Leitsatz (redaktionell)

Zur Frage der Anrechnung von Urlaubsentgelt als Einkommen aus unselbständiger Tätigkeit auf das Unterhaltsgeld.

 

Normenkette

AFG § 44 Abs. 4 Fassung: 1969-06-25; AFuU § 11 Abs. 7 Fassung: 1969-12-18

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 4. Juli 1973 aufgehoben. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 21. April 1972 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte dem Kläger Urlaubsentgelt auf das Unterhaltsgeld anrechnen darf, obwohl der Kläger nicht die Möglichkeit hatte, unbezahlten Urlaub zu nehmen und daher seinen Erholungsurlaub für seine Fortbildung verwendet hat.

Der Kläger ist Elektro-Maschinenbau-Geselle. Von Anfang 1966 bis Mitte 1971 nahm er an einem Techniker-Seminar des DGB-Technikums F teil. Zum Studium gehörten 6 Semester Fernunterricht mit je einem 14-tägigen Nahunterricht pro Semester. Die Beklagte förderte die Teilnahme des Klägers an der Bildungsmaßnahme.

In der Zeit vom 7. Februar 1971 bis zum 27. Februar 1971 nahm der Kläger am Nahunterricht des DGB-Technikums teil. Er verwendete hierfür bezahlten Erholungsurlaub. Er erhielt eine Urlaubsvergütung von netto 1.222,05 DM, was für die Kalenderwoche dem Betrag von 407,35 DM entsprach.

Die Beklagte lehnte den Antrag auf Gewährung von Unterhaltsgeld ab, da das anzurechnende Nettoeinkommen nach Abzug des Freibetrages von 50,- DM wöchentlich das auf 174,60 DM errechnete Unterhaltsgeld übersteige (Bescheid vom 17.9.1971; Widerspruchsbescheid vom 29.10.1971).

Das Sozialgericht (SG) hat mit Urteil vom 21. April 1972 die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen.

Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 4. Juli 1973 das erstinstanzliche Urteil und die Bescheide der Beklagten aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 8. bis 27. Februar 1971 Unterhaltsgeld (Uhg) ohne Anrechnung des Urlaubsentgelts zu gewähren. Es hat dazu ausgeführt: Nach § 44 Abs. 4 AFG werde Einkommen aus einer unselbständigen Tätigkeit auf das Uhg angerechnet. Wohl sei möglicherweise das Urlaubsentgelt als Einkommen aus unselbständiger Tätigkeit anzusehen, jedoch stehe seiner Anrechnung die Bestimmung des § 11 Abs. 7, 2. Halbsatz der Anordnung des Verwaltungsrates der Bundesanstalt für Arbeit über die individuelle Förderung der beruflichen Fortbildung und Umschulung (AFuU) vom 18. Dezember 1969 entgegen. Danach bleibe bei der Anrechnung nach § 44 Abs. 4 AFG Einkommen aus Zeiten, für die kein Uhg gewährt worden sei, unberücksichtigt, auch wenn es während des Unterhaltsgeldbezuges verfügbar sei.

"Einkommen aus Zeiten" sei nicht gleichzusetzen mit "Einkommen für Zeiten", denn im AFG werde hinsichtlich der Beziehung des Einkommens zu der Zeit des Leistungsbezuges offenbar bewußt zwischen den Präpositionen "aus" und "für" unterschieden (§§ 115 und 117 AFG). Da vielmehr nach § 44 Abs. 4 AFG nur Einkommen aus Tätigkeiten angerechnet werde, sei die genannte Bestimmung der AFuU 1969 dahin zu verstehen, daß die Tätigkeit, aus der das Einkommen erzielt worden sei, in der Zeit des Unterhaltsgeldbezuges geleistet worden sein müsse.

Der Kläger habe während des Lehrgangs keine unselbständige Tätigkeit ausgeübt. Eine Anrechnung des Urlaubsentgelts würde deshalb voraussetzen, daß die vertragliche Freistellung von der Tätigkeit bei sinngemäßer Auslegung des § 44 Abs. 4 AFG und 11 Abs. 7, 2. Halbsatz AFuU 1969 der Tätigkeit gleichgestellt werde. Diese Gleichstellung sei nicht gerechtfertigt, weil sie den Zweck des Urlaubs und der Gewährung von Urlaubsentgelt außer acht lasse.

Das Urlaubsentgelt sei zweckgebunden, und zwar in dem Sinne, daß es nicht wie sonstiges Einkommen aus unselbständiger Tätigkeit der allgemeinen Lebenshaltung diene, es sei vielmehr für die Erholung bestimmt. Die Teilnahme an dem Techniker-Lehrgang entspreche nicht dem Sinn der Urlaubsgewährung.

Der Gesetzgeber habe die sozialpolitische Zweckbestimmung des Urlaubsentgeltes bei der Schaffung des AFG an anderer Stelle auch berücksichtigt. Nach § 96 Abs. 1 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) habe der Anspruch auf Arbeitslosengeld für die Zeit, für die der Arbeitslose noch Arbeitsentgelt oder Urlaubsentgelt bezogen habe, geruht. Auf Betreiben des Ausschusses für Arbeit sei diese Bestimmung in das AFG mit einem anderen Wortlaut übernommen worden. In § 117 Abs. 1 AFG heiße es, der Anspruch auf Arbeitslosengeld ruhe in der Zeit, für die der Arbeitslose Arbeitsentgelt erhalte oder zu beanspruchen habe. In der Begründung sei ausgeführt, der Ausschuß halte das Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld bei Bezug von Urlaubsentgelt sozialpolitisch nicht für vertretbar. Er sei der Auffassung, daß dem Arbeitnehmer nicht die Möglichkeit genommen werden dürfe, das Urlaubsentgelt für einen Urlaub zurückzulegen, den er zu einer für ihn und seiner Familie günstigeren Zeit antrete.

Mit der zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 44 Abs. 4 AFG und 11 Abs. 7 AFuU 1969. Sie ist der Auffassung, daß aus der Zweckbestimmung des Urlaubsentgeltes nicht hergeleitet werden könne, daß es auf das Uhg nicht angerechnet werden dürfe. Zu Unrecht wende das LSG auch das Ergebnis seiner Untersuchung der Materialien zu § 117 Abs. 1 AFG auf § 44 Abs. 4 AFG an, ohne den unterschiedlichen Wortlaut und Sinn der beiden Vorschriften zu berücksichtigen.

Dabei übersehe es, daß der Gesetzgeber durch § 115 AFG in engem systematischen Zusammenhang mit § 117 AFG eine dem § 44 Abs. 4 AFG entsprechende Regelung getroffen habe.

Die Beklagte beantragt,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Stuttgart vom 21. April 1972 zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und führt ferner aus:

Wie das Bundesarbeitsgericht ausgeführt habe (Entscheidung vom 19.7.1973 - 5 AZR 73/73 -), diene der Urlaubsanspruch nicht unmittelbar dazu, die Leistungen des Arbeitnehmers abzugelten. Mit ihm werde vielmehr eine besondere Erfolgserwartung, nämlich die Erholung des Arbeitnehmers, verbunden, die über die bloße Abgeltung der Gegenleistung hinausgehe. Nach § 8 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) dürfe der Arbeitnehmer während des Urlaubs keine dem Urlaubszweck widersprechende "Erwerbstätigkeit" ausüben. Sollte der Senat der Auffassung des LSG nicht folgen, sei es erforderlich, dem Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes die Rechtsfrage vorzulegen, ob es im Rahmen des § 44 Abs. 4 AFG gerechtfertigt sei, dem Urlaubsentgelt eine andere Bedeutung beizumessen, als es in § 8 BUrlG zum Ausdruck komme.

Die Beteiligten haben sich damit einverstanden erklärt, daß über die Revision ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entschieden wird (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist begründet.

Zu Recht hat die Beklagte dem Kläger das Urlaubsentgelt angerechnet, das er während der Zeit bezogen hat, für die ihm Uhg zu zahlen wäre.

Nach § 44 Abs. 4 AFG wird Einkommen, das der Bezieher von Uhg aus einer unselbständigen oder selbständigen Tätigkeit erzielt, in bestimmter Höhe auf das Unterhaltsgeld angerechnet. Urlaubsentgelt ist Einkommen i.S.d. § 44 Abs. 4 AFG (Urteil des Senats vom 3.6.1975 - 7 RAr 33/73 -). Schon der Begriff des Einkommens - im Gegensatz zu dem des Arbeitsentgelts in § 117 Abs. 1 AFG - besagt, daß damit alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert, die aus den bezeichneten Tätigkeiten erzielt werden, von der Anrechnung erfaßt werden sollen (vgl. dazu auch § 115 AFG und noch weitergehend § 138 Abs. 1 Nr. 1 AFG). Wenn der Gesetzgeber in § 44 Abs. 4 AFG nur das Arbeitsentgelt hätte erfassen wollen, so hätte er sich auch dieses Begriffs in der Anrechnungsvorschrift bedienen können. Es entspricht dem Grundgedanken des § 44 Abs. 4 AFG, wenn der dort verwendete Begriff des Einkommens weitergefaßt wird als der des Arbeitsentgelts. Diese umfassende Einkommensanrechnung trägt nämlich dem Grundgedanken Rechnung, daß nur der durch die Maßnahme tatsächlich bedingte Einkommensausfall durch Uhg ausgeglichen werden soll. Es besteht auch kein Anlaß, das Urlaubsentgelt im Rahmen des § 44 Abs. 4 AFG anders als im Steuer- und Beitragsrecht der Sozialversicherung zu behandeln (vgl. hierzu Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Anm. 13 c zu § 165 RVO; zum Verhältnis von Lohnsteuerrecht und Beitragspflicht zur Sozialversicherung BSGE 6, 47, 56; 26, 68, 69). Demnach ist das Urlaubsentgelt als Einkommen aus nichtselbständiger Tätigkeit i.S.d. § 44 Abs. 4 AFG bei der Berechnung des Uhg anzurechnen.

Aus dem Wortlauf des § 117 Abs. 1 AFG läßt sich zur Auslegung des § 44 Abs. 4 AFG nichts herleiten.

Die in § 117 Abs. 1 AFG getroffene Regelung enthält in der Tat in der Frage der Anrechnung von "Urlaubsgeld" eine Verbesserung der Rechtslage gegenüber dem AVAVG, nach dem auch die Gewährung dieser Leistung nach § 96 Abs. 1 AVAVG zum Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld führte. Mit der Neufassung der Ruhensvorschrift in § 117 Abs. 1 AFG wollte der Gesetzgeber im Falle der Gewährung von Urlaubsgeld das Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld ausschließen (vgl. Schönefelder/Kranz/Wanka, AFG, Anm. B Rd.Nr. 3 zu § 117; Hennig/Kühl/Heuer, AFG Anm. 2 zu § 117). Dies ist bei der Vorschrift des § 44 Abs. 4 AFG im Rahmen der Berechnung des Uhg jedoch anders, wie der weiter gefaßte Wortlaut des § 44 Abs. 4 AFG zeigt.

Die Anrechnung des Urlaubsentgelts auf das Uhg nach § 44 Abs. 4 AFG widerspricht auch nicht der Zweckbestimmung des Urlaubsentgeltes. Die Gewährung des sich aus dem BUrlG ergebenden Anspruchs und deren Folgen sollen bewirken, daß der Arbeitnehmer in seinem Urlaub seinen bisherigen Lebenszuschnitt aufrechterhalten und die ihm gewährte Freizeit (dem Urlaubszweck) entsprechend verwerten kann (vgl. dazu Dersch/Neumann, BUrlG, 4. Aufl., Rd.Nr. 21 zu § 11). Die Anrechnung des Urlaubsentgelts berührt die Möglichkeit des Arbeitnehmers zur Aufrechterhaltung des Lebenszuschnitts nicht. Zwar kann die Anrechnung nach § 44 Abs. 4 AFG dazu führen, daß ein Uhg neben dem erzielten Urlaubsentgelt nicht zu zahlen ist. Damit wird der Bildungswillige, der seine (geförderte) Fortbildung während des Urlaubs betreibt, jedoch nicht in seinem bisherigen Lebenszuschnitt eingeschränkt. Dem Arbeitnehmer steht in Bezug auf die Verwirklichung des Urlaubszwecks - unter Berücksichtigung des in § 8 BUrlG aufgestellten Verbots einer zweckwidrigen Erwerbstätigkeit während des Urlaubs - eine weitgehende Dispositionsfreiheit zu.

Der Anrechnung des Urlaubsentgelts auf das Uhg steht auch nicht § 11 Abs. 7 AFuU 1969 entgegen.

Diese, die Vorschrift des § 44 Abs. 4 AFG ergänzende und ausfüllende Bestimmung, die im Rahmen des § 39 AFG erlassen worden ist und nicht gegen höherrangiges Recht verstößt (vgl. hierzu BSGE 35, 164), bindet die Gerichte. Das Urlaubsentgelt zählt nicht zu den Einkünften, die wegen einer vor Antritt des Urlaubs - also hier vor der einen Anspruch auf Uhg auslösenden Teilnahme an dem Fortbildungslehrgang - erbrachten Arbeitsleistung nachträglich gezahlt wird. Durch § 11 Abs. 7 AFuU 1969 soll vermieden werden, daß Einkommen, für welches die Arbeitsleistung bereits vorher erbracht wurde, das aber aus irgendwelchen Gründen erst später ausgezahlt wird, zur Anrechnung kommt. Hierzu zählen etwa Provisionen aus Verträgen, die vor Maßnahmebeginn abgeschlossen wurden, Gewinnbeteiligung aus vorheriger Beschäftigung, nachgezahlter Arbeitslohn usw. Das Urlaubsentgelt unterscheidet sich von derartigen Leistungen dadurch, daß es nicht für den Lebensunterhalt in den Zeiten aktiver Arbeit bestimmt ist, sondern für die Zeit des Urlaubs. Es entspricht deshalb dem Grundgedanken des § 11 Abs. 7 AFuU 1969, das Urlaubsentgelt in der Urlaubszeit anzurechnen und eine Anrechnung auf andere Zeiträume auszuschließen, falls es einmal entgegen § 11 Abs. 2 BUrlG zu einem früheren oder späteren Zeitpunkt gezahlt werden soll.

Zu einer Anrufung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes besteht keine Veranlassung, da die vorliegende Entscheidung nicht von einer Entscheidung eines anderen obersten Gerichtes abweicht.

Da somit die Voraussetzungen für die Anrechnung des Urlaubsentgelts nach den §§ 44 Abs. 4 AFG, 11 Abs. 7 AFuU 1969 gegeben sind, ist auf die Revision das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1656272

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