Entscheidungsstichwort (Thema)

Voraussetzungen für die Gewährung von flexiblem Altersruhegeld. Ermittlung des Arbeitseinkommens

 

Leitsatz (amtlich)

1. Für die Feststellung des durchschnittlichen Arbeitseinkommens nach RVO § 1248 Abs 4 S 1 Buchst b können sich Versicherungsträger und Gericht dann nicht ohne eigene Ermittlungen auf die Angaben im Einkommensteuerbescheid beschränken, wenn ein Beteiligter widerspricht.

2. Jedenfalls bei selbständigen Gewerbetreibenden kann das durchschnittliche monatliche Arbeitseinkommen in der Weise ermittelt werden, daß das Einkommen im Kalenderjahr durch 12 geteilt wird, wenn sich die Erwerbstätigkeit über das volle Kalenderjahr erstreckt und das flexible Altersruhegeld für diesen Zeitraum begehrt wird.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Das Arbeitseinkommen iS des RVO § 1248 Abs 4 Buchst b (AVG § 25 Abs 4 Buchst b) ist gleichbedeutend mit den Einkünften aus Gewerbebetrieb und aus selbständiger Arbeit iS des EStG § 2 Abs 1 Nr 2 und 3; eine Bindung der Sozialversicherungsträger an Entscheidungen der Finanzbehörden und der Gerichte der Finanzgerichtsbarkeit besteht aber nicht.

2. Besteht der Gewerbebetrieb nicht während des gesamten Kalenderjahres, ist das Arbeitseinkommen für den entsprechenden Teil des Kalenderjahres gesondert festzustellen.

3. Da bei selbständigen Gewerbetreibenden die Höhe des Arbeitseinkommens nicht von vornherein feststeht, muß für die nach RVO § 1248 Abs 4 Buchst b (AVG § 25 Abs 4 Buchst b) vorzunehmende Beurteilung das Arbeitseinkommen geschätzt werden; erweist sich diese Schätzung als unzutreffend, dann ist die rentenrechtliche Beurteilung nachträglich zu korrigieren.

 

Normenkette

RVO § 1248 Abs. 1 Fassung: 1972-10-16, Abs. 4 S. 1 Buchst. b Fassung: 1973-03-30; SGG § 103 S. 1 Fassung: 1974-07-30; EStG § 2 Abs. 1 Nrn. 2-3; AVG § 25 Abs. 4 Buchst. b Fassung: 1973-03-30

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches LSG (Entscheidung vom 08.03.1977; Aktenzeichen L 5 J 46/75)

SG Kiel (Entscheidung vom 16.12.1974; Aktenzeichen S 4 J 48/74)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 8. März 1977, soweit die Beklagte verurteilt worden ist, und hinsichtlich der Kostenentscheidung aufgehoben. In diesem Umfang wird der Rechtsstreit an das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht zurückverwiesen.

Die Revision des Klägers wird als unbegründet zurückgewiesen.

 

Tatbestand

Der am 15. April 1909 geborene Kläger ist selbständiger Modellbaumeister (Alleinmeister). Er beantragte im Januar 1973 das "flexible" Altersruhegeld nach § 1248 Abs 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO). Die Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 10. September 1973 das Altersruhegeld für die Monate Januar bis März 1973. Der Bescheid enthält den Zusatz: "Die Gewährung der Rente für abgelaufene Zeiträume erfolgt im Hinblick auf die Verkündung des 4. Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes am 31. März 1973. Ansprüche für Zeiten danach werden vorerst nicht begründet". Mit Bescheid vom 9. November 1973 wurde ein höherer Zahlbetrag festgestellt. Nach Beiziehung der Steuerakten lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 18. Januar 1974 die Gewährung des Altersruhegeldes für die Folgezeit ab, weil sie mit dem Finanzamt zunächst davon ausging, daß der Kläger im Jahr 1973 mindestens die gleichen Einkünfte gehabt habe wie im Jahr 1971, nämlich 764 DM monatlich, weshalb die Verdienstgrenze des § 1248 Abs 4 RVO überschritten sei. Das Finanzamt schätzt seit 1961 den Gewinn des Klägers auf 50 % seines Umsatzes, weil der Kläger wegen einer Hirnverletzung keine ordentliche Buchführung zu erstellen vermag.

Seit 1. Mai 1974 erhält der Kläger das Altersruhegeld nach § 1248 Abs 5 RVO.

Mit der Klage hat der Kläger beantragt, den Bescheid vom 18. Januar 1974 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 1. April 1973 bis zum 30. April 1974 das flexible Altersruhegeld zu gewähren. Das Sozialgericht (SG) Kiel hat mit Urteil vom 16. Dezember 1974 den Bescheid geändert, die Beklagte verurteilt, für das zweite und das vierte Vierteljahr 1973 das Altersruhegeld zu gewähren, im übrigen die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen. Beide Beteiligten haben Berufung eingelegt. Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 8. März 1977 erkannt:

Auf die Berufungen der Beteiligten werden das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 16. Dezember 1974 und der Bescheid der Beklagten vom 18. Januar 1974 geändert.

Unter Abweisung der Klage im übrigen und Zurückweisung der Berufung der Beklagten im übrigen wird die Beklagte verurteilt, dem Kläger mit einem neuen Bescheid flexibles Altersruhegeld für die Zeit vom 1. Januar bis 30. April 1974 zu gewähren.

Die Beklagte hat dem Kläger von den außergerichtlichen Kosten ein Viertel zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt: Für die Ermittlung des Arbeitseinkommens nach § 1248 Abs 4 Buchst b RVO müsse auf das gesamte Jahr 1973 abgestellt werden, da in diesem laufend Arbeitsverdienst im Sinne der hier beachtlichen Vorschrift erzielt worden sei. Dagegen sei der Durchschnitt der Einkünfte in den Monaten Januar bis April 1974 aus dem Gesamtverdienst dieser Zeit zu bilden, weil für die Folgezeit keine Höchstgrenze mehr bestehe. Zur Ermittlung der Höhe des anzurechnenden Arbeitseinkommens sei von dem Betrag auszugehen, der der Veranlagung zur Einkommensteuer tatsächlich zugrunde gelegt worden sei. Daß das Finanzamt den Gewinn des Klägers geschätzt habe, sei für die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung ohne Belang. Da der Kläger im Durchschnitt des Jahres 1973, wobei das erste Vierteljahr nicht außer Betracht bleiben dürfe, die für dieses Jahr geltende Höchstgrenze von 690,- DM monatlich überschritten habe, könne er für die Monate April bis Dezember dieses Jahres kein Altersruhegeld erhalten. Der Gesamtverdienst des Klägers in den Monaten Januar bis April 1974 habe unter der in diesem Jahr geltenden Höchstgrenze von 750,- DM gelegen; insoweit sei also Altersruhegeld zu zahlen.

Mit der rechtzeitigen und formrichtigen Revision trägt die Beklagte vor: Das Berufungsgericht habe § 1248 Abs 4 Satz 1 Buchst b RVO verletzt, indem es das Arbeitseinkommen des Klägers in den Monaten Januar bis April 1974 nicht, wie es erforderlich gewesen wäre, durch Feststellung des Umsatzes abzüglich der Betriebsausgaben und der betrieblichen Werbungskosten selbst ermittelt, sondern aus den - auf Schätzungen beruhenden - Einkommensteuerbescheiden übernommen habe. Sie beantragt sinngemäß,

die Urteile des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 8. März 1977 und des Sozialgerichts Kiel vom 16. Dezember 1974 zu ändern und

die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Auch der Kläger hat rechtzeitig und formrichtig Revision eingelegt. Er trägt vor: Das Berufungsgericht habe die RVO verletzt und gegen Art 20 des Grundgesetzes (GG) verstoßen, indem es das Arbeitseinkommen der Monate April bis Dezember 1973 aus dem Durchschnitt des ganzen Kalenderjahres und nicht aus kleineren Zeitabschnitten errechnet sowie durch die Einbeziehung auch des ersten Vierteljahres 1973 eine unerlaubte "faktische Rückwirkung" des 4. Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes angenommen habe. Er beantragt sinngemäß,

1.

die Revision der Beklagten als unbegründet zurückzuweisen,

2.

die Urteile der Vorinstanzen zu ändern, den Bescheid der Beklagten vom 18. Januar 1974 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Altersruhegeld auch für die Zeit vom 1. April bis zum 31. Dezember 1973 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt außerdem,

die Revision des Klägers als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers, die das Altersruhegeld für die Monate April bis Dezember 1973 betrifft, ist nicht begründet. Die Revision der Beklagten, mit der diese ihre Verurteilung zur Zahlung von Altersruhegeld für die Monate Januar bis April 1974 angreift, ist im Sinne der Zurückverweisung begründet.

§ 1248 Abs 1 RVO in der am 1. Januar 1973 in Kraft getretenen Fassung des Rentenreformgesetzes (RRG) vom 16. Oktober 1972 (BGBl I 1965) bestimmt, daß ua der Versicherte, der das 63. Lebensjahr vollendet hat, unter weiteren, hier nicht interessierenden Voraussetzungen auf Antrag das Altersruhegeld erhält. Während nach der Fassung des RRG der Empfänger dieses Altersruhegeldes unbeschränkt dazuverdienen durfte, hat das Vierte Rentenversicherungs-Änderungsgesetz (4. RVÄndG) vom 30. März 1973 (BGBl I 257) den § 1248 Abs 4 RVO rückwirkend zum 1. Januar 1973 dahin geändert, daß Anspruch auf ein Altersruhegeld nach Abs 1 bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres neben einer Beschäftigung gegen Entgelt oder neben einer Erwerbstätigkeit nur besteht, wenn die Beschäftigung oder Erwerbstätigkeit nur gelegentlich oder zwar laufend oder in regelmäßiger Wiederkehr, aber nur gegen einen Entgelt oder ein Arbeitseinkommen, das durchschnittlich im Monate drei Zehntel der für Monatsbezüge geltenden Beitragsbemessungsgrenze nicht überschreitet, ausgeübt wird; die Fassung vom 30. März 1973 ist hier anzuwenden, denn die Voraussetzungen des Art 2 § 1 des 4. RVÄndG sind nicht erfüllt; die mit Wirkung vom 1. Juli 1977 durch Art 2 § 1 Nr 10 Buchst b des Zwanzigsten Rentenanpassungsgesetzes (20 RAG) vom 27. Juni 1977 (BGBl I 1040) geänderte Fassung kommt hier nicht in Betracht.

1)

Die Beklagte beanstandet zu Recht, daß das LSG für die Monate Januar bis April 1974 nicht selbst das Arbeitseinkommen des Klägers ermittelt, sondern gemeint hat, den der Einkommensteuerveranlagung zugrunde gelegten Betrag annehmen zu müssen. Zwar ist das "Arbeitseinkommen" im Sinne des § 1248 Abs 4 Buchst b RVO, nämlich das Einkommen aus einer selbständigen Tätigkeit, gleichbedeutend mit den Einkünften aus Gewerbebetrieb und aus selbständiger Arbeit iS des § 2 Abs 1 Nrn 2 und 3 des Einkommensteuergesetzes 1975 (EStG 1975) idF vom 5. September 1974 (BGBl I 2165) - vgl auch BSGE 30, 61, 64 -, aber eine Bindung der Sozialversicherungsträger an Entscheidungen der Finanzbehörden und der Gerichte der Finanzgerichtsbarkeit besteht nicht (BSGE 20, 6, 9 f; Urteil vom 15. Dezember 1977 - 11 RA 38/77 -). Dabei ist es ohne Bedeutung, ob das Finanzamt die Besteuerungsgrundlagen aufgrund der Amtsermittlung im üblichen strengen Verfahren festgestellt oder, weil es sie nicht ermitteln oder berechnen konnte, (nur) geschätzt hat (§ 162 der Abgabenordnung - AO 1977 - idF vom 16. März 1976, BGBl I 613, ber. BGBl 1977 I 269; früher § 217 der Reichsabgabenordnung).

An dieser Rechtslage hat sich durch die Einführung einer gesetzlichen Begriffsbestimmung des Arbeitseinkommens in § 15 des am 1. Juli 1977 in Kraft getretenen Vierten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB) vom 23. Dezember 1976 (BGBl I 3845) nichts wesentliches geändert. Ob diese Vorschrift die Einkünfte aus Gewerbebetrieb aus dem Begriff Arbeitseinkommen ausklammern will (vgl auch das Urteil vom 15. Dezember 1977 - 11 RA 38/77 -), kann hier dahinstehen, da die Entscheidung nach altem Recht zu ergehen hat.

Das LSG hätte die Höhe des Arbeitseinkommens nach § 153 Abs 1, § 103 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ermitteln müssen. Feststellungen in anderen Verfahren hätten die Beweisaufnahme nur dann ersetzen können, wenn die Beteiligten sie auch im sozialgerichtlichen Verfahren gelten lassen wollten (BSG, Urteil vom 20. Mai 1976 - 8 RU 98/75 -, Breithaupt 1977, 25; in BSGE 42, 42 und SozR 2200 § 550 Nr 14 insoweit nicht abgedruckt). Die Beklagte hat sich hier jedoch mit der Verwertung der - nur auf Schätzungen beruhenden - Einkommensteuerbescheide nicht einverstanden erklärt, während sie nach ihrem Vorbringen in der Revisionsbegründung sich sonst in aller Regel nach dem vom Finanzamt festgestellten Arbeitseinkommen richtet, was auch zweckmäßig erscheint (vgl für die Feststellung des Arbeitseinkommens nach § 571 RVO: SozR 2200 § 571 Nr 1).

2)

Der Kläger rügt, daß das LSG das Arbeitseinkommen der Monate April bis Dezember 1973 aus dem Durchschnitt des ganzen Kalenderjahres berechnet habe. Das angefochtene Urteil läßt jedoch insoweit keinen Rechtsfehler erkennen.

Kommt es für das Arbeitseinkommen auf mehrere Monate an, so ist aus den Tätigkeitszeiten der Durchschnitt zu bilden; beschäftigungs- oder tätigkeitslose Zeiten können nicht zur Bildung eines Jahresdurchschnitts herangezogen werden (BSG, SozR 2200 § 1248 Nr 9). Eine Durchschnittsbetrachtung muß auf einen längeren Zeitraum bezogen werden (vgl BSGE 32, 268, 269 für die Frage, ob eine Aushilfsbeschäftigung berufsmäßig ausgeübt worden ist). An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten. Bei einem selbständigen Gewerbetreibenden ist dies das Kalenderjahr.

An sich ist die Durchschnittsberechnung des Arbeitseinkommens nach § 1248 Abs 4 Satz 1 Buchst b RVO auf verschiedene Weise möglich. Allerdings kann, da der Durchschnitt aus der Zusammenrechnung mehrerer Einzelposten zu bilden ist, die Berechnung nicht jeweils aus einem Monatsbetrag oder aus dem Einkommen für einen noch kleineren Zeitraum erfolgen. Ob aber der Durchschnitt aus jeweils 2, 3 oder 12 Monaten gebildet wird, ist nicht festgelegt.

Der Verbands-Kommentar (Anm 16 Abs 2 zu § 1248 RVO, Stand: 1. Juli 1976) ist der Ansicht, die Worte "durchschnittlich nicht überschreitet" seien ebenso auszulegen wie die gleichen Worte in § 1228 Abs 2 Buchst b RVO, dh der Verdienst dürfe "regelmäßig" die genannte Grenze nicht überschreiten, wobei eine Überschreitung in zwei aufeinanderfolgenden Monaten und einem weiteren oder in höchstens drei Einzelmonaten nicht schädlich sei, weshalb die Berechnung eines jährlichen Durchschnitts, sei es vom ersten Rentenbeginn pro Kalenderjahr, sei es mit einem gleitenden Jahr, nicht erforderlich sein dürfte (vgl Pabel, Das flexible Altersruhegeld, Mitteilungen der Landesversicherungsanstalt Württemberg, 1977, 77, 80; Arbeitsanweisungen der Rentenabteilung, Amtliche Mitteilungen der Landesversicherungsanstalt Rheinprovinz, 1977, 519, 521; Zweng/Scheerer, Das neue Recht der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten, 2. Aufl., Anm III 1 zu § 1248 RVO).

Dagegen ist zB das Bayerische Landessozialgericht in dem - anscheinend nicht veröffentlichten - Urteil vom 3. Mai 1977 - L 5 Ar 289/76 - der Auffassung, rückschauend müßten die "in einem längeren Zeitraum" tatsächlich erzielten Bruttoarbeitsentgelte zusammengerechnet und durch die Anzahl der Monate geteilt werden, in denen dieser Verdienst erzielt worden sei, wobei der "längere Zeitraum" jeweils das Kalenderjahr oder, falls die Rente während des Kalenderjahres beginne, der Zeitraum vom Beginn der Rente bis zum Ende des laufenden Kalenderjahres sei. Es stützt sich dabei auf das zu § 168 RVO aF ergangene Urteil des BSG in SozR Nr 9 zu § 168 RVO, das in einem gewissen Gegensatz zu dem Urteil SozR Nr 6 zu § 168 RVO steht, und auf das Urteil des erkennenden Senats SozR 2200 § 1228 Nr 1, in dem allerdings die Frage, welcher Zeitraum den Monatsdurchschnitt bestimmen soll, offen gelassen war.

Zu praktisch dem gleichen Ergebnis - für einen selbständigen Handwerker, während das Bayerische Landessozialgericht es mit einem abhängig Beschäftigten zu tun hatte - kommt das Landessozialgericht Niedersachsen in dem - anscheinend nicht veröffentlichten - Urteil vom 21. Juli 1977 - L 10 J 563/76 -: Das monatliche Durchschnittseinkommen des Jahres sei zugrunde zu legen, damit würden die bei Selbständigen sonst häufig eintretenden "Zufallsergebnisse" vermieden. Zwar solle das flexible Altersruhegeld gezahlt werden, wenn das künftige Einkommen des Versicherten nach gewissenhafter Schätzung die Grenze nicht übersteigen werde; ergebe aber die Nachprüfung aufgrund des Einkommensteuerbescheides, daß die Grenze überschritten worden sei, so falle das Altersruhegeld rückwirkend weg. Ob das auch gelte, wenn von einem bestimmten Zeitpunkt ab die Struktur des Betriebes und dadurch auch die Einkommenssituation sich entscheidend geändert hätten, läßt das LSG offen.

Maier/Danne/Löschau/Sander, Rentenreform 72/74, 7. Aufl., Erl. zu § 25 AVG, S. 30, führen aus: Für die Prüfung der Einkommensgrenze reiche es bei Selbständigen aus, wenn diese im voraus das Arbeitseinkommen schätzten. Stelle sich bei der endgültigen nachträglichen Feststellung des - sich rechnerisch aus dem Arbeitseinkommen des gesamten Verdienstzeitraumes ergebenden - monatlichen Durchschnittseinkommens heraus, daß entgegen der Schätzung die Verdienstgrenze nicht eingehalten worden sei, so falle das Altersruhegeld kraft Gesetzes rückwirkend wieder weg.

Der Senat gibt der Ansicht der Landessozialgerichte und des Kommentars von Maier/Danne/Löschau/Sander den Vorzug.

Bei selbständigen Gewerbetreibenden ist für die Berechnung des durchschnittlichen monatlichen Einkommens (§ 1248 Abs 4 Satz 1 Buchst b RVO) grundsätzlich das Einkommen während eines Kalenderjahres, geteilt durch 12, zugrunde zu legen, denn sowohl bei der Einkommensfeststellung durch das Finanzamt (vgl § 4 a Abs 1 Nr 3 EStG) als auch bei der Bestimmung der Beitragsbemessungsgrenze nach § 1385 Abs 2 RVO wird vom Kalenderjahr ausgegangen. Wenn ein selbständiger Gewerbetreibender das flexible Altersruhegeld beantragt, kann nur geschätzt werden, wie sein Einkommen sich im Hinblick auf die zulässige obere Grenze des Hinzuverdienens voraussichtlich entwickeln wird. Dazu dienen Angaben des Versicherten, das Einkommen im vergangenen Kalenderjahr, geplante wesentliche Änderungen im Betrieb, etwaige in die Zukunft weisende Verträge mit Auftraggebern und dergleichen. Wenn dann das flexible Altersruhegeld bezogen wird, ist rückschauend das tatsächlich in der Zeit des Bezugs erzielte Einkommen festzustellen. Dabei ist das Kalenderjahr zugrunde zu legen, wenn das Begehren bzw der Bezug des Altersruhegeldes sowie der Betrieb des selbständigen Gewerbes sich über ein ganzes Kalenderjahr erstrecken. Eine Ausnahme gilt, wenn innerhalb des Kalenderjahres der selbständige Gewerbetrieb aufgenommen oder aufgegeben oder etwa ein Wechsel von einer abhängigen Beschäftigung oder in eine solche vorgenommen wird. Wenn in solchen Fällen und aus anderen Gründen - etwa hier Bewilligung des Altersruhegeldes wegen Vollendung des 65. Lebensjahres - Beginn oder Ende des flexiblen Altersruhegeldes während eines Kalenderjahres eintreten, ist das Einkommen für den entsprechenden Teil des Kalenderjahres gesondert festzustellen. Je nach dem Ergebnis der für abgelaufene Zeiträume getroffenen Feststellungen des Einkommens bestimmt sich der ggfs in der Vergangenheit liegende Zeitpunkt des Wegfalls des flexiblen Altersruhegeldes.

§ 1248 Abs 4 Satz 3 RVO steht der Jahresdurchschnittsberechnung nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift fällt das Altersruhegeld mit Beginn des Monats weg, in dem die Beschäftigung oder Erwerbstätigkeit den Rahmen überschreitet.

Der Kläger meint, für eine Anwendung dieser Bestimmung wäre kein Raum, wenn der Monatsdurchschnitt im Rahmen des Kalenderjahres ermittelt würde. Das trifft jedoch nicht zu. Dabei kann dahinstehen, wie sich die Bestimmung bei abhängig Beschäftigten auswirkt, bei denen die Praxis - zu Recht oder zu Unrecht - von der Bildung eines Jahresdurchschnittes absieht; denn der Senat hat sich hier nur mit dem Arbeitseinkommen eines selbständigen Gewerbetreibenden zu befassen. Auch bei diesem ist § 1248 Abs 4 Satz 3 RVO anzuwenden; das Altersruhegeld wird dann allerdings mit dem Beginn des Monats Januar wegfallen, weil aufgrund der Durchschnittsberechnung allen Monaten eines Kalenderjahres das gleiche "durchschnittliche" Arbeitseinkommen zugeteilt wird.

Die gleiche Erwägung gilt für die Anwendung des § 1290 Abs 3 Satz 3 RVO. Danach wird das Altersruhegeld mit dem Ersten des Monats wiedergewährt, in dem eine Beschäftigung oder Erwerbstätigkeit nicht mehr ausgeübt wird oder den Rahmen nicht mehr überschreitet. Bei dem selbständigen Gewerbetreibenden kann zwar die Wiedergewährung dann mit dem Ersten eines jeden Monats erfolgen, wenn er seine Tätigkeit aufgibt. Sonst aber, wenn er die Tätigkeit weiter ausübt und nur den Rahmen nicht mehr überschreitet, wird das Altersruhegeld zum 1. Januar wiedergewährt, dabei allerdings, wie ausgeführt, auch rückwirkend.

Daß die Auslegung des § 1248 Abs 4 Satz 1 Buchst b RVO - die Zugrundelegung des Kalenderjahres - dazu führt, daß Wegfall und Beginn des flexiblen Altersruhegeldes häufig auf den Monat Januar fallen, hängt mit Besonderheit und Eigenart eines selbständigen Gewerbebetriebes zusammen, wie dem unregelmäßigen Erbringen der Leistungen und Eingang der Einkünfte und der dadurch bedingten Gewinnermittlung für das Kalenderjahr.

Diese Berechnungsart stellt auch im Fall des Klägers eine sinnvolle und sachgemäße Anwendung des Gesetzes dar, und das Berufungsgericht hat zu Recht das Verfahren der Beklagten insoweit gebilligt.

Hiernach ist nicht zu beanstanden, daß die Beklagte in die Durchschnittsberechnung auch das erste Vierteljahr 1973 einbezogen hat. Dieser Zeitraum war keine tätigkeitslose Zeit im Sinne des Urteils in SozR 2200 § 1248 Nr 9. Vielmehr hat der Kläger sowohl während des ganzen Kalenderjahres 1973 Arbeitseinkommen erzielt als auch für das ganze Kalenderjahr Altersruhegeld bezogen bzw beantragt. Der Unterschied, daß die Leistung der Beklagten für das erste Vierteljahr 1973 bindend festgestellt, für die übrigen Vierteljahre dagegen streitig ist, ist in diesem Zusammenhang nicht wesentlich. Daß mit der Einbeziehung des ersten Vierteljahres eine "faktische Rückwirkung" des 4. RVÄndG eingetreten sei, wie der Kläger vorträgt, mag zutreffen, kann aber nicht berücksichtigt werden. Denn das in Art 2 § 4 des 4. RVÄndG angeordnete rückwirkende Inkrafttreten des Gesetzes ist vom Bundesverfassungsgericht im Beschluß vom 25. Juni 1974 (BGBl I 2161 = BVerfGE 37, 363, 397) als mit dem Grundgesetz vereinbar bezeichnet worden.

3)

Auf die Revision der Beklagten war das angefochtene Urteil aufzuheben. Die Sache war zur Ermittlung des Arbeitseinkommens an das LSG zurückzuverweisen. Die Revision des Klägers war als unbegründet zurückzuweisen. Über die Kosten wird das LSG entscheiden.

 

Fundstellen

BSGE, 112

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