Leitsatz (amtlich)

Ein heimatloser Ausländer iS des HAuslG vom 1951-04-25, der im 2. Weltkrieg als jugoslawischer Soldat in deutsche Kriegsgefangenschaft geriet und im Reichsgebiet als Kriegsgefangener zur Arbeit in der Landwirtschaft eingesetzt war, gilt für diese Zeit nicht als nachversichert.

 

Orientierungssatz

Zur Frage, ob Kriegsgefangene im 2. Weltkrieg der Versicherungspflicht unterlagen.

Zur Frage des Versicherungsverhältnisses der sogenannten Ostarbeiter.

 

Normenkette

FANG Art. 6 § 23 Abs. 1 Buchst. a Fassung: 1960-02-25, Buchst. b Fassung: 1960-02-25

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 21. August 1968 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Der Rechtsstreit betrifft die Frage, ob der Kläger für die Zeit von Juni 1941 bis Mai 1945 als nachversichert gemäß Art. 6 § 23 Abs. 1 des Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetzes (FANG) gilt.

Der Kläger ist heimatloser Ausländer im Sinne des Gesetzes über die Rechtsstellung heimatloser Ausländer im Bundesgebiet vom 25. April 1951. Er stammt aus Jugoslawien und war im zweiten Weltkrieg Soldat in der jugoslawischen Armee. 1941 geriet er in deutsche Kriegsgefangenschaft und wurde im Juni 1941 in das Deutsche Reich verbracht. Hier arbeitete er in der Landwirtschaft. Nach dem Krieg blieb er in Deutschland. Versicherungskarten liegen über Versicherungszeiten seit Juli 1952 vor. Für die Arbeit während des Krieges sind Beiträge zur Rentenversicherung nicht entrichtet.

Der Kläger erhält gemäß dem Bescheid der Beklagten vom 12. April 1967 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Die Zeit der Kriegsgefangenschaft von 1941 bis 1945 ist ihm bei der Berechnung dieser Rente nicht angerechnet.

Der Kläger begehrt höhere Rente. Er ist der Auffassung, er gelte für die Zeit von 1941 bis Kriegsende nach der genannten Vorschrift des FANG als nachversichert; sein Status als Kriegsgefangener stehe dem nicht entgegen. Die Beklagte hingegen ist der Ansicht, der Kläger sei, weil er den Status als Kriegsgefangener gehabt habe, nicht versicherungspflichtig in der Rentenversicherung gewesen.

Das Sozialgericht (SG) Münster hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 13. Februar 1968). Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und die Revision zugelassen (Urteil vom 21. August 1968). Es hat im wesentlichen ausgeführt, der Kläger sei nicht als ausländische Arbeitskraft im Sinne des Art. 6 § 23 Abs. 1 FANG im Deutschen Reich beschäftigt gewesen. Buchstabe a dieser Vorschrift treffe auf ihn nicht zu, weil er als Kriegsgefangener nicht der Versicherungspflicht in der Arbeiterrentenversicherung unterlegen habe. Er habe die Arbeit nicht auf Grund einer Verpflichtung aus einem Beschäftigungs- oder Arbeitsverhältnis verrichtet, sondern unmittelbar auf Grund des öffentlich-rechtlichen Gewaltverhältnisses, dem er im Rahmen der Disziplinargewalt der Wehrmacht unterworfen gewesen sei. Er habe nach Art. 6 der Anlage zur Haager Landkriegsordnung vom 18. Oktober 1907 und nach Art. 27 der Genfer Konvention über die Behandlung der Kriegsgefangenen vom 27. Juli 1929 (RGBl 1934 II, 227) als Arbeiter verwendet werden können. Er sei der Direktionsgewalt des verantwortlichen Offiziers des Gefangenenlagers unterstanden, der den Arbeitseinsatz der Gefangenen habe steuern können. Auch Buchstabe b des Art. 6 § 23 Abs. 1 FANG treffe nicht zu. Diese Vorschrift beziehe sich nur auf diejenigen ausländischen Arbeitskräfte, deren Tätigkeit der Versicherungspflicht unterlegen hätte, wenn sie nicht als Ausländer von der Versicherungspflicht ausgenommen gewesen wären. Hierbei sei an die Zwangsarbeiter und Ostarbeiter gedacht, die wegen ihrer Nationalität von der Versicherungspflicht ausgeschlossen gewesen seien. Dazu habe der Kläger nicht gehört. Er sei vielmehr nach den Regeln des Völkerrechts beschäftigt gewesen, und diese Beschäftigung habe wegen des Status als Kriegsgefangener unabhängig von der Nationalität nicht der Versicherungspflicht unterlegen. Der Kläger sei nicht wegen seiner Eigenschaft als Ausländer von der Versicherungspflicht ausgenommen gewesen.

Der Kläger hat Revision eingelegt und beantragt, sinngemäß die Urteile des LSG und SG aufzuheben und die Beklagte unter Änderung ihres Bescheides vom 12. April 1967 zu verurteilen, ihm eine höhere Rente wegen Erwerbsunfähigkeit unter Anrechnung der Zeit vom 26. Juni 1941 bis 31. Mai 1945 als Nachversicherungszeit zu gewähren.

Der Kläger rügt Verletzung des Art. 6 § 23 FANG. Er meint, innerhalb des öffentlich-rechtlichen Gewaltverhältnisses, in dem er als Kriegsgefangener gestanden habe, habe ein faktisches Arbeitsverhältnis bestanden (Hinweis auf Art.49, 51, 53, 54 der Genfer Konvention vom 12. August 1949). Zumindest sei er nach Art. 6 § 23 Abs. 1 Buchst. b FANG einem Zwangs- oder Ostarbeiter gleichzustellen.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen. Sie hält die Begründung des Urteils des LSG für richtig.

Beide Beteiligte sind mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 124 Abs. 2 SGG).

II

Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Das Urteil des LSG entspricht dem Gesetz. Der Kläger hat keinen Anspruch auf höhere Rente durch Berücksichtigung der Zeit, in der er während des zweiten Weltkrieges als Kriegsgefangener in Deutschland zur Arbeit eingesetzt war, denn er gilt nicht als nachversichert nach Art. 6 § 23 Abs. 1 FANG.

Nach Art. 6 § 23 Abs. 1 FANG gelten heimatlose Ausländer im Sinne des Gesetzes über die Rechtsstellung heimatloser Ausländer im Bundesgebiet vom 25. April 1951, die während des Krieges als ausländische Arbeitskräfte im Gebiet des Deutschen Reiches beschäftigt waren, als nachversichert für die Zeiten,

a) in denen sie der Versicherungspflicht unterlegen haben, ohne daß für sie Beiträge zu den gesetzlichen Rentenversicherungen entrichtet worden sind oder als entrichtet galten,

b) in denen sie der Versicherungspflicht unterlegen hätten, wenn sie nicht als Ausländer von der Versicherungspflicht ausgenommen gewesen wären.

Weder die Voraussetzungen des Buchstabens a noch die des Buchstabens b dieser Vorschrift sind bei dem Kläger hinsichtlich der Zeit vom 26. Juni 1941 bis zum 31. Mai 1945, in der er als Kriegsgefangener im Gebiet des Deutschen Reiche in Arbeit eingesetzt war, erfüllt.

Der Versicherungspflicht in einer der gesetzlichen Rentenversicherungen, d.h. in der für den Kläger allein in Betracht kommenden Arbeiterrentenversicherung, unterlag der Kläger in der streitigen Zeit nicht. Die hierfür maßgeblichen Vorschriften waren damals § 1226 der Reichsversicherungsordnung (RVO) in der vor Erlaß der Ersten Vereinfachungs-VO vom 17.März 1945 geltenden Fassung und nach Erlaß dieser Verordnung § 1226 i.V.m. § 165 RVO. Danach war Voraussetzung der Versicherungspflicht für Arbeiter, daß sie gegen Entgelt "beschäftigt" wurden, daß also ein Beschäftigungsverhältnis im Sinne der RVO bestand. Ein Beschäftigungsverhältnis im Sinne der RVO lag und liegt aber dann nicht vor, wenn die Tätigkeit auf gesetzlicher Arbeitspflicht auf Grund eines öffentlich-rechtlichen Gewaltverhältnisses beruht, dem der Arbeitende unter Einschränkung seiner persönlichen Freiheit unterworfen ist (BSG in SozR Nr. 54 zu § 165 RVO hinsichtlich Strafgefangener und Sicherungsverwahrter; zu vgl. auch BSG 12, 71; 18, 246, 251). Eben dies aber war bei dem Kläger als einem Kriegsgefangenen gegeben.

Für die Rechtslage bei dem kriegsgefangenen Kläger war nicht die Genfer Konvention vom 12. August 1949, auf die die Revision sich bezieht, maßgebend, sondern das Genfer Abkommen über die Behandlung der Kriegsgefangenen vom 27.Juli 1929 (RGBl 1934 II, 227); denn dieses Abkommen galt für jugoslawische Kriegsgefangene (Waltzog, Recht der Landkriegsführung, S. 109, 110) während der hier in Frage kommenden Zeit von 1941 bis 1945.

Nach Art. 2 Abs. 1 des Kriegsgefangenenabkommens von 1929 unterstanden die Kriegsgefangenen der Gewalt der feindlichen Macht. Nach Art. 27 Abs. 1 konnten die Kriegführenden sie mit Ausnahme der Offiziere und der Gleichgestellten als Arbeiter verwenden. Nach Art. 33 Abs. 2 unterstand jedes Arbeitskommando einem Gefangenenlager; dessen Kommandant war für die Befolgung der Bestimmungen des Abkommens verantwortlich. Zur Entlohnung der Arbeit der Kriegsgefangenen war in Art. 34 bestimmt, daß bei Arbeiten für Privatpersonen die Bedingungen im Einverständnis mit der Militärbehörde festgesetzt wurden.

Infolge des Gewaltverhältnisses nach Art. 2 des Kriegsgefangenenabkommens war für die Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses im Sinne der RVO kein Raum, es sei denn, der Gewahrsamsstaat hätte etwas anderes gestattet, wie es z.B. durch das sog. "Erleichterte Statut" für beurlaubte französische Kriegsgefangene geschehen ist (s. Erlaß des Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz - VI 5135/2917/43 (g) vom 16. April 1943 und die Verfügung des OKW 2 f - 24.18 f, Chef Kriegsgef./Allg. (II) Org. (III) Nr. 3671/43 vom 20. April 1943); diese beurlaubten französischen Kriegsgefangenen waren in der Rentenversicherung grundsätzlich den deutschen Arbeitern gleichgestellt. Aus dem Kriegsgefangenenabkommen ergibt sich, daß die Kriegsgefangenen zur Leistung von Arbeit auf Grund des öffentlich-rechtlichen Gewaltverhältnisses zum Gewahrsamsstaat verpflichtet waren und zur Arbeit kommandiert wurden. Die Einzelheiten des Arbeitseinsatzes von Kriegsgefangenen auf der Grundlage des Kriegsgefangenenabkommens waren in Erlassen geregelt (Zusammenstellung des Reichsarbeitsministers in RABl 1940 I, Amtlicher Teil Seite 384, ferner RdErlaß des RAM vom 7.April 1942 - Va 5135/718). Da hinsichtlich der Kriegsgefangenen kein Beschäftigungsverhältnis im Sinne der RVO bestand, wurden sie nicht als versicherungspflichtig in der gesetzlichen Rentenversicherung angesehen und Beiträge waren für sie nicht zu entrichten (RABl aaO Abschn. IV 4 der Zusammenstellung). Die Versicherung der Kriegsgefangenen gegen Arbeitsunfälle (Gesetz über die Unfallversicherung der Kriegsgefangenen vom 3. September 1940 - RGBl I, 1201 mit Begründung in AN 1940, 328) ergab sich nicht aus einem Beschäftigungsverhältnis, sondern sie beruhte auf der Sonderbestimmung des Artikels 27 Abs. 4 des Kriegsgefangenenabkommens, wonach die Kriegführenden verpflichtet waren, den durch Arbeitsunfälle zu Schaden gekommenen Kriegsgefangenen während der ganzen Dauer der Gefangenschaft die Bestimmungen zugute kommen zu lassen, die nach der Gesetzgebung des Gewahrsamsstaates auf die Arbeiter derselben Kategorie anwendbar waren. Auch die Verpflichtung der Unternehmer, für die Kriegsgefangenenarbeit eine Vergütung zu zahlen, war nicht Ausfluß eines Beschäftigungsverhältnisses, sondern beruhte auf dem in Anwendung des Kriegsgefangenenabkommens mit dem Stammlager abgeschlossenen Überlassungsvertrag. Der Anspruch des Kriegsgefangenen auf Lohn nach Art. 34 Abs. 2 des Kriegsgefangenenabkommens richtete sich nicht gegen den Unternehmer, sondern gegen den Gewahrsamsstaat. An diesen Rechtsverhältnissen wurde nichts dadurch geändert, daß bei der Zuteilung der Kriegsgefangenen zu Arbeitsstellen durch die militärischen Dienststellen die Arbeitsämter maßgeblich beteiligt waren (RABl 1940 I 384). Für jugoslawische Kriegsgefangene bestanden keine Besonderheiten wie das erwähnte Erleichterte Statut für französische Kriegsgefangene.

Nach dieser Rechtslage der jugoslawischen Kriegsgefangenen unterlag der Kläger nicht der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung (Art. 6 § 23 Abs. 1 Buchst. a FANG).

Der Kläger war auch nicht "als Ausländer" von der Versicherungspflicht ausgenommen (ebenda Buchstb. b). Von Art. 6 § 23 Abs. 1 Buchstb. b FANG werden ausländische Arbeitskräfte erfaßt, die in einem Beschäftigungsverhältnis standen und die deshalb an sich nach § 1226 RVO aF versicherungspflichtig gewesen wären, die aber durch besondere Vorschriften von der Versicherungspflicht ausgenommen waren. Die im Reichsgebiet in Arbeit eingesetzten ausländischen Arbeitskräfte, die hier in einem Beschäftigungsverhältnis standen, waren gemäß dem Territorialitätsprinzip in der deutschen Rentenversicherung zu versichern (§ 1226 RVO aF; Sozialversicherungsabkommen mit den verschiedenen Herkunftsländern). Ausnahmen von der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung waren zeitweise für die "Ostarbeiter" bestimmt. Sie unterlagen zunächst nicht der Invalidenversicherung (Erlasse vom 4. März 1942 - AN S. 167 und vom 19. August 1942 - AN S. 466, die im Anschluß an die VO über die Besteuerung und die arbeitsrechtliche Behandlung der Arbeitskräfte aus den neu besetzten Ostgebieten vom 20. Januar 1942 - RGBl I 41 - und die VO über die Einsatzbedingungen der Ostarbeiter vom 30. Juni 1942 - RGBl I 419 - ergangen waren). Diese Rechtslage wurde durch § 11 der Verordnung über die Einsatzbedingungen der Ostarbeiter vom 25. März 1944 (RGBl I 68) geändert. Danach hatten die Ostarbeiter nun Sozialversicherungsbeiträge nach den Vorschriften der Reichsversicherungsgesetze zu entrichten (vgl. Erlaß vom 22. April 1944 - AN S. 96). Der Kläger wird von diesen Vorschriften nicht berührt. Die ausländischen Arbeitskräfte, die im Krieg in Deutschland arbeiteten, standen nicht in einem öffentlich-rechtlichen Gewaltverhältnis zum Deutschen Reich wie die Kriegsgefangenen nach dem Kriegsgefangenenabkommen. Sie traten, auch wenn sie zur Arbeit bei bestimmten Unternehmern verpflichtet wurden (vgl. z.B. die VO des Beauftragten für den Vierjahresplan zur Sicherstellung des Kräftebedarfs für Aufgaben von besonderer staatspolitischer Bedeutung vom 13. Februar 1939 - RGBl I 206 - und die Dienstplficht-DurchführungsVO vom 2. März 1939 - RGBl I 403), in ein Beschäftigungsverhältnis zu den Unternehmern; mit der Dienstverpflichtung wurde durch einen Verwaltungsakt zwischen dem Verpflichteten und dem Unternehmer ein Arbeitsvertrag geschlossen - s. Sommer - Schelp, Arbeitseinsatz und Arbeitsrecht, 1942, Anm. 3 zu § 1 der VO vom 13. Februar 1939 und Anm. 1 zu § 6 der Dienstpflicht-DVO vom 2. März 1939, S. A II 30, 34 des 9. Nachtrags). Die ausländischen Arbeitskräfte unterschieden sich also wesentlich von Kriegsgefangenen. Deshalb ist eine Gleichstellung der Kriegsgefangenen mit diesen Arbeitskräften nicht, wie der Kläger meint, möglich.

Die Revision des Klägers ist somit nicht begründet und zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 197

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