Leitsatz (amtlich)

1. Bei der Bewertung des bisherigen Berufs des Versicherten sind die Ausbildung zu diesem Beruf und die Bedeutung dieses Berufs für den Betrieb unter Berücksichtigung etwaiger besonderer Anforderungen, die dieser Beruf an den Versicherten stellt, gleichermaßen zu berücksichtigen. Das wichtigste Indiz für die Beurteilung der betrieblichen Bedeutung eines Berufs ist seine tarifliche Einstufung.

2. Der Oberfeuerwehrmann auf einer Zeche ist bei der Prüfung der Berufsunfähigkeit in die obere Gruppe der Arbeiterberufe - dh wie ein Facharbeiter - einzustufen.

 

Normenkette

RVO § 1246 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23; RKG § 46 Abs. 2 Fassung: 1957-05-21

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 12. Oktober 1967 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Streitig ist, ob dem im Jahre 1910 geborenen Kläger auf Grund eines im Oktober 1963 gestellten Antrages statt der bis dahin gewährten Bergmannsrente die Gesamtleistung wegen Berufsunfähigkeit zu gewähren ist.

Der Kläger war von Mai 1925 bis März 1966 nacheinander als Hilfsarbeiter, Lehrhauer, Feuerwehrmann, Oberfeuerwehrmann, Heildiener und Pförtner versicherungspflichtig beschäftigt. Seine Tätigkeit als Oberfeuerwehrmann, die er nach Ableistung verschiedener Kurse im Mai 1953 erlangt und bis Ende September 1960 verrichtet hatte, mußte er wegen Stillegung der Schachtanlage W V der H AG aufgeben. Er wurde dann von der Schachtanlage F (H-AG) übernommen und bis zum 31. Juli 1961 vergönnungsweise als Oberfeuerwehrmann geführt und entlohnt allerdings als Heildiener und Pförtner beschäftigt. Vom 1. August 1961 bis zum 30. November 1963 erhielt er den Lohn eines Heildieners und ab 1. Dezember 1963 den Lohn des Pförtners.

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 8. Januar 1964 die Gewährung einer Rente wegen Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit ab. Als bisherige Berufstätigkeit im Sinne des § 46 Abs. 2 Reichsknappschaftsgesetz (RKG) gelte die Tätigkeit als Oberfeuerwehrmann. Da der Kläger nach seinem Gesundheitszustand zwar diesen Beruf nicht mehr ausüben könne, aber noch in der Lage sei, die Tätigkeiten als Magazinarbeiter, Markenausgeber, Motorenwärter, Telefonist in der Zentrale, Bote, Kauenwärter, Maschinenputzer, Pförtner, Wächter usw. zu verrichten, sei er nicht berufsunfähig. Der hiergegen eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 25. August 1964 zurückgewiesen. Der Kläger sei als Oberfeuerwehrmann kein Facharbeiter. Die Anerkennung von Berufsunfähigkeit scheitere daran, daß er noch in der Lage sei, Tätigkeiten der Lohngruppen IV und V über Tage zu verrichten.

Auf die dagegen erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) Gelsenkirchen mit Urteil vom 11. Februar 1966 die ablehnenden Bescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger ab 1. Oktober 1963 Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigkeit zu gewähren. Die dagegen von der Beklagten eingelegte Berufung hat das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen mit Urteil vom 12. Oktober 1967 zurückgewiesen. Ein Oberfeuerwehrmann mit der beruflichen Entwicklung des Klägers könne im Rahmen des § 46 RKG nicht auf Tätigkeiten der Lohngruppen IV und V über Tage verwiesen werden. Er sei einem Facharbeiter gleichzustellen. Aus dem Gutachten des Abteilungsdirektors H E ergebe sich überzeugend, daß ein Oberfeuerwehrmann unter Berücksichtigung der vielseitigen Kenntnisse und Fähigkeiten, seiner Aufsichtstätigkeit, der Verantwortung und der Vertrauensstellung in Qualifikation und beruflicher Stellung einem gelernten Handwerker oder Facharbeiter gleichzusetzen sei. Hierfür sei schon die Entlohnung ein Indiz, denn der Kläger sei als Oberfeuerwehrmann zuletzt mit den Handwerkern zusammen in die Lohngruppe I eingestuft gewesen, habe aber noch einen tariflichen Zuschlag von 5 % erhalten. Ein Oberfeuerwehrmann wie der Kläger müsse die Ausbildungsvorschriften kennen und über theoretische und praktische Kenntnisse in der Organisation des Brandschutzwesens, im vorbeugenden Brandschutz, in der Leitung praktischer Übungen, der Befehlserteilung, der Unterrichtserteilung, der Löschmittel und der Löschverfahren, der Löschwasserversorgung, der Fahrzeug- und Gerätekunde verfügen und besondere Erfahrung auf dem Gebiete des Atemschutzes und der Wiederbelebung speziell und des allgemeinen Gesundheitswesens (Heildiener) haben. Bei Übungen und Einsätzen sei der Kläger Führer einer Gruppe von acht Mann und außerdem als Vertreter des Brandmeisters in der Morgenschicht und als selbständiger Wachhabender in der Mittags- und Nachtschicht Leiter der Brandwache und des Sicherungs- und Ordnungsdienstes auf der Zeche gewesen. Hierbei habe er insbesondere die Wasserleitungshydranten, die Löschstationen und die Geräte überprüfen müssen. Im Ordnungsdienst habe er Wächter und Pförtner zu beaufsichtigen, Kontrollen durchzuführen, Geldtransporte zu begleiten, sowie bei Diebstählen und Unfällen erste Feststellungen zu treffen, schließlich habe er auch die Fuhrparküberwachung der Zeche durchzuführen und zeitweise den Fahreinsatz zu leiten. Er müsse Kraftfahrzeuge aller Art fahren können. Es sei daher gerechtfertigt, einen Oberfeuerwehrmann in seiner beruflichen Qualifikation und in seinem sozialen Rang einem Handwerker oder Facharbeiter gleichzustellen. Das entspreche auch in etwa der in vielen Betrieben vorhandenen Übung, den Oberfeuerwehrmann als Angestellten zu beschäftigen. Der Kläger brauche sich daher im Rahmen des § 46 RKG nicht auf Tätigkeiten der Lohngruppen IV und V über Tage verweisen zu lassen. Das LSG hat die Revision zugelassen.

Die Beklagte rügt mit der von ihr eingelegten Revision unrichtige Anwendung des § 46 Abs. 2 RKG. Nach dem vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung herausgegebenen "Verzeichnis der in der Bundesrepublik Deutschland anerkannten Lehr- und Anlernberufe" sei weder der Feuerwehrmann noch der Oberfeuerwehrmann in die Gruppe der Lehr- oder Anlernberufe eingeordnet. Der Kläger sei hauptberuflich bei einer an sich freiwilligen Feuerwehr tätig gewesen; seine Arbeit habe keine handwerkliche Ausbildung vorausgesetzt; er habe vielmehr nur an kurzfristigen Lehrgängen teilgenommen. Da die Berufserfahrung zu jedem Beruf gehöre, könne diese nicht der Ausbildung gleichgestellt werden.

Auch die Bedeutung des bisherigen Berufs für den Betrieb und die besonderen Anforderungen, die an einen Beruf gestellt werden, könnten nicht zu der von dem Kläger begehrten Einordnung seines Berufs führen. Wichtiges Indiz für die Frage, welche Bedeutung der Beruf für den Betrieb und welchen Wert die an ihn zu stellenden besonderen Anforderungen hätten, sei die tarifliche Einstufung dieses Berufs, denn in ihr komme am besten zum Ausdruck, wie die beteiligten Bevölkerungskreise den Wert eines Berufs einschätzen. Während die gelernten Handwerker im Steinkohlenbergbau an der Ruhr jetzt nach der Lohngruppe I a entlohnt würden, seien die Feuerwehrmänner und die Oberfeuerwehrmänner in die Lohngruppe I - also zwei Lohngruppen tiefer - eingestuft worden. Die Tarifpartner hätten offensichtlich bewußt eine niedrigere Einstufung der Feuerwehrmänner gegenüber anderen qualifizierten Arbeitern gewollt. Daran ändere auch die Tatsache nichts, daß für Oberfeuerwehrmänner eine 10%ige Zulage gezahlt werde. Die Zahlung eines Monatsfixums, die im Bergbau auch der Kraftfahrer für sich in Anspruch nehmen könne, diene nicht der Heranführung an den Angestelltenstatus. Der Arbeiterstatus der Feuerwehrmänner sei von den Tarifpartnern festgelegt worden. Die feste Monatsentlohnung sei auf die durch die Eigenart der Tätigkeit bedingte Arbeitszeitordnung zurückzuführen. Die Tätigkeit des Klägers habe mehr oder weniger in der Arbeitsbereitschaft, gepaart mit Kontrollgängen, bestanden. Disziplinarvorgesetzteneigenschaft habe er nicht gehabt.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil sowie das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 11. Februar 1966 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision kostenpflichtig zurückzuweisen.

Er ist der Ansicht, die Berufstätigkeit eines Oberfeuerwehrmannes sei, obwohl sie weder ein ordentliches Lehrverhältnis noch ein anerkanntes Anlernverhältnis voraussetze, doch in der sozialen Wertskala höher als die qualifizierten Facharbeiterberufe einzustufen.

II

Die Revision der Beklagten ist nicht begründet.

Das LSG ist zu Recht davon ausgegangen, daß der Hauptberuf des Klägers der eines Oberfeuerwehrmannes ist, wie auch die Beklagte angenommen hat. Diese Tätigkeit ist entgegen der Auffassung der Beklagten bei Anwendung des § 46 Abs. 2 RKG (§ 1246 Abs. 2 Reichsversicherungsordnung - RVO -) in die obere Gruppe der Arbeiterberufe - d.h. wie die eines Facharbeiters - einzustufen.

Bei der Beurteilung des Wertes eines Berufes i.S. des § 46 Abs. 2 RKG kommt es auf die typischen Verhältnisse des Berufs und nicht auf die individuellen Verhältnisse des Klägers, insbesondere auch nicht darauf an, welche Tätigkeiten er neben seiner eigentlichen beruflichen Tätigkeit etwa noch zusätzlich verrichtet hat.

Nach § 46 Abs. 1 RKG (§ 1246 Abs. 1 RVO) kommt es zunächst auf die Dauer und den Umfang der Ausbildung für den Beruf an. Wenn auch der Beruf des Oberfeuerwehrmannes auf einer Zeche keine Lehr- oder anerkannte Anlernzeit voraussetzt, so muß sich ein Oberfeuerwehrmann doch zahlreiche Kenntnisse auf vielen Gebieten durch Lehrgänge und durch die Praxis aneignen. Wenn auch diese Ausbildung nicht mit einer Lehrzeit gleichzusetzen sein mag, so darf doch nicht übersehen werden, daß die Ausbildung nur eines der für die Bewertung eines Berufes maßgebenden Elemente ist.

Gleichwertig steht bei Anwendung des § 46 Abs. 2 RKG (§ 1246 Abs. 2 RVO) neben der Ausbildung als weiteres Bewertungselement "der Beruf", d.h. die betriebliche Bedeutung des Berufs unter Berücksichtigung etwaiger besonderer Anforderungen, die dieser Beruf an den Versicherten stellt. Alle diese Elemente sind gleichermaßen bei der Einstufung eines Berufes zu berücksichtigen.

Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang, daß ein Oberfeuerwehrmann auf einer Zeche nicht nur die Vorschriften für den Feuerwehrdienst beherrschen, Löschmittel und Löschverfahren kennen muß, sondern auch in der Fahrzeug- und Gerätekunde Kenntnisse erworben haben, als Gerätewart einsetzbar sein und über Kenntnisse über die erste Hilfe, den Atemschutz und die Wiederbelebung verfügen muß. Hinzukommt die Notwendigkeit der Erhaltung einer besonderen körperlichen Belastbarkeit durch sportliches Training, übernormale Einsatz- und Leistungsbereitschaft, Gewissenhaftigkeit, Verantwortungsbewußtsein, Wendigkeit, Selbständigkeit des Denkens und Handelns und die Fähigkeit, andere Menschen in schwierigen Situationen einsetzen und führen zu können.

Da der Oberfeuerwehrmann einer Zeche in der Regel auch der Grubenwehr angehört, muß er auch mit den Verhältnissen der Grube vertraut sein und über Erfahrungen hinsichtlich der Einrichtungen, der Transportmittel und der unter Tage zu verrichtenden Arbeiten verfügen, die er sich während einer mehrjährigen Tätigkeit unter Tage angeeignet haben muß. All dieses spricht dafür, den Oberfeuerwehrmann auf einer Zeche wie einen gelernten Facharbeiter einzustufen. Hinzukommt die Tatsache, daß der Oberfeuerwehrmann auf einer Zeche tariflich etwa wie ein gelernter Handwerker eingestuft ist.

Für die Bewertung eines Berufs für den Betrieb stellt die tarifliche Einstufung nämlich das wichtigste Indiz dar. Nach den s.Zt. maßgebenden Lohnordnungen über Tage für den rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbau war ein Oberfeuerwehrmann mit den gelernten Handwerkern in die Lohngruppe I eingestuft. Der tarifliche Schichtlohn dieser Lohngruppe erhöhte sich für den Oberfeuerwehrmann aber noch um 5 %. Damit erzielte er einen höheren Verdienst als der gelernte Handwerker, der nur eine sehr viel geringere Sonderzulage (etwa in Höhe von knapp 1 % des Schichtlohnes) erhielt. Nach der heute geltenden Lohnordnung über Tage für den rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbau erhält der Oberfeuerwehrmann den Lohn der Lohngruppe I plus 10 % (ab 1. Januar 1970: DM 33,70 + DM 3,37), also 37,07 DM je Schicht, während die gelernten Handwerker in der Lohngruppe I a einen Schichtlohn von DM 36,40 erhalten. Der Oberfeuerwehrmann ist also im Ergebnis auch heute noch tariflich geringfügig höher als ein gelernter Handwerker eingestuft. Es kann dahingestellt bleiben, ob der nach den früheren Lohnordnungen gegenüber den gelernten Handwerkern gezahlte höhere Lohn (etwa 4 %) auch für die Gefährlichkeit der Arbeit im Einzelfall gezahlt worden ist, auf keinen Fall kann eine solche Gefährlichkeit in erster Linie für die Zahlung einer Zulage von 10 % zur Lohngruppe I der derzeitigen Lohnordnung ausschlaggebend sein. Dann müßte diese Zulage nämlich auch an den in gleicher Weise gefährdeten Feuerwehrmann gezahlt werden. Das ist aber nicht der Fall. Daraus ergibt sich, daß dem Oberfeuerwehrmann diese Zulage in erster Linie wegen seiner besonderen Aufgaben und der zur Ausführung dieser Aufgaben erforderlichen besonderen Kenntnisse, Fähigkeiten und Eigenschaften gezahlt wird. Für die Annahme, daß die tarifliche Einstufung nicht der Bedeutung eines Oberfeuerwehrmannes für den Betrieb entspricht, findet sich kein Anhalt.

Nach dieser Einstufung der bisherigen Tätigkeit des Klägers ist eine Verweisung auf Tätigkeiten der Lohngruppen IV und V über Tage der Lohnordnung für den rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbau nicht möglich (vgl. BSG SozR Nr. 6 und 19), so daß sich das angefochtene Urteil als zutreffend erweist.

Die Revision der Beklagten mußte daher zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1669599

BSGE, 106

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