Leitsatz (amtlich)

Für ein vor 1966 begründetes Pfarrerdienstverhältnis bei der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau besteht iS von AVG § 37c (= RVO § 1260c) ein Anspruch auf Versorgung zumindest nach beamtenrechtlichen Grundsätzen; dem steht nicht entgegen, daß die Kirche sich zur Erfüllung ihrer Versorgungsverpflichtungen weitgehend der gesetzlichen Rentenversicherung bedient.

 

Normenkette

AVG § 37c Fassung: 1977-06-27; RVO § 1260c Fassung: 1977-06-27

 

Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 30.09.1982; Aktenzeichen L 5 A 12/82)

SG Mainz (Entscheidung vom 11.12.1981; Aktenzeichen S 6 A 56/81)

 

Tatbestand

Streitig ist die Höhe von Hinterbliebenenrenten aus der Angestelltenversicherung (AnV).

Die Klägerin zu 1) ist die Witwe, die Kläger zu 2) und 3) sind die Kinder des am 23. August 1980 verstorbenen Siegfried H. Dieser leistete von Januar bis März 1941 Reichsarbeitsdienst und von Januar 1942 bis Mai 1945 Kriegsdienst, sodann war er bis September 1945 in Kriegsgefangenschaft. Von Oktober 1945 bis April 1950 studierte er evangelische Theologie. Nach der 2. theologischen Prüfung trat er am 1. Februar 1952 als Pfarrer in den Dienst der beigeladenen Kirche. Diese versicherte ihn aufgrund ihres Kirchengesetzes zur Sicherung der beamtenrechtlichen Versorgungsanwartschaften der Pfarrer, Pfarrer im kirchlichen Hilfsdienst und Kirchenbeamten (Versorgungssicherungsgesetz) vom 26. November 1973 in der AnV für die Zeit vom 1. Februar 1952 bis zum 31. Dezember 1973 nach und führte ab Januar 1974 laufend Pflichtbeiträge für ihn ab. Die Kläger beziehen sowohl von der Beklagten als auch von der beigeladenen Kirche Hinterbliebenenleistungen; dabei rechnet die Beigeladene auf ihre Leistungen (Witwen- bzw. Waisengelder) die von der Beklagten gewährten Hinterbliebenenrenten (Witwen- bzw. Waisenrenten) an.

Bei der Berechnung der Hinterbliebenenrenten ließ die Beklagte wegen der gegenüber der Beigeladenen bestehenden Versorgungsansprüche die Ersatz- und Ausfallzeiten des Versicherten in den Jahren 1941 bis 1950 gem § 37c des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) außer Ansatz und erhöhte die Waisenrenten nach § 46 Abs 1 Satz 4 AVG nur um den halben Kinderzuschuß (Bescheide vom 22. Dezember 1980; Widerspruchsbescheide vom 20. Mai 1981). Die Klagen hatten keinen Erfolg, soweit die Kläger die Anrechnung von Zeiten an Predigerseminaren begehrten; sie waren erfolgreich insofern, als das Sozialgericht die Beklagte verurteilt hat, die Renten unter rentensteigernder Berücksichtigung der beitragslosen Zeiten vom 1. Januar 1941 bis 17. April 1950 zu berechnen und die Waisenrenten nach § 46 Abs 1 Satz 3 AVG zu erhöhen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufungen der Beklagten und der Beigeladenen zurückgewiesen. Nach seiner Auffassung stellen die von der Beigeladenen gewährten Leistungen keine Versorgung nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen iS der §§ 37c, 46 Abs 1 Satz 4 AVG dar. Dabei hob das LSG hervor, daß seit dem Versorgungssicherungsgesetz die kirchliche Versorgung nur subsidiär sei; sie habe in erster Linie die Aufgabe, eine nach Anrechnung der Rente verbleibende Differenz gegenüber den Versorgungsbezügen vergleichbarer Staatsbeamter auszugleichen, garantiere allerdings auch die Versorgung der Pfarrer und ihrer Hinterbliebenen bei jedem Ausfall von Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung. Für entscheidend hielt das LSG, daß die §§ 37c, 46 Abs 1 Satz 4 AVG nur die Fälle erfassen sollten, in denen neben der Rente eine Versorgung aufgrund von ruhegehaltsfähigen Dienstzeiten gewährt werde, die mit den der Rente zugrunde liegenden Beitragszeiten nicht identisch seien; hier seien jedoch während des gesamten Pfarrerdienstverhältnisses Versicherungszeiten in der Rentenversicherung zurückgelegt worden.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision macht die Beklagte geltend, die Versorgungsbezüge der Kläger würden nicht aufgrund einer "Ausfallgarantie" gezahlt; es handele sich vielmehr um Versorgungsbezüge, die auf der Grundlage der Bestimmungen des Beamtenversorgungsgesetzes (BeamtVG) festgestellt würden.

Die Beklagte beantragt, die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Klagen in vollem Umfang abzuweisen.

Die Kläger und die Beigeladene beantragen, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet; die Beklagte hat zu Recht bei der Berechnung der Hinterbliebenenrenten die vom Versicherten zurückgelegten Ersatz- und Ausfallzeiten unberücksichtigt gelassen und die Renten der Kläger zu 2) und 3) nur um die halben Kinderzuschüsse erhöht.

Nach § 37c AVG bleiben ua bei der Berechnung von Hinterbliebenenrenten Ersatz- und Ausfallzeiten vor dem 1. Januar 1966 begründeten öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis (oder Arbeitsverhältnis) mit Anspruch auf Versorgung nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen zugrunde gelegt sind. Diese Voraussetzungen sind entgegen der Ansicht der Vorinstanzen hier erfüllt.

Das Pfarrerdienstverhältnis des Versicherten, aufgrund dessen die Beigeladene den Klägern Bezüge gewährt, war ein öffentlich- rechtliches Dienstverhältnis. Die Beigeladene ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, die ihre Angelegenheiten selbständig ordnet und verwaltet und ihre Ämter ohne Mitwirkung des Staates verleiht (Art 137 Abs 3, Abs 5 Satz 1 WRV iVm Art 140 Grundgesetz). Es entspricht der traditionellen Stellung der Landeskirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts, daß ihnen eine der Dienstherrenfähigkeit vergleichbare und auch so bezeichnete Befugnis zur Begründung öffentlich-rechtlicher Dienstverhältnisse zusteht.

Das öffentlich-rechtliche Dienstverhältnis des Versicherten zur Beigeladenen war mit einem "Anspruch auf Versorgung" nach beamtenrechtlichen Vorschriften, zumindest aber "nach beamtenrechtlichen Grundsätzen" versehen (vgl Grethlein/Spengler, DÖV 1975, 554 ff; aA Obermayer, SGb 1973, 161, 164; Bogs, DÖV 1974, 521 ff). Zu diesem Tatbestandsmerkmal, das sich in mehreren Gesetzen findet (neuerdings zB § 1587a Abs 2 Satz 1 Nr 1 BGB), hat der Senat bereits entschieden, daß eine Versorgung nach beamtenrechtlichen Grundsätzen gegeben ist, wenn die Versorgung auf dem Alimentationsprinzip beruht und nach Voraussetzungen, Art und Umfang ungeachtet gewisser Abweichungen dem Beamtenrecht entspricht (SozR 5866 § 12 Nr 5). Diesen Anforderungen wird die von der beigeladenen Kirche gewährte Versorgung gerecht. Nach § 21 des Pfarrerbesoldungsgesetzes idF der Bekanntmachung vom 9. Oktober 1978 findet auf die Versorgung der Pfarrer und ihrer Hinterbliebenen (§ 27) das BeamtVG sinngemäße Anwendung; dasselbe gilt gem § 12 des Kirchenbeamtenbesoldungsgesetzes, auf das § 21 des Pfarrerbesoldungsgesetzes ferner verweist. Demzufolge decken sich die Versorgungsbezüge eines in den Ruhestand getretenen Pfarrers und seiner Hinterbliebenen in ihren Voraussetzungen, ihrer Art und Höhe mit den nach dem BeamtVG zu gewährenden Bezügen. Das bestätigt nochmals das Versorgungssicherungsgesetz vom 26. November 1973, das nach seiner Überschrift und seinem Art 1 Abs 1 Satz 1 gerade die "Erfüllbarkeit der beamtenrechtlichen Anwartschaften auf ... Versorgung nach dem Kirchengesetz über die Besoldung und Versorgung der Pfarrer" und ihrer Hinterbliebenen hat sichern wollen.

Nach den genannten kirchlichen Gesetzen bestehen allerdings gewisse Besonderheiten der hier streitigen kirchlichen Versorgung. Die beigeladene Kirche bedient sich zur Erfüllung ihrer Versorgungsverpflichtungen weitgehend der gesetzlichen Rentenversicherung. Demgemäß werden auf die kirchlichen Versorgungsbezüge Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung insoweit angerechnet, als sie aufgrund von Beiträgen geleistet werden, die nach dem Versorgungssicherungsgesetz nachentrichtet oder als laufende Beiträge vom kirchlichen Dienstherrn getragen wurden; bis zur Anweisung der Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung werden Versorgungsleistungen gegen Abtretung der Rentenansprüche als Vorschuß gezahlt; bei jedem Ausfall der Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung bleibt der Dienstherr zur Erfüllung der Versorgungsleistungen verpflichtet (Art 1 Abs 3 des Versorgungssicherungsgesetzes, § 21 des Pfarrerbesoldungsgesetzes iVm § 21 Abs 1 Satz 1, Abs 3 des Kirchenbeamtenbesoldungsgesetzes). Diese Besonderheiten stehen jedoch der Wertung der Versorgung als Versorgung nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen nicht entgegen. Denn auch bei ihrer Berücksichtigung verbleibt es dabei, daß der kirchliche Versorgungsberechtigte gegen den Dienstherrn einen gleichen Versorgungsanspruch hat wie ein Berechtigter, dessen Anspruch sich unmittelbar auf das BeamtVG gründet; wenn sein Anspruch gegen diesen erlischt, soweit der Berechtigte eine (bestimmte) Rente aus der Rentenversicherung erhält, so hat der Senat schon früher (SozR aaO) darauf hingewiesen, daß auch das Beamtenversorgungsrecht Bestimmungen über die Anrechnung von Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung auf die Beamtenversorgung kennt. Dem Berechtigten wird jedenfalls zu keiner Zeit an Versorgung vorenthalten, was ihm an Versorgung bei sinngemäßer Anwendung des BeamtVG zusteht; die Kirche steht ihm im Ergebnis dafür immer ein.

Der somit bestehende Anspruch auf Versorgung zumindest nach beamtenrechtlichen Grundsätzen ist ferner nicht dadurch berührt worden, daß der Hessische Kultusminister die früher von ihm nach § 6 Abs 2 AVG (iVm Abs 1 Nr 4) getroffene Gewährleistungsentscheidung im Zusammenhang mit dem Versorgungssicherungsgesetz aufgehoben hat. Dabei kann offen bleiben, welche Gründe dazu Veranlassung gegeben haben; denn die Aufhebung kann nur im Rahmen des § 6 Wirkungen insofern entfalten, als seitdem für eine Versicherungsfreiheit nach § 6 Abs 1 Nr 4 AVG die dazu nach Abs 2 noch erforderliche Gewährleistungsentscheidung (Feststellung) fehlt (vgl BSGE 50, 289, 293 f).

Bei der den Klägern von der Beigeladenen gewährten Versorgung sind die streitigen Ersatz- und Ausfallzeiten als ruhegehaltsfähige Dienstzeiten berücksichtigt worden. Infolgedessen hat die Beklagte § 37c AVG zu Recht angewandt. Dem steht auch nicht die Erwägung des LSG entgegen, das für entscheidend hält, daß der Versicherte im gesamten Pfarrerdienstverhältnis Versicherungszeiten in der Rentenversicherung zurückgelegt habe. § 37c AVG stellt allein darauf ab, ob die Ersatz- und Ausfallzeiten einer beamtenrechtlichen Versorgung zugrunde gelegt sind (oder werden). Das ist hier der Fall. Für eine eingeschränkte Anwendung der Vorschrift in dem Sinne, wie sie dem LSG offenbar vorgeschwebt hat, ergeben weder der Wortlaut der Vorschrift noch deren Sinn und Zweck irgendwelche Anhaltspunkte. Die Vorschrift will Doppelanrechnungen in der Rentenversicherung und in der Beamtenversorgung vermeiden; sie will in ihrem Rahmen die Rentenversicherung von einer Honorierung der betroffenen Zeiten freistellen. Gerade das wird mit der vom Senat vorgenommenen Auslegung des § 37c AVG erreicht.

Aus den Ausführungen zu § 37c AVG ergibt sich zugleich, daß die Kläger zu 2) und 3) von der Beigeladenen, die zu den in § 7 Abs 1 AVG genannten Stellen gehört, Waisengeld zumindest nach beamtenrechtlichen Grundsätzen erhalten. Deswegen steht ihnen nach § 46 Abs 1 Satz 4 AVG zu dem Waisengeld nur der halbe Kinderzuschuß zu.

Nach alledem waren die Urteile der Vorinstanzen somit aufzuheben und die Klagen in vollem Umfang abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.

 

Fundstellen

BSGE, 19

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