Entscheidungsstichwort (Thema)

Beitragszahlung für Ausfallzeit. Beitragserstattung

 

Leitsatz (amtlich)

Der Bezug von Krankengeld begründet keine Beitragspflicht nach § 1385b Abs 1 RVO, wenn mit der Arbeitsunfähigkeit zugleich Erwerbsunfähigkeit eingetreten ist und kein Anhalt für eine spätere Wiedererlangung der Erwerbsfähigkeit besteht.

 

Orientierungssatz

Hat von Anfang an objektiv kein Ausfallzeittatbestand vorgelegen, so fehlt eine der Voraussetzungen des § 1385b RVO und folglich sind auch die vom Rentenversicherungsträger erhobenen Beiträge zu Unrecht entrichtet worden. Zu Unrecht entrichtete Beiträge hat der Rentenversicherungsträger gemäß § 26 SGB 4 zu erstatten. Dem Erstattungsanspruch steht hier nicht entgegen, daß Leistungen aus der Rentenversicherung erbracht worden sind; denn erstens werden die nach § 1385b RVO für Ausfallzeiten entrichteten Beiträge als solche ohnehin bei der Rentenberechnung nicht berücksichtigt und zweitens könnte auch die Ausfallzeit selbst, für die sie entrichtet worden sind, schon gemäß § 1259 Abs 2 S 1 RVO nicht im Rahmen der Erwerbsunfähigkeitsrente berücksichtigt werden, da Erwerbsunfähigkeit bereits vorher eingetreten war.

 

Normenkette

RVO § 1385b Abs 1 Fassung: 1983-12-22; SGB 4 § 26 Abs 1 Fassung: 1976-12-23; RVO § 1259 Abs 1 Nr 1 Fassung: 1983-12-22; RVO § 1259 Abs 2 S 1 Fassung: 1957-02-23

 

Verfahrensgang

SG Reutlingen (Entscheidung vom 19.02.1986; Aktenzeichen S 2 Kr 216/85)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte dem Kläger den Anteil der Beiträge zur Rentenversicherung zu erstatten hat, den sie gem § 1385b der Reichsversicherungsordnung (RVO) vom Krankengeld abgezogen und an die zuständige Landesversicherungsanstalt (LVA) abgeführt hat.

Der Kläger war versicherungspflichtig beschäftigt. Am 5. Januar 1984 wurde er arbeitsunfähig krank. Die Beklagte zahlte nach Ende der Lohnfortzahlung ab 5. Februar 1984 Krankengeld. Hiervon behielt sie gem § 1385b RVO / § 186 des Arbeitsförderungsgesetzes Beiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung ein. Mit Bescheid vom 2. Juni 1984 gewährte die LVA Württemberg dem Kläger Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU) rückwirkend ab 1. Februar 1984. Eine Mitteilung hierüber ging am 7. Juni 1984 bei der Beklagten ein. Diese stellte hierauf die Zahlung von Krankengeld ein, teilte dies dem Kläger unter dem 15. Juni 1984 mit und meldete ihren Ersatzanspruch beim Rentenversicherungsträger an. Die vom Krankengeld einbehaltenen Beiträge zur Arbeitslosenversicherung in Höhe von 127,31 DM erstattete die Beklagte dem Kläger.

Eine Rückerstattung der Beiträge zur Rentenversicherung für die Zeit vom 5. Februar bis 7. Juni 1984 lehnte die Beklagte jedoch ab (Bescheid vom 27. Juni 1984). Die durch den Krankengeldbezug begründete Beitragspflicht werde durch rückwirkende Rentenbewilligung nicht berührt. Widerspruch und Klage hatten keinen Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 31. Januar 1985; Urteil des Sozialgerichts -SG- Reutlingen vom 19. Februar 1986).

Das SG hat die Auffassung vertreten, daß die Beklagte die gesetzlichen Vorschriften richtig angewandt hat. Eine rückwirkende Rentengewährung ändere nichts an der Beitragspflicht. Es erfolge keine Rückabwicklung der Leistung. Diese verbleibe vielmehr dem Versicherten, so daß die Grundlage für die Beitragspflicht nicht entfalle. In diesen Regelungen sieht das Gericht auch keinen Verstoß gegen das Grundgesetz (GG).

Mit der vom SG zugelassenen Sprungrevision, der die Beklagte zugestimmt hat, macht der Kläger geltend, daß schon nach einfachem Recht durch rückwirkende Bewilligung der EU-Rente die durch den Krankengeldbezug ausgelöste Beitragspflicht entfallen sei. Die Beitragspflicht nach § 1385b RVO entfalle, weil sie nur für Ausfallzeiten bestehe. Mit dem Eintritt der EU entfalle aber die Möglichkeit der Anrechnung von Ausfallzeiten, weil das Arbeitsleben hierdurch beendet und nicht unterbrochen wird (Hinweis auf BSG SozR Nrn 20 und 36 zu § 1259 RVO).

Außerdem macht der Kläger geltend, daß § 1385b RVO in vielfacher Hinsicht gegen das GG verstoße. Im einzelnen wird auf die Revisionsbegründung verwiesen.

Der Kläger beantragt, das Urteil des SG Reutlingen und den Bescheid der Beklagten vom 27. Juni 1984 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Januar 1985 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger die für die Zeit ab 5. Februar 1984 vom Krankengeld einbehaltenen Beiträge zur Rentenversicherung in Höhe von 650,47 DM zu erstatten.

Die Beklagte und die Beigeladene beantragen, die Revision zurückzuweisen.

Sie beziehen sich im wesentlichen auf das angefochtene Urteil.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist begründet. Die Beklagte ist verpflichtet, dem Kläger die Beiträge zu erstatten, die sie für die Zeit ab 5. Februar 1984 für die Dauer des Krankengeldbezuges erhoben hat.

Das SG hat zu Unrecht eine Beitragspflicht nach § 1385b Abs 1 RVO bejaht. Das Gesetz knüpft die Beitragspflicht nicht lediglich an den Bezug von Krankengeld. Die Bezugszeit muß vielmehr außerdem eine Ausfallzeit sein. Eine solche kommt nach § 1259 Abs 1 Nr 1 RVO nur in Betracht, wenn eine versicherungspflichtige Beschäftigung durch die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit unterbrochen worden ist. Eine Ausfallzeit ist hingegen nicht anzurechnen, wenn die Arbeitsunfähigkeit das Arbeitsleben beendet (BSG SozR 2200 § 1259 Nrn 54 und 57 mwN). Letzteres ist hier der Fall. Der beigeladene Rentenversicherungsträger hat die im Januar 1984 eingetretene Erkrankung des Klägers als Versicherungsfall der EU anerkannt und zahlt ab 1. Februar 1984 EU-Rente wegen dauernder EU. Es besteht kein Anhalt, daß sich dieser Zustand bei dem bereits damals fast 61jährigen Kläger noch im Laufe seines Arbeitslebens ändert, er also seine Erwerbsfähigkeit noch einmal wiedererlangen wird. Es kommt deshalb die Anrechnung dieser Zeit als Ausfallzeit (die für den Versicherungsfall der EU im vorliegenden Fall überdies durch § 1259 Abs 2 Satz 1 RVO ausgeschlossen war) auch nicht bei der späteren Gewährung von Altersruhegeld in Betracht (was anderenfalls möglich wäre: BSG SozR 2200 § 1259 Nrn 6 und 57).

Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu den Grenzen einer Rückwirkung im Beitragsrecht (s zB BSGE 11, 243; 26, 120; 49, 85 = SozR 2200 § 1422 Nr 1 mwN; SozR Nr 6 zu § 169 RVO; SozR Nr 7 zu Art 2 § 38 ArVNG) stehen der Erstattungspflicht nicht entgegen. Es mag zwar zutreffen, daß die Beklagte zunächst nicht erkennen konnte, daß keine Ausfallzeit vorlag. Dies ändert aber nichts daran, daß objektiv schon vor Beginn der streitigen Zeit dauernde EU eingetreten war, die das Arbeitsleben beendet hatte, und deshalb ein Ausfallzeittatbestand nicht vorlag. Ob die Rechtslage anders zu beurteilen ist, wenn zunächst nur EU-Rente auf Zeit gewährt wird und sich erst sehr viel später herausstellt, daß das Arbeitsleben beendet war, ist hier nicht zu entscheiden.

Hat aber von Anfang an objektiv kein Ausfallzeittatbestand vorgelegen, so fehlte eine der Voraussetzungen des § 1385b RVO und folglich sind auch die von der Beklagten erhobenen Beiträge zu Unrecht entrichtet worden. Zu Unrecht entrichtete Beiträge hat die Beklagte gem § 26 des Sozialgesetzbuchs - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - zu erstatten. Dem Erstattungsanspruch steht hier nicht entgegen, daß Leistungen aus der Rentenversicherung erbracht worden sind; denn erstens werden die nach § 1385b RVO für Ausfallzeiten entrichteten Beiträge als solche ohnehin bei der Rentenberechnung nicht berücksichtigt und zweitens könnte auch die Ausfallzeit selbst, für die sie entrichtet worden sind, schon gem § 1259 Abs 2 Satz 1 RVO nicht im Rahmen der EU-Rente berücksichtigt werden, da EU bereits vorher eingetreten war.

Die Revision und Klage mußten deshalb Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1662128

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