Leitsatz (amtlich)

Die Zeit, in der eine Frau wegen der Geburt eines Kindes mit der Arbeit aussetzen muß und kein Arbeitsentgelt, sondern Leistungen nach dem Mutterschutzgesetz erhält, ist eine versicherungspflichtige Beschäftigung nach den AVAVG §§ 87 Abs 1, 85.

 

Normenkette

AVAVG § 87 Abs. 1 Fassung: 1957-04-03, § 85 Fassung: 1957-04-03; MuSchG

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 16. Mai 1961 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Tatbestand

I.

Die Klägerin war vom 1. Mai 1954 bis zum 31. März 1958 als Buchhalterin tätig. Während dieser Zeit erhielt sie vom 6. Juli 1957 bis zum 2. Oktober 1957 kein Gehalt, sondern wegen der Geburt eines Kindes Bezüge nach § 13 des Mutterschutzgesetzes (MuSchG). Das Arbeitsamt bewilligte ihr durch Verfügung vom 24. April 1958 Arbeitslosengeld (Alg) für 234 Wochentage. Gegen diesen Verwaltungsakt erhob die Klägerin Widerspruch und beantragte, ihr für 312 Wochentage Alg zu bewilligen. Zur Begründung wies sie darauf hin, daß sie vom 1. Mai 1954 bis zum 31. März 1958 ununterbrochen in einem Beschäftigungsverhältnis als Buchhalterin gestanden habe. Durch Bescheid vom 23. Juli 1958 wurde der Widerspruch zurückgewiesen, weil die Klägerin in den letzten drei Jahren vor der Arbeitslosmeldung nicht dreimal 52 Wochen in einer versicherungs- und beitragspflichtigen Beschäftigung gestanden habe; denn sie habe vom 6. Juli bis zum 2. Oktober 1957 infolge ihrer am 7. August 1957 erfolgten Niederkunft nicht gearbeitet und kein Gehalt bezogen.

Auf die Klage hin verurteilte das Sozialgericht (SG) die Beklagte, der Klägerin das Alg für weitere 13 Wochen zu zahlen, da die Mutterschutzzeit als anwartschaftsbegründend habe berücksichtigt werden müssen. Es ließ die Berufung zu.

Mit Urteil vom 16. Mai 1961 wies das Landessozialgericht (LSG) die Berufung zurück:

Trotz Unterbrechung der tatsächlichen Arbeit infolge der Niederkunft habe das versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis der Klägerin fortbestanden, obwohl sie von ihrem Arbeitgeber keinen Lohn erhielt. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 87 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) sei die Bezugsdauer der Leistung in der Arbeitslosenversicherung von der Dauer der vorausgegangenen versicherungspflichtigen Beschäftigung abhängig; auf das Bestehen einer ununterbrochenen Beitragspflicht komme es nicht an. Eine Ausnahme hiervon bilde § 85 Abs. 1 Satz 2 und 3 AVAVG. Durch diese Bestimmung werde die Zeit des Beschäftigungsverbots nach dem MuSchG nicht erfaßt. Eine ausdehnende Auslegung sei wegen des eindeutigen Wortlauts nicht möglich, weil die Schutzzeiten nach dem MuSchG nicht als Krankheit angesehen werden könnten. Auch die Entstehungsgeschichte gebe keine Anhaltspunkte für eine extensive Auslegung des Begriffs Krankheit. Die im MuSchG vorgeschriebene Schutzzeit als solche erfülle, sofern nicht auch gleichzeitig eine Krankheit im krankenversicherungsrechtlichen Sinn bestehe, nicht den Tatbestand der arbeitsunfähigen Erkrankung. Es sei auch keine Analogie zu § 85 Abs. 1 Satz 2 AVAVG möglich. Da die Klägerin innerhalb der Rahmenfrist von zwei Jahren vor ihrer Arbeitslosmeldung am 1. April 1958 mindestens 52 Wochen in versicherungspflichtiger Beschäftigung stand, habe sie gemäß § 87 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AVAVG eine Bezugsdauer von 156 Tagen erworben. Aus § 87 Abs. 2 AVAVG folge dann nochmals eine Bezugsdauer von zweimal 78 Tagen, weil die Klägerin in den letzten drei Jahren vor ihrer Arbeitslosmeldung weitere 52 Wochen versicherungspflichtiger und beitragspflichtiger Beschäftigung nachweisen könne. Die Revision wurde zugelassen.

Die Beklagte legte gegen das ihr am 22. Juli 1961 zugestellte Urteil am 19. August 1961 Revision ein und begründete sie nach Fristverlängerung am 18. Oktober 1961. Sie rügt Verletzung der §§ 85 Abs. 1 Satz 2 und 87 Abs. 1 Satz 2 AVAVG: Das LSG habe die Auffassung vertreten, daß § 85 Abs.1 Satz 2 AVAVG nicht auf Zeiten anzuwenden sei, in denen eine werdende Mutter und eine Wöchnerin nach dem MuSchG nicht beschäftigt werden dürften. Das LSG Rheinland-Pfalz habe mit Urteil vom 5. Mai 1961 anders entschieden. Es sei daher zur Klärung der Streitfrage eine höchstrichterliche Entscheidung erforderlich. Nach ihrer Auffassung müsse bei Anwendung und Auslegung des § 85 Abs. 1 Satz 2 AVAVG berücksichtigt werden, daß nach dem Willen des Gesetzgebers grundsätzlich nur Beschäftigungen, für die Entgelt gewährt worden sei, zur Erfüllung der Anwartschaftszeit dienten und bei der Errechnung der Anspruchsdauer berücksichtigt werden sollten. Die Leistungen nach dem MuSchG seien aber kein Arbeitsentgelt, sondern Ersatzleistungen für entgangenes Arbeitsentgelt. Weiterhin macht die Beklagte geltend, daß die Klägerin während der Schutzzeit nach dem MuSchG nicht in einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis gestanden habe.

Die Beklagte und Revisionsklägerin beantragt,

die Urteile des LSG Nordrhein-Westfalen vom 16. Mai 1961 und des SG Gelsenkirchen vom 27. August 1959 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin ist im Revisionsverfahren nicht vertreten gewesen.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist statthaft (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) und zulässig. Das Rechtsmittel ist jedoch nicht begründet.

Gemäß § 87 Abs. 1 AVAVG in Verbindung mit § 85 Abs. 1 Satz 2 und § 87 Abs. 2 AVAVG steht der Klägerin ein Anspruch auf Alg für 312 Wochentage nur zu, wenn sie innerhalb der Zeit vom 1. April 1956 bis zum 31. März 1958 52 Wochen versicherungspflichtiger und in der Zeit vom 1. April 1955 bis zum 31. Juli 1958 weitere zweimal 52 Wochen versicherungs- und beitragspflichtiger Beschäftigung zurückgelegt hat. Dies ist nur der Fall, wenn die Klägerin in der Zeit vom 1. April 1957 bis zum 31. März 1958 in einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis gestanden hat. Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt also davon ab, ob die Zeit vom 6. Juli bis zum 2. Oktober 1957, während der die Klägerin auf Grund der Vorschriften des MuSchG wegen ihrer am 7. August 1957 erfolgten Entbindung mit der Arbeit aussetzen mußte, als versicherungspflichtige Beschäftigung im Sinne des § 87 Abs. 1 AVAVG angesehen werden kann.

Gemäß § 3 Abs. 2 Buchst. b und § 6 Abs. 1 Satz 1 und 2 des Gesetzes zum Schutze der erwerbstätigen Mutter vom 24. Januar 1962 (BGBl I 69) durfte die Klägerin als werdende Mutter und als Wöchnerin in der Zeit vom 6. Juli bis zum 2. Oktober 1957 nicht beschäftigt werden. Gemäß § 9 MuSchG war sie während dieser Zeit von seiten ihres Arbeitgebers unkündbar. Da sie auch selbst das Arbeitsverhältnis nicht gekündigt hat, dauerte mithin der Arbeitsvertrag über diese Zeit hinaus fort. Die Klägerin stand mithin auch während der Zeit des Beschäftigungsverbots nach dem MuSchG in einem Arbeitsverhältnis.

§ 87 AVAVG setzt jedoch nicht ein Arbeitsverhältnis, sondern eine versicherungspflichtige Beschäftigung voraus. Was hierunter zu verstehen ist, wurde vom Senat in seinem Urteil vom 30. August 1955 in BSG 1, 115, 117 bis 119 eingehend dargelegt. Die vom Senat in dem Urteil geforderten Voraussetzungen werden von der Klägerin erfüllt. Sie leistete fremdbestimmte Arbeit für einen Arbeitgeber, wurde dafür von ihm entlohnt, und auf Grund dieses Beschäftigungsverhältnisses entrichteten sie und ihr Arbeitgeber Beiträge zur Sozialversicherung. Durch die Unterbrechung der Arbeit infolge der Niederkunft der Klägerin wurde die versicherungspflichtige Beschäftigung auch nicht unterbrochen, weil das Ende der Unterbrechung in der Arbeitsleistung voraussehbar war, die Beteiligten den Willen hatten, das Beschäftigungsverhältnis nach Wegfall der Unterbrechung fortzusetzen, die Klägerin grundsätzlich dienstbereit war und der Arbeitgeber grundsätzlich die Verfügungsmacht über sie behielt. Letztgenannte Voraussetzungen sind gegeben, weil die Klägerin nach Wegfall des Hinderungsgrundes bei ihrem Arbeitgeber weiter arbeiten wollte und ihr Arbeitgeber die Dienste der Klägerin für die Zukunft miteinplanen und sich mit Fragen an sie wenden konnte, da er von Anfang an nach dem regelmäßigen Lauf der Dinge annehmen durfte, daß sie nach Ablauf der Schutzfrist zu ihm zurückkehren werde. Die Klägerin konnte lediglich wegen der Vorschriften des MuSchG nicht arbeiten.

Auch das Reichsversicherungsamt hat bereits in der grundsätzlichen Entscheidung Nr. 2789 (AN 1924, 84) ausgeführt, daß, solange das arbeitsvertragliche Verhältnis fortdauere, das Fortbestehen eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses durch eine verhältnismäßig nicht zu lange Unterbrechung der Arbeitsleistung bei weiterbestehender Dienstbereitschaft und Verfügungsmöglichkeit nicht ausgeschlossen werde, und zwar auch dann nicht, wenn für die Zeit einer solchen Unterbrechung kein Entgelt gezahlt werde.

Der 3. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) hat in dem Urteil vom 21. Juni 1960 (BSG 12, 191) sich ebenfalls in diesem Sinne ausgesprochen. Wie er ausführt, wäre es mit dem Sinn und Zweck des MuSchG nicht vereinbar, wenn man diese gesetzlichen Schutzfristen, die einer Arbeitsleistung der werdenden Mutter und Wöchnerin entgegenstehen, bei der Beurteilung, ob das versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis nur unerhebliche Zeit unterbrochen worden ist, mitberücksichtigen und damit die werdende Mutter und später die Wöchnerin schlechter stellen würde als andere Arbeitnehmerinnen, die nicht durch ihre Schwangerschaft gehindert sind, die Arbeit nach Beendigung eines Urlaubs alsbald wieder aufzunehmen. Die zugunsten der erwerbstätigen Mutter erlassenen arbeitsrechtlichen Schutzvorschriften würden sich dann im Bereich der Sozialversicherung zuungunsten der Mutter auswirken.

Weiterhin hat der 3. Senat in einem Urteil vom 28. August 1961 - 3 RK 65/56 - (SozR Reichsversicherungsordnung - RVO - § 214 Nr. 3) unter Bezugnahme auf die vorgenannte Entscheidung betont, es entspreche dem Schutzcharakter des MuSchG, die Zeiten des Beschäftigungsverbots für die Frage des Fortbestandes des Versicherungsschutzes grundsätzlich einer versicherungspflichtigen Beschäftigung gleichzustellen; denn es wäre mit dem Sinn und Zweck des MuSchG nicht vereinbar, wenn man diese Schutzzeiten, während deren eine Arbeitsleistung der Wöchnerin unzulässig sei, nicht den Zeiten einer versicherungspflichtigen Beschäftigung grundsätzlich gleichstellen und damit die Wöchnerin wegen des ihren Schutz bezweckenden Beschäftigungsverbots versicherungsrechtlich schlechter stellen würde als Arbeitnehmerinnen, die nicht durch Schwangerschaft und Geburt gehindert sind, entgeltliche Arbeit zu verrichten.

Diese für die Krankenversicherung entwickelten Grundsätze müssen auch für die Arbeitslosenversicherung gelten, da auch hier der Gedanke, die Mutter in sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht so zu stellen, als habe während der Zeit des Beschäftigungsverbotes ein normales Arbeitsverhältnis bestanden, zum Zuge kommt. Es ist daher von der Fortdauer eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses der Klägerin auch in der Zeit vom 6. Juli bis zum 2. Oktober 1957 auszugehen.

Gemäß § 87 Abs. 1 in Verbindung mit § 85 AVAVG ist eine versicherungspflichtige Beschäftigung in der Arbeitslosenversicherung auch anwartschaftsbegründend. Die Ansicht der Beklagten, daß nach dem Willen des Gesetzgebers grundsätzlich nur Beschäftigungen, für die Entgelt gezahlt worden ist, zur Erfüllung der Anwartschaftszeit dienten und bei der Errechnung der Anspruchsdauer berücksichtigt werden sollten, findet im Gesetz keine Stütze. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 87 Abs. 1 Satz 1 AVAVG ist in dem von dieser Bestimmung gesteckten Rahmen die Bezugsdauer der Leistung in der Arbeitslosenversicherung nur von der Dauer der vorausgegangenen "versicherungspflichtigen Beschäftigung" abhängig. Wenn der Gesetzgeber im Rahmen des § 87 Abs. 1 AVAVG nur eine versicherungs- und beitragspflichtige Beschäftigung als anwartschaftsbegründend anerkennen wollte, hätte er dies wie in § 87 Abs. 2 Satz 1 AVAVG zum Ausdruck gebracht. Wie das LSG in dem angefochtenen Urteil dargelegt hat, läßt sich auch an Hand der in früheren Fassungen des AVAVG getroffenen Regelungen kein allgemeiner Rechtsgrundsatz nachweisen, daß für den Rechtserwerb in der Arbeitslosenversicherung nur eine versicherungs- und beitragspflichtige Beschäftigung anwartschaftsbegründende Wirkung habe. Dem AVAVG ist auch sonst nicht fremd, eine versicherungspflichtige Tätigkeit, die beitragsfrei ist, als versicherungspflichtige Beschäftigung im Sinne des § 87 Abs. 1 AVAVG anzusehen. Nach § 16 Abs. 2 der Verordnung über die Neuregelung der Rentenversicherung im Bergbau vom 4. Oktober 1942 (RGBl I 569) sind Personen, die der knappschaftlichen Rentenversicherung unterliegen, von der Beitragspflicht zur Arbeitslosenversicherung befreit. Trotzdem wird ihre Beschäftigung als eine versicherungspflichtige im Sinne des § 87 Abs. 1 AVAVG behandelt. Auch nach dem Heimkehrergesetz erhalten Arbeitslose Alg, ohne daß sie in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden haben und für sie Beiträge entrichtet worden sind. Hier wird die Zeit der Kriegsgefangenschaft, Internierung oder Verschleppung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung gleichgestellt (§§ 12 ff des Heimkehrergesetzes). Nun schreibt § 87 Abs. 1 Satz 2 AVAVG durch den Hinweis auf § 85 Abs. 1 Satz 2 und 3 vor, daß bestimmte Zeiten bei der Feststellung der Bezugsdauer nicht zu berücksichtigen sind. Wenn in diesen Fällen die Beschäftigung keine anwartschaftsbegründende Wirkung haben soll, so stellt dies eine Ausnahmeregelung dar (Schmidt in ABA 1961, 221). Sie kann deshalb nicht zur Begründung eines allgemeinen Prinzips herangezogen werden, daß alle Beschäftigungszeiten, für die kein Entgelt gezahlt wird und eine Beitragsleistung entfällt, die anwartschaftsbegründende Wirkung genommen sei. Für die Ausnahmeregelung spricht die Aufzählung bestimmter Fälle durch den Gesetzgeber. Wenn dieser abweichend von der in Satz 1 enthaltenen Regel allen Beschäftigungszeiten ohne Beitragsleistung die anwartschaftsbegründende Wirkung hätte absprechen wollen, wäre von ihm der Wortlaut entsprechend gefaßt worden.

Der Mutterschutzzeit kann auch nicht deshalb die anwartschaftsbegründende Wirkung versagt werden, weil sie als Krankheit im Sinne von § 85 Abs. 1 Satz 2 AVAVG angesehen werden könnte. Nach dem üblichen Sprachgebrauch ist Krankheit ein regelwidriger Körper- oder Geisteszustand, dem die Mutterschaft als natürlicher Lebensvorgang gegenübersteht (Draeger/Buchwitz/Schönefelder, § 85 Anm. 7; Peters, Handbuch der Krankenversicherung zu § 195 a Anm. 2; Schmidt in ABA 1961, 221). Aber auch der Gesetzgeber unterscheidet deutlich zwischen Krankheit und Mutterschaft, indem er beide zB im Zweiten Buch der RVO in den §§ 182 ff und 195 a ff als gesonderte Versicherungsfälle mit verschiedenartigen Leistungsfolgen behandelt oder in § 95 Abs.2 Nr. 5 AVAVG bis zur Neufassung vom 3. April 1957 Schwangerschaft und Wochenbett neben Krankheit besonders aufführte. Wo er Krankheit und Mutterschaft trotz der von ihm selbst vollzogenen begrifflichen Unterscheidung in ihren rechtlichen Folgen gleichbehandelt wissen wollte, wie zB in § 383 RVO, ist dies ausdrücklich gesagt. Wenn der Gesetzgeber in § 85 Abs. 1 Satz 2 AVAVG neben dem unbezahlten Urlaub und der unberechtigten Arbeitsversäumnis nur die zeit der unbezahlten Krankheit genannt hat, jedoch für die unbezahlte Schutzzeit vor und nach der Niederkunft nicht eine ausdrückliche Gleichsetzung wie in § 383 RVO getroffen hat, so ergibt sich hieraus, daß von ihm eine Gleichstellung nicht gewollt ist. Für diese unterschiedliche Regelung bei Krankheit und während der Mutterschutzzeit besteht auch ein sachlicher Grund. Nach §§ 12, 13 MaSchG hat die Mutter während der Schutzzeit entweder Anspruch auf Arbeitsentgelt oder Wochengeld. Arbeitsentgelt kann die Frau beanspruchen, die in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht pflichtversichert war und deshalb keinen Anspruch auf Wochengeld nach § 13 MuSchG hat. Würde man bei Anwendung des § 85 Abs. 1 Satz 2 AVAVG die Mutterschutzzeit als Krankheit ansehen, so wäre die Mutterschutzzeit der nicht pflichtversicherten Frau wegen der Fortzahlung des Arbeitsentgelts anwartschaftsbegründend, die Schutzzeit der pflichtversicherten Frau, der kein Arbeitsentgelt, sondern Wochengeld nach dem MuSchG zusteht, dagegen von dem Anwartschaftserwerb ausgeschlossen. Dies wäre gegenüber der wegen ihrer allgemeinen sozialen Schutzbedürftigkeit der Versicherungspflicht unterstellten Frau unbillig und mit den Zielen und Zwecken einer sozialen Schutzgesetzgebung unvereinbar. Um dies zu vermeiden, hat der Gesetzgeber die Mutterschutzzeit in § 85 Abs. 1 Satz 2 AVAVG bewußt nicht aufgeführt, um ihre anwartschaftsbegründende Wirkung in jedem Fall zu gewährleisten. Es darf deshalb der Begriff "Krankheit" in § 85 Abs. 1 Satz 2 AVAVG auch nicht im Wege der ausdehnenden Auslegung oder Analogie auf die Mutterschutzzeit angewandt werden. § 85 Abs. 1 Satz 2 AVAVG trifft mithin auf die Klägerin nicht zu, so daß die Zeit, in der sie infolge des Beschäftigungsverbots nach dem MuSchG mit der Arbeit aussetzen mußte, anwartschaftsbegründende Wirkung hat.

Da die Klägerin innerhalb der Rahmenfrist von zwei Jahren vor ihrer Arbeitslosmeldung am 1. April 1958, also in der Zeit vom 1. April 1956 bis zum 31. März 1958, mindestens 52 Wochen versicherungspflichtig beschäftigt gewesen ist, steht ihr gemäß § 87 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AVAVG eine Alg-Bezugsdauer von 156 Tagen zu. Für den Erwerb der erhöhten Anspruchsdauer von weiteren zweimal 78 Tagen wird darüber hinaus noch Beitragspflicht der Beschäftigung gefordert. Während der Mutterschutzzeit vom 6. Juli bis zum 2. Oktober 1957 hat eine solche Beitragspflicht bei der Klägerin nicht bestanden (§ 160 Abs. 2 Satz 1 AVAVG i.V.m. § 383 Abs. 2 RVO). Gleichwohl ist damit der Anspruch auf die Höchstbezugsdauer nicht ausgeschlossen. Die Mutterschutzzeit der Klägerin fiel in den Rahmen der nach § 87 Abs. 1 AVAVG zu berücksichtigenden Beschäftigung, bei der eine Beitragspflicht nicht vorausgesetzt wird. Ihre Beschäftigung von je weiteren 52 Wochen, also die Zeit vom 1. April 1955 bis zum 31. März 1957, war dagegen beitragspflichtig. Bei dem klaren Wortlaut des § 87 läßt sich die Höchstbezugsdauer bei der Klägerin nicht deshalb ausschließen, weil die für den Anspruch nach Abs. 1 herangezogene Beschäftigung nicht ebenfalls in vollem Umfang beitragspflichtig war; denn bei der Berechnung der Beschäftigungszeiten ist von dem Tag der Arbeitslosmeldung auszugehen. Macht deshalb die Gesamtbeschäftigung in den letzten zwei Jahren vor der Arbeitslosmeldung mehr als 52 Wochen aus, so sind die zeitlich unmittelbar vorausgehenden 52 Wochen nach § 87 Abs. 1 AVAVG und die übrigen nach Abs. 2 zu erfassen (Draeger/Buchwitz/Schönefelder, § 87 Anm. 12). Ein Austausch der Zeiten ist nicht zulässig, weil jede andere Handhabe die Zuordnung dem Zufall und der Willkür preisgeben und damit dem Grundsatz der gleichen rechtlichen Behandlung gleichgelagerter Sachverhalte widersprechen würde. Die Zeit der Nichtbeschäftigung der Klägerin vom 6. Juli bis zum 2. Oktober 1957 fiel in den Rahmen der unmittelbar der Arbeitslosmeldung vorausgehenden 52 Wochen, so daß bei der Klägerin innerhalb der letzten drei Jahre von ihrer Arbeitslosmeldung an zurückgerechnet 52 Wochen versicherungspflichtiger und außerdem zweimal 52 Wochen versicherungs- und beitragspflichtiger Beschäftigung vorliegen. Ihr steht mithin ein Anspruch auf Alg für 312 Tage zu.

Die Beklagte ist auf die Leistungsklage der Klägerin hin zu Recht verurteilt worden, der Klägerin für weitere 13 Wochen Alg zu zahlen.

Die Revision ist daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE 16, 210 (LT1)

BSGE, 210

NJW 1962, 1222

NJW 1962, 1222 (LT1)

RegNr, 1561

AP AVAVG § 87 (LT1), Nr 1

Breith 1962, 837 (LT1)

SGb 1963, 185 (LT1)

SozR § 87 AVAVG (LT1), Nr 9

WA 1963, 183 (LT1)

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