Leitsatz (amtlich)

Hat die Bundesanstalt für Arbeit (BA) zunächst für einen späteren Konkursausfallgeld-Zeitraum Arbeitslosengeld nach § 117 Abs 4 AFG gezahlt und Kranken- und Rentenversicherungsbeiträge entrichtet (§ 155 ff AFG) so wird der Erstattungsanspruch der BA (§§ 160, 166a AFG) von dem Erstattungsanspruch der BA gegen die Einzugsstelle (§ 141n Abs 2 S 2 AFG) verdrängt (Fortführung und Fortentwicklung von BSG 26.8.1982 10 RAr 21/81 = SozR 4100 § 160 Nr 4 und BSG 14.12.1982 10 RAr 5/82 = SozR 7910 § 59 Nr 14).

 

Orientierungssatz

1. Der Bundesanstalt für Arbeit (BA) steht ein Beitragserstattungsanspruch unmittelbar gegen den Schuldner nicht zu. Nach § 141n Abs 2 AFG bleibt der Beitragsanspruch der Einzugsstelle bestehen. Die BA hat nur einen Anspruch auf Abführung der von der Krankenkasse eingezogenen Beiträge.

2. Die Bundesanstalt für Arbeit nimmt wegen der vom Arbeitgeber nicht entrichteten, von ihr tatsächlich nach § 117 Abs 4, 155, 157 AFG gezahlten Beiträge am Konkursverfahren überhaupt nicht mehr teil, soweit sie nach dem Eintritt des Insolvenzereignisses rückwirkend allein nach § 141n Abs 1 AFG geschuldet wurden.

 

Normenkette

AFG § 117 Abs 4 S 1, § 141n Abs 2 S 1 Fassung: 1979-07-23, § 141n Abs 2 S 2 Fassung: 1979-07-23, §§ 155, 157, 160 Abs 1 S 1, § 166a; KO § 59 Abs 2 S 1 Alt 2 Fassung: 1984-03-08; KO § 59 Abs 2 Fassung: 1974-07-17; AFG § 141n Abs 1

 

Verfahrensgang

SG Düsseldorf (Entscheidung vom 30.09.1985; Aktenzeichen S 15a Ar 100/84)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob der von der Beklagten geltend gemachte Anspruch auf Erstattung von Kranken- und Rentenversicherungsbeiträgen als Masseschuld oder als bevorrechtigte Forderung zu berichtigen ist.

Am 1. Oktober 1982 wurde über das Vermögen der Firma K. H. KG in Duisburg das Konkursverfahren eröffnet. Bei diesem Betrieb waren bis zur Konkurseröffnung ua die Arbeitnehmer B., R. und H. beschäftigt. Auf ihren Antrag gewährte die Beklagte ihnen schon für einen Zeitraum vor Eröffnung des Konkursverfahrens gemäß § 117 Abs 4 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) Arbeitslosengeld (Alg) und entrichtete für sie Beiträge zur Kranken- und Rentenversicherung. Mit Bescheid vom 3. Oktober 1983 machte die Beklagte gegenüber dem Kläger, der Konkursverwalter über das Vermögen der Firma K. H. KG ist, die Erstattung der Krankenversicherungs- und Rentenversicherungsbeiträge für die Zeit vom 27. bis 30. September 1982 als Masseschuld geltend. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte zurück.

Das Sozialgericht (SG) hat der Klage stattgegeben und zur Begründung ua ausgeführt, die Beklagte könne die Erstattung der Kranken- und Rentenversicherungsbeiträge nicht als Masseschuld, sondern lediglich als eine bevorrechtigte Forderung nach § 61 Abs 1 Nr 1 Buchst e iVm § 59 Abs 2 der Konkursordnung (KO) geltend machen.

Mit der - vom SG zugelassenen - Sprungrevision rügt die Beklagte die Verletzung materiellen Rechts und macht geltend, das SG habe für seine Entscheidung zu Unrecht die Urteile des Bundessozialgerichts (BSG) vom 26. August 1982 - 10 RAr 21/81 - SozR 4100 § 160 Nr 4 - und vom 14. Dezember 1982 - 10 RAr 5/82 - SozR 7910 § 59 Nr 14 - herangezogen. Die Entscheidung vom 26. August 1982 sei zu § 141n AFG idF vor Änderung durch das Fünfte AFG-Änderungsgesetz (5. AFG-ÄndG) ergangen. Zwar habe das BSG in dem Urteil vom 14. Dezember 1982 ausgeführt, daß die Gesetzesänderung keinen Einfluß auf den nach § 59 Abs 2 KO geregelten Rang der durch das Konkursausfallgeld (Kaug) abgedeckten Lohn- und Beitragsansprüche habe. Diese Entscheidung betreffe jedoch nur die bei der Einzugsstelle verbliebenen Beitragsansprüche. Sie enthalte keine Aussage zum Rang des ihr, der Beklagten, nach den §§ 160 Abs 1 und 166a AFG zustehenden Anspruchs auf Erstattung der im Rahmen der Arbeitslosenversicherung für die Arbeitnehmer geleisteten Beiträge.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 30. September 1985 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Die Beigeladene zu 2.) ist ebenfalls der Auffassung, daß die Revision unbegründet sei. Die Beigeladenen zu 1.) und 3.) haben sich nicht geäußert.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Das SG hat die angefochtenen Bescheide im Ergebnis zu Recht aufgehoben, weil die Beklagte den von ihr als Masseschuld geltend gemachten Erstattungsanspruch gegen den Kläger nicht hat.

Auszugehen ist davon, daß die Beklagte, nachdem sie gemäß § 117 Abs 4 Satz 1 AFG wegen der tatsächlich ausgebliebenen Arbeitsentgeltzahlung des Arbeitgebers den betroffenen Arbeitnehmern für die Zeit vom 27. bis 30. September 1982, dem Tag vor der Eröffnung des Konkurses, Alg gewährt und für sie die entsprechenden Beiträge zur Kranken- und Rentenversicherung entrichtet hatte, zunächst gemäß §§ 160, 166a AFG gegen den Arbeitgeber einen entsprechenden Erstattungsanspruch hatte; zugleich war damit der Arbeitgeber von seiner Verpflichtung befreit, die Beiträge an die Krankenkasse zu entrichten (§ 160 Abs 1 Satz 2 AFG). Damit war nicht nur die Anspruchsberechtigung der Einzugsstelle auf die Beiträge, sondern der Beitragsanspruch gegen den säumigen Arbeitgeber durch den Erstattungsanspruch der Bundesanstalt für Arbeit (BA) ersetzt worden.

Nach dem Eintritt des Insolvenzereignisses - hier: Eröffnung des Konkursverfahrens am 1. Oktober 1982 - war die Beklagte verpflichtet, für die Arbeitnehmer B., R. und H. gemäß §§ 141b, 141d AFG für den gleichen Zeitraum neben der Zahlung von Kaug auch - und nur darauf kommt es hier an - gemäß § 141n AFG die Kranken- und Rentenversicherungsbeiträge zu entrichten. Anders als nach der bis zum 31. Juli 1979 gültig gewesenen Fassung des § 141n Satz 3 AFG iVm § 141m AFG, wonach die entsprechenden Ansprüche auf das Arbeitsentgelt auch insoweit auf die BA übergingen, bleibt nach der Neuregelung des § 141n AFG durch das 5. AFG-Änderungsgesetz der Anspruch auf die Beiträge in der Hand der Einzugsstelle gegen den Arbeitgeber bestehen (§ 141n Abs 2 Satz 1 AFG nF); die Einzugsstelle hat aus den vom Arbeitgeber oder dem Konkursverwalter geleisteten Zahlungen der Beklagten die von dieser nach § 141n Abs 1 Satz 1 AFG entrichteten Beiträge zu erstatten (§ 141n Abs 2 Satz 2 AFG nF).

Damit entstehen in den Fällen, in denen die BA vor dem Eintritt des Insolvenzereignisses gemäß § 117 Abs 4 AFG Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung für einen später durch die Kaug-Versicherung ebenfalls abgedeckten Zeitraum erbracht hat, konkurrierende Beitragspflichten der Beklagten, die, wie aus der Natur der Beiträge folgt, nur einmal zu erfüllen sind. Korrespondierend mit der doppelten Leistungspflicht der Beklagten entstehen für sie auch zweifache Erstattungsansprüche, nämlich vor dem Eintritt des Insolvenzereignisses der Beitragserstattungsanspruch gemäß §§ 160 Abs 1 Satz 1, 166a AFG unmittelbar gegen den mit der Lohnzahlung säumig gebliebenen Arbeitgeber und nach dem Eintritt des Insolvenzereignisses - aber für denselben Zeitraum - gegen die Einzugsstelle der Anspruch auf Erstattung der aufgewendeten Beiträge aus den Zahlungen, die die Einzugsstelle im Rahmen des Konkursverfahrens erhält (§ 141n Abs 2 Satz 2 AFG nF).

Der erkennende Senat hat, wovon auch das SG zutreffend ausgegangen ist, zum Konkurrenzverhältnis beider Beitragsverpflichtungen der Beklagten und ihrer Erstattungsansprüche bereits in dem Urteil vom 26. August 1982 - 10 RAr 21/81 - (SozR 4100 § 160 Nr 4) - allerdings nur für das vor dem Inkrafttreten des 5. AFG- Änderungsgesetzes am 1. August 1979 gültig gewesenen Recht - Stellung genommen und die Frage nach der konkursrechtlichen Qualität der Forderung im Sinne des § 160 Abs 1 AFG (jetzt: §§ 160 Abs 1, 166a AFG nF) dahin entschieden, daß letztere von dem Anspruch aus § 141n Satz 3 AFG iVm § 141m verdrängt wird. Der Senat hat dies aus dem Schutzcharakter der Vorschrift des § 117 Abs 4 AFG, dem Vorrang der umfassenderen und spezielleren Leistungspflicht der Beklagten aus der Kaug- Versicherung gegenüber ihrer Leistungspflicht aus der Arbeitslosenversicherung und aus der Zielrichtung des § 59 Abs 2 Satz 1, 2. Alternative, KO, abgeleitet. Die von der Beklagten mit der Revision gegen diese Abgrenzung des Rangverhältnisses beider Ansprüche erhobenen Bedenken sind nicht stichhaltig: Zwar erlischt in den Fällen des § 117 Abs 4 AFG der ursprüngliche Beitragsanspruch gegen den Arbeitgeber, und an seine Stelle tritt der Erstattungsanspruch der BA gegen den Arbeitgeber. Dieser Erstattungsanspruch, der - unbeschadet der vom Gesetzgeber gewählten Rechtskonstruktion - der BA jedenfalls inhaltlich einen dem Beitrag der Höhe nach entsprechenden Anspruch gewährt (s dazu Urteil des erkennenden Senats vom 22. April 1986 - 10 RAr 7/85 -, zur Veröffentlichung bestimmt), kann im Falle des Zusammentreffens mit Erstattungsansprüchen gemäß § 141n AFG im Hinblick auf die Vorrangigkeit der Leistungen aus der Kaug-Versicherung nicht aufrechterhalten bleiben, zumal da für die BA dann mit dem Erstattungsanspruch im Sinne des § 141n Abs 2 Satz 2 AFG nF ein doppelter Anspruch auf Ersatz ihrer Beitragsaufwendungen bestehen bliebe. Die Grundlage für die Entscheidung über das Konkurrenzverhältnis der beiden Ansprüche der Beklagten findet sich daher nicht in den Vorschriften des § 141n Satz 3 AFG aF iVm § 141m AFG (= § 141n Abs 2 AFG nF) einerseits und der §§ 160, 166a AFG andererseits, sondern folgt allein aus dem Vorrang der Leistungen aus der Kaug-Versicherung. Dies hat der erkennende Senat auch bereits in Fortführung seiner mit dem Urteil vom 26. August 1982 (aaO) begonnenen Rechtsprechung in dem Urteil vom 14. Dezember 1982 - 10 RAr 5/82 - (SozR 7910 § 59 Nr 14) ausgesprochen und hier insbesondere ergänzend auf die Bedeutung des § 59 Abs 2 KO (idF des Gesetzes vom 17. Juli 1974 -BGBl I 1481-) für den Vorrang des Anspruches der BA im Sinne des § 141n (iVm § 141m) AFG hingewiesen. Ziel dieser nunmehr durch die Neufassung des § 59 Abs 2 KO idF des Art 2 des 5. Gesetzes zur Änderung der Pfändungsfreigrenzen vom 8. März 1984 (BGBl I 364) klargestellten Vorschrift ist es, nicht nur die auf die BA übergegangenen Ansprüche, sondern alle Erstattungsansprüche der BA für die im Konkursfall erfüllten Beitragsansprüche zu Konkursforderungen herabzustufen. Folgerichtig ist daher in der Begründung zum Entwurf des 5. Gesetzes zur Änderung der Pfändungsfreigrenzen bezüglich der Änderung des § 59 Abs 2 KO (Art 2) und der sich hierauf beziehenden Übergangsregelung (Art 3 Abs 3) darauf hingewiesen worden, daß die Neuregelung eine in Verwaltung und Rechtsprechung entstandene Rechtsunsicherheit beseitigen und klarstellen soll, daß - wie vom Gesetzgeber seinerzeit im Interesse der Erhaltung größerer Masse- anteile für nicht durch Kaug gedeckte Lohnansprüche beabsichtigt - die Ansprüche auf Pflichtbeiträge im Konkurs ebenso wie die auf die BA übergegangenen Ansprüche auf Alg bloße Konkursforderungen sind (BT-Drucks 10/229, S 3, 41 f; vgl ebenso den Ausschußbericht BT-Drucks 10/718, S 14). Dementsprechend erlischt auch in den nach dem 1. August 1979 eintretenden und nach neuem Recht zu beurteilenden Fällen des Zusammentreffens von Beitragserstattungsansprüchen gemäß §§ 160 Abs 1, 166a AFG mit den gemäß § 141n Abs 2 Satz 1 AFG nF in der Hand der Einzugsstelle aufrechterhaltenen und gemäß § 141n Abs 2 Satz 2 AFG nF der BA im Innenverhältnis zur Einzugsstelle zustehenden Beiträgen der erstgenannte Anspruch. Wegen dieser Rechtsfolge konnte sich der Gesetzgeber auch darauf beschränken, in § 59 Abs 2 KO nF nur die Beitragsansprüche der Einzugsstelle im Sinne des § 141n Abs 2 Satz 1 AFG, jedoch nicht auch die der BA gemäß §§ 160 Abs 1, 166a AFG vom Arbeitgeber zu erstattenden Beiträge zu Konkursforderungen herabzustufen. Der erkennende Senat hält deshalb auch unter Berücksichtigung der mit dem 5. AFG-Änderungsgesetz erfolgten Änderung des § 141n AFG - Aufrechterhaltung der von der BA befriedigten Beitragsansprüche gegenüber dem Arbeitgeber (§ 141n Abs 2 Satz 1 AFG nF) und Erstattung erfolgter Zahlungen durch die Einzugsstelle an die BA (§ 141n Abs 2 Satz 2 AFG nF) - daran fest, daß auch nach der ab 1. August 1979 geltenden Rechtslage die Erstattungsansprüche der BA gemäß §§ 160, 166a AFG mit der Entstehung des Erstattungsanspruches gemäß § 141n Abs 2 Satz 2 AFG nF - unbeschadet des Umstandes, daß dieser Anspruch sich gegen die Einzugsstelle richtet, die den Beitragsanspruch behält und im Konkursverfahren zu realisieren hat - erlöschen. Geändert hat sich mit dem 5. AFG-Änderungsgesetz mithin nicht der materielle Gehalt des Erstattungsanspruches der BA, sondern nur die Art und Weise seiner Realisierung gegen den Schuldner (Arbeitgeber). Da der Beitragsanspruch - anders als bisher (§ 141n Satz 3 AFG aF iVm § 141m Abs 1 AFG) - nicht mehr auf die BA übergeht, sondern bei der Einzugsstelle verbleibt, steht der BA nach neuem Recht ein Anspruch unmittelbar gegen den Schuldner nicht mehr zu; sie nimmt wegen der vom Arbeitgeber nicht entrichteten, von ihr tatsächlich nach §§ 117 Abs 4, 155,157 AFG gezahlten, jedoch nach dem Eintritt des Insolvenzereignisses rückwirkend allein nach § 141n Abs 1 AFG geschuldeten Beiträge am Konkursverfahren überhaupt nicht mehr teil. Allein schon deshalb sind die angefochtenen Bescheide rechtswidrig, so daß das angefochtene Urteil jedenfalls im Ergebnis der Sach- und Rechtslage entspricht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

ZIP 1986, 852

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