarten läßt, zählt dazu.

Es verbleiben aber Fälle, in denen ein Verlust aus einer Erwerbstätigkeit nicht in dieser Weise der Verantwortungssphäre des Kindergeldberechtigten zugerechnet werden kann, sondern auf äußeren wirtschaftlichen Bedingungen beruht und möglicherweise zunächst nicht einmal vom Kindergeldberechtigten vorhergesehen werden kann. Selbst wenn aus einer Tätigkeit bereits früher Verluste eingetreten waren, kann in solchen Fällen dem Anspruchsberechtigten die Weiterführung der Erwerbstätigkeit nicht angelastet werden, wenn für die Zukunft wieder positive Einkünfte erwartet werden konnten. Jedenfalls für einen gezielten Ausschluß des Verlustausgleichs in solchen Fällen ließe sich ein sachlicher Grund nicht finden.

§ 11 Abs. 1 BKGG enthält des weiteren, worauf das Bundessozialgericht in seiner Vorlage abhebt, insofern eine Ungleichbehandlung der negativen Einkünfte, als er den Ausgleich von Einkünften mit Verlusten zwar zwischen verschiedenen Einkunftsarten ausschließt, innerhalb derselben Einkunftsart aber zuläßt, und zwar auch mit solchen Verlusten, die nach den vorstehenden Ausführungen nicht berücksichtigt werden müßten. Auch für diese Differenzierung bestünde von der Sache her kein einleuchtender Grund.

3. Selbst wenn danach § 11 Abs. 1 BKGG zu Nivellierungen und Differenzierungen führt, für die keine hinreichenden materialen Gründe ersichtlich sind, hat die Vorschrift dennoch Bestand, weil der Gesetzgeber der Verwaltungspraktikabilität entscheidendes Gewicht beimessen durfte. Bereits im Gesetzgebungsverfahren des 7. BAföGÄndG ist für die entsprechende Vorschrift des § 21 Abs. 1 BAföG zum Ausdruck gebracht worden, daß die Regelung nicht voll befriedige, aber aus Gründen der Praktikabilität gerechtfertigt sei (vgl. BTDrucks. 9/603, S. 23, 24 ff.). Diese Erwägungen liegen ersichtlich auch dem Haushaltsbegleitgesetz 1983 zugrunde.

a) Der Gesichtspunkt, daß der Gesetzgeber den praktischen Erfordernissen der Verwaltung Rechnung tragen darf, kann eine Ungleichbehandlung bei der Regelung von Massenerscheinungen rechtfertigen. Allerdings gilt dies nur mit Einschränkungen. Der Gesichtspunkt der Verwaltungsökonomie darf regelmäßig nur in geringfügigen und besonders liegenden Fällen zu Ungleichheiten führen, während stärkere Belastungen ganzer Gruppen das Maß des verfassungsrechtlich Zulässigen überschreiten können. Sofern die Belastung gering ist, können Gründe der Praktikabilität jedoch auch die Benachteiligung größerer Gruppen rechtfertigen (vgl. BVerfGE 44, 283 ≪288≫).

b) Nach diesen Grundsätzen ist der Ausschluß des Verlustausgleichs nach Maßgabe des § 11 Abs. 1 BKGG verfassungsrechtlich zulässig.

Das Ziel des Gesetzgebers, sozialpolitisch nicht berücksichtigungswürdige Verluste bei der Gewährung des erhöhten Kindergeldes außer Betracht zu lassen, ist legitim. Eine Regelung, welche die in Frage kommenden Fälle genau erfassen würde, konnte der Gesetzgeber zur Verfolgung dieses Ziels als unzumutbar erachten, weil sie einen unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwand erfordert hätte. Eine Auseinanderrechnung der fiktiven und der realen Verluste würde wirtschaftliche und steuerliche Ermittlungen und Wertungen durch die Kindergeldbehörden erfordern, für die sie sachlich und personell hinreichend ausgestattet werden müßten. Außerdem wäre in jedem Einzelfall die schwierige Frage zu entscheiden, ob ein realer Verlust auch zu einer sozialen Bedürftigkeit nach den oben dargelegten Maßstäben führt. Der dadurch verursachte Verwaltungsaufwand würde den mit der Kürzungsregelung verfolgten Einsparungseffekt zu einem erheblichen Teil zunichte machen. Zudem ist zu berücksichtigen, daß zur dringend erforderlichen Haushaltssanierung eine schnelle, sofort greifende gesetzliche Regelung geboten war. In einer solchen Situation muß es grundsätzlich zugelassen werden, daß der Gesetzgeber ein einfaches Verfahren ohne unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwand entwickelt und dabei gewisse, in ihrer Auswirkung nicht schwerwiegende Mängel in Kauf nimmt (vgl BVerfGE 29, 402 ≪411 f.≫).

Soweit der Gesetzgeber den Verlustausgleich zwischen verschiedenen Einkunftsarten ausgeschlossen hat, durfte er davon ausgehen, daß in vielen davon betroffenen Fällen die Voraussetzungen vorliegen, unter denen ein Verlust nach den dargelegten Kriterien nicht berücksichtigt werden muß. Erfaßt werden nur Fälle, in denen der Kindergeldberechtigte aus anderen Einkunftsarten überdurchschnittliche Einkünfte erzielt. In solchen Fällen wird es häufig so sein, daß der Verlust nicht auf einer auf Gewinnerzielung ausgerichteten Erwerbstätigkeit entstanden ist, sondern auf der Ausnutzung steuerlicher Vergünstigungen oder auf sonstigen Umständen beruht, die eine Außerachtlassung des Verlustes bei der Kindergeldgewährung gestatten. Im übrigen sind von der Kürzungsregelung zum weit überwiegenden Teil Familien mit zwei Kindern betroffen, bei denen die Minderung des Kindergeldes im Jahr höchstens 360 DM beträgt.

Aus ähnlichen Erwägungen rechtfertigt sich die Zulassung des Verlustausgleichs innerhalb derselben Einkunftsart. Der Gesetzgeber hätte nicht berücksichtigungswürdige Verluste auch insoweit nur durch die Einführung eines Verfahrens konkret feststellen lassen können, dessen Aufwand unverhältnismäßig gewesen wäre. Andererseits mußte der Gesetzgeber deshalb auf das Verbot des vertikalen Verlustausgleichs nicht verzichten, da er damit das Regelungsziel wenigstens zum Teil verwirklichen konnte. Den Kindergeldberechtigten, die keine nicht berücksichtigungswürdigen Verluste erlitten haben, wird dadurch nichts genommen, denn ihr Anspruch auf das ungekürzte Kindergeld bleibt unberührt. Sachwidrige Auswirkungen kann die Regelung nur insofern haben, als durch den horizontalen Verlustausgleich Kindergeldbezieher, die in Wirklichkeit nicht in vollem Umfang förderungswürdig sind, ebenfalls in den Genuß des ungekürzten Kindergeldes kommen. Dies kann unter Berücksichtigung des dadurch ersparten Verwaltungsaufwands hingenommen werden.

c) Hinsichtlich der erhöhten Absetzungen nach § 7 b EStG, um die es - wie auch die vorgelegten Fälle zeigen - praktisch in den meisten der von § 11 Abs. 1 BKGG betroffenen Fälle gehen wird, hätte der Gesetzgeber allerdings ohne großen Verwaltungsaufwand eine sachgerechtere Lösung treffen können. Er hätte beispielsweise den Finanzämtern aufgeben können, bei der Einkommensteuerveranlagung den Kindergeldberechtigten zur Vorlage bei der Kindergeldbehörde eine Bestätigung darüber auszustellen, ob und in welcher Höhe Absetzungen nach § 7 b EStG steuerlich berücksichtigt worden sind. Eine solche Regelung hätte sich jedoch nicht für sämtliche nicht berücksichtigungswürdige Verluste treffen lassen. Wenn der Gesetzgeber zwischen diesen nicht differenzieren wollte, lag dies im Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit.

4. Durfte danach der Gesetzgeber nach Maßgabe des § 11 Abs. 1 BKGG den Verlust als solchen unberücksichtigt lassen, dann war er entgegen der in der Vorlage des Sozialgerichts Lüneburg vertretenen Auffassung auch nicht verpflichtet, wenigstens die auf diesen Verlust entfaltende fiktive Steuer zum Abzug von den Einkünften zuzulassen. Diese Steuerbelastung ist den betroffenen Kindergeldberechtigten tatsächlich nicht entstanden und konnte daher ihre soziale Bedürftigkeit nicht beeinträchtigen.

III.

Auch das Verbot des Verlustausgleichs zwischen Ehegatten verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG (i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG). Da sich im Kindergeldrecht die soziale Bedürftigkeit nach dem Einkommen beurteilt, das der Familie insgesamt zur Verfügung steht, müßte der Gesetzgeber bei der Berechnung des für die Kindergeldminderung maßgeblichen Jahreseinkommens nicht allein auf die positiven Einkünfte des Kindergeldberechtigten abstellen, sondern konnte die Gesamteinkünfte der Ehegatten berücksichtigen, wenn beide Eheleute nicht dauernd getrennt leben und somit in der Lebenswirklichkeit auch tatsächlich gemeinschaftlich wirtschaften. Der Schutz der Ehe als Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft macht es nicht erforderlich, außer den positiven grundsätzlich auch die negativen Einkünfte des Ehegatten zu berücksichtigen. Da der alleinstehende Kindergeldberechtigte nach der Entscheidung des Gesetzgebers seine positiven Einkünfte nur mit negativen Ergebnissen innerhalb derselben Einkunftsart ausgleichen kann, ist es nur konsequent, wenn auch Verluste des Ehegatten vom Ausgleich mit positiven Einkünften des Kindergeldberechtigten ausgeschlossen sind, die der Ehegatte in einer anderen Einkunftsart erlitten hat. Das Verbot des Verlustausgleichs richtet sich in diesen Fällen nicht gezielt gegen den verheirateten Kindergeldberechtigten und diskriminiert diesen somit nicht um der Ehe willen, sondern trifft alleinstehende Kindergeldberechtigte in gleicher Weise.

Für die Fälle, in denen positiven Einkünften des Kindergeldberechtigten negative Einkünfte des Ehegatten in derselben Einkunftsart gegenüberstehen, hält die Regelung des § 11 Abs. 1 Satz 2 BKGG einer Prüfung am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG ebenfalls stand. Jeder Kindergeldberechtigte kann seine positiven Einkünfte nur mit eigenen Verlusten verrechnen, gleichgültig ob er alleinstehend oder verheiratet ist. Der verheiratete Kindergeldberechtigte wird nicht dadurch benachteiligt, daß ihm positive Einkünfte des Ehegatten angerechnet werden, denn das Familieneinkommen, das Maßstab für die soziale Bedürftigkeit ist, wird durch solche Einkünfte erhöht. Negative Einkünfte des Ehegatten sind ebenso zu behandeln wie negative Einkünfte des Kindergeldberechtigten. Beruhen sie auf fiktiven Verlusten, sind sie sozialrechtlich irrelevant. Liegen ihnen reale Verluste zugrunde, die nach den oben aufgestellten Maßstäben zu einer sozialen Schutzbedürftigkeit führen, wird das Verbot des Verlustausgleichs in diesen wenigen Einzelfällen durch Gesichtspunkte der Verwaltungspraktikabilität gerechtfertigt, weil die Kindergeldstellen nicht in der Lage sind, ohne unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwand das Vorliegen anzuerkennender realer Verluste zu erkennen.

 

Fundstellen

BStBl II 1990, 653

BVerfGE 82, 60-105 (Leitsatz und Gründe)

BB 1990, 1750 (Leitsatz 1-3 und Gründe)

DB 1990, 1492-1497 (Leitsatz und Gründe)

HFR 1990, 513-515 (Kurzwiedergabe)

StE 1990, 262 (Kurzwiedergabe)

WPg 1990, 516 (red. Leitsatz)

StRK EStG 1975, Allg. R.66 (red. Leitsatz und Gründe)

FR 1990, 449 (red. Leitsatz und Gründe)

NJW 1990, 2869-2876 (Leitsatz und Gründe)

EuGRZ 1990, 218-231 (Leitsatz und Gründe)

BGBl I 1990, 1513

FamRZ 1990, 955-965 (Leitsatz und Gründe)

FuR 1990, 218-227 (red. Leitsatz und Gründe)

NJW-RR 1990, 1410 (Leitsatz)

StW 1990, 475-479 (Kurzwiedergabe)

WM IV 1990, 1594-1603 (red. Leitsatz und Gründe)

ZAP, EN-Nr. 551/90 (red. Leitsatz)

ZBR 1990, 261 (Leitsatz)

Breith 1990, 663-692 (Leitsatz und Gründe)

DBlR, 3561a, BKGG/§ 11 (Leitsatz und Gründe)

DVBl 1990, 884 (Kurzwiedergabe)

EzFamR GG Art. 6, Nr. 11 (Leitsatz und Gründe)

FPR 1995, 20-22 (red. Leitsatz und Gründe)

JuS 1991, 161 (Leitsatz)

MBI 1990, 1084 (Leitsatz 1-3)

MDR 1990, 1088-1090 (red. Leitsatz und Gründe)

RdJB 1991, 469-475 (Kurzwiedergabe)

SozR, 3-1100 Art. 20 Nr. 3 (Leitsatz 1-3)

SozR, 3-1100 Art. 3 Nr. 7 (Leitsatz 1-3)

SozR, 3-1100 Art. 6 Nr. 1 (Leitsatz 1-3)

SozR, 3-5870 § 10 Nr. 1 (Leitsatz und Gründe)

SozSich 1990, 324 (red. Leitsatz)

ZfSH/SGB 1990, 412-424 (Leitsatz und Gründe)

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