Entscheidungsstichwort (Thema)

Ermächtigungsgrundlage. Beitragseinzugskosten-Vergütungsverordnungen

 

Leitsatz (amtlich)

Die in den Beitragseinzugsvergütungs-Verordnungen festgelegte pauschale Vergütung erfaßt auch die besonderen Kosten, die der Einzugsstelle durch die Verfolgung von Schadensersatzforderungen entstehen, die an die Stelle von Beitragsforderungen getreten sind.

 

Orientierungssatz

1. Die Ermächtigungsgrundlagen für die Beitragseinzugskosten-Vergütungsverordnungen reichen aus, auch die Kosten für den Einzug und die Abführung von Schadensersatzforderungen der Einzugsstellen abzugelten.

2. Die Einzugsstellen sind befugt, auch die Schadensersatzansprüche zu verfolgen, die an die Stelle von Beitragsansprüchen getreten sind.

 

Normenkette

RVO § 1309 Abs 1 Fassung: 1957-02-23, § 1399 Abs 3 Fassung: 1957-02-23; AFG § 176 Fassung: 1969-06-25, § 182 Abs 1 Fassung: 1969-06-25, § 184 Fassung: 1969-06-25; SGB 4 § 30 Abs 2 Fassung: 1976-12-23; ArblVBeitrEinzV; RVBeitrEinzVergV 1973; RVO § 1434 S 1 Fassung: 1957-02-23; AVG § 153 S 1 Fassung: 1957-02-23; GG Art 80 Abs 1 S 1 Fassung: 1949-05-23

 

Verfahrensgang

SG München (Entscheidung vom 21.11.1978; Aktenzeichen S 18 Kr 22/76)

 

Tatbestand

Die klagende Krankenkasse verlangt von den beklagten Rentenversicherungsträgern und der beklagten Bundesanstalt für Arbeit (BA), ihr die ihr auferlegten Kosten solcher Schadensersatzprozesse zu erstatten, die sie als Beitragseinzugsstelle auch im Interesse der Beklagten geführt hat.

Die Klägerin machte in diesen Zivilprozessen Schadensersatzansprüche gegen gesetzliche Vertreter von infolge Vermögenslosigkeit untergegangenen juristischen Personen geltend. Diese Schadensersatzansprüche waren an die Stelle von nicht mehr beitreibbaren Beitragsansprüchen getreten (vgl §§ 529, 1428 der Reichsversicherungsordnung -RVO-, 150 des Angestelltenversicherungsgesetzes -AVG-, 225 Abs 1 des Arbeitsförderungsgesetzes -AFG-, 14 des Strafgesetzbuches, 823 Abs 2, 249 des Bürgerlichen Gesetzbuches -BGB-). Die Klägerin meint, die Einzugskostenvergütung nach §§ 1434 RVO, 156 AVG und 184 AFG sowie den Vorschriften der Verordnung (VO) über die Höhe der Vergütung für den Einzug der Beiträge zu den gesetzlichen Rentenversicherungen -RV-Beitragseinzugs-Vergütungs-VO vom 28. Juni 1973 (BGBl I 722), geändert durch VO vom 19. Dezember 1974 (BGBl I 3634) und vom 24. November 1976 (BGBl I 3243) und der VO über den Einzug der Beiträge zur BA und über die Höhe des Einzugskostenpauschales - BeitragseinzugsVo vom 27. April 1972 (BGBl I 754), geändert durch VO vom 26. Oktober 1973 (BGBl I 1579) und VO vom 18. Dezember 1975 (BGBl I 3152) umfasse nur Beiträge und nicht die hier geltend gemachten Aufwendungen für Schadensersatzprozesse. Schadensersatzforderungen habe sie nicht aufgrund gesetzlichen Auftrags nach §§ 1399 RVO, 121 AVG und 182 AFG geltend gemacht, sondern kraft eines Auftrags, der auf dem Rechtsgedanken des Auftragsrechts und des Rechts der Geschäftsführung ohne Auftrag beruhe.

Das Sozialgericht (SG) München hat die Leistungsklage mit der Begründung abgewiesen, die genannten Beitragseinzugsvergütungs-VOen umfaßten die hier geltend gemachten Aufwendungen, weil der Begriff des Beitragseinzugs, zu dem die Klägerin kraft Gesetzes beauftragt sei, weit gefaßt werden müsse (Urteile vom 21. November 1978).

Mit der Sprungrevision, der die drei Beklagten schriftlich zugestimmt haben, rügt die Klägerin eine Verletzung der §§ 1399, 1434 RVO, 121, 126 AVG; 182, 184 AFG und der auch im öffentlichen Recht entsprechend geltenden Regeln über den Aufwendungsersatz mit und ohne Auftrag (§§ 670, 677 BGB).

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des SG München vom 21. November 1978

aufzuheben und zu verurteilen:

a) die Beklagte zu 1) zur Zahlung von 4.319,31 DM,

b) die Beklagte zu 2) zur Zahlung von 1.339,-- DM,

c) die Beklagte zu 3) zur Zahlung von 437,57 DM

und jeweils zur Zahlung von 4 % Zinsen seit 1. Mai 1975.

Die Beklagten beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten sind damit einverstanden, daß der Senat durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Sie ist zurückzuweisen.

Das SG hat zutreffend entschieden, daß die klagende Kasse keinen Anspruch darauf hat, daß ihr die Kosten von Schadensersatzprozessen vergütet werden, die sie im Interesse auch der beklagten Versicherungsträger geführt hat. Denn diese Kosten sind ihr durch den Pauschbetrag vergütet worden, der ihr nach den oben genannten Beitragseinzugskosten-Vergütungs-VOen gezahlt worden ist.

Die dagegen erhobenen Bedenken greifen nicht durch.

Die Ermächtigungsgrundlagen für die vorgenannten VOen reichen aus, auch die Kosten für den Einzug und die Abführung von Schadensersatzforderungen abzugelten. Die Ermächtigung für den Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung (BMA), die Vergütung für die Tätigkeit der Einzugsstellen zugunsten der Rentenversicherungsträger zu bestimmen, ist nur durch den Satz geregelt: "Die Einzugsstellen erhalten zur Abgeltung der Kosten, die ihnen durch die Einziehung und Abführung der Beiträge entstehen, eine Vergütung" (§§ 1434 Satz 1 RVO, 153 Satz 1 AVG). Die entsprechende Vorschrift für die Vergütungsregelung der BA bezieht sich ebenfalls nur auf Beiträge (§ 184 Satz 1 AFG), weist allerdings ausführlicher darauf hin, daß "alle Kosten" zu erstatten sind, die durch "die Geltendmachung von Ansprüchen auf Beiträge, sowie durch die Einziehung, Verwaltung und Abführung der Beiträge entstehen". Ferner verlangt diese Vorschrift eine pauschale Kostenerstattungsregelung des BMA. Von der Einziehung und Abführung der Beträge, die an die Stelle von nicht mehr beitreibbaren Beiträgen treten, ist in den Ermächtigungen keine Rede.

Die nach Art 80 Abs 1 Satz 2 Grundgesetz (GG) gebotene Bestimmtheit der Ermächtigungsgrundlage nach Inhalt, Zweck und Ausmaß verlangt, daß, wenn schon nicht ausdrücklich, so doch sinngemäß mit hinreichender Deutlichkeit klargestellt wird, wie weit die übertragene Regelungsbefugnis geht (BVerfGE 2, 307, 334 f; 15, 153, 160 f). Da indessen für die Auslegung von Ermächtigungsnormen die allgemeinen Auslegungsregeln gelten (vgl BVerfGE 38, 348, 357 f mit Nachweisen), meint der Senat jedoch erkennen zu können, daß mit Beiträgen auch die Schadensersatzforderungen gemeint sind, die gegenüber denjenigen Personen entstehen, die die Einziehung der Beiträge vereitelt haben. Bei der Auslegung der Verordnungsermächtigung ist davon auszugehen, daß diese Ermächtigung ersichtlich auf die gesetzliche Einziehungs- und Abführungsermächtigung der Einzugsstellen Bezug nimmt: Es sollen die Kosten erstattet werden, die dadurch entstehen, daß die Einzugsstellen von ihrer Ermächtigung Gebrauch machen. Die Ermächtigung des BMA geht soweit, wie die Einzugsstellen ihre Ermächtigung ausschöpfen können.

Die Auslegung der Vorschriften, die diese Einziehungs- und Abführungsermächtigung aussprechen, ergibt, daß die Einzugsstellen befugt sind, auch die Schadensersatzansprüche zu verfolgen, die an die Stelle von Beitragsansprüchen getreten sind:

In Rechtsprechung und Schrifttum ist es seit Jahrzehnten unbestritten, daß die Einzugsstellen ermächtigt sind, nicht nur Beiträge einzuziehen, sondern auch die genannten Schadensersatzansprüche geltend zu machen (Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Stand: September 1980, § 529 Anm 7 mit Hinweisen). Es ist zwar bisher unerörtert geblieben, ob die Klagebefugnis auf der gesetzlichen Einzugsermächtigung (§ 1399 RVO, § 121 AVG, §§ 176, 182 Abs 1 AFG) oder - wie die Klägerin meint - auf einem daneben bestehenden Auftrag beruht. Die Praxis geht aber unausgesprochen davon aus, daß die Ermächtigungsvorschriften (§ 1399 Abs 1 und 3 RVO, § 121 Abs 1 und 3 AVG und §§ 176, 182 Abs 1 AFG) die Ermächtigungsgrundlage für das zivilprozessuale Vorgehen der Einzugsstellen sind. Auch der Bundesgerichtshof (BGH) nimmt stillschweigend nicht eine gewillkürte, sondern eine gesetzliche Ermächtigung an. Er weist sogar ausdrücklich auf § 1399 RVO hin (BGH Warn 1959/60, 509 = DOK 1961, 419 mit zust Anm von Martens = JR 1961, 61 = MDR 1961, 917 = VersR 1960, 748 = BB 1960, 866).

Für die in der gesetzlich geregelten Einzugsermächtigung zugleich enthaltene Ermächtigung zur Schadensliquidation spricht auch, daß die Klägerin im Außenverhältnis als Inhaberin der Forderung aufzutreten hat: Die Einzugsstelle ist nämlich im Streit um die Beitragspflicht und die Beitragshöhe Partei (vgl §§ 1399 Abs 2 RVO, 121 Abs 2 AVG, 182 Abs 1 Halbs 2 AFG). Im Falle einer solchen "Inkassoermächtigung" durch Übertragung der Forderung im Außenverhältnis - fiduziarische Abtretung - besteht jedenfalls dann kein Grund, die Ermächtigung auf die Forderung selbst zu beschränken und die Schadensliquidation zu versagen, wenn, wie hier, die eigentlichen Forderungsinhaber kein Interesse daran haben, die Schadensersatzforderung selbst zu verfolgen (zur fiduziarischen Abtretung vgl Palandt-Heinrichs, BGB, 39. Aufl, § 398 Anm 6 und 7; Reimann, Juristische Schulung 1972, 170).

Das Ergebnis, daß die gesetzlichen Ermächtigungsvorschriften auch die Schadensliquidation umfassen, wird auch dadurch nahegelegt, daß die Einzugsstelle in durchaus sinnvoller Praxis die im Wege des Schadensersatzes erlangten Einnahmen buchungsmäßig nur als Beiträge an die beklagten Versicherungsträger weitergeleitet und daß diese Einnahmen von diesen Versicherungsträgern auch als "Beiträge" vereinnahmt und verbucht werden.

Für den genannten Umfang der gesetzlichen Ermächtigung spricht schließlich, daß eine nichtgesetzliche Ermächtigung unwirksam wäre. Nach § 30 Abs 2 SGB 4 dürfen Aufgaben anderer Versicherungsträger und Träger öffentlicher Verwaltungen nur aufgrund eines Gesetzes übertragen werden. Zu den Aufgaben in diesem Sinne gehört auch die Verfolgung von Schadensersatzansprüchen, die an die Stelle von hoheitlich zu verfolgenden Beitragsansprüchen treten. Auch Verwaltungsvereinbarungen, die nach § 30 Abs 2 Satz 2 SGB 4 unberührt bleiben, bedürfen der gesetzlichen Ermächtigung (vgl Hauck/Haines, SGB IV, 1 Stand: Juni 1977, § 30 Anm 13; Krause in Gemeinschaftskommentar - SGB IV, § 30 Anm 13). Wollte man demnach die hier befürwortete weite Auslegung der gesetzlichen Ermächtigungsvorschriften ablehnen, so wäre eine Ermächtigung der Einzugsstellen zur Geltendmachung von Schadensersatzforderungen nicht zu begründen. Die Einzugsstellen wären in solchen Schadensersatzprozessen nicht aktiv legitimiert, die Schadensersatzklagen müßten ohne Sachprüfung abgewiesen werden.

Es besteht kein überzeugender Grund dafür, der BMA habe von der Verordnungsermächtigung nicht in vollem Umfang Gebrauch gemacht. Selbst wenn er nicht an die Kosten von Schadensersatzprozessen gedacht haben sollte, besteht keine ausfüllungsbedürftige Lücke in den VergütungsVO'en. Die pauschale Abgeltung, die die Ermächtigung ermöglichte - und die § 184 Satz 1 AFG ausdrücklich anordnet - weist darauf hin, daß auch unbeachtete Kosten abgegolten sein sollen. Da die VergütungsVO'en nur nach Anhörung der Bundesverbände der gesetzlichen Krankenkassen ergehen durften, hätten diese Verbände dem BMA dabei deutlich machen müssen, daß bei der Verfolgung von Schadensersatzansprüchen Kosten entstehen, die die Höhe der Pauschale beeinflussen müssen, was aber offenbar nicht geschehen ist. Dies gilt jedenfalls dann, wenn diese Kosten tatsächlich in einem Umfang anfallen, daß sie bei der Festsetzung der Pauschale ins Gewicht fallen. Falls diese Kosten wegen der Veränderung der gesamtwirtschaftlichen Lage und der sich häufenden Konkurse erst in neuerer Zeit in beachtlichem Umfang anfallen sollten, ist es Aufgabe der Einzugsstellen, über ihre anhörungsberechtigten Verbände eine Änderung der VergütungsVO herbeizuführen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 194 Abs 4 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 247

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