Leitsatz (redaktionell)

1. Sicherstellung des Lebensunterhalts bei Ordensangehörigen. Die anderweitige Sicherstellung des Lebensunterhaltes gemäß BVG § 32 Abs 1 aF war nicht davon abhängig, daß der Schwerbeschädigte dafür die volle Arbeitsleistung erbringen konnte.

2. Nach BVG § 32 Abs 1 idF des KOVNOG 1 werden die wirtschaftlichen Verhältnisse nur noch bei der Berechnung der Höhe der Ausgleichsrente berücksichtigt, die volle Ausgleichsrente (BVG § 32 Abs 2 idF des KOVNOG 1) ist nach BVG § 33 Abs 1 um das anzurechnende Einkommen zu mindern und diese Minderung kann in solchem Umfange eintreten, daß eine Ausgleichsrente nicht mehr gewährt werden kann.

 

Normenkette

BVG § 32 Abs. 1 Fassung: 1957-07-01, Abs. 2 Fassung: 1960-06-27

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 13. Mai 1960 wird als unbegründet zurückgewiesen, soweit es den Anspruch auf Ausgleichsrente für die Zeit bis zum 31. Mai 1960 betrifft; im übrigen wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten bleibt dem abschließenden Urteil Vorbehalten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Der Kläger lebt als Kapuzinerpater in dem Kloster St. M. in A.. Wegen Verlustes des rechten Unterschenkels bezieht er seit 1947 Versorgungsbezüge nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 50 v.H.. Durch Umanerkennungsbescheid vom 24. Oktober 1952 wurde ihm nach den Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) die Grundrente, aber nicht die Ausgleichsrente bewilligt, weil sein sonstiges Einkommen von monatlich über 100,-- DM zusammen mit der Ausgleichsrente die in § 33 Abs. 1 BVG bestimmten Höchstgrenzen überstieg. Das Sozialgericht (SG) München verurteilte den Beklagten zur Zahlung der Ausgleichsrente. Es führte aus, bei sinngemäßer Anwendung des § 32 Abs. 1 BVG mit den Verwaltungsvorschriften (VV) dazu könne der Lebensunterhalt eines Ordenspriesters nicht als sichergestellt angesehen werden. Entscheidend sei, ob der schwerbeschädigte Priester dem Orden noch die volle Arbeitsleistung als Gegenleistung für die durch den Orden übernommene Verpflichtung zur Gewährung freien Unterhalts erbringen könnte. Dies sei hier jedoch nicht der Fall, wobei berücksichtigt werde, daß der Kläger nach der Bescheinigung des Provinzialats der Bayerischen Kapuziner in A. vom 28. Oktober 1954 in der Hauptsache nur Beichte hören könne. Auf die Berufung des Beklagten wurde dieses Urteil durch Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts (LSG) vom 13. Mai 1960 aufgehoben und die Klage abgewiesen. Das LSG führte aus, die Gewährung einer Ausgleichsrente an schwerbeschädigte Ordensangehörige, die den Lebensunterhalt von ihrem Orden beziehen und diesem dafür ihre volle Arbeitskraft zur Verfügung stellen müssen, sei nicht besonders geregelt. Nach den Rundschreiben des Bundesministers für Arbeit (BMA) vom 31. Januar 1952 - IVb 2 - 229/52 - und vom 24. April 1953 - IVb 2 - 1431/53 - (Thannheiser/Wende/Zech, Handbuch des Bundesversorgungsgesetzes, Teil V S. 263) könne bei sinngemäßer Anwendung der einschlägigen Vorschriften die Ausgleichsrente schwerbeschädigten Ordensangehörigen grundsätzlich weder versagt noch gewährt werden. Wenn diese infolge einer Schädigung im Sinne des BVG ihre Erwerbsfähigkeit ganz oder in erheblichem Umfang eingebüßt hätten und aus diesem Grunde die dem Orden für die Gewährung des vollen Unterhalts geschuldete Gegenleistung nicht erbringen könnten, wäre es "unbillig", den Anspruch auf Ausgleichsrente deshalb abzulehnen, weil der Lebensunterhalt auf andere Weise sichergestellt sei. Dies gelte insbesondere für Beschädigte mit einer MdE um 80 v.H. oder mehr; bei Beschädigten mit einer MdE um 50 bis 70 v.H. werde dagegen, auch wenn sie ihren Beruf nicht mehr ausüben könnten, in der Regel davon auszugehen sein, daß ihr Lebensunterhalt durch eine ihnen nach Lage der Verhältnisse zumutbare Tätigkeit als gesichert anzusehen sei. Nach diesen Grundsätzen würde dem um 50 v.H. erwerbsgeminderten Kläger, der als Theologe nur geistige Arbeit zu leisten habe, ein Anspruch auf Ausgleichsrente nicht zustehen, wie dies auch das Bayerische Staatsministerium für Arbeit und Soziale Fürsorge in seinem Schreiben vom 15. Oktober 1952 dargelegt habe. Dieser Auffassung könne das LSG nur im Ergebnis, aber nicht in der Begründung folgen. Nach Wortlaut und Sinn schließe § 32 Abs. 1 BVG den Anspruch des Klägers auf Ausgleichsrente von vornherein aus, weil dessen Lebensunterhalt auf andere Weise sichergestellt sei. Nur hierauf komme es an (vgl. Gersbach, Kriegsopferversorgung 1956, 187); denn die Voraussetzungen für den Anspruch auf Ausgleichsrente seien in § 32 Abs. 1 BVG nicht alternativ, sondern kumulativ geregelt. Sei der Lebensunterhalt sichergestellt, so brauche nicht mehr geprüft zu werden, ob der Beschädigte eine ihm zumutbare Erwerbstätigkeit ausüben könne oder nicht. Weder § 32 Abs. 1 BVG noch die VV dazu enthielten einen Hinweis, daß der notwendige Lebensunterhalt dann nicht auf andere Weise als sichergestellt angesehen werden könne, wenn er von einem Kloster oder einem Orden gewährt werde. Zu prüfen sei nur, ob der notwendige Lebensunterhalt auf andere Weise sichergestellt sei. Ob dies durch ausreichende Einkünfte aus eigenem Vermögen oder durch Leistungen Dritter (z.B. auch einer Stiftung) ermöglicht werde, sei rechtlich ohne Bedeutung. Ohne Zweifel erhalte der Kläger den notwendigen Lebensunterhalt von dem Kloster auch heute noch in dem gleichen Umfange wie vor seiner Verwundung. Wenn Gersbach verlange, daß vor der Entscheidung über die Sicherstellung des Lebensunterhalts des einzelnen Ordensangehörigen primär die wirtschaftlichen Verhältnisse der Ordensgemeinschaft geprüft werden müßten, so sei dies zwar theoretisch richtig, praktisch aber nicht zu verwirklichen. Indessen könne dies hier dahingestellt bleiben, da von der Tatsache ausgegangen werde, daß auch ein Bettelorden, wie der im wesentlichen auf Spenden der Gläubigen angewiesene Orden der Kapuziner, bei seiner weltweiten Organisation jederzeit in der Lage ist, seinen Verpflichtungen gegenüber den Ordensangehörigen nachzukommen und die Spenden nach den Erklärungen des Klägers im übrigen gerade in dem Wallfahrtsort A. stets reichlich fließen. Unter diesen Umständen müsse gerade bei dem Kläger der Lebensunterhalt als sichergestellt angesehen werden. Da dies der Fall sei, könne dahingestellt bleiben, ob der Kläger eine ihm zumutbare Erwerbstätigkeit nicht oder nur in beschränktem Umfange ausüben könne. Die Revision wurde zugelassen.

Der Kläger hat gegen das ihm am 21. Juni 1960 zugestellte Urteil mit Schriftsatz vom 4. Juli 1960, beim Bundessozialgericht (BSG) eingegangen am 6. Juli 1960, Revision eingelegt und diese auch gleichzeitig begründet.

Er beantragt,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG München vom 3. November 1954 als unzulässig zu verwerfen oder als unbegründet zurückzuweisen, hilfsweise unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Bayerische LSG zurückzuverweisen.

In der Revisionsbegründung rügt der Kläger eine Verletzung des § 148 Nr. 4 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) aF und vor allem des § 32 Abs. 1 BVG aF. Er meint, die Berufung des Beklagten sei nicht statthaft gewesen. Angefochten sei der Bescheid vom 24. Oktober 1952, durch den die Ausgleichsrente nur deshalb abgelehnt worden sei, weil das anzurechnende sonstige Einkommen die Einkommensgrenzen nach § 33 Abs. 2 BVG übersteige. Dieser Bescheid habe keine Feststellung darüber enthalten, ob der Lebensunterhalt des Klägers auf andere Weise sichergestellt sei. Die beim Oberversicherungsamt eingelegte Berufung habe sich daher, wie die Begründung vom 12. Januar 1953 eindeutig ergebe, auch nur gegen die Berechnung des sonstigen Einkommens gerichtet. Daher hätte das SG auch nur hierüber entscheiden dürfen. Für die Entscheidung über die Frage, ob der Lebensunterhalt des Klägers auf andere Weise als sichergestellt angesehen werden müsse, habe es an einer bescheidmäßigen Feststellung und damit an der erforderlichen Beschwer des Klägers gefehlt. Die Verurteilung zur Zahlung einer Ausgleichsrente könne demnach nur so ausgelegt werden, daß das SG das sonstige Einkommen des Klägers für so niedrig gehalten habe, daß Anspruch auf die volle Ausgleichsrente bestanden habe. Das Urteil des SG habe somit die Höhe der Ausgleichsrente betroffen. Die Berufung gegen dieses Urteil sei daher nach § 148 Nr. 4 SGG aF nicht statthaft gewesen und hätte als unzulässig verworfen werden müssen. Die gegenteilige Ansicht des Berufungsgerichts übersehe, daß nach dem Bescheid vom 24. Oktober 1952 über die Voraussetzungen für die Gewährung der Ausgleichsrente nach § 32 Abs. 1 BVG kein Streit bestanden habe.

Im übrigen sei die Berufung auch nicht begründet. Der Lebensunterhalt des Klägers könne nämlich im Sinne des § 32 Abs. 1 BVG nicht auf andere Weise als sichergestellt angesehen werden. Die Rechtsauffassung des LSG könne nicht zutreffen, weil sie die besondere Stellung der Ordensangehörigen und ihre Verpflichtungen gegenüber dem Orden nicht ausreichend würdige. Der Orden sei eine freie Lebens- und Arbeitsgemeinschaft, die neben ideellen Aufgaben das Ziel hat, ihren Lebensunterhalt durch gemeinsame Arbeit zu sichern. Die Ordensmitglieder seien gehalten, ihre Arbeitskraft und ihr Vermögen der Ordensgemeinschaft zur Verfügung zu stellen; diese biete dafür aus ihren Einkünften den Ordensmitgliedern eine Sicherung gegen alle Wechselfälle des Lebens. Mit dem Eintritt in den Orden werde auf ein Entgelt für die in der Gemeinschaft zu leistende Arbeit, aber nicht auf Ansprüche gegen Dritte außerhalb der Gemeinschaft verzichtet, die auf die Ordensgemeinschaft übergingen und einen Teil der wirtschaftlichen Grundlage zur Sicherung des Unterhalts für die Ordensmitglieder bildeten; dies gelte für Ansprüche auf Schadensersatz, auf Pension oder Rente (vgl. Thannheiser in Kriegsopferversorgung 1952, 72). Wenn der Orden seinen Mitgliedern gegenüber auch zur Gewährung des Lebensunterhalts verpflichtet sei, so daß rein nach dem Wortlaut des § 32 Abs. 1 BVG der Unterhalt als sichergestellt anzusehen wäre, so habe andererseits der Ordensangehörige doch als Gegenleistung dem Orden seine volle Arbeitsleistung zur Verfügung zu stellen. Dies sei aber nicht möglich, wenn er durch die anerkannten Schädigungsfolgen seine Erwerbsfähigkeit ganz oder in erheblichem Umfang eingebüßt habe und aus diesem Grunde die geschuldete Gegenleistung nicht mehr erbringen könne (vgl. Urteil des SG Würzburg vom 13. September 1954, Breithaupt 1955, 314).

Der Beklagte beantragt,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Er vertritt die Ansicht, daß die Berufung gegen das Urteil des LSG zulässig gewesen sei und daß das LSG in der Sache richtig entschieden habe.

Die Revision ist durch Zulassung nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthaft und, da sie frist- und formgerecht eingelegt sowie rechtzeitig begründet worden ist, auch zulässig (§§ 164, 166 SGG). Sie ist aber nur zu einem Teil begründet.

Zu Unrecht rügt der Kläger, die Berufung sei nicht statthaft gewesen. Die Statthaftigkeit der am 2. Februar 1955 eingelegten Berufung ist nach § 148 Nr. 4 SGG in der Fassung vor dem Zweiten Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Sozialgerichtsgesetzes vom 25. Juni 1958 (BGBl I, 409) zu beurteilen, auch wenn darüber erst am 13. Mai 1960 entschieden worden ist. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG ist das Zweite Änderungsgesetz auf Prozeßhandlungen, die vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes am 1. Juli 1958 abgeschlossen waren, nicht anzuwenden (vgl. BSG 8, 135 und BSG in SozR SGG § 143 Bl. Da 2 Nr. 3). Die Prozeßhandlung, die in der Einlegung der Berufung bestanden hat, ist mit dem Eingang der Berufungsschrift am 2. Februar 1955 abgeschlossen gewesen. Nach § 148 Nr. 4 SGG in der damals geltenden Fassung konnten in Angelegenheiten der Kriegsopferversorgung Urteile mit der Berufung nicht angefochten werden, wenn sie die Höhe der Ausgleichsrente betrafen. Maßgebend für den Ausschluß war nicht der Streitgegenstand der Berufung und - entgegen der Auffassung des Klägers - auch nicht der Inhalt des angefochtenen Bescheides, sondern der Inhalt der Entscheidung des SG (BSG 1, 225, 226; 3, 24, 26, 217, 220, 271; 8, 135, 136; ferner BSG in SozR SGG § 143 Bl. Da 2 Nr. 3 und § 148 Bl. Da 8 Nr. 18). Im vorliegenden Fall hat das SG entschieden, daß der Lebensunterhalt des Klägers nicht als sichergestellt im Sinne des § 32 Abs. 1 BVG angesehen werden könne und ihm die volle Ausgleichsrente zugesprochen. Dieses Urteil hat somit die Frage der Sicherstellung des Lebensunterhalts nach § 32 Abs. 1 BVG und nicht einen Streit über die Höhe der Ausgleichsrente im Sinne des § 148 Nr. 4 SGG aF betroffen (BSG in SozR SGG § 148 Bl. Da 2 Nr. 5, vergl. auch Bl. Da 4 Nr. 10). Die Berufung gegen dieses Urteil war mithin zulässig, so daß das LSG ein Sachurteil treffen konnte.

Soweit dieses Urteil des LSG den Anspruch auf Ausgleichsrente bis zum 31. Mai 1960 betrifft, ist die Revision des Klägers hiergegen nicht begründet. Das LSG hat zutreffend angenommen, daß bis dahin kein Anspruch auf Ausgleichsrente bestanden hat, weil der Lebensunterhalt des Klägers auf andere Weise, nämlich durch die vom Kloster gewährte Versorgung sichergestellt war.

Nach § 32 Abs. 1 BVG idF vor Inkrafttreten des Ersten Neuordnungsgesetzes (1. NOG) vom 27. Juni 1960 (BGBl I 453) erhielten Schwerbeschädigte (§ 29 Abs. 2 BVG) eine Ausgleichsrente, wenn sie infolge ihres Gesundheitszustandes oder hohen Alters oder aus einem von ihnen nicht zu vertretenden sonstigen Grunde eine ihnen zumutbare Erwerbstätigkeit nicht oder nur in beschränktem Umfange oder nur mit überdurchschnittlichem Kräfteaufwand ausüben konnten und ihr Lebensunterhalt nicht auf andere Weise sichergestellt war. Das LSG hat festgestellt, daß der Kläger Schwerbeschädigter im Sinne des § 29 Abs. 2 BVG ist und im Kloster nach seiner Verwundung den notwendigen Lebensunterhalt im gleichen Umfang erhalten hat wie vorher. Diese Feststellung ist von der Revision auch nicht angegriffen. Der Meinung des Klägers, daß unbeschadet der Unterhaltsgewährung des Ordens eine anderweitige Sicherstellung des Lebensunterhalts der Mitglieder des Ordens im Sinne des § 32 Abs. 1 BVG aF nur angenommen werden dürfe, wenn der Ordensangehörige als Gegenleistung für den ihm gewährten Unterhalt dem Orden seine volle Arbeitsleistung zur Verfügung stellen könne, kann nicht gefolgt werden. Eine solche Auslegung ist mit dem Wortlaut des § 32 AbS. 1 BVG aF nicht vereinbar. Danach war der Anspruch eines Schwerbeschädigten auf Ausgleichsrente an die beiden Voraussetzungen geknüpft, daß der Schwerbeschädigte aus den im Gesetz angeführten Gründen eine ihm zumutbare. Erwerbstätigkeit nicht in vollem Umfang oder nur mit überdurchschnittlichem Kräfteaufwand ausüben konnte und daß sein Lebensunterhalt nicht auf andere Weise sichergestellt war. Wenn beide Voraussetzungen erfüllt waren, war der Anspruch auf Ausgleichsrente begründet; fehlte eine von ihnen, so war die Ausgleichsrente schon dem Grunde nach zu versagen. Jede von diesen Voraussetzungen war für sich nach den ihr eigenen Merkmalen zu prüfen. Die anderweitige Sicherstellung des Lebensunterhalts war unabhängig von den in § 33 BVG aF festgesetzten Einkommensgrenzen unter Berücksichtigung der tatsächlichen Verhältnisse des einzelnen Falles nach den Grundsätzen allgemeiner Lebenserfahrung zu beurteilen. Wie das BSG in ständiger Rechtsprechung dargelegt hat, war der Lebensunterhalt auf andere Weise sichergestellt, wenn der Schwerbeschädigte die notwendigen Aufwendungen für Nahrung, Wohnung, Kleidung, Hausrat u.a. (vgl. BSG 3, 124; 4, 70; 6, 127) zwar nicht aus den Einkünften einer Erwerbstätigkeit, wohl aber aus anderen - eigenen oder fremden - Mitteln bestreiten konnte oder wenn ihm der erforderliche Unterhalt von Dritten, insbesondere durch Aufnahme in die Familie oder in eine andere Gemeinschaft, gewährt wurde. Die anderweitige Sicherstellung des Lebensunterhalts war demnach nicht davon abhängig, daß der Schwerbeschädigte dafür die volle Arbeitsleistung erbringen konnte. War der Lebensunterhalt auf andere Weise sichergestellt, so war die Ausgleichsrente allein aus diesem Grunde zu versagen. Es war dann überhaupt nicht zu prüfen, ob und in welchem Umfange der Schwerbeschädigte noch eine zumutbare Erwerbstätigkeit ausüben konnte. Diese Auslegung, von der abzuweichen kein Anlaß besteht, entspricht auch dem Sinn des § 32 Abs. 1 BVG, wonach die Ausgleichsrente eine subsidiäre Leistung war, die erst dann eintrat, wenn ihr Zweck, nämlich die Sicherstellung des Lebensunterhalts, nicht schon durch andere Mittel erreicht wurde (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 19. Dezember 1961 - 10 RV 1074/56 -). Danach war der Lebensunterhalt des Klägers allein dadurch gemäß § 32 BVG- aF sichergestellt, daß er - wie das LSG festgestellt hat - in seinem Kloster von seinem Orden eine für den Lebensunterhalt ausreichende Versorgung erhielt. Es ist zwar richtig, daß die Frage der Gewährung der Ausgleichsrente an Ordensangehörige nicht besonders geregelt war, jedoch läßt dies nur den Schluß zu, daß die Gewährung der Ausgleichsrente an Ordensangehörige sich nach den allgemeinen Vorschriften richtete und demgemäß versagt werden mußte, wenn der Lebensunterhalt sichergestellt war.

Der Kläger kann sich für seinen Anspruch bis zum 31. Mai 1960 auch nicht auf die in den erwähnten Rundschreiben vom 31. Januar 1952 und 24. April 1953 vertretene Auffassung berufen, daß Ordensangehörigen, die infolge einer durch den Wehrdienst verursachten Einbuße ihrer Erwerbsfähigkeit - und nur aus diesem Grunde - die "vertragliche" Gegenleistung gegenüber dem zum vollen Unterhalt verpflichteten Orden nicht erbringen können, die Ausgleichsrente nicht mit der Begründung verweigert werden dürfe, der Lebensunterhalt sei auf andere Weise sichergestellt; dies gelte insbesondere für Beschädigte mit einer MdE von 80 oder mehr v.H., nicht dagegen für solche mit einer MdE von 50 bis 70 v.H., bei denen in der Regel davon ausgegangen werden könne, daß ihr Lebensunterhalt durch eine ihnen zumutbare Erwerbstätigkeit gesichert sei. Diese für das Gericht unverbindliche Auffassung stand, soweit sie die anderweitige Sicherstellung des Lebensunterhalts von dem Maß der dem Beschädigten noch zumutbaren Erwerbstätigkeit abhängig macht, aus den bereits dargelegten gründen mit der Rechtslage nicht im Einklang. Im übrigen hätte der Kläger auch nach der vom BMA dargelegten Rechtsauffassung keinen Anspruch auf Ausgleichsrente gehabt, weil unter Berücksichtigung seiner MdE von 50 v.H. sein Lebensunterhalt als gesichert anzusehen gewesen wäre.

Hat somit der Kläger nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des LSG in dem Kloster St. M. in A. den notwendigen Lebensunterhalt nach seiner Verwundung in dem gleichen Umfang erhalten wie vorher, so war dieser als auf andere Weise sichergestellt anzusehen. Das LSG hat ferner auch zutreffend angenommen, daß die anderweitige Sicherstellung des Lebensunterhalts zur Ablehnung des Anspruchs auf Ausgleichsrente nach § 32 Abs. 1 BVG aF genügte, einerlei ob der Kläger seine Tätigkeit noch voll ausüben und dadurch die dem Kloster für den gewährten Lebensunterhalt geschuldete Gegenleistung in vollem Umfang erbringen konnte. Das LSG konnte schließlich auch dahingestellt lassen, wie die wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse der Ordensgemeinschaft sind und inwiefern diese von Einfluß auf die Sicherstellung des Lebensunterhalts seiner Mitglieder sein können, da im vorliegenden Fall nicht in Zweifel gezogen worden ist, daß der Kapuzinerorden - wenn im wesentlichen auch auf die Spenden der Gläubigen angewiesen - bei seiner weltweiten Organisation über ausreichende Mittel zum Unterhalt seiner Mitglieder verfügt und die Spenden nach den Erklärungen des Klägers gerade in A... stets reichlich fließen.

Das LSG hat somit § 32 Abs. 1 BVG aF richtig angewandt. Die Revision war daher als unbegründet zurückzuweisen, soweit das Urteil des LSG den Anspruch auf Ausgleichsrente bis zum 31. Mai 1960 betrifft.

Das LSG konnte bei seiner am 13. Mai 1960 ergangenen Entscheidung nur das in diesem Zeitpunkt geltende Recht berücksichtigen, der Senat muß jedoch bei der Entscheidung über den vom Kläger erhobenen Anspruch, der auch für die spätere Zeit erhoben ist, noch die Rechtslage berücksichtigen, die sich daraus ergeben hat, daß am 1. Juni 1960 das 1. NOG in Kraft getreten ist. Im § 32 Abs. 1 BVG in der Fassung dieses Gesetzes (nF) sind aber die in § 32 Abs. 1 BVG aF befindlichen Worte: "und ihr Lebensunterhalt nicht auf andere. Weise sichergestellt ist" nicht mehr enthalten. Der Anspruch auf Ausgleichsrente setzt demnach nur noch voraus, daß der Schwerbeschädigte infolge seines Gesundheitszustandes oder hohen Alters oder aus einem anderen von ihn nicht zu vertretenden Grunde einer ihm zumutbaren Erwerbstätigkeit nicht mehr voll oder nur mit überdurchschnittlichem Kräfteaufwand nachgehen kann. Die wirtschaftlichen Verhältnisse werden jetzt nur noch bei der Berechnung der Höhe der Ausgleichsrente berücksichtigt, die volle Ausgleichsrente (§ 32 Abs. 2 BVG nF) ist nach § 33 Abs. 1 BVG um das anzurechnende Einkommen zu mindern und diese Minderung kann in solchem Umfange eintreten, daß eine Ausgleichsrente nicht mehr gewährt werden kann.

Das LSG hat keine Feststellungen über das anzurechnende Einkommen des Klägers getroffen, insbesondere fehlen Angaben über Art, Umfang und Wert der dem Kläger durch das Kloster seit dem 1. Juni 1960 gewährten oder sonst empfangenen Leistungen. Der Senat konnte daher wegen fehlender Feststellungen über den Anspruch des Klägers für die Zeit nach dem 31. Mai 1960 nicht entscheiden und mußte insoweit die Sache an das LSG zurückverweisen. Da noch nicht zu übersehen ist, ob und in welchem Umfang der Kläger mit seinem Begehren für die Zeit nach dem 31. Mai 1960 Erfolg haben wird, hielt es der Senat für tunlich, auch die Entscheidung über die Kosten in vollem Umfang dem abschließenden Urteil des LSG vorzubehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2944747

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