Orientierungssatz

1. Bei Ansprüchen aus der gesetzlichen Rentenversicherung beginnt die Verjährungsfrist von 4 Jahren mit der Entstehung des Leistungsanspruchs, sofern dem Antrag keine materiell-rechtliche Bedeutung zukommt (vergleiche BSG 1971-12-21 GS 4/71 = BSGE 34, 1 = SozR Nr 24 zu § 29 RVO). Die Ansprüche auf die monatlichen Rentenzahlbeträge entstehen jeweils am Monatsersten, da sie gemäß RVO § 1297 S 1 "monatlich im voraus" zu zahlen sind.

2. Die Auffassung, bei Anwendung der Grundsätze des BGB § 201 könne die Verjährung erst mit dem Schluß des Jahres beginnen, in dem der Anspruch entstanden ist, widerspricht der Rechtsprechung des erkennenden Senats. In seiner Entscheidung vom 1972-03-23 5 RJ 63/70 = BSGE 34, 125, 126 = SozR Nr 25 zu § 29 RVO hat der Senat entschieden, daß nach der eigenständigen Regelung des RVO § 29 Abs 3 die Verjährungsfrist mit der Fälligkeit des Anspruches beginnt und 4 Jahre danach endet. An dieser Auffassung hält der Senat fest.

 

Normenkette

RVO § 1297 S. 1 Fassung: 1957-02-23; BGB § 201 Fassung: 1896-08-18; RVO § 29 Abs. 3 Fassung: 1924-12-15

 

Tenor

Auf die Revision der Beigeladenen wird das urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 19. März 1974 abgeändert: Das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 28. Juni 1972 wird insoweit aufgehoben, als es die Beigeladene verpflichtet, an die Klägerin Rente wegen Erwerbsunfähigkeit für eine Zeit vor dem 1. Oktober 1965 zu zahlen; insoweit wird die Klage abgewiesen.

Die Beigeladene hat der Klägerin zwei Drittel der außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.

 

Tatbestand

I.

Streitig ist, von wann an der Klägerin eine im Jahre 1942 wegen Invalidität bewilligte Versichertenrente wieder zu gewähren ist.

Die D. hatte im Jahre 1946 die Zahlung der Rente eingestellt, weil die Klägerin von Deutschland nach Frankreich verzogen war. Im September 1969 stellte die Klägerin, seit 1947 französische Staatsangehörige, Antrag auf Weiterzahlung der Rente. Diesen Antrag lehnte die beklagte Landesversicherungsanstalt (LVA) unter Berufung auf Verwirkung ab.

Das Sozialgericht (SG) hat die LVA Rheinland-Pfalz beigeladen und diese verurteilt, an die Klägerin ab 1. Januar 1965 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu zahlen. Mit der zugelassenen Berufung hat sich die Beigeladene gegen den Zahlungsbeginn gewandt; sie war der Auffassung, sie habe der Klägerin wegen Verjährung die Rente erst ab 1. Oktober 1965 zu zahlen. Mit der angefochtenen Entscheidung vom 19. März 1974 hat das Landessozialgericht (LSG) die Berufung zurückgewiesen und ausgeführt, in Anwendung des § 201 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) seien unter Berücksichtigung der vierjährigen Verjährungsfrist des § 29 Abs 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) alle in das Jahr 1965 fallenden Rentenleistungen der Klägerin noch zu gewähren, weil allein die Rentenansprüche bis 31. Dezember 1964 verjährt seien.

Mit der zugelassenen Revision tritt die Beigeladene diesem Urteil entgegen. Sie ist der Auffassung, auf Grund des Antrages der Klägerin auf Wiederanweisung der Versichertenrente vom 3. September 1969 seien die monatlichen Einzelleistungen für die Zeit bis einschließlich September 1965 nach § 29 Abs 3 RVO verjährt, so daß die Rentenzahlung erst ab 1. Oktober 1965 möglich sei. Diese Auffassung decke sich mit der einschlägigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG).

Die Beigeladene beantragt,

das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 19. März 1974 und das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 28. Juni 1972 aufzuheben und die Klage abzuweisen, soweit im Rahmen des § 29 Abs 3 RVO eine Rentenleistung für die Zeit vor dem 1. Oktober 1965 gezahlt werden soll.

Die Klägerin ist im Verfahren vor dem BSG nicht vertreten.

Die Beklagte hat keine Äußerung abgegeben.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die zulässige Revision ist begründet.

Die Ansprüche der Klägerin auf monatlich wiederkehrende Rentenleistungen, die dem Stammrecht auf die ihr von der Beklagten im Jahre 1942 bewilligten Versichertenrente entfließen, sind für die streitige Zeit verjährt. Nach § 29 Abs 3 RVO verjähren die Ansprüche auf Leistungen der Versicherungsträger in vier Jahren nach der Fälligkeit. Der Große Senat des BSG hat in seinem Beschluß vom 21. Dezember 1971 (BSGE 34, 1 = SozR Nr 24 zu § 29 RVO) klargestellt, daß die genannte Verjährungsfrist von vier Jahren bei Ansprüchen aus der gesetzlichen Rentenversicherung mit der Entstehung des Leistungsanspruches beginnt, sofern dem Antrag keine materiell-rechtliche Bedeutung zukommt. Die Ansprüche auf die monatliche Rentenzahlbeträge entstehen jeweils am Monatsersten, da sie gemäß § 1297 Satz 1 RVO "monatlich im voraus" zu zahlen sind. Der letzte der streitigen Ansprüche auf den monatlichen Rentenzahlbetrag ist mithin am 1. September 1965 entstanden. Der Antrag der Klägerin, die Zahlung der Rente wieder aufzunehmen, ist am 3. September 1969 gestellt worden. Dieser auf Wiederaufnahme der Zahlung der bereits 1942 bewilligten Rente zielende Antrag hatte - wie ein Rentenantrag - verjährungsunterbrechende Wirkung; er war im Hinblick auf die ab 1. September 1969 entstandenen Rentenansprüche erst später als vier Jahre nach Eintritt der Fälligkeit gestellt mit der Folge, daß der Leistungsanspruch für September 1965 und die vorher entstandenen Renteneinzelansprüche verjährt sind.

Die Auffassung des LSG, bei gebotener Anwendung der Grundsätze des § 201 BGB könne die Verjährung auch der von § 29 Abs 3 RVO erfaßten Leistungsansprüche erst mit dem Schluß des Jahres beginnen, in dem der Leistungsanspruch entstanden ist, widerspricht der Rechtsprechung des erkennenden Senats. In seiner Entscheidung vom 23. Februar 1972 (BSGE 34, 125, 126 = SozR Nr 25 zu § 29 RVO) hat der Senat herausgestellt, daß § 201 BGB in bezug auf die bezeichneten Ansprüche nicht entsprechend angewendet werden kann. Zur Begründung ist ausgeführt, § 29 RVO regele insoweit selbst, also unabhängig von den Vorschriften des BGB, wann die Verjährungsfrist beginnt. Während nach Absatz 1 und 2 dieser Vorschrift, vergleichbar mit der Regelung des § 201 BGB, die Verjährungsfrist mit dem Ablauf des Jahres beginne, in welchem das maßgebende Ereignis eingetreten ist, lasse Absatz 3 die Verjährung mit dem maßgebenden Ereignis selbst, also mit der Fälligkeit des Anspruches beginnen.

Aus der gegenüber den Absätzen 1 und 2 insoweit anderen Fassung des Gesetzes sei zu schließen, daß der Gesetzgeber diese Regelung bewußt getroffen habe, und es könne daher keinem Zweifel unterliegen, daß die Verjährungsfrist mit der Fälligkeit selbst, dh grundsätzlich mit der Entstehung des Anspruches beginne und vier Jahre danach ende.

An dieser Auffassung hält der erkennende Senat fest.

Da dem das angefochtene Urteil entgegensteht, war es auf die Revision der Beigeladenen entsprechend abzuändern und gemäß § 193 des Sozialgerichtsgesetzes über die außergerichtlichen Kosten zu entscheiden wie geschehen.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1654773

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