Leitsatz (amtlich)

Ein "negativer" Zugunstenbescheid nach KOV-VfG § 40 Abs 1 kann auch dann im gerichtlichen Verfahren nachgeprüft werden, wenn die frühere Verwaltungsentscheidung vor den Sozialgerichten angegriffen und das (frühere) Gerichtsverfahren durch einen gerichtlichen Vergleich beendet worden ist (Ergänzung zu BSG 1975-01-28 10 RV 173/74).

 

Normenkette

SGG § 101 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03; KOVVfG § 40 Abs. 1

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 16. Januar 1974 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

 

Gründe

Bei dem Kläger sind mehrere Leiden als Schädigungsfolgen anerkannt, unter anderem eine Lungentuberkulose mit sekundärer Herzschädigung und Veränderungen an beiden Kniegelenken. Im Bescheid vom 4. Januar 1954 wurde eine wesentliche Besserung angenommen und die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) ab 1. Dezember 1953 auf 40 v. H. herabgesetzt. In einem Zugunstenbescheid vom 9. Dezember 1959 wurde die MdE für die Zeit vom 1. März 1954 bis 31. Dezember 1955 auf 50 v. H. und ab 1. Januar 1956 auf 40 v. H. festgesetzt. In dem anschließenden gerichtlichen Verfahren schlossen die Beteiligten am 14. Mai 1965 vor dem Bayerischen Landessozialgericht (LSG) folgenden Vergleich:

"Der Beklagte erklärt sich bereit, dem Kläger für die im Zugunstenbescheid des VA Nürnberg vom 9.12.59 anerkannten Schädigungsfolgen vom 1.3.54 bis 31.12.55 Rente nach einer MdE um 60 v. H. und vom 1.1.56 bis 31.1.60 Rente nach einer MdE um 50 v. H. zu gewähren.

Die Beteiligten sind sich darüber einig, daß ab 1.2.60 Rente nach einer MdE um 40 v. H. zu gewähren ist.

Der Proz. Bev. des Klägers nimmt im Einverständnis mit dem Kläger das Angebot an.

Die Beteiligten betrachten den Rechtsstreit mit diesem Vergleich als erledigt".

Der entsprechende Ausführungsbescheid erging am 15. Juli 1965.

Bereits am 18./21. Juni 1965 hatte der Kläger einen Antrag auf Gewährung eines Berufsschadensausgleichs gestellt. Diesen Antrag lehnte das Versorgungsamt (VersorgA) durch Bescheid vom 19. Juli 1965 ab, da der Kläger nicht Schwerbeschädigter sei. Der Kläger erhob Widerspruch und machte geltend, mit seinem Antrag vom 18. Juni 1965 habe er die Erhöhung der MdE nach § 30 Abs. 2 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) wegen beruflicher Betroffenheit beantragen wollen. Durch einen weiteren Bescheid vom 16. Juni 1966 lehnte das VersorgA auch diesen Antrag ab. Der Widerspruch des Klägers war erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 6. Dezember 1966).

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage, die auf Gewährung einer Rente nach einer MdE um 50 v. H. und auf Gewährung eines Berufsschadensausgleichs nach der Besoldungsgruppe A 14 des Bundesbesoldungsgesetzes (BBesG) gerichtet war, durch Urteil vom 17. September 1969 abgewiesen. Das LSG hat umfangreiche Ermittlungen durchgeführt und die Berufung des Klägers durch Urteil vom 16. Januar 1974 zurückgewiesen; es hat die Revision zugelassen. In den Gründen wird ausgeführt, vorliegend beruhe die Festsetzung des Grades der MdE mit zuletzt 40 v. H. nicht auf einem Bescheid, sondern auf einer vertraglichen Vereinbarung der Beteiligten, nämlich einem Prozeßvergleich. Dieser Vergleich sei in der Sozialgerichtsbarkeit der Parteidisposition entzogen. Die Vorschrift des § 40 Abs. 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VerwVG) sei überhaupt nur anwendbar, wenn der Versorgungsanspruch zuletzt durch einen rechtsverbindlichen Bescheid festgestellt worden sei. Der Bescheid vom 15. Juli 1965 falle nicht darunter, weil er lediglich in Ausführung des Prozeßvergleichs erteilt worden sei. Ebensowenig wie sich der Beklagte durch Erteilung eines Zuungunstenbescheides nach § 41 VerwVG von einem Vergleich lossagen könne, könne der Kläger die Erteilung eines Zugunstenbescheides verlangen. Auch eine neue Regelung i. S. eines "Zweitbescheides" sei dem Beklagten durch den Vergleich verwehrt. Soweit der Kläger die Unwirksamkeit des Vergleiches geltend machen wolle, könne dies nur in Fortsetzung des alten Verfahrens geschehen; eine neue Klage sei unzulässig.

Dieses Urteil wurde dem Kläger am 28. Februar 1974 zugestellt, der dagegen am 26. März 1974 Revision eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 24. April 1974 begründet hat.

Der Kläger beantragt zu erkennen:

1.

Das Urteil des Sozialgerichts München vom 17.9.1969 und das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 16.1.1974 werden aufgehoben.

2.

Unter Abänderung seiner Bescheide vom 19.7.1965 und 16.6.1966, beide in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6.12.1966 wird der Beklagte verpflichtet, dem Kläger ab 1. Januar 1964 Rente nach einer MdE um 50 v. H. und einen Berufsschadensausgleich nach dem Endgrundgehalt der Besoldungsgruppe A 14 des Bundesbesoldungsgesetzes zu gewähren.

3.

Der Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

In seiner Revisionsbegründung rügt der Kläger eine Verletzung der §§ 133, 157 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) und des § 30 Abs. 1 und 2 BVG. Er trägt dazu vor, die Auffassung des LSG, die Ablehnung des beantragten Zugunstenbescheides habe sachlich nicht überprüft werden können, sei unzutreffend. Das LSG habe den Gegenstand des Prozeßvergleichs vom 14. Mai 1965 verkannt. Den Streitgegenstand des seinerzeitigen Verfahrens habe eindeutig nur die gesundheitliche Beeinträchtigung, die körperliche Schädigung selbst, gebildet. Zur Zeit der Klageerhebung (1956) habe der Kläger nach der damaligen Gesetzeslage eine besondere berufliche Betroffenheit zur Begründung der von ihm begehrten Erhöhung des MdE-Grades nicht anführen können. Beide Parteien des Prozeßvergleichs seien ganz offensichtlich davon ausgegangen, daß der Grad der MdE nur die körperliche Schädigung widerspiegele. Folgerichtig habe auch die Versorgungsverwaltung den Antrag des Klägers auf Abgeltung des beruflichen Schadens sachlich behandelt und sich nicht auf den formellen Standpunkt des LSG zurückgezogen.

Der Beklagte beantragt,

die Revision des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 16.1.1974 als unbegründet zurückzuweisen.

Er bezieht sich auf die nach seiner Meinung widerspruchs- und rechtsirrtumsfreien Ausführungen im Urteil des Berufungsgerichts und trägt weiter vor, die MdE könne, auch in einem Prozeßvergleich, nur einheitlich festgesetzt werden. Grundsätzlich sei davon auszugehen, daß bei der Festsetzung einer Rente sowohl § 30 Abs. 1 als auch Abs. 2 BVG Anwendung gefunden habe. Die Auslegung des Prozeßvergleichs könne überhaupt nicht Gegenstand des angefochtenen Urteils sein. Mangels der formellen Voraussetzungen für einen Zugunstenbescheid sei die Ablehnung eines derartigen Bescheides im Anschluß an einen Prozeßvergleich von dem Gericht nicht auf ihre sachliche Berechtigung hin nachzuprüfen.

Die durch Zulassung gemäß § 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte Revision ist von dem Kläger frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 164, 166 SGG); sie ist daher zulässig. Die Revision ist auch insoweit begründet, als sie zur Aufhebung und Zurückverweisung an das Berufungsgericht führt. Der Senat vermag sich der Auffassung des LSG, daß die Erteilung eines Zugunstenbescheides nach § 40 Abs. 1 VerwVG rechtlich unzulässig ist, wenn der Versorgungsanspruch zuletzt nicht durch einen Bescheid, sondern durch einen Vergleich (Prozeßvergleich) festgestellt worden ist, nicht anzuschließen.

Der erkennende Senat hat bereits in seinem zur Veröffentlichung bestimmten Urteil vom 28. Januar 1975 (10 RV 173/74) ausgesprochen, daß der gerichtlichen Nachprüfung eines - negativen - Zugunstenbescheides (§ 40 Abs. 1 VerwVG) nicht entgegensteht, daß der frühere Bescheid durch ein rechtskräftiges Urteil bestätigt worden ist. Der Senat hat sich insoweit auf die ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) stützen können. Danach wird die Änderung eines bindend gewordenen Bescheides zu Gunsten des Adressaten nicht dadurch ausgeschlossen, daß dieser Bescheid ohne Erfolg vor einem Gericht der Sozialgerichtsbarkeit (SGb) angefochten worden ist (vgl. BSG 10, 248, 249; 13, 181, 186; 26, 89, 90; SozR Nr. 5 zu § 40 VerwVG; Nr. 1 zu § 93 RKG; Nr. 12 zu § 1300 RVO; BVBl 1966, 38; siehe auch Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, S. 728 h; Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, § 141 Seite II/266).

Bei dieser Entscheidung hat sich der Senat von folgenden Erwägungen leiten lassen: Der Grundsatz der Rechtssicherheit muß in den Fällen hinter dem Grundsatz der materiellen Gerechtigkeit zurücktreten, in denen sich die Verwaltung von der Unrichtigkeit ihrer - zum Nachteil des Beschädigten ergangenen - Entscheidung überzeugt bzw. überzeugen muß (vgl. BSG in SozR Nr. 3 zu § 40 VerwVG; BSG 26, 146); das gilt insbesondere auf dem Gebiet der Kriegsopferversorgung (KOV). Ein zwingender Grund, von dem in § 40 Abs. 1 VerwVG deutlich zum Ausdruck gekommenen Rangverhältnis zwischen materieller Gerechtigkeit und Rechtssicherheit dann abzuweichen, wenn es sich um eine im gerichtlichen Verfahren überprüfte Verwaltungsentscheidung (Bescheid) handelt, besteht nicht. Die Tatsache der gerichtlichen Überprüfung kann nichts an der Notwendigkeit ändern, es in Fällen als unrichtig feststellbarer oder unhaltbarer Verwaltungsentscheidungen bei dem Recht und der Pflicht der Verwaltung zur Änderung ihrer Entscheidung zu Gunsten des Adressaten zu belassen. Eine Ungleichbehandlung der Versorgungsberechtigten wäre unvermeidbar, wenn eine Zugunstenregelung nach § 40 Abs. 1 oder Abs. 2 VerwVG davon abhängig wäre, ob das Versorgungsrechtsverhältnis durch eine - bindende - Verwaltungsentscheidung oder erst im anschließenden gerichtlichen Verfahren durch ein rechtskräftiges Urteil - möglicherweise in gewisser Abweichung von dem angefochtenen Bescheid - geregelt worden ist.

Nach Auffassung des Senats müssen die gleichen Erwägungen auch dann maßgebend sein, wenn das gerichtliche Verfahren nicht durch ein rechtskräftiges Urteil, sondern durch einen Prozeßvergleich beendet worden ist. Dabei ist zunächst zu beachten, daß ein Prozeßvergleich nicht voraussetzungslos im Raume steht, sondern daß eine Verwaltungsentscheidung (Bescheid und Widerspruchsbescheid, vgl. §§ 78, 95 SGG) vorangegangen sein muß. Das anschließende Klageverfahren (§§ 87 ff SGG) kann in vielfältiger Weise beendet werden, z. B. durch Klagerücknahme (§ 102 SGG), durch ein streitiges Urteil (§§ 123 ff SGG), durch ein angenommenes Anerkenntnis (§ 101 Abs. 2 SGG) oder durch einen Prozeßvergleich (§ 101 Abs. 1 SGG). - Die Beendigung durch einen außergerichtlichen Vergleich soll hier nur erwähnt werden -. Ein Vergleich wird häufig aus rein "optischen" (statistischen) oder Gründen der Prozeßökonomie geschlossen, um der Versorgungsverwaltung eine Verurteilung oder dem Gericht die Absetzung des Urteils zu ersparen (vgl. zum Regelungsinhalt und zur Wirksamkeit eines Prozeßvergleichs BSG 26, 210; SozR Nr. 9 zu § 101 SGG). Die Rechtsstellung des Berechtigten darf nicht entscheidend dadurch beeinträchtigt werden, daß er sich - möglicherweise auf Zureden des Gerichts - zu einem Vergleich bereit erklärt hat, statt auf einem Urteil zu beharren. Eine derartige Rechtsfolge wäre insbesondere in den Fällen unbillig und unredlich gegenüber dem Beschädigten, wenn die Versorgungsverwaltung - wie im vorliegenden Falle - nur unwesentlich "nachgegeben" hat (vgl. hierzu § 779 BGB) und die ursprüngliche Verwaltungsentscheidung in ihrem wesentlichen Inhalt bestehen geblieben ist. Wenn die Auffassung des LSG richtig wäre, würde es überdies die gerichtliche Fürsorgepflicht gegenüber dem Beschädigten gebieten, diesem von dem Abschluß eines Vergleiches abzuraten. Gerade ein Vergleich trägt aber regelmäßig eine versöhnliche Note und ist geeignet, Mißtrauen abzubauen und ein zunächst streitiges Verhältnis im gegenseitigen Einverständnis zu regeln.

Das LSG hat seine Entscheidung vorwiegend damit begründet, daß ein Prozeßvergleich der Parteidisposition entzogen ist (vgl. BSG in SozR Nr. 6 zu § 101 SGG; s. auch aaO Nr. 4 = BVBl 1962, 139) und daß sich auch die Versorgungsverwaltung nicht einseitig von einem Prozeßvergleich lossagen und einen Bescheid zu Ungunsten des Berechtigten erteilen darf (vgl. BSG 7, 279). Das LSG verkennt insoweit, daß auf dem Gebiet des Kriegsopferrechts grundlegende Unterschiede bestehen zwischen den Voraussetzungen für die Erteilung eines Zugunstenbescheides (§ 40 VerwVG) und den Anforderungen an einen Zugunstenbescheid (vgl. § 41 und - mit Einschränkungen - auch § 42 VerwVG). Nach § 40 Abs. 1 VerwVG kann die Verwaltungsbehörde zu Gunsten des Berechtigten "jederzeit" einen neuen Bescheid erteilen. Irgendeine Einschränkung in materieller oder zeitlicher Hinsicht (vgl. § 43 VerwVG) ist in dieser Vorschrift nicht enthalten. Das Gesetz geht also erkennbar davon aus, daß die Erteilung eines neuen, der materiellen Rechtslage entsprechenden und für den Berechtigten günstigeren Bescheides nicht an der formellen Bindungswirkung (vgl. § 77, aber auch § 141 SGG) scheitern soll; sie ist auch nicht von den strengen Voraussetzungen des Wiederaufnahmeverfahrens (§§ 179 ff SGG i. V. m. §§ 578 ff ZPO) abhängig (vgl. dagegen § 42 Abs. 1 Nr. 4 bis 9 VerwVG). In seinem Urteil vom 24. Juni 1969 (BSG 29, 278, 282) hat der erkennende Senat lediglich zum Ausdruck gebracht, daß das Handlungsermessen der Verwaltungsbehörde nicht voraussetzungslos eingeräumt ist, sondern daß der Vorschrift des § 40 Abs. 1 VerwVG das - ungeschriebene - Tatbestandsmerkmal "wenn die frühere Entscheidung tatsächlich und rechtlich unrichtig ist", ergänzend hinzugefügt werden muß. Diese Wortgebung war erkennbar auf den damaligen Streitfall bezogen und besagt nichts darüber, daß ein Zugunstenbescheid dann ausgeschlossen sein soll, wenn die ursprüngliche Entscheidung im gerichtlichen Verfahren angefochten worden ist. Im übrigen trifft der Begriff "Entscheidung" nicht nur auf Verwaltungsentscheidungen, sondern auch auf gerichtliche Entscheidungen zu.

Der Vorrang der materiellen Gerechtigkeit zu Gunsten des Berechtigten wird besonders deutlich in § 40 Abs. 2 VerwVG. Danach ist "auf Antrag des Berechtigten" - also regelmäßig zu seinen Gunsten - ein neuer Bescheid zu erteilen, wenn das BSG in ständiger Rechtsprechung nachträglich eine andere Auffassung vertritt, als der früheren Entscheidung zugrunde gelegen hat. Eine entsprechende Bescheiderteilung zu Ungunsten des Berechtigten ist der Versorgungsverwaltung jedoch verwehrt. Die Berichtigung zu Ungunsten des Berechtigten ist in § 41 VerwVG an strenge Voraussetzungen geknüpft (vgl. Verwaltungsvorschrift Nr. 2 zu § 41 VerwVG) und unter anderem davon abhängig, daß die tatsächliche und rechtliche Unrichtigkeit der früheren Entscheidung "außer Zweifel steht". Eine Ermessensfreiheit - wie in § 40 Abs. 1 VerwVG - ist der Verwaltungsbehörde hier erkennbar nicht eingeräumt. Damit übereinstimmend ist auch eine neue Bescheiderteilung nach § 42 VerwVG nur unter erschwerten Voraussetzungen zulässig (vgl. z. B. § 42 Abs. 2 VerwVG), ganz abgesehen davon, daß diese Vorschrift an die Fristbestimmungen des § 43 VerwVG geknüpft ist. Unter Beachtung dieser - unterschiedlichen - Grundlagen des Versorgungsrechts, die auch in dem Gesetz selbst ihren Niederschlag gefunden haben, ist der Senat der Auffassung, daß die Anwendung des § 40 Abs. 1 VerwVG nicht auf die Fälle beschränkt ist, in denen ein Verwaltungsakt bereits im Verwaltungsverfahren oder durch Rücknahme des Rechtsmittels bindend geworden ist (vgl. §§ 77 SGG, 24 VerwVG), sondern auch diejenigen Fälle umfaßt, in denen ein Verwaltungsakt im gerichtlichen Verfahren angegriffen und das gerichtliche Verfahren durch Urteil oder Vergleich beendet worden ist. Diese Rechtsfolge gilt jedenfalls dann, wenn der angegriffene Bescheid im gerichtlichen Verfahren in seinem wesentlichen Regelungsinhalt bestätigt oder völlig unverändert geblieben ist. Eine unterschiedliche Bewertung von Urteilen und Prozeßvergleichen wäre hier umso weniger gerechtfertigt, da auch ein gerichtlicher Vergleich den Rechtsstreit erledigt und insoweit einem Urteil gleichsteht (vgl. SozR BSG Nr. 4 zu § 101 SGG). Der Vertreter des Beklagten hat überdies in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bestätigt, daß es ständiger Verwaltungspraxis entspricht, daß auch nach einem vorangegangenen Urteil oder Vergleich Bescheide nach § 40 Abs. 1 VerwVG (- "positiver" Zugunstenbescheid -) erteilt werden. Die Rechtsfolgen und insbesondere die gerichtliche Nachprüfbarkeit können aber nicht davon abhängig gemacht werden, ob es sich um einen "positiven" oder "negativen" Zugunstenbescheid (vgl. hierzu insbesondere BSG 29, 278) handelt, weil dann ein rechtsfreier Raum entstehen würde, der weder mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) noch mit § 54 Abs. 2 SGG vereinbar wäre.

Bei dieser Rechtslage brauchte nicht geprüft zu werden, ob der Kläger die Wirksamkeit des Prozeßvergleichs auch aus anderen Gründen, z. B. durch Anfechtung (vgl. §§ 119, 123 BGB), hätte angreifen können und ob darüber in Fortsetzung des alten Verfahrens oder in einem neuen gerichtlichen Verfahren zu entscheiden ist (vgl. BSG 7, 279; SozR Nr. 4 zu § 101 SGG). Ebensowenig brauchte darüber entschieden zu werden, ob der Widerspruchsbescheid vom 6. Dezember 1966 nur den Bescheid vom 16. Juni 1966 oder auch den Bescheid vom 19. Juli 1965 umfaßt. Sollte eine Erhöhung der MdE gemäß § 30 Abs. 2 BVG in Betracht kommen und dem Kläger damit die Schwerbeschädigteneigenschaft zustehen, so wird auch die Frage der Gewährung eines Berufsschadensausgleichs neu zu bescheiden sein.

Das LSG hat zwar umfangreiche Ermittlungen durchgeführt, jedoch von seinem Rechtsstandpunkt aus keine Feststellungen darüber getroffen (§ 163 SGG), ob die Voraussetzungen für die Erteilung eines Zugunstenbescheides nach § 40 Abs. 1 VerwVG gegeben ist. Dies wird das LSG nachzuholen haben. Eine eigene Entscheidung in der Sache ist dem Senat daher verwehrt (vgl. § 170 Abs. 2 Satz 2 SGG).

Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1653325

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