Entscheidungsstichwort (Thema)

Bisheriger Beruf bei landwirtschaftlichen Unternehmern

 

Leitsatz (amtlich)

Bei der Prüfung der Erwerbsunfähigkeit nach § 2 Abs 2 Buchst a GAL iVm § 1247 Abs 2 RVO kann der landwirtschaftliche Unternehmer grundsätzlich auf alle Tätigkeiten des gesamten Arbeitsfeldes verwiesen werden (Fortführung und Weiterentwicklung von BSG 1969-06-19 11/7 RLw 24/66 = BSGE 29, 263 = SozR Nr 2 zu § 2 GAL 1965; BSG 1973-05-25 11 RLw 6/72 = BSGE 36, 27 = SozR Nr 2 zu § 41 GAL 1965).

 

Orientierungssatz

Bei landwirtschaftlichen Unternehmern ist als bisheriger Beruf eine selbständige Erwerbstätigkeit in Betrieben ähnlichen Umfangs wie der vom Unternehmer bewirtschaftete Betrieb anzusehen (vgl BSG vom 1973-05-25 11 RLw 6/72 = BSGE 36, 27).

 

Normenkette

GAL § 2 Abs 2 Buchst a Fassung: 1965-09-14; RVO § 1247 Abs 2 Fassung: 1957-02-23

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches LSG (Entscheidung vom 07.03.1983; Aktenzeichen L 1 Lw 6/82)

SG Lübeck (Entscheidung vom 15.04.1982; Aktenzeichen S 8 Lw 9/80)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger ab Juli 1980 ein vorzeitiges Altersgeld zusteht.

Der 1923 geborene Kläger, ein gelernter Landwirt, bewirtschaftete seit 1953 den landwirtschaftlichen Familienbetrieb von rund 120 ha, den er ab Juli 1980 auf 12 Jahre seinem Sohn verpachtete. Bis Ende Juni 1980 war er kraft Gesetzes beitragspflichtiges Mitglied der Beklagten; bis März 1983 setzte er gemäß § 27 des Gesetzes über eine Altershilfe für Landwirte (GAL) die Entrichtung von Beiträgen fort.

Im Juni 1980 stellte der Kläger einen Antrag auf vorzeitiges Altersgeld gemäß § 2 Abs 2 GAL wegen Wirbelsäulenbeschwerden, den die Beklagte nach medizinischer Begutachtung mit Bescheid vom 15. Oktober 1980 ablehnte; der Kläger sei nicht erwerbsunfähig iS von § 1247 Abs 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO).

Die Klage hat das Sozialgericht (SG) nach Anhörung eines medizinischen Sachverständigen abgewiesen, das Landessozialgericht (LSG) hat ihr nach Einholung von medizinischen Befundunterlagen, eines fachorthopädischen Gutachtens sowie nach Anhörung eines berufskundigen Sachverständigen stattgegeben (Urteile vom 15. April 1982 und 7. März 1983). Es hält die Voraussetzungen des § 2 Abs 2 GAL sämtlich für gegeben; insbesondere sei der Kläger iS des § 1247 Abs 2 RVO erwerbsunfähig. Er könne aufgrund der festgestellten Gesundheitsstörungen seit Juni 1980 nur noch leichte Arbeiten fortgesetzt vollschichtig und mittelschwere Arbeiten mit Unterbrechung vollschichtig ohne häufiges Bücken, Heben und Tragen von schweren Lasten und ohne Gefährdung durch Atemreizstoffe verrichten. Damit sei er nicht mehr in der Lage, seinen Beruf als Landwirt auszuüben, denn in ihm fielen jedenfalls zeitweise schwere Arbeiten an. Zwar liege deswegen Erwerbsunfähigkeit noch nicht vor, da die selbständige Tätigkeit als Landwirt der Verweisung auf eine unselbständige Beschäftigung außerhalb der Landwirtschaft nicht entgegenstehe, doch seien Arbeitsplätze in nennenswertem Umfang nicht vorhanden, auf die der Kläger zumutbar verwiesen werden könnte. Größe und Ertrag des landwirtschaftlichen Unternehmens rechtfertigten es, ihn mit dem Inhaber eines mittleren Handwerksbetriebes gleichzustellen. Für die Verweisung sei er danach der Gruppe "Vorarbeiter mit Vorgesetztenfunktion" zuzuordnen und nur auf Facharbeitertätigkeiten zu verweisen; geeignete Arbeitsplätze dieser Art gebe es jedoch für ihn nicht. Eine aufsichtsführende Tätigkeit auf dem eigenen Hof scheitere schon daran, daß er das Unternehmen abgegeben habe.

Das LSG hat wegen der Frage, welche Verweisungstätigkeiten für einen selbständigen Landwirt in Betracht kommen, der einen größeren Hof abgibt, die Revision zugelassen. Die Beklagte hat die Revision eingelegt; sie beantragt, das Urteil aufzuheben und die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Zur Begründung rügt sie eine rechtsfehlerhafte Anwendung von § 2 Abs 2 Buchst a GAL, § 1247 Abs 2 RVO. Entgegen dem LSG spiele die Verweisbarkeit keine Rolle, da der Kläger vollschichtig arbeiten könne. Bei Vollzeittätigkeiten sei von hinreichenden Arbeitsplätzen auszugehen, so daß der Arbeitsmarkt nicht verschlossen sei. Im übrigen habe der Kläger als Landwirt aufsichtsführende Tätigkeiten ausgeübt, die er verrichten könne; für körperlich schwere Arbeiten im Beruf stünden ihm Hilfskräfte zur Verfügung.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Auf die von der Beklagten eingelegte Revision ist das Urteil des LSG ohne Einschränkung nachzuprüfen; der vom LSG für die Zulassung angegebene Grund bedeutet entgegen dem Kläger nicht, daß die revisionsgerichtliche Überprüfung auf die dort bezeichnete Rechtsfrage beschränkt sei.

Die Revision ist begründet. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, während des vom Senat zu berücksichtigenden Zeitraums, der mit dem Erlaß des angefochtenen Urteils endet, dem Kläger ein vorzeitiges Altersgeld zu gewähren.

Von den Voraussetzungen, die § 2 Abs 2 GAL an den Bezug dieser Leistung knüpft, ist nur die des Buchst a) im Streit; danach wird verlangt, daß der landwirtschaftliche Unternehmer iS des § 1247 Abs 2 RVO erwerbsunfähig ist. Ist das beim Kläger nicht der Fall, dann entfällt der Anspruch auf das vorzeitige Altersgeld schon aus diesem Grunde. Daß nach der hier gegebenen Sachlage damit zugleich auch die Voraussetzungen der Buchst b) und c) des Gesetzes entfallen, ist dann für das Ergebnis nicht mehr von Belang.

Nach § 1247 Abs 2 RVO, auf den das GAL auch sonst mehrfach abstellt (§ 3 Abs 2 Buchst b, § 3a Abs 1 Buchst a, § 40 Abs 1 Buchst a; s auch § 41 Abs 1 Buchst a, der für die Landabgaberente auf die Berufsunfähigkeit iS von § 1246 Abs 2 RVO verweist), ist erwerbsunfähig der Versicherte, der infolge von Krankheit, Gebrechen oder Schwäche auf nicht absehbare Zeit eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit nicht mehr ausüben oder nicht mehr als nur geringfügige Einkünfte durch Erwerbstätigkeit erzielen kann. Beides ist dem Kläger in der in Rede stehenden Zeit indes möglich gewesen.

Mit dem LSG hält es auch der Senat für angezeigt, bei der Prüfung der Erwerbsunfähigkeit eines Versicherten ebenso wie bei der Prüfung der Berufsunfähigkeit regelmäßig zunächst die im bisherigen Beruf verbliebene Erwerbsfähigkeit festzustellen, bevor auf die Erwerbsfähigkeit in Verweisungstätigkeiten eingegangen wird. Das LSG war der Meinung, daß der Kläger in seinem bisherigen Beruf als selbständiger Landwirt nicht mehr im erforderlichen Umfang tätig sein könne, weil er zur Leistung körperlich schwerer Arbeit nicht imstande sei. Wie der Senat zur Berufsunfähigkeit iS von § 41 Abs 1 Buchst a GAL bereits ausgeführt hat (BSGE 36, 27, 29 = SozR Nr 2 zu § 41 GAL 1965), ist bei landwirtschaftlichen Unternehmern als bisheriger Beruf eine selbständige Erwerbstätigkeit in Betrieben ähnlicher Art und ähnlichen Umfangs wie der vom Unternehmer bewirtschaftete Betrieb anzusehen. Maßgebend wäre also, ob der Kläger einen solchen landwirtschaftlichen Betrieb nicht mehr in einer Weise selbständig bewirtschaften kann, daß er dort - wie das § 1247 Abs 2 RVO voraussetzt - weder die Tätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben noch mehr als geringfügige Einkünfte zu erzielen vermag. Dies erscheint nach den vom LSG getroffenen Feststellungen zumindest zweifelhaft. Das LSG hat nicht festgestellt, daß ein landwirtschaftlicher Unternehmer in vergleichbarer Betriebsgröße während der streitigen Zeit keine Hilfskräfte zur Verfügung hatte; auch der Kläger, der früher zahlreiche Hilfskräfte besaß, stand offenbar vor der Abgabe noch nicht ohne jede Hilfskraft da. Es ist daher nicht ohne weiteres einsichtig, daß ein landwirtschaftlicher Unternehmer in vergleichbaren Betrieben die schweren Arbeiten selbst verrichten müßte, so daß er bei Unfähigkeit hierzu den Betrieb nicht mehr in einer Erwerbsunfähigkeit ausschließenden Weise sinnvoll bewirtschaften könnte. Doch mag dies letztlich offenbleiben, weil der Kläger entgegen der Annahme des LSG jedenfalls in anderen Tätigkeiten ausreichend erwerbsfähig ist.

Bei der Prüfung der noch in Betracht kommenden Erwerbstätigkeiten ist das LSG davon ausgegangen, daß der Kläger nach Lebensstellung, Kenntnissen und Fähigkeiten eines Landwirts mit entsprechendem Besitz der Arbeitergruppe mit dem Leitbild des "Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion" zuzuordnen sei; er dürfe darum zumutbar nur auf Tätigkeiten verwiesen werden, die nach ihrer tariflichen Einstufung in die Gruppe des Facharbeiters fallen. Dieser Ausgangspunkt war verfehlt; das LSG hat übersehen, daß es hier um die Erwerbsunfähigkeit des Klägers nach § 1247 Abs 2 und nicht um die Berufsunfähigkeit nach § 1246 Abs 2 RVO geht. Das vom LSG herangezogene "Stufenschema" hat indessen nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) Bedeutung nur für eine Verweisung im Rahmen von § 1246 Abs 2 RVO (BSGE 36, 27, 28 mit Hinweisen; BSGE 43, 243, 246 = SozR 2200 § 1246 Nr 16; BSGE 45, 276, 278 = SozR 2200 § 1246 Nr 27; SozR aa0 Nrn 29 und 35). Bei der Prüfung der Erwerbsunfähigkeit iS des § 1247 Abs 2 RVO kann ein Versicherter demgegenüber grundsätzlich auf alle Tätigkeiten des gesamten Arbeitsfeldes verwiesen werden (BSGE 19, 147, 148 = SozR Nr 6 zu § 1247 RVO). Das gilt auch innerhalb der gesetzlichen Altershilfe für Landwirte, wenn dort die Erwerbsunfähigkeit iS des § 1247 Abs 2 RVO Anspruchsvoraussetzung ist. Dementsprechend hat der Senat in BSGE 29, 263, 266 = SozR Nr 2 zu § 2 GAL 1965 gerade unter Bezugnahme auf BSGE 19, 147 betont, daß (auch) bei dem landwirtschaftlichen Unternehmer die Frage des sozialen Abstiegs bei der Verweisung auf selbständige oder unselbständige Berufstätigkeiten außerhalb des landwirtschaftlichen Betriebes bei Prüfung ihrer Erwerbsunfähigkeit keine Rolle spiele; nur Treu und Glauben könnten hier im Einzelfall der Verweisung Grenzen ziehen. In seiner zweiten in Betracht kommenden Entscheidung (BSGE 30, 71, 73, 74) hat der Senat an dieser Auffassung festgehalten. Der Senat hat dabei zwar hervorgehoben, daß sich der Begriff der Erwerbsunfähigkeit im Recht der Altershilfe nicht in jeder Hinsicht mit dem Begriff der Erwerbsunfähigkeit in der Arbeiterrentenversicherung decke; er unterliege Einschränkungen, die sich aus dem Zweck des Altersgeldes ergäben. Das bezog sich aber nur auf wegen Altenteilsleistungen oder Flächenrückbehalts möglicherweise zu berücksichtigende, vorliegend nicht gegebene örtliche Bindungen an den abgegebenen Betrieb. Bei der hier wesentlichen Frage nach der Zumutbarkeit von Verweisungstätigkeiten kann hingegen keine andere Grenze als in der Rentenversicherung gelten, zumal das GAL ausdrücklich Erwerbsunfähigkeit "i.S. des § 1247 Abs 2 RVO" verlangt und diese Vorschrift schon in der Rentenversicherung ohne Zweifel auch (dort versicherte) Selbständige erfaßt.

Bei der Verweisbarkeit des Klägers im Rahmen von § 2 Abs 2 Buchst a GAL iVm § 1247 Abs 2 RVO dürfen daher allenfalls gewisse äußerste Grenzen nicht überschritten werden. Es ist nicht erkennbar, daß sie hier überschritten würden. Der Kläger kann, wie unangefochten festgestellt, leichte Arbeiten fortgesetzt vollschichtig und mittelschwere Arbeiten im Wechselrhythmus mit Unterbrechung (s hierzu SozR Nr 5 zu § 1247 RVO) vollschichtig ohne häufiges Bücken, Heben und Tragen von schweren Lasten sowie ohne Atemreizstoffe verrichten. In diesem Kreis gibt es zahlreiche Erwerbstätigkeiten, deren Ausübung zur Vermeidung von Erwerbsunfähigkeit dem Kläger zumutbar ist. Das LSG hat zwar bestimmte Verweisungstätigkeiten, die dem Leistungsvermögen entsprechend für den Kläger in Frage kommen, nicht bezeichnet. Dies ist hier jedoch unschädlich. Denn abgesehen davon, daß dem "Bezeichnungsgebot" im Rahmen von § 1247 Abs 2 (und § 1246 Abs 2) RVO keine eigenständige Bedeutung, sondern eine Hilfsfunktion zukommt (so der erkennende Senat in SozR 2200 § 1246 Nr 105), ist angesichts des festgestellten Leistungsvermögens eine konkrete Benennung geeigneter Tätigkeiten entbehrlich; es ist offensichtlich, daß es für den Kläger zumutbare Erwerbstätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt.

Ob für solche Tätigkeiten Arbeitsplätze in ausreichendem Umfange vorhanden sind, hätte das LSG - was es verkannt hat - nicht zu prüfen brauchen; auch der Senat ist einer dahingehenden Feststellung enthoben. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG (SozR 2200 § 1246 Nr 30; § 1247 Nr 33, jeweils mit Hinweisen) ist der Frage nach den Arbeitsplätzen bei einem vollschichtig Arbeitsfähigen nämlich nur dann nachzugehen, wenn er die Tätigkeit nicht unter den betriebsüblichen Arbeitsbedingungen verrichten oder entsprechende Arbeitsplätze von seiner Wohnung aus nicht erreichen kann oder wenn die Tätigkeiten nicht in Tarifverträgen erfaßt werden bzw nur vereinzelt vorkommen. Daß eines dieser Kriterien einschlägig wäre, läßt sich aus dem Sachverhalt nicht entnehmen.

Hiernach ist der erste Alternativtatbestand von § 1247 Abs 2 Satz 1 RVO nicht gegeben; der Kläger war durch Krankheit, Gebrechen oder Schwäche in der entscheidungserheblichen Zeit nicht gehindert, einer Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit nachzugehen. Erwerbsunfähigkeit aufgrund der zweiten Alternative besteht ebenfalls nicht. Es ist offenkundig, daß mit den in Betracht kommenden vollschichtigen Erwerbstätigkeiten mehr als geringfügige, dh Einkünfte über einem Achtel der jeweils geltenden Beitragsbemessungsgrenze iS von § 1285 Abs 2 RVO (GS in BSGE 43, 75, 85) erzielt werden können. In den betreffenden Jahren belief sich die Grenze auf monatlich 525 DM, 550 DM, 590 DM und 625 DM; diese Einkünfte hätten unschwer erworben werden können.

Nach alledem stellt sich der angefochtene Bescheid der Beklagten als rechtmäßig dar. Das hat zur Folge, daß das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG zurückzuweisen ist.

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1662170

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