Orientierungssatz

Zur Frage der Förderung der Teilnahme an einem Seefunkerlehrgang zum Erwerb des Seefunkzeugnisses 2. Klasse.

 

Normenkette

AFG § 41 Abs. 1 Fassung: 1969-06-25

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten werden die Urteile des Landessozialgerichts Hamburg vom 3. Mai 1974 und des Sozialgerichts Hamburg vom 9. Mai 1973 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.

Kosten des Verfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Förderung eines Lehrgangs zum Erwerb des Seefunkzeugnisses 2. Klasse.

Der 1947 geborene Kläger hat nach Abschluß der Volksschule den Beruf des Elektroinstallateurs erlernt und in diesem Beruf die Gesellenprüfung abgelegt. Danach war er im Rundfunkfachhandel tätig und arbeitet auch jetzt dort als Rundfunkmechaniker. In der Zeit vom 6. März 1972 bis zum 20. Juli 1973 nahm er an einem dreisemestrigen Lehrgang der Fachhochschule H - Fachbereich Seefahrt - (Seefahrtsschule) teil mit dem Ziel, das Seefunkzeugnis 2. Klasse zu erwerben.

Die Beklagte lehnte den Antrag des Klägers auf Förderung der Teilnahme an diesem Lehrgang ab (Bescheid vom 4. April 1972; Widerspruchsbescheid vom 9. Mai 1972). Das Sozialgericht (SG) Hamburg hat die Beklagte verurteilt, dem Kläger vom 6. März 1972 bis 20. Juli 1973 Förderungsleistungen zu gewähren (Urteil vom 9. Mai 1973). Das Landessozialgericht (LSG) Hamburg hat die Berufung der Beklagten gegen dieses Urteil zurückgewiesen (Urteil vom 3. Mai 1974). Das LSG hat seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet: Der Lehrgang an der Seefahrtsschule sei als Fortbildung im Sinne von § 41 Abs. 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) in Verbindung mit § 2 Abs. 6 Satz 2 der Anordnung des Verwaltungsrates der Bundesanstalt für Arbeit über die individuelle Förderung der beruflichen Fortbildung und Umschulung vom 9. September 1971 (ANBA 797 - AFuU 1971 -) zu betrachten. Beide Vorschriften stellten auf die Vorbildung ab, die die Teilnehmer mitbringen müssen, um an einer Bildungsmaßnahme mit Aussicht auf Erfolg teilnehmen zu können.

Die Seefunkerausbildung, die die Seefahrtsschule durchführe, sei in diesem Sinne inhaltlich auf das Elektrohandwerk bezogen. Ohne technische Spezialkenntnisse wären selbst begabte Fachschüler nicht in der Lage, dem Unterricht zu folgen. Eine abgeschlossene Lehre als Rundfunk- und Fernsehmechaniker, Elektromechaniker oder Elektroinstallateur werde zwar nur von Bewerbern mit Volksschulbildung gefordert. Bei Bewerbern, die eine Mittelschule besucht hätten oder eine entsprechende erweiterte Schulbildung besäßen (Bewerber mit Fachschulreife), genüge auch ein zweijähriges Praktikum in einem der genannten Handwerksberufe. Das hindere jedoch nicht, die Zugangsvoraussetzungen im Sinne § 41 Abs. 1 AFG als erfüllt anzusehen. Vielmehr sei daraus nur zu folgern, daß die Seefunkausbildung nicht nur für die Spitzen des Elektrofachs infrage komme, sondern daß auch die theoretischen Grundkenntnisse und die Vertrautheit mit der praktischen Arbeitsweise des Elektrohandwerks ausreiche, die von einem Gesellen im Beginn seines Berufslebens erwartet werden könne. Maßgeblich sei allein die Vorbildung, die der Unterricht der Seefahrtsschule, insbesondere ihr Lehrplan, voraussetze. Danach wäre im Grunde zwar auch bei Bewerbern mit Fachschulreife eine abgeschlossene Lehre geboten. Man dürfe jedoch nicht übersehen, daß Volksschüler ihre Berufsausbildung früher begännen und daher auch die Seefunkprüfung früher ablegen könnten als ihre Kollegen mit Fachschulreife. Um diesen zeitlichen Vorsprung wenigstens teilweise auszugleichen, verzichte man bei den Letzteren auf den formellen Nachweis einer Gesellenprüfung. Eine derartige Abkürzung der Erstausbildung für Lehrlinge mit Fachschulreife lasse sich um so eher rechtfertigen, als von ihnen im allgemeinen erwartet werden könne, daß sie in der verkürzten praktischen Ausbildung annähernd den gleichen Wissensstoff aufnähmen wie Volksschüler in einer normalen Lehrzeit. Die Seefunkausbildung sei daher nicht lediglich als Fortsetzung der Schulausbildung anzusehen; nach Inhalt, Art, Ziel und Dauer der Lehrgänge setzten diese berufliche Vorkenntnisse in einem Ausmaß voraus, daß dadurch der Grad der abgeschlossenen Berufsausbildung im Sinne des § 41 Abs. 1 AFG erreicht sei.

Daß von den Teilnehmern an dem Seefunklehrgang außerdem noch Kenntnisse eines Mittelschülers in den Fächern Deutsch, Englisch, Mathematik, Physik und Erdkunde verlangt würden, hindere die Annahme des Lehrgangs als eine Maßnahme der beruflichen Fortbildung im Sinne von § 41 AFG nicht. Die Anwendung dieser Vorschrift sei grundsätzlich dadurch nicht ausgeschlossen, daß außer der Berufsausbildung noch weitere Kenntnisse, Erfahrungen und persönliche Eigenschaften für einen Bildungsgang erforderlich seien. Da auch die übrigen Anspruchsvoraussetzungen nach §§ 34, 36, 42 AFG vorlägen, sei der Anspruch des Klägers begründet.

Mit der zugelassenen Revision rügt die Beklagte einen Verstoß des LSG gegen §§ 36, 41, 43 AFG und §§ 2, 8 AFuU 1971 und trägt hierzu insbesondere vor:

Nach den Feststellungen des LSG hätten Zugang zu dem streitigen Lehrgang nicht nur Bewerber, die eine abgeschlossene Lehre im Elektrohandwerk besitzen, sondern auch Bewerber mit abgeschlossener Realschule und einem zweijährigen Praktikum. Damit baue der Lehrgang nicht auf der Berufsausbildung auf, wie es § 41 Abs. 1 AFG erfordere, sondern auf Schulausbildung. Dies ergebe sich auch aus dem Umstand, daß von allen Bewerbern im Rahmen einer Zulassungsprüfung in den Fächern Deutsch, Englisch, Mathematik, Physik und Erdkunde ausgesprochene Schulkenntnisse verlangt würden, die unbedingt erforderlich seien, damit der Teilnehmer dem Unterricht folgen könne. Die Teilnahme an dem Lehrgang scheitere daher am Fehlen der nach § 41 Abs. 1 AFG in Verbindung mit § 2 Abs. 6 AFuU 1971 erforderlichen Zugangsvoraussetzungen.

Im übrigen sei die Förderung des Klägers nicht zweckmäßig nach Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes (§ 36 AFG in Verbindung mit § 8 AFuU 1971). Nach den Feststellungen des LSG habe der Kläger eine Tätigkeit als Seefunker nicht aufgenommen; er beabsichtige dies auch gar nicht.

Zumindest hätte sich das LSG gedrängt fühlen müssen, Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes für Inhaber des Seefunkzeugnisses 2. Klasse, die auf dem Lande beschäftigt sein wollen, aufzuklären.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil und das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 9. Mai 1973 anzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger ist im Verfahren vor dem Bundessozialgericht (BSG) nicht vertreten.

Beide Beteiligten haben sich damit einverstanden erklärt, daß eine Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung ergeht (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

 

Entscheidungsgründe

Die durch Zulassung statthafte Revision ist begründet; dem Kläger steht ein Anspruch auf Förderung seiner Teilnahme an dem Lehrgang zur Erlangung des Seefunkzeugnisses 2. Klasse nicht zu.

Der von dem Kläger besuchte Lehrgang stellt zwar für ihn inhaltlich eine berufliche Fortbildung im Sinne von § 41 AFG dar. Er hat das Ziel, berufliche Kenntnisse und Fertigkeiten zu erweitern oder der technischen Entwicklung anzupassen und ihm gegebenenfalls einen beruflichen Aufstieg zu ermöglichen. Der Anspruch des Klägers auf Förderung seiner Teilnahme an diesem Lehrgang scheitert jedoch daran, daß es sich insgesamt nicht um eine Maßnahme im Sinne von § 41 Abs. 1 AFG handelt, deren Besuch förderungsfähig ist; denn die Maßnahme setzt nicht generell eine abgeschlossene Berufsausbildung oder eine angemessene Berufserfahrung im Sinne dieser Vorschrift voraus. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist diese Bedingung jedoch erforderlich, um überhaupt das Vorliegen einer beruflichen Fortbildungsmaßnahme im Sinne von § 41 AFG bejahen zu können. Schon aus dem Wortlaut des Gesetzes ergibt sich, daß die abgeschlossene Berufsausbildung oder angemessene Berufserfahrung nicht nur als eine auf den Teilnehmer bezogene subjektive Förderungsvoraussetzung zu verstehen ist, sondern daß sie vielmehr generell eine objektive Voraussetzung für die Teilnahme an einer Maßnahme sein muß, wenn diese als berufliche Fortbildung förderungsfähig sein soll (vgl. BSGE 36, 48; SozR AFG § 41 Nr. 1; Urteile des Senats vom 6. März 1975 - 7 RAr 38/73 - und vom 30. September 1975 - 7 RAr 88/74 -).

Nach den Feststellungen des LSG erhalten generell Zugang zu dem Lehrgang an der Seefahrtsschule für die Erlangung des Seefunkzeugnisses 2. Klasse nicht nur Bewerber, die eine abgeschlossene Berufsausbildung besitzen, sondern auch solche, die diese Bedingung nicht erfüllen, nämlich soweit es sich um Bewerber mit Realschulabschluß oder mit Fachhochschulreife handelt. Für diesen Personenkreis sehen die Zugangsvoraussetzungen lediglich vor, daß ein Berufspraktikum im Elektrohandwerk von zweijähriger Dauer nachgewiesen werden muß. Wie der Senat ebenfalls bereits entschieden hat, ersetzt ein Praktikum von zwei Jahren nicht die alternative Zugangsvoraussetzung einer angemessenen Berufserfahrung im Sinne von § 41 Abs. 1 AFG. Eine abgeschlossene Berufsausbildung im Sinne dieser Vorschrift stellt das Praktikum ohnedies nicht dar. Aus dem Begriff der Angemessenheit der Berufserfahrung und dem Umstand, daß diese Erfahrung neben der abgeschlossenen Berufsausbildung als (objektiv erforderliche) Zugangsvoraussetzung in § 41 Abs. 1 AFG gefordert wird, um eine Fortbildungsmaßnahme anzuerkennen, deren Besuch förderungsfähig ist, folgt bereits, daß die angemessene Berufserfahrung zu etwa gleichwertigen und gleichartigen beruflichen Kenntnissen und Fertigkeiten geführt haben soll wie die abgeschlossene Berufsausbildung. Welcher zeitliche Aufwand hierfür erforderlich ist, kann für den vorliegenden Fall dahinstehen, selbst wenn man - möglicherweise - davon ausgehen kann, daß regelmäßig der Erwerb von beruflichen Kenntnissen und Fertigkeiten durch eine angemessene Berufserfahrung mindestens den gleichen Zeitraum benötigt, der erforderlich ist, um eine Berufsausbildung abzuschließen (vgl. Urteil des Senats vom 30. September 1975 - 7 RAr 88/74 - mit weiteren Nachweisen).

Ein Praktikum ist jedenfalls aber nicht dazu bestimmt, eine einer abgeschlossenen Berufsausbildung etwa gleichwertige angemessene Berufserfahrung zu vermitteln; es soll den Praktikanten einen gewissen Überblick über die Aufgaben und praktischen Erfordernisse eines Berufs und Berufszweiges verschaffen. Der Praktikant soll gewisse praktische Erfahrungen sammeln, nicht jedoch zu einer so umfassenden angemessenen Berufserfahrung gelangen, daß diese Erfahrungen den Kenntnissen und Fertigkeiten einer abgeschlossenen Berufsausbildung entsprechen. Daß dem so ist, ergibt sich auch aus den Feststellungen des LSG, wonach das Hauptgewicht für die Teilnehmer an dem Lehrgang im Bereich theoretischer Kenntnisse lag und nicht so sehr in den Kenntnissen, die erst durch eine abgeschlossene Berufsausbildung im Elektrohandwerk vermittelt werden. Infolgedessen fehlt es dem Lehrgang an den nach § 41 Abs. 1 AFG vorgeschriebenen Zugangsvoraussetzungen (vgl. BSG in SozR 4100 § 41 AFG Nrn. 11 und 12 sowie Urteil vom 30. September 1975 - 7 RAr 88/74 -).

Der Anspruch des Klägers läßt sich auch nicht daraus rechtfertigen, daß ihm die Förderung seiner Teilnahme an dem Lehrgang durch das Arbeitsamt zugesagt worden ist. Nach der Rechtsprechung des Senats ist das Arbeitsamt an eine rechtswidrige Zusage auf Förderung der beruflichen Fortbildung nicht stärker gebunden als an einen entsprechenden rechtswidrigen Verwaltungsakt.

Eine solche Entscheidung könnte es nach § 151 Abs. 1 AFG zurücknehmen. Wenn es daher einen schon bindenden Verwaltungsakt zurücknehmen darf, sofern die Anspruchsvoraussetzungen nicht gegeben waren, kann eine Behörde nicht gehalten sein, aufgrund einer fehlerhaften Zusage Leistungen zu erbringen. Die Ablehnung der Bewilligung der von dem Kläger beantragten Förderung stellt rechtlich zugleich die Rücknahme einer ihm etwa zuvor gegebenen Zusage dar (vgl. BSGE 38, 63 = SozR 4100 § 151 AFG Nr. 1).

Auf die Revision der Beklagten muß daher das Urteil des LSG und das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1647614

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