Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundgedanke des AFG § 112 Abs 7. Höhe des Arbeitslosengeldes für eine Praktikantin

 

Orientierungssatz

1. Der Grundgedanke des AFG § 112 Abs 7 ist es, einen Ausgleich für die Fälle zu schaffen, in denen der Arbeitslose gerade in dem verhältnismäßig kurzen Bemessungszeitraum ein wesentlich geringeres Arbeitsentgelt erzielt hatte, als es seiner eigentlichen, während des längeren Zeitraums ausgeübten Tätigkeit entsprochen hätte (vgl BSG vom 1977-10-06 7 RAr 82/76 = SozR 4100 § 112 Nr 6).

2. Zur Frage, ob das Arbeitslosengeld auf der Grundlage des Entgelts für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit einer Praktikantin zu berechnen ist oder ob auf den vorher erlernten Beruf eines Bankkaufmanns zurückzugreifen ist.

3. Zum Vorliegen einer Regelungslücke und zur Zulässigkeit einer Rechtsanalogie im Vergleich mit den Vorschriften der Arbeitslosenhilfe.

4. Darin, daß sich für die Berechtigte günstigere Rechtsfolgen ergeben hätten, wenn sie anstelle des Anspruchs auf Arbeitslosengeld einen originären Anspruch auf Arbeitslosenhilfe nach AFG § 134 Abs 1 Nr 4 Buchst c erworben hätte, ist keine verfassungsrechtlich relevante Ungleichbehandlung zu sehen. Auch gegen das Sozialstaatsprinzip verstößt die zugrunde liegende Regelung des AFG § 112 nicht.

 

Normenkette

AFG § 112 Abs 7 Fassung: 1975-12-18, § 112 Abs 5 Fassung: 1975-12-18, § 134 Abs 1 S 2 Nr 4 Buchst c Fassung: 1975-12-18; GG Art 3 Abs 1 Fassung: 1949-05-23; AFG § 134 Abs 1 Nr 4 Buchst c Fassung: 1975-12-18, § 112 Abs 5 Nr 2 Fassung: 1975-12-18, § 169 Nr 1; RVO § 172 Abs 1 Nr 5

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches LSG (Entscheidung vom 23.03.1979; Aktenzeichen L 1 Ar 70/78)

SG Kiel (Entscheidung vom 29.06.1978; Aktenzeichen S 5 Ar 246/77)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Höhe des der Klägerin zustehenden Arbeitslosengeldes (Alg).

Die Klägerin war vom 1. August 1973 bis 5. Juni 1975 bei einer Bank als Auszubildende beschäftigt und erhielt zuletzt ein Entgelt von 680,80 DM monatlich. Ihr wurde für die Zeit vom 6. Juni bis 31. Juli 1975 (48 Tage) Alg in Höhe von 144,60 DM wöchentlich gewährt. Hierbei wurde das tarifliche Arbeitsentgelt eines Bankkaufmanns von 1.278,-- DM monatlich (295,-- DM wöchentlich) zugrunde gelegt.

Ab 1. August 1975 begann die Klägerin eine Ausbildung als Erzieherin. Sie leistete von diesem Zeitpunkt ab bis zum 31. Juli 1976 in einem Kinderheim das dafür erforderliche Vorpraktikum und erhielt eine Vergütung von 100,-- DM monatlich. Anschließend besuchte sie die Fachschule für Sozialpädagogik in K. Mit Ablauf des Monats Juli 1977 gab sie die Ausbildung wegen ihrer zwischenzeitlich erfolgten Eheschließung und der Geburt eines Kindes ohne Abschluß auf.

Mit Bescheid vom 23. August 1977 gewährte das Arbeitsamt der Klägerin erneut Alg, und zwar ab 1. August 1977 für 186 Wochentage in Höhe von 19,20 DM wöchentlich. Der Bemessung wurde die von 25,-- auf 30,-- DM wöchentlich aktualisierte Vergütung, die die Klägerin als Praktikantin erhalten hatte, zugrunde gelegt. Der Widerspruch, mit dem die Klägerin eine Leistung entsprechend ihrer abgeschlossenen Ausbildung als Bankkaufmann begehrte, wurde zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 16. September 1977).

Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte mit Urteil vom 29. Juni 1978 verurteilt, der Klägerin einen Bescheid zu erteilen, nach welchem ihr ab dem 1. August 1977 ein Alg unter Berücksichtigung des Berufs eines Bankkaufmanns zu gewähren ist.

Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 23. März 1979 die zugelassene Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, der Klägerin stehe ein höheres Alg zwar mangels Erfüllung der Voraussetzungen nicht nach § 112 Abs 5 Nr 2 oder Nr 4 Buchst b Arbeitsförderungsgesetz (AFG) zu. Sie habe ihre Berufsausbildung als Erzieherin nicht mit einer Prüfung abgeschlossen und im übrigen an einer Maßnahme der beruflichen Fortbildung oder Umschulung im Sinne des Gesetzes überhaupt nicht teilgenommen. Sie könne aber unter Berücksichtigung ihres zuvor erlernten Berufs eines Bankkaufmanns nach § 112 Abs 7 AFG höheres Alg beanspruchen. Es wäre nämlich mit Rücksicht auf die von ihr in den letzten drei Jahren vor der Arbeitslosmeldung überwiegend ausgeübte berufliche Tätigkeit unbillig hart, von dem Praktikantenentgelt als maßgeblichem Arbeitsentgelt auszugehen. Eine unbillige Härte ergebe sich für die Klägerin daraus, daß sie, wenn das Alg nach ihrer Praktikantenvergütung bemessen werde, weit hinter ihren erreichten Ausbildungsstand zurückgeworfen werde, und zwar deshalb, weil sie sich um eine weitere Ausbildung bemüht habe. Die Praktikantenvergütung, die nur als Taschengeld, nicht als Lohn für geleistete Arbeit verstanden werden könne, liege noch erheblich unter der Vergütung, die an Auszubildende während der Lehrzeit gezahlt werde. Die Klägerin sei allerdings in den letzten drei Jahren vor der Arbeitslosmeldung nur weniger als ein Jahr und damit nicht überwiegend gegen ein höheres Entgelt tätig gewesen, als der Berechnung des Alg in dem angefochtenen Bescheid zugrundegelegt worden sei. Die Unbilligkeit ergebe sich nicht, wie in der Regel, allein aus dem Vergleich des überwiegend erzielten Verdienstes mit dem Verdienst, nach dem gemäß § 112 Abs 2 AFG das Alg zu berechnen wäre. Es sei jedoch zu berücksichtigen, daß die Klägerin als Praktikantin nicht in einem gewöhnlichen Arbeitsverhältnis mit schlechter Bezahlung gestanden, sondern sich um eine weitere Ausbildung bemüht habe. Die Beschäftigung zur Ausbildung sei im Rahmen des § 112 Abs 7 AFG nicht nur im Hinblick auf die dabei erzielte Entlohnung zu bewerten, da das AFG vielfach zeige, daß es Arbeitslose, die im Anschluß an eine Ausbildung arbeitslos werden, nicht hinter den vorher erreichten Stand zurückwerfen wolle. Das AFG habe den Fall des Anspruchs auf Alg im Anschluß an eine (erfolgreiche oder erfolglose) Ausbildung mit Praktikantenvergütung nach einer vorherigen Berufstätigkeit in seiner für die Klägerin geltenden Fassung nicht bedacht. Die Vorschriften über die Arbeitslosenhilfe (Alhi) zeigten jedoch, daß Ausbildungszeiten auf Schulen oder Hochschulen den Auszubildenden nicht zum Nachteil gereichen sollten. Hätte die Klägerin - etwa nach längerem Studium - keinen Anspruch auf Alg gehabt, so hätte ihr nach § 134 Abs 1 Nr 4 Buchst c AFG iVm § 136 Abs 2 Nr 2 AFG Alhi entsprechend dem Verdienst eines Bankkaufmanns (§ 112 Abs 7 AFG) zugestanden. Günstigere Leistungen der Alhi würden nach § 2 der Alhi-Verordnung selbst dann erbracht, wenn der Arbeitslose nie in einer entlohnten Beschäftigung gestanden habe. Selbst bei erfolgloser Ausbildung verweise das AFG den Arbeitslosen, wenn es an einer Anwartschaft für Alg fehle, nicht auf die Berechnung nach einer etwaigen Praktikantenvergütung, sondern gewähre die Alhi entsprechend der tatsächlichen Leistungsfähigkeit des Betroffenen. Der Betrag der Alhi sei damit wesentlich höher als er wäre, wenn er nach einer niedrigeren Praktikantenvergütung berechnet würde und auch wesentlich höher als ein danach bemessenes Alg. Dies gelte insbesondere bei Personen, die vor ihrer Ausbildung bereits eine andere abgeschlossene Berufsausbildung durchlaufen hätten. Dieser hohen Bewertung und Begünstigung von Ausbildungszeiten nach § 134 Abs 1 Nr 4 Buchst c AFG würde es widersprechen, im Rahmen des § 112 Abs 7 AFG für das Alg Tätigkeiten zur Ausbildung nur entsprechend den dafür gezahlten Vergütungen zu berücksichtigen. Die Tätigkeit der Klägerin zur weiteren Ausbildung dürfe nicht schlechter bewertet werden als ihre vorherige Berufstätigkeit. Die Ausbildungszeit der Klägerin vom 1. August 1975 bis 31. Juli 1976 sei für § 112 Abs 7 AFG der Tätigkeit eines Bankkaufmanns gleichzuachten, weil nur so ein Wertungswiderspruch zwischen der Berücksichtigung von Ausbildungszeiten bei der Berechnung von Alg und Alhi vermieden werden könne.

Mit der Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 112 Abs 7 AFG. Sie macht geltend, die Klägerin habe nicht überwiegend im Sinne des § 112 Abs 7 AFG eine besser bezahlte Tätigkeit ausgeübt. Eine Kumulierung bzw Gleichsetzung der Zeiten des Besuchs der Fachschule für Sozialpädagogik und der Beschäftigung als Auszubildende sei weder mit einer Analogie zu § 134 Abs 1 Nr 4 Buchst c AFG zu begründen noch im Wege einer lückenfüllenden Interpretation des § 112 Abs 7 AFG zu erreichen. § 112 Abs 7 AFG bestimme als Maßstab dafür, wann die Bemessung nach dem im Bemessungszeitraum erzielten Arbeitsentgelt eine unbillige Härte darstelle, ausdrücklich nur die in den letzten drei Jahren vor der Arbeitslosmeldung überwiegend ausgeübte berufliche Tätigkeit. Der Besuch einer Fachschule sei jedoch keine berufliche Tätigkeit. Diese Zeit des Schulbesuchs könne mithin auch nicht gemäß § 112 Abs 7 AFG berücksichtigt werden.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Schleswig-Holsteinischen

Landessozialgerichts vom 23. März 1979 und das

Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 29. Juni 1978

aufzuheben sowie die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und macht sich dessen Gründe zu eigen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist begründet.

Die Klägerin hat entgegen der Auffassung der Vorinstanzen keinen Anspruch auf ein höheres Alg als das von der Beklagten festgesetzte.

Gemäß § 111 Abs 1 AFG beträgt das Alg 68 vH des um die gesetzlichen Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen, verminderten Arbeitsentgelts. Das Arbeitsentgelt iS des § 111 Abs 1 AFG, das hier allein umstritten ist, ist grundsätzlich das im Bemessungszeitraum in der Arbeitsstunde durchschnittlich erzielte Arbeitsentgelt, vervielfacht mit der Zahl der Arbeitsstunden, die sich als Durchschnitt der tariflichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit der Beschäftigungsverhältnisse im Bemessungszeitraum ergibt (§ 112 Abs 2 Satz 1 AFG). Bemessungszeitraum sind die letzten, am Tage des Ausscheidens des Arbeitnehmers aus dem Beschäftigungsverhältnis abgerechneten, insgesamt 20 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt umfassenden Lohnabrechnungszeiträume der letzten die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung vor der Entstehung des Anspruchs (§ 112 Abs 3 Satz 1 AFG). Letzte Beschäftigung in diesem Sinne ist hier die Tätigkeit der Klägerin als Vorpraktikantin. Ihr neuer Anspruch auf Alg ist mit der erneuten Arbeitslosigkeit ab 1. August 1977, der Arbeitslosmeldung im Juli 1977 sowie der Erfüllung der weiteren Voraussetzungen, die unstreitig sind, ab 1. August 1977 entstanden.

Die Tätigkeit der Klägerin als Vorpraktikantin unterlag gemäß § 168 Abs 1 AFG der Beitragspflicht. Sie war zu ihrer Ausbildung beschäftigt und nicht nach § 169 oder einer Rechtsverordnung zu § 173 Abs 1 AFG beitragsfrei. Insbesondere lag Versicherungsfreiheit nicht gemäß § 169 Nr 1 AFG iVm § 172 Abs 1 Nr 5 Reichsversicherungsordnung (RVO) vor. Hierfür wird eine Tätigkeit des Betroffenen zu oder während einer wissenschaftlichen Ausbildung für den zukünftigen Beruf gegen Entgelt verlangt. Die Ausbildung an einer Fachschule ist jedoch keine wissenschaftliche; diese kann erst im Hochschulbereich erfolgen.

Zutreffend hat die Beklagte bei der Bemessung des Alg nach § 112 Abs 2 Satz 1 AFG das gemäß § 112a AFG aktualisierte Entgelt, das die Klägerin als Praktikantin erhalten hat, zugrunde gelegt. (Arbeitsentgelt im Sinne des § 112 AFG ist auch die Vergütung, die eine Auszubildende erhält). Ausnahmen, die eine Feststellung des Arbeitsentgelts abweichend von dieser Regel gemäß § 112 Abs 5 AFG in der hier maßgeblichen Fassung vom 18. Dezember 1975 zulassen, liegen nicht vor, wie das LSG zutreffend erkannt hat. In Betracht käme hier nur eine Feststellung gemäß § 112 Abs 5 Nr 2 oder Nr 4 Buchst b AFG. Für die Zeit einer Beschäftigung zur Berufsausbildung, wie es die Tätigkeit einer Vorpraktikantin ist, kann eine Feststellung des Arbeitsentgelts gemäß § 112 Abs 5 Nr 2 AFG nur dann erfolgen, wenn der Arbeitslose die Abschlußprüfung bestanden hat. Eine Abschlußprüfung hat die Klägerin zwar bei ihrer Ausbildung zum Bankkaufmann abgelegt. Hier ist aber für die Feststellung des Arbeitsentgelts die Ausbildung zur Erzieherin maßgebend (§ 112 Abs 3 AFG). Diese Berufsausbildung hat die Klägerin jedoch abgebrochen. Eine Feststellung des Arbeitsentgelts gemäß § 112 Abs 5 Nr 4 Buchst b AFG scheitert schon daran, daß die Klägerin an einer Maßnahme der beruflichen Fortbildung oder Umschulung, die von dem Arbeitsamt gefördert worden ist, nicht teilgenommen hat.

Auch nach § 112 Abs 7 AFG kann hier das Arbeitsentgelt nicht festgestellt werden. Voraussetzung hierfür ist, daß es mit Rücksicht auf die von dem Arbeitslosen in den letzten drei Jahren vor der Arbeitslosmeldung überwiegend ausgeübte berufliche Tätigkeit unbillig hart wäre, von dem Arbeitsentgelt nach den Absätzen 2 bis 6 des § 112 AFG auszugehen. Ob diese Vorschrift im vorliegenden Falle überhaupt Anwendung findet, da die Klägerin bisher keine berufliche Tätigkeit ausgeübt hatte, sondern jeweils nur zur Ausbildung beschäftigt war, kann dahingestellt bleiben.

Das gilt auch für die Frage, ob eine berufliche Tätigkeit im Hinblick auf die Dreijahresfrist überwiegend erst dann ausgeübt ist, wenn sie länger als anderthalb Jahre gedauert hat, oder ob es genügt, wenn sie lediglich länger als die anderen Tätigkeiten ausgeübt wurde. Selbst wenn man zugunsten der Klägerin der letzteren Ansicht ist, kann dies zu keinem für sie günstigeren Ergebnis führen. In den letzten drei Jahren vor ihrer Arbeitslosmeldung im Juli 1977 war sie ein Jahr als Vorpraktikantin beschäftigt und als Auszubildende im Bankfach rund 10 1/3 Monate. Überwiegend hat damit die Beschäftigung als Praktikantin gedauert. Schon deshalb läßt sich nach dem eindeutigen Wortlaut des § 112 Abs 7 AFG in der hier maßgeblichen Fassung vom 18. Dezember 1975 der Anspruch der Klägerin nicht aus dieser Vorschrift herleiten. Dabei ist es unerheblich, ob es unbillig hart erscheint, wenn man den Anspruch auf Alg, den die Klägerin aufgrund ihrer Ausbildung zum Bankkaufmann haben könnte, dem jetzt zuerkannten aufgrund ihrer Ausbildung zur Erzieherin gegenüberstellt. Dieser Vergleich ist rechtlich nicht mehr relevant. Der Grundgedanke des § 112 Abs 7 AFG ist es, einen Ausgleich für die Fälle zu schaffen, in denen der Arbeitslose gerade in dem verhältnismäßig kurzen Bemessungszeitraum ein wesentlich geringeres Arbeitsentgelt erzielt hatte, als es seiner eigentlichen, während des längeren Zeitraums ausgeübten Tätigkeit entsprochen hätte (vgl BSG SozR Nr 5 zu § 90 AVAVG; BSG SozR 4100 § 112 Nr 6).

Auch aus dem Sinnzusammenhang des Gesetzes läßt sich eine für die Klägerin günstigere Regelung nicht finden. Gegen eine Erweiterung der Härteregelung in § 112 Abs 7 AFG spricht schon, daß es sich um eine Ausnahmeregelung handelt, und solche Regeln grundsätzlich eng auszulegen sind. Darüber hinaus besteht entgegen der Auffassung des LSG keine ausfüllungsbedürftige Regelungslücke. Das AFG hat den Fall des Anspruchs auf Alg im Anschluß an eine Ausbildung mit Praktikantenvergütung nach einer vorherigen beruflichen Tätigkeit in seiner hier gültigen Fassung vom 18. Dezember 1975 sehr wohl geregelt. Es hat in § 112 Abs 5 Nr 4 Buchst b bestimmt, daß für die Zeit, in der der Arbeitslose wegen der Teilnahme an einer Maßnahme der beruflichen Fortbildung oder Umschulung Unterhaltsgeld (Uhg) bezogen oder nur wegen des Vorranges anderer Leistungen nicht bezogen hat (§ 107 Satz 1 Nr 5 erster Halbs), das Arbeitsentgelt, nach dem das Uhg zuletzt bemessen worden ist oder zu bemessen gewesen wäre, bei der Feststellung des Arbeitsentgelts zugrunde zu legen ist. Hieraus folgt umgekehrt, daß in den Fällen, in denen der Arbeitslose an einer Maßnahme der beruflichen Fortbildung oder Umschulung teilgenommen hat, die nicht nach den Bestimmungen des AFG gefördert worden ist, die Berechnung des Alg nach den hierfür maßgeblichen anderen Bestimmungen erfolgen soll. Bei der Bildungsmaßnahme, die die Klägerin ergriffen hat, kann es sich nur um eine Maßnahme der Fortbildung oder Umschulung im Sinne der beruflichen Bildung gehandelt haben. Berufsausbildung iS des § 40 AFG kann immer nur die erste zu einem Abschluß führende Bildungsmaßnahme sein. Alle späteren Schritte zur weiteren beruflichen Bildung sind entweder als Fortbildung oder Umschulung zu werten (BSGE 40, 234, 235 f; BSG SozR 4100 § 40 Nr 12; ständ Rspr).

Aus diesem Grunde ist auch eine Rechtsanalogie im Vergleich mit den Vorschriften über die Alhi, die das LSG vorgenommen hat, nicht zulässig. Soweit das Berufungsgericht hierzu außerdem der Auffassung ist, daß hierdurch ein Wertungswiderspruch zwischen der Berücksichtigung von Ausbildungszeiten bei der Berechnung von Alg und Alhi vermieden werden könne, übersieht es, daß ein solcher Widerspruch nicht nur bei Ausbildungszeiten, sondern auch in den anderen Fällen auftreten kann, in denen die Bemessung der Alhi gemäß § 136 Abs 2 Nr 2 AFG erfolgt (s Jaschke, ABA 1970 S 194 f und Lawrenz ABA 1970 S 320 f). In allen diesen Fällen sollen im Gegensatz zur sogenannten Anschluß-Alhi gemäß § 134 Abs 1 Nr 4 Buchst a AFG die Verhältnisse in der Vergangenheit unberücksichtigt bleiben. Der Gesetzgeber hat mit dieser Regelung die davor geltenden Bestimmungen über die Bemessung der Alhi (§ 148 AVAVG) vereinfachen wollen (vgl BT-Drucks V/2291 zu § 134 Abs 2) und hierbei in Kauf genommen, daß Alg-Bezieher unter Umständen schlechter gestellt sind als Empfänger von originärer Alhi.

Die Regelung, die die Beklagte hier für die Bemessung des Alg bei ihrer Entscheidung zugrunde gelegt hat, verstößt auch nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art 3 Abs 1 Grundgesetz (GG). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) liegt ein Verstoß gegen Art 3 Abs 1 GG dann vor, wenn der Gesetzgeber es versäumt, tatsächliche Gleichheiten der zu ordnenden Lebensverhältnisse zu berücksichtigen, die so bedeutsam sind, daß sie bei einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise beachtet werden müssen (BVerfGE 48, 227, 234 f; 45, 376, 386 f). Wenn sich im vorliegenden Falle günstigere Rechtsfolgen für die Klägerin ergeben hätten, wenn sie einen originären Alhi-Anspruch gemäß § 134 Abs 1 Nr 4 Buchst c AFG erworben hätte, so vermag dies eine verfassungsrechtlich relevante Ungleichbehandlung nicht zu begründen. Art 3 GG verbietet nicht die Ungleichbehandlung ungleicher Sachverhalte. Hier ergeben sich die unterschiedlichen Rechtsfolgen auch aus unterschiedlichen Sachverhalten. Einmal ist für die Gewährung von Alhi das Vorliegen von Bedürftigkeit erforderlich, was die Gewährung von Alg nicht erfordert. Zum anderen ist für die Berechnung der Höhe des Alg grundsätzlich von dem zuletzt erzielten Arbeitsentgelt auszugehen. Dieser schlägt dann auch bei der sogenannten Anschluß-Alhi, der ein Anspruch auf Alg vorausgegangen ist, in § 136 Abs 2 Nr 1 AFG durch. In allen anderen Fällen, in denen ein Anspruch auf Alhi begründet sein kann, richtet sich das für die Höhe der Leistung maßgebliche Arbeitsentgelt nach § 112 Abs 7 AFG. Diese Vorschrift ist allerdings nur hinsichtlich ihrer Rechtsfolgen anwendbar, dh, es ist von dem am Wohn- oder Aufenthaltsort des Arbeitslosen maßgeblichen tariflichen oder mangels einer tariflichen Regelung von dem ortsüblichen Arbeitsentgelt derjenigen Beschäftigung auszugehen, für die der Arbeitslose nach seinem Lebensalter und seiner Leistungsfähigkeit unter billiger Berücksichtigung seines Berufs und seiner Ausbildung in Betracht kommt. Es kommt also nicht auf das Arbeitsentgelt an, das der Arbeitslose vorher gehabt hat. Vielmehr kann das nach dieser Vorschrift ermittelte - fiktive - Arbeitsentgelt niedriger sein als das zuletzt verdiente; es ist jedoch auch nicht ausgeschlossen, daß es höher ist. Unter diesen Umständen erscheint es, auch wenn die Feststellung des Arbeitsentgelts nach § 122 Abs 2 AFG in Fällen wie dem vorliegenden zu einem wesentlich niedrigeren Alg führt, als wenn sie nach § 136 Abs 2 Nr 2 AFG erfolgt, nicht gerechtfertigt, diese Regelung als mit dem Gleichheitsgrundsatz unvereinbar zu betrachten. Sie mag zwar nicht in jeder Hinsicht zu überzeugenden oder befriedigenden Ergebnissen führen; hierdurch wird jedoch eine verfassungsrechtlich relevante Ungleichheit nicht begründet.

Auch gegen das Sozialstaatsprinzip verstößt die hier zugrunde liegende Regelung des § 112 AFG nicht. Die Ausgestaltung des Sozialstaatsprinzips des Art 20 GG obliegt vielmehr im wesentlichen dem Gesetzgeber (BVerfGE 1, 97, 105; 8, 274, 329; 36, 73, 84). Ein Anspruch auf eine bestimmte Regelung besteht nicht.

Nach alledem muß die Revision der Beklagten Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1654806

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