Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosengeld. Bemessung. Bemessungszeitraum. Dreimonatszeitraum. Lohnabrechnungszeiträume

 

Leitsatz (amtlich)

  • Bemessungszeitraum bilden nach § 112 Abs 2 S 1 AFG nur die beim Ausscheiden des Arbeitnehmers abgerechneten Lohnabrechnungszeiträume, die in den dreimonatigen Zeitraum beitragspflichtiger Beschäftigung(en) vor der Entstehung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld hineinfallen oder hineinragen.
  • Enthalten diese Lohnabrechnungszeiträume wegen fehlender Abrechnung des letzten Monats nicht drei Monate beitragspflichtiger Beschäftigung, ist auf frühere Lohnabrechnungszeiträume nur zurückzugreifen, wenn sie weniger als 60 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt erfaßt haben.
 

Normenkette

AFG § 111 Abs. 1 Fassung: 1985-12-20, Abs. 2 Fassung: 1985-12-20, § 112 Abs. 2 S. 1 Fassung: 1987-12-14, S. 3 Fassung: 1988-12-20

 

Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 14.03.1995; Aktenzeichen L 7 Ar 134/93)

SG Speyer (Entscheidung vom 14.10.1993; Aktenzeichen S 5 Ar 270/92)

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 14. März 1995 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Die Beteiligten streiten über die Höhe des Arbeitslosengeldes (Alg) des Klägers.

Der Kläger war zuletzt vom 2. April 1990 bis zum 11. Januar 1991 und danach bei einem anderen Arbeitgeber vom 15. Januar 1991 bis zum 30. April 1991 beschäftigt. Sein Verdienst betrug bei jeweils 40 Arbeitsstunden in der Woche im Dezember 1990 3.026,00 DM, vom 1. bis zum 11. Januar 1991 1.109,53 DM, vom 15. bis zum 31. Januar 1991 2.000,00 DM und in den Monaten Februar, März und April 1991 jeweils 4.000,00 DM im Monat. Am 30. April 1991 war der Monat April noch nicht abgerechnet. Am 10. April 1991 meldete er sich beim Arbeitsamt (ArbA) arbeitslos und beantragte Alg.

Mit Bescheid vom 3. Juli und Änderungsbescheid vom 31. Oktober 1991 bewilligte das ArbA dem verheirateten Kläger ab 1. Mai 1991 unter Berücksichtigung eines Kindes und der Arbeitsentgelte, die der Kläger vom 1. Januar 1991 bis 31. März 1991 erzielt hatte, nach einem gerundeten wöchentlichen Bemessungsentgelt von 880,00 DM, der Leistungsgruppe A (Steuerklasse IV) und einer Nettolohnersatzquote von 68 vH 378,60 DM Alg wöchentlich. Der Widerspruch des Klägers, mit dem er geltend machte, das ihm zustehende Alg sei ausschließlich auf der Grundlage seines Verdienstes vom 15. Januar bis 30. April 1991 zu berechnen, blieb erfolglos. Mit Widerspruchsbescheid vom 8. Mai 1992 legte das ArbA dem Kläger dar, daß eigentlich auch der im Dezember 1990 erzielte Verdienst für die Bemessung des Alg hätte berücksichtigt werden müssen, das Bemessungsentgelt deshalb wöchentlich nur 840,00 DM betrage. Die hiergegen erhobene Klage hatte teilweise Erfolg. Das Sozialgericht (SG) hob den Bescheid vom 31. Oktober 1991 idF des Widerspruchsbescheides vom 8. Mai 1992 teilweise auf und verurteilte die Beklagte, bei der Berechnung des Alg ein Bruttoarbeitsentgelt in Höhe von 890,00 DM wöchentlich zugrunde zu legen: Im Falle des Klägers umfasse der Bemessungszeitraum die bis zu seinem Ausscheiden abgerechneten Zeiträume vom 1. Januar bis zum 31. März 1991. Diese Lohnabrechnungszeiträume enthielten mehr als 60 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt, deshalb verlängere sich der Bemessungszeitraum entgegen der Auffassung der Beklagten nicht um die Zeit vom 1. bis 31. Dezember 1990. Aus den in der Zeit vom 1. Januar bis 31. März 1991 in 496,87 Arbeitsstunden erzielten 11.109,53 DM errechne sich ein Arbeitsentgelt von 890,00 DM (11.109,53 DM : 496,87 × 40). Im übrigen wies es die Klage ab.

Die vom SG zugelassene Berufung der Beklagten blieb erfolglos (Urteil vom 14. März 1995). Unter Verweisung auf die Berechnung des Alg durch das SG hat das Landessozialgericht (LSG) ergänzend ausgeführt, daß die von der Beklagten vertretene Auffassung, der Bemessungszeitraum müsse immer drei volle Monate beitragspflichtiger Beschäftigungen enthalten, im Gesetz keine Stütze finde.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 112 Abs 2 Satz 1 und Satz 3 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) in der bis zum 31. Dezember 1993 geltenden Fassung (aF). Sie vertritt die Auffassung, der Bemessungszeitraum umfasse hier auch den Monat Dezember 1990, weil er sonst keine vollen drei Monate beitragspflichtiger Beschäftigungen und abgerechneter Lohnabrechnungszeiträume enthalte, denn in der Zeit vom 12. bis zum 14. Januar 1991 sei der Kläger nicht beitragspflichtig beschäftigt gewesen. Das gelte auch dann, wenn bereits bei der Berücksichtigung nur eines Teils der in den Dreimonatszeitraum fallenden Abrechnungszeiträume mindestens 60 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt erreicht wären. Wortlaut, Gesetzeszweck und Gesetzessystematik, die besonders durch die Gesetzesentwicklung verdeutlicht würden, sprächen für diese Auffassung. Der Gesetzeszweck werde aus den zahlreichen Änderungen des § 112 Abs 2 deutlich. Durch das 7. Gesetz zur Änderung des AFG vom 20. Dezember 1985 (BGBl I 2484) sei mit Wirkung ab 1. Januar 1986 bestimmt worden, daß der Bemessungszeitraum nicht mehr lediglich 20, sondern nunmehr 60 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt enthalten müsse. Aus den Gesetzesmaterialien (BT-Drucks 10/3923 zu Nr 21, § 112) ergebe sich insbesondere, daß der Bemessungszeitraum damit auf regelmäßig drei Monate habe verlängert werden sollen. Dies sei in § 112 Abs 2 AFG durch das 8. AFG-ÄndG klargestellt worden (BT-Drucks 11/800 zu Nr 29, § 112 Buchst a). Das Abstellen auf einen Dreimonatszeitraum entspreche dem Grundgedanken, daß der Arbeitslose das letztverdiente durchschnittliche Arbeitsentgelt in der Regel auch in Zukunft verdienen könne und daß deshalb Umstände, die im Arbeitsleben nur ausnahmsweise vorkämen, grundsätzlich außer Betracht bleiben sollten (BT-Drucks 11/800 aaO). Die Regelung einer Mindestzahl von Tagen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt innerhalb des so festgestellten Zeitraums habe eine darüber hinausgehende Bedeutung, wie die Begründung des Entwurfs des 1. Gesetzes zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms zeige (BT-Drucks 12/5502 zu Nr 28, § 112). Der Dreimonatszeitraum sei durch einen Sechsmonatszeitraum, die Voraussetzung der mindestens 60 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt durch 100 Tage dieser Art ersetzt worden. Manipulationsmöglichkeiten bei der Bemessung des Alg sollten danach noch stärker als nach bisherigem Recht eingeschränkt werden. Das Urteil des LSG werde den unterschiedlichen Zweckbestimmungen des Dreimonatszeitraums einerseits sowie der Zahl von Tagen mit Anspruch auf Alg andererseits nicht gerecht. Mit der vom LSG vorgenommenen Auslegung hätte der Gesetzgeber seine Absicht, Manipulationsmöglichkeiten noch weiter einzuschränken, nicht wirksam verfolgen können. In Fällen mit täglichem Anspruch auf Arbeitsentgelt wäre der Bemessungszeitraum im Gegensatz zur beabsichtigten Verdreifachung von einem auf drei Monate lediglich um einen Monat erweitert worden.

Die Beklagte beantragt,

die Urteile des LSG und des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Der Kläger hat ab 1. Mai 1991 Anspruch auf Alg in Höhe von 382,20 DM wöchentlich.

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist ausschließlich, ob der Kläger ab 1. Mai 1991 Anspruch auf Alg unter Zugrundelegung eines wöchentlichen gerundeten Arbeitsentgelts von 890,00 DM oder nur von 880,00 DM, dh – nach den übrigen nicht zweifelhaften Leistungsmerkmalen und der AFG-Leistungsverordnung 1991 (vom 6. Dezember 1990, BGBl I 2647) – auf 382,20 DM anstatt 378,60 DM Alg wöchentlich hat. Denn der Senat hat, weil der Kläger keine Berufung gegen das Urteil des SG eingelegt hat, soweit das SG seine Klage auf höheres Alg abgewiesen hatte, nicht darüber zu befinden, ob ihm mehr zustand, als ihm SG und LSG zugebilligt haben; insoweit unterliegt der vom Kläger beim SG geltend gemachte prozessuale Anspruch nicht der Prüfung des Revisionsgerichts. Zu entscheiden ist über diesen Anspruch nur, soweit das SG die Beklagte verurteilt hat, anstelle von 880,00 DM ein Arbeitsentgelt von 890,00 DM zugrunde zu legen und die Berufung der Beklagten erfolglos geblieben ist.

Das Alg beträgt nach § 111 Abs 1 AFG in der hier anzuwendenden Fassung des Gesetzes vom 20. Dezember 1985 (BGBl I 2484) für Arbeitslose, die wie der Kläger mindestens ein Kind iS des § 32 Abs 1, 4 und 5 des Einkommensteuergesetzes haben, 68 vH des um die gesetzlichen Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen, verminderten Arbeitsentgelts (§ 112). Arbeitsentgelt ist nach § 112 Abs 1 AFG das Arbeitsentgelt, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum durchschnittlich in der Woche erzielt hat. Nach Abs 2 Satz 1 der Vorschrift in der hier anzuwendenden, bis zum 31. Dezember 1993 geltenden Fassung des Achten Gesetzes zur Änderung des AFG (8. AFG-ÄndG) vom 14. Dezember 1987 (BGBl I 2602) umfaßt der Bemessungszeitraum die beim Ausscheiden des Arbeitnehmers abgerechneten Lohnabrechnungszeiträume der letzten drei Monate der die Beitragspflicht begründenden Beschäftigungen vor der Entstehung des Anspruchs, in denen der Arbeitslose Arbeitsentgelt erzielt hat. Danach sind zunächst die letzten drei Monate der Beschäftigungen vor der Entstehung des Anspruchs zu bestimmen. Von diesen drei Monaten bilden nur die Zeiten den Bemessungszeitraum, die beim Ausscheiden abgerechnet sind (vgl Senatsurteil SozR 3-4100 § 111 Nr 3). Da der Anspruch des mit dem 30. April 1991 aus einer beitragspflichtigen Beschäftigung ausgeschiedenen Klägers auf Alg am 1. Mai 1991 entstanden ist, ist der dreimonatige Zeitraum vor der Entstehung des Anpruchs rückwärts gerechnet zu bestimmen. Ob dies hier die drei Kalendermonate Februar, März und April 1991 sind, oder aber ob der Dreimonatszeitraum bis einschließlich 31. Januar 1991 zurückreicht, weil die Rückrechnung grundsätzlich nach Zeitmonaten entsprechend §§ 188 Abs 2, 187 Abs 2 oder § 191 Bürgerliches Gesetzbuch zu erfolgen hat, bedarf hier keiner Entscheidung. Denn hier ist jedenfalls der Lohnabrechnungszeitraum vom 15. bis 31. Januar 1991 für die Bestimmung des “eigentlichen” Bemessungszeitraums zu berücksichtigen.

Als zu berücksichtigender Lohnabrechnungszeitraum kommt nach den bindenden Feststellungen des LSG der April 1991 nicht in Betracht, denn dieser Monat war beim Ausscheiden des Klägers noch nicht abgerechnet. Die Lohnabrechnungszeiträume Februar und März 1991 bestimmen hier jedoch nicht bereits allein den Bemessungszeitraum. Dies folgt aus § 112 Abs 2 Satz 3 AFG idF des Gesetzes vom 30. Juni 1989 (BGBl I 1297). Enthalten danach die Lohnabrechnungszeiträume weniger als 60 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt, so verlängert sich der Bemessungszeitraum um weitere Lohnabrechnungszeiträume, bis 60 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt erreicht sind. So liegt es hier, denn die Kalendermonate Februar und März 1991 enthalten schon nur 59 Kalendertage, also niemals 60 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt. Somit ist hier für die Bestimmung des Bemessungszeitraums auf weitere Lohnabrechnungszeiträume zurückzugreifen. Ob schon mit dem Lohnabrechnungszeitraum vom 15. bis zum 31. Januar 1991 60 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt erreicht werden (vgl zu diesem Problem Hennig/Kühl/Heuer/Henke, AFG-Komm, Stand November 1995, § 112 RdNr 11) oder ob dies erst unter Berücksichtigung des weiteren Abrechnungszeitraums vom 1. bis 11. Januar 1991 der Fall ist, kann dahinstehen, weil das der Bemessung zugrunde zu legende Arbeitsentgelt in beiden Fällen mindestens 890,00 DM beträgt. Denn umfaßt der Bemessungszeitraum die Lohnabrechnungszeiträume vom 15. bis 31. Januar und die Monate Februar und März 1991, beträgt das Arbeitsentgelt nach den von der Beklagten nicht angegriffenen Feststellungen des LSG gemäß § 112 Abs 3 und 10 AFG 920,00 DM (Bruttoarbeitsentgelt 10.000 DM : 433,33 Arbeitsstunden × 40 Wochenstunden = gerundet 920,00 DM). Erfaßt der Bemessungszeitraum zusätzlich die Zeit vom 1. bis 11. Januar 1991, wovon die Vorinstanzen ausgegangen sind, beträgt das Arbeitsentgelt 890,00 DM (11.109,53 DM Bruttoarbeitsentgelt: 496,87 Arbeitsstunden × 40 Wochenstunden = gerundet 890,00 DM).

Nur wenn der Auffassung der Beklagten zu folgen wäre, für die Bemessung des Alg des Klägers müsse ergänzend auch auf den Lohnabrechnungszeitraum Dezember 1990 zurückgegriffen werden, könnte die Revision Erfolg haben, denn nur dann betrüge das der Berechnung des Alg hier zugrunde zu legende wöchentliche Bemessungsentgelt höchstens 880,00 DM. Das ist indes nicht der Fall.

Die Rechtsansicht der Beklagten, der Bemessungszeitraum umfasse stets volle drei Monate beitragspflichtiger Beschäftigungen, findet im Gesetz keine Stütze. Der Wortlaut der Vorschrift, von dem für deren Auslegung auszugehen ist, spricht dafür, daß grundsätzlich von einem dreimonatigen Rahmen beitragspflichtiger Beschäftigungen auszugehen ist, weil der Bemessungszeitraum nur die abgerechneten Lohnabrechnungszeiträume dieser Zeit “umfaßt” (vgl Gagel, Komm z AFG, Stand: Dezember 1994, § 112 RdNrn 44, 50; Wissing, SGb 1995, 181, 183 f). Denn maßgeblich für den Bemessungszeitraum sind nach dem Wortlaut des § 112 Abs 2 Satz 1 AFG nicht “die letzten drei Monate abgerechneter Lohnabrechnungszeiträume”, sondern die beim Ausscheiden abgerechneten Lohnabrechnungszeiträume “der letzten drei Monate der die Beitragspflicht begründenden Beschäftigungen”. Ob der dreimonatige Rahmen allein durch Zeiten beitragspflichtiger Beschäftigungen gebildet wird, kann hier dahinstehen; denn der Kläger ist in der Zeit vom 15. Januar bis 30. April 1991 beitragspflichtig beschäftigt gewesen.

Sinn und Zweck der Vorschrift sprechen jedenfalls nicht für die Auffassung der Beklagten. Gesetzeszweck ist es nämlich, daß die Bemessung des Alg an einem zeitnahen Lohnniveau ausgerichtet werden soll und eine schnelle, einfache und möglichst endgültige Bestimmung des Bemessungsentgelts und damit auch der Leistungshöhe beim Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis erfolgt (vgl BSG SozR 4100 § 112 Nrn 5 und 13 sowie BVerfG BSG SozR 4100 § 111 Nr 6). Diesem Zweck entspricht es am ehesten, von einem dreimonatigen Rahmen beitragspflichtiger Beschäftigungen auszugehen, alle in den Dreimonatszeitraum hineinfallenden Abrechnungszeiträume, einschließlich der nur hineinragenden, voll zu berücksichtigen, sie also zu addieren und, sofern dadurch nicht 60 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt erreicht werden, gemäß § 112 Abs 2 Satz 3 AFG ergänzend eine Erstreckung auf frühere, jeweils vollständige Lohnabrechnungszeiträume vorzunehmen, bis die 60 Tage erreicht oder überschritten werden. Dieses Verfahren entspricht insbesondere der von der Beklagten mit Recht angemahnten Verwaltungspraktikabilität, denn das ArbA muß idR keine tageweisen Berechnungen vornehmen, sondern kann auf die von den Arbeitgebern bescheinigten Lohnabrechnungszeiträume zurückgreifen. Daß die Gefahr von Manipulationen nach dieser Auffassung höher ist wie wenn der Auffassung der Beklagten zu folgen wäre, ist nicht ersichtlich.

Auch die Entwicklungsgeschichte der Vorschrift ist eher geeignet, diese Auffassung zu stützen, als daß sie Argumente für die Ansicht der Beklagten liefert. Während für die Bestimmung des Bemessungszeitraums nach § 112 Abs 3 AFG in der bis zum 31. Dezember 1987 geltenden Fassung mit dem Wortlaut “Bemessungszeitraum sind die letzten vor dem Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Beschäftigungsverhältnis abgerechneten, insgesamt 60 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt umfassenden Lohnabrechnungszeiträume der letzten die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung vor der Entstehung des Anspruchs”, nicht Ausgangspunkt ein Zeitrahmen war, sondern der Zeitraum der Abrechnung den Bemessungszeitraum determinierte, und dafür 60 (statt bis 31. Dezember 1985 nur 20) Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt genügten, wurde der Wortlaut des § 112 Abs 3 AFG durch § 112 Abs 2 AFG idF des 8. AFG-ÄndG mit Wirkung ab 1. Januar 1988 dahingehend geändert, daß nunmehr von einem Dreimonatszeitraum als zeitlicher Rahmen für die Bemessung auszugehen war (so auch Gagel, aaO § 112 RdNr 50). Die Gesetzesbegründung (BT-Drucks 11/800 S 21 zu Nr 29; § 112) spricht allerdings nur davon, daß Abs 2 die Regelung des Abs 1 ergänzt und die Sätze 1 und 2 den Grundsatz des geltenden Rechts übernehmen, nach dem das Arbeitslosengeld grundsätzlich nach dem Arbeitsentgelt bemessen wird, das der Arbeitslose in den letzten drei Monaten, mindestens jedoch in 60 Tagen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt erzielt hat. Die Veränderung des Wortlautes der Vorschrift ist jedoch mit einer Veränderung des Inhalts des Begriffes Bemessungszeitraum verbunden. In der alten Fassung heißt es, Bemessungszeitraum sind die letzten … abgerechneten, insgesamt 60 Tage ; von drei Monaten ist nicht die Rede. Nach der neuen Vorschrift umfaßt der Bemessungszeitraum Lohnabrechnungszeiträume der letztendrei Monate. Hierin liegt objektiv ein Unterschied, denn nach der früheren Fassung des Gesetzes endete der Bemessungszeitraum, sobald 60 abgerechnete Tage erreicht waren, gleichgültig, in wieviel Monaten im Einzelfall. Die durch das 8. AFG-ÄndG erfolgte Veränderung des Wortlautes der Vorschrift kann bei objektiver Betrachtung dagegen nur bedeuten, daß nunmehr grundsätzlich ein Dreimonatsrahmen vor Entstehung des Anspruchs auf Alg für die Bestimmung des Bemessungszeitraums maßgeblich ist.

Die Gesetzesänderung enthält hingegen keine Anhaltspunkte dafür, daß der Bemessungszeitraum stets drei volle Monate mit beitragspflichtigen Beschäftigungen umfassen muß (vgl Gagel, aaO § 112 RdNrn 44 ff; Wissing, aaO 184) oder, wie die Beklagte bereits mit ihrem Runderlaß 150/87 unter 3.2 vertreten hat (vgl auch noch die Durchführungsanweisungen der Beklagten zu § 112 AFG idF des Gesetzes vom 21. Dezember 1993, BGBl I 2353, Stand: Juli 1994, Ziff 2 Abs 4), zugleich auch eine Klarstellung, daß der Bemessungszeitraum stets die Lohnabrechnungszeiträume für drei volle Monate umfaßt. Träfe diese Auffassung zu, hätte sich mit der Gesetzesänderung die Funktion der 60 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt als “Mindestlohnabrechnungszeitraum” gegenüber der bisherigen Gesetzeslage verändert, was aber weder bei objektiver Würdigung noch nach den Gesetzesmaterialien der Fall ist; denn nach der Begründung des Gesetzentwurfs übernehmen die Sätze 1 und 2 des Abs 2 des § 112 den Grundsatz des geltenden Rechts, nach dem das Alg grundsätzlich nach dem Arbeitsentgelt bemessen wird, das der Arbeitslose in den letzten drei Monaten, mindestens jedoch in 60 Tagen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt erzielt hat (vgl BT-Drucks 11/800 S 21 zu Nr 29; § 112). Die Auffassung der Beklagten widerspricht auch dem Normzweck der Vorschrift. Denn wenn die drei Monate nicht voll mit Abrechnungszeiten belegt sind, müßte solange auf weitere Lohnabrechnungszeiträume zurückgegriffen werden, bis drei volle Abrechnungsmonate vorlägen. Erst dann dürfte nach Auffassung der Beklagten auf die Mindestzeit von 60 abgerechneten Tagen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt zurückgegriffen werden. Dies würde der Praktikabilität der Bemessung des Alg und der Zeitnähe der Bemessung des Alg zum Eintritt der Arbeitslosigkeit entgegenstehen.

Für die Bemessung des Alg ist hier nach alledem nicht auf das im Dezember 1990 erzielte Arbeitsentgelt zurückzugreifen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Breith. 1997, 151

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