Entscheidungsstichwort (Thema)

Nachentrichtung von Beiträgen nach AnVNG Art 2 § 49a Abs 2 (= ArVNG Art 2 § 51a Abs 2. bindender Bescheid. belastender Verwaltungsakt. Widerruf

 

Orientierungssatz

1. Die Befugnis zu einer einseitigen Änderung eines Nachentrichtungsantrages durch den Antragsteller entfällt spätestens mit dem Eintritt der Bindung des Nachentrichtungsbescheides (vgl BSG 1980-03-27 12 RK 7/79 = SozR 5750 Art 2 § 51a Nr 38).

2. Trotz einer eingetretenen Bindungswirkung des Nachentrichtungsbescheides ist der Versicherungsträger jedoch verpflichtet, im Rahmen seines pflichtgemäßen Ermessens darüber zu entscheiden, ob die gestattete Nachentrichtung von Beiträgen in niedrigeren Beitragsklassen gestattet werden kann (vgl BSG 1980-02-22 12 RK 12/79 = SozR 5750 Art 2 § 51a Nr 36.

3. Der Versicherungsträger darf eine beantragte Herabsetzung der Beitragsklassen nicht ohne weiteres ablehnen, wenn von einem Nachentrichtungsberechtigten Umstände vorgetragen werden, aus denen sich eine nachträgliche, dh eine nachträglich eingetretene oder nachträglich erkannte, Belastung durch die im Nachentrichtungsbescheid festgestellten Beitragsklassen ergibt. Er muß vielmehr den Antrag unter Würdigung der vorgetragenen Umstände nach pflichtgemäßem Ermessen prüfen und darüber entscheiden.

 

Normenkette

AnVNG Art 2 § 49a Abs 2 Fassung: 1972-10-16; ArVNG Art 2 § 51a Abs 2 Fassung: 1972-10-16; SGG § 77 Fassung: 1953-09-03

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 11.09.1979; Aktenzeichen L 6 An 1415/78)

SG Karlsruhe (Entscheidung vom 12.07.1978; Aktenzeichen S 3 An 2445/77)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, in welcher Höhe (Beitragsklasse) der am 18. November 1978 gestorbene Ehemann der Klägerin (K) nach Art 2 § 49a Abs 2 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) Beiträge nachentrichten konnte.

K hatte im März 1975 bei der Beklagten die Nachentrichtung freiwilliger Beiträge nach Art 2 § 49a AnVNG beantragt und dabei als Nachentrichtungszeitraum die Zeit von Juli 1958 bis Dezember 1971 mit insgesamt 162 Beiträgen angegeben. Das Belegungsangebot war mit dem Vermerk versehen: "Die Genehmigung möge in höchstzulässigen Klassen erteilt werden. Ich behalte mir jedoch niedrigere Zahlungen vor - in Raten".

Mit Bescheid vom 4. November 1976 gestattete die Beklagte die Nachentrichtung in dem beantragten zeitlichen Umfang in den jeweils höchsten Klassen im Gesamtbetrag von 34.776,-- DM unter Einräumung der Teilzahlungsmöglichkeit. Ende Dezember 1976 überwies K an die Beklagte den Betrag von 1.512,-- DM und gab als Verwendungszeitraum Januar 1965 bis Dezember 1971 an. Die Beklagte verbuchte den Betrag jedoch für die Monate September bis Dezember 1971 als vier Beiträge der Klasse 1800 zu je 324,-- DM mit einem als Guthaben verbleibenden Rest von 216,-- DM und teilte dies K mit Schreiben vom 27.Mai 1977 mit. Dem hiergegen eingelegten Widerspruch des K half sie nicht ab (Widerspruchsbescheid vom 26. August 1977).

Auch Klage und Berufung sind erfolglos geblieben (Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe -SG- vom 13. Juli 1978; Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg -LSG- vom 11. September 1979). Zur Begründung hat das LSG ua ausgeführt: Wenn auch die Wahrnehmung des Nachentrichtungsrechts nicht an die gleiche Frist wie der Antrag gebunden sei, so folge doch daraus keineswegs, daß die tatsächliche Entrichtung der Beiträge und deren betrags- oder klassenmäßige Festsetzung ohne zeitliche Beschränkung möglich sei, ja selbst dann noch erfolgen könne, wenn ein genau spezifizierter Antrag gestellt und diesem auch durch bindend gewordenen Bescheid entsprochen worden sei. K habe einen Antrag gestellt, der allen Anforderungen genügt habe und hinreichend spezifiziert gewesen sei. Der Vorbehalt niedrigerer Zahlungen brauche durchaus nicht dahin verstanden zu werden, als habe K trotz der eindeutigen Erklärung, die Nachentrichtung möge in der jeweils höchstzulässigen Klasse genehmigt werden, etwa eine Nachentrichtung in noch zu bestimmenden niedrigeren Klassen beantragt.

Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision macht die Klägerin geltend, K habe sich im Antrag die Nachentrichtung in niedrigeren Beitragsklassen vorbehalten. Die vom LSG vorgenommene rein technische Auslegung des Begriffes "Zahlungen" sei zu eng. Die Beklagte sei mit ihrem Bescheid vom Antrag insofern abgewichen, als sie die Nachentrichtung in der höchsten Beitragsklasse zugelassen habe.

Aber auch wenn man den Vorbehalt niedrigerer Zahlungen nicht als Vorbehalt niedrigerer Beitragsklassen auffasse, habe K die Beitragsklasse durch tatsächliche Zahlung von 84 Beiträgen der Klasse 100 neu bestimmen können. Der Nachentrichtungsberechtigte könne sein Wahlrecht bezüglich der Beitragsklasse unabhängig von der Antragsfrist ausüben. Dieses Gestaltungsrecht habe er selbst dann noch, wenn die Beklagte die Beitragsklasse entsprechend der Angabe des Nachentrichtungsberechtigten in einem bindenden Bescheid festgestellt habe.

Die Klägerin beantragt,

die Urteile des LSG und des SG sowie den Bescheid

der Beklagten vom 27. Mai 1977 in der Gestalt des

Widerspruchsbescheides vom 26. August 1977 zu ändern

und die Beklagte zu verurteilen, den als Teilzahlung

überwiesenen Betrag in Höhe von 1.512,-- DM als 84 Beiträge

der Beitragsklasse 100 für die Zeit vom 1. Januar 1965

bis zum 31. Dezember 1971 zu verbuchen.

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist zum Teil begründet.

Die Klägerin hat keinen - mit der Leistungsklage durchsetzbaren - Rechtsanspruch darauf, daß die Beklagte die Beiträge entsprechend der mit der Überweisung vom Dezember 1976 beantragten Belegungsweise entgegennimmt, weil dem die Bindungswirkung des Bescheides vom 4. November 1976 entgegensteht. Dieser Bescheid ist in der Sache für die Beteiligten bindend geworden, weil innerhalb der vorgeschriebenen Frist der gegen ihn gegebene Rechtsbehelf des Widerspruchs nicht eingelegt worden ist (§§ 77, 84 Abs 1 SGG). Eine fehlerhafte Zustellung des Bescheides, wie in der von der Beklagten angeführten Revisionssache 12 RK 61/79 (Urteil des Senats vom 27. März 1980), liegt hier nicht vor.

Die Vorinstanzen und die Beklagte sind zutreffend davon ausgegangen, daß die Befugnis zu einer einseitigen Änderung eines Nachentrichtungsantrages durch den Antragsteller spätestens mit dem Eintritt der Bindung des Nachentrichtungsbescheides entfällt. Dies entspricht der Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl die zur Veröffentlichung bestimmten Urteile vom 22. Februar 1980 - 12 RK 12/79 - und vom 27. März 1980 - 12 RK 7/79 -). Dem Eintritt der Bindungswirkung des Bescheides vom 4. November 1976 steht nicht entgegen, daß der Antrag vom März 1975 den ausdrücklichen Vorbehalt "niedrigerer Zahlungen" enthält. Das LSG hat den - dem Wortlaut nach nicht eindeutigen - Sinngehalt dieses Zusatzes durch Auslegung dahin ermittelt, daß damit nicht eine Nachentrichtung in noch zu bestimmenden niedrigeren Beitragsklassen gemeint gewesen sei. An diese Auslegung einer Willenserklärung, die eine den Tatsacheninstanzen vorbehaltene tatsächliche Feststellung enthält, ist das Revisionsgericht gebunden (§ 163 SGG), da hiergegen eine begründete Revisionsrüge nicht erhoben worden ist. Die Klägerin greift zwar die Richtigkeit der vom LSG vorgenommenen Auslegung an. Auch wenn ihrem Vorbringen sinngemäß die Rüge einer Verletzung der Grenzen der freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG) entnommen werden könnte, griffe diese Rüge nicht durch. Die Überzeugungsbildung des LSG ist nicht verfahrensfehlerhaft zustande gekommen. Das Berufungsgericht hat bei der Auslegung der Willenserklärung nicht gegen Erfahrungssätze oder Denkgesetze verstoßen. Der Sinngehalt, den das LSG dem im Nachentrichtungsantrag formulierten Vorbehalt beigemessen hat, ist nicht undenkbar, wenn man berücksichtigt, daß niedrigere Zahlungen sich nicht nur bei Wahl einer niedrigeren Beitragsklasse ergeben, sondern auch die Folge einer Nichtentrichtung von Beiträgen für Zeiträume sein können, die ursprünglich mit Beiträgen belegt werden sollten. Mag auch die von der Klägerin aus dem Vorbehalt gezogene Schlußfolgerung nach seinem Wortlaut und Zusammenhang naheliegender erscheinen, so läßt sich damit allein kein Verstoß gegen Verfahrensvorschriften begründen. Soweit die Klägerin die Verurteilung der Beklagten auf Entgegennahme der Beiträge in der beantragten Weise begehrt, ist die Revision somit als unbegründet zurückzuweisen.

Trotz der eingetretenen Bindungswirkung des Bescheides vom 4. November 1976 ist die Beklagte jedoch verpflichtet, im Rahmen ihres pflichtgemäßen Ermessens darüber zu entscheiden, ob die dem verstorbenen Ehemann der Klägerin gestattete Nachentrichtung von Beiträgen in der mit der Überweisung vom Dezember 1976 beantragten Weise vorgenommen werden kann. Auf dem mit der Unterschrift des K versehenen Überweisungsformular ist angegeben worden, für welchen Nachentrichtungszeitraum der überwiesene Betrag verwendet werden soll. Hieraus ist zu ersehen, daß K die Monate Januar 1965 bis Dezember 1971 nicht, wie in dem Bescheid vom 4. November 1976 festgelegt, mit Höchstbeiträgen, sondern lediglich mit Beiträgen der Klasse 100 belegen wollte. Es bestehen keine Bedenken, diese Willenserklärung als Antrag auf Abänderung des bindend gewordenen Bescheides und auf Zulassung der Nachentrichtung in der gewünschten Weise zu werten.

Daß auch die Abänderung eines bindenden Zulassungsbescheides durch den Versicherungsträger nicht ausgeschlossen ist und dem Nachentrichtungsberechtigten die Nachentrichtung in niedrigeren Beitragsklassen gestattet werden kann, hat der Senat in seinem Urteil vom 22. Februar 1980 - 12 RK 12/79 - entschieden und näher begründet. Der Senat sieht auch unter Berücksichtigung der von der Beklagten insoweit erhobenen Bedenken keine Veranlassung, von dieser Rechtsprechung abzuweichen (vgl dazu auch das heutige Urteil in der Sache 12 RK 54/79). Hiernach darf der Versicherungsträger eine beantragte Herabsetzung der Beitragsklassen nicht ohne weiteres ablehnen, wenn von einem Nachentrichtungsberechtigten Umstände vorgetragen werden, aus denen sich eine nachträgliche, dh eine nachträglich eingetretene oder nachträglich erkannte, Belastung durch die im Nachentrichtungsbescheid festgestellten Beitragsklassen ergibt. Er muß vielmehr den Antrag unter Würdigung der vorgetragenen Umstände nach pflichtgemäßem Ermessen prüfen und darüber entscheiden. Dies wird die Beklagte nunmehr nachzuholen haben. Sie wird hierbei nicht außer Betracht lassen dürfen, daß K bei Eintritt der Bindungswirkung des Bescheides vom 4.November 1976 die gleichzeitig mit dem Nachentrichtungsantrag erbetene Information über seinen Versicherungsverlauf noch nicht erhalten hatte; eine solche Auskunft stellt, besonders in Fällen der vorliegenden Art, eine wichtige Entscheidungshilfe für den Versicherten dar. Nach den Ausführungen des Senats im oa Urteil vom 22. Februar 1980 über den Ablauf des Nachentrichtungsverfahrens in den Fällen des Art 2 § 49a AnVNG, insbesondere im Hinblick auf die vom Senat für erforderlich gehaltene Kooperation zwischen Antragsteller und Versicherungsträger, hätte es nahegelegen, daß die Beklagte mit der Erteilung des Nachentrichtungsbescheides gewartet hätte, bis K die erbetene Information erhalten hatte und sie verwerten konnte. Bei ihrer Ermessensentscheidung wird die Beklagte auch den von K im Antrag gemachten Vorbehalt - unabhängig von seiner Auslegung durch das LSG - noch einmal überprüfen können, auch in dem Sinne, ob sie - zurückversetzt in die damalige Situation - nicht zumindest Zweifel über die Bedeutung dieses Vorbehalts hätte haben und sich zur Rückfrage bei K hätte veranlaßt sehen müssen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1658350

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