Entscheidungsstichwort (Thema)

Leistungsgruppenzuordnung Verwitweter mit Steuerklasse III

 

Orientierungssatz

Es ist nicht willkürlich, wenn der Gesetzgeber in § 111 AFG trotz der prinzipiellen Anbindung an das Lohnsteuerklassensystem des § 38b EStG bestimmte steuerrechtliche Vergünstigungen nicht übernimmt, die lediglich Billigkeitscharakter haben bzw temporären Belastungen (zB nach dem Tod des Ehegatten, durch Alter) Rechnung tragen. Durch die Nichtberücksichtigung der steuerrechtlichen Privilegierung Verwitweter ist weder Art 3 Abs 1 noch Art 6 Abs 1 GG verletzt.

 

Normenkette

AFG § 111 Abs 2 S 2 Nr 1 Buchst a Fassung: 1975-12-18; EStG § 38b Nr 3 Buchst b; GG Art 3 Abs 1 Fassung: 1949-05-23; GG Art 6 Abs 1 Fassung: 1949-05-23

 

Verfahrensgang

LSG Niedersachsen (Urteil vom 25.09.1979; Aktenzeichen L 7 Ar 398/78)

SG Braunschweig (Entscheidung vom 27.09.1978; Aktenzeichen S 7 Ar 74/78)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes (Alg) der Klägerin statt der Leistungsgruppe A die Leistungsgruppe C zugrunde zu legen ist.

Die am 16. November 1923 geborene Klägerin war von 1970 bis 30. November 1977 bei ihrem Ehemann als Büroleiterin beschäftigt; auf ihrer Lohnsteuerkarte war für 1977 die Steuerklasse III eingetragen. Nachdem ihr Ehemann am 16.November 1977 verstorben war, meldete sich die Klägerin am 2. Dezember 1977 arbeitslos und beantragte die Gewährung von Alg.

Mit Bescheid vom 3. Januar 1978 bewilligte die Beklagte Alg ab 2. Dezember 1977 für 312 Tage und legte der Berechnung der Leistung die Leistungsgruppe A zugrunde. Den hiergegen eingelegten Widerspruch, mit dem die Klägerin Alg nach Leistungsgruppe C statt A begehrte, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 21. März 1978 zurück.

Das Sozialgericht (SG) hat durch Urteil vom 27. September 1978 die Beklagte unter Abänderung der angefochtenen Bescheide verurteilt, der Klägerin Alg nach der Leistungsgruppe C zu gewähren, solange in ihrer Lohnsteuerkarte die Lohnsteuerklasse III eingetragen sei.

Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 25. September 1979 auf die zugelassene Berufung der Beklagten das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. In den Gründen der Entscheidung ist ausgeführt: Die Voraussetzungen des § 111 Abs 2 Satz 2 Nr 1c Arbeitsförderungsgesetz (AFG) idF des Gesetzes zur Verbesserung der Haushaltsstruktur im Geltungsbereich des Arbeitsförderungs- und des Bundesversorgungsgesetzes (HStruktG-AFG) vom 18. Dezember 1975 (BGBl I 3113) für eine Einstufung in die Leistungsgruppe C seien nicht erfüllt. Zur Zeit der Anspruchsbegründung am 2. Dezember 1977 sei die Klägerin nicht mehr verheiratet, sondern verwitwet gewesen. Entgegen der Auffassung des SG komme es zunächst auf die jeweilige zivilrechtliche und nicht auf die steuerrechtliche Rechtslage des Arbeitnehmers an. Dies ergebe sich schon aus dem Wortlaut des § 111 Abs 2 Satz 2 Nr 1 Buchst a bis d AFG, da dort jeweils im Hauptsatz der Status und erst im Nebensatz, also zuordnend, die Lohnsteuerklasse genannt werde. Daß der Gesetzgeber in dieser Bestimmung - anders als im Steuerrecht - auf die tatsächlichen Familienverhältnisse abstelle, nicht dagegen auf die hiervon abweichende steuerrechtliche Regelung, wonach die Steuerpflichtigen verschiedentlich auch nach Änderung ihres Familienstandes für eine gewisse Zeit steuerrechtlich nach ihrem früheren Familienstand behandelt würden, ergebe sich sowohl aus der Entstehungsgeschichte der Bestimmung als auch aus § 111 Abs 2 Satz 2 Nr 1b AFG. Bezüglich des familienrechtlichen Status sei die unmittelbare Anknüpfung an die steuerrechtliche Rechtslage schon in dem bis 31. Dezember 1974 geltenden § 113 AFG aufgegeben worden. Entscheidend sei nach neuem Recht allein, ob die Ehe des Arbeitslosen rechtlich bestehe. In gleicher Weise wie der Gesetzgeber bei der Bemessung des Alg von nichtverheirateten Arbeitnehmern mit einem Kind iS von § 32 Abs 4, 6 und 7 Einkommensteuergesetz (EStG) (§ 111 Abs 2 Satz 2 Nr 1b AFG) die steuerrechtlich privilegierende Vorschrift des § 32 Abs 5 EStG nicht angewandt wissen wolle, habe er auch bewußt davon abgesehen, die steuerrechtlich privilegierenden Vorschriften der §§ 32a Abs 6 Nr 1 und 38b Nr 3b EStG in die Regelung des § 111 Abs 2 Satz 2 Nr 1 AFG aufzunehmen. Entgegen der Ansicht der Klägerin verstoße es nicht gegen Art 3 Abs 1 Grundgesetz (GG), wenn nach den vorgenannten Bestimmungen steuerrechtlich verwitwete Personen noch für bestimmte Zeiten nach dem Tode des Ehepartners die Lohnsteuerklasse III behielten, während § 111 Abs 2 Satz 2 Nr 1 AFG auf den tatsächlichen Familienstand abstelle. Das Steuerrecht und das Sozialrecht - hier das AFG - unterschieden sich insoweit in ihrer Zielsetzung.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 111 Abs 2 Satz 2 Nr 1 AFG und führt hierzu aus: Entgegen der im angefochtenen Urteil vertretenen Ansicht ergebe sich bereits aus dem Wortlaut des § 111 Abs 2 Satz 2 AFG, wonach die Leistungssätze unter Zugrundelegung der "Lohnsteuer" zu bestimmen seien, daß generell - auch hinsichtlich des Familienstandes - auf das Steuerrecht abgestellt worden sei. Auch ein Vergleich zwischen § 111 Abs 2 Satz 2 Nr 1 AFG und § 38b EStG zeige, daß die Zuordnung der Arbeitslosen in die Leistungsgruppen A bis E der steuerlichen Zuordnung der Arbeitnehmer in die Steuerklassen I bis VI nachgebildet bzw mit dieser hinsichtlich der Zuordnungsmerkmale deckungsgleich sei. Wenn lediglich die die steuerliche Behandlung von verwitweten Arbeitnehmern betreffende Einzelvorschrift des § 38b Nr 3b EStG bzw § 32a Abs 6 Nr 1 EStG, wonach verwitwete Arbeitnehmer in dem dem Todesjahr folgenden Kalenderjahr noch als verheiratet behandelt würden, nicht in § 111 Abs 2 Satz 2 Nr 1 AFG übernommen worden sei, so sei damit der Gleichbehandlungsgrundsatz des Art 3 Abs 1 GG verletzt; denn es könne nicht eine einzelne Vorschrift aus mehreren gleichartigen Vorschriften der aus dem Steuerrecht übernommenen Bemessungsgrundlagen willkürlich herausgenommen werden.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen

vom 25. September 1979 aufzuheben und die Berufung

der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts

Braunschweig vom 27. September 1978 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Weder die Wortfassung des § 111 Abs 2 Satz 2 Nr 1 AFG noch die Gesetzesmaterialien hierzu ließen eine Auslegung iS der Klägerin zu. Selbst wenn diese zutreffend wäre, dürfte im vorliegenden Fall aufgrund des § 113 Abs 1 Sätze 2 und 3 AFG die Lohnsteuerklasse III nicht zugrundegelegt werden, weil mit Wirkung vom 16. November 1977 (Tag des Todes des Ehegatten) eine zu beachtende Änderung der eingetragenen Lohnsteuerklasse im Sinne dieser Bestimmung vorgelegen habe.

Beide Beteiligten sind mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist unbegründet.

Zutreffend ist das LSG zu dem Ergebnis gekommen, daß die Voraussetzungen für die begehrte Einstufung in die Leistungsgruppe C nach § 111 Abs 2 Satz 2 Nr 1c AFG, der hier in der ab 1. Januar 1976 geltenden Fassung durch Art 1 § 1 Nr 27 HStruktG-AFG vom 18. Dezember 1975 (BGBl I 3113) anzuwenden ist, nicht vorliegen. Dieser Leistungsgruppe sind nur "verheiratete Arbeitnehmer, auf deren Lohnsteuerkarte die Lohnsteuerklasse III eingetragen ist", zugeordnet. Die Klägerin war aber zu Beginn des Anspruchszeitraums am 2. Dezember 1977 nicht mehr verheiratet, sondern gehörte, nachdem sie am 16. November 1977 Witwe geworden war, zu dem Personenkreis der nichtverheirateten Arbeitnehmer. Diese sind aber, sofern - wie im vorliegenden Falle - kein Kind iS des § 32 Abs 4, 6 und 7 EStG vorhanden ist, der Leistungsgruppe A zuzuordnen (§ 111 Abs 2 Satz 2 Nr 1a AFG).

Maßgebend für den Status als Verheirateter ist nach dem Leistungsgruppenkatalog der Nr 1 des § 111 Abs 2 Satz 2 AFG der allgemeine rechtliche Status, wie er sich für Ehen deutschen Rechts aus den bürgerlich-rechtlichen Bestimmungen ergibt (Urteil des Senats vom 13.November 1980 - 7 RAr 99/79 - zur Veröffentlichung vorgesehen; ebenso Schönefelder/Kranz/Wanka, Komm zum AFG, 4. Lieferung, Stand August 1976, Rdnr 9 zu § 111; Hennig/Kühl/Heuer, Komm zum AFG, Stand Dezember 1980, Anm 5 zu § 111; Eckert ua, GK-AFG, Stand September 1980 RdNr 7 zu § 111).Hiernach endet der Status als Verheirateter mit dem Tode des Ehegatten (§ 1353 Abs 1 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch -BGB- in der ab 1. Juli 1977 geltenden Fassung durch das Erste Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts vom 14. Juni 1976, BGBl I 1421). Eine hiervon abweichende steuerliche Behandlung hat im Rahmen des § 111 Abs 2 Satz 2 Nr 1 AFG keine Berücksichtigung gefunden.

Es ist deshalb unbeachtlich, daß die Klägerin, die verwitwet ist, steuerrechtlich für das Todesjahr des Ehegatten (§ 38b Nr 3a iVm § 26 Abs 1 EStG) und das dem Todesjahr nachfolgende Kalenderjahr (§ 38b Nr 3b EStG) noch wie eine verheiratete Arbeitnehmerin behandelt wird, indem sie der - bisherigen - Steuerklasse III zugeordnet bleibt (vgl zum sog Verwitwetenprivileg Blümich/Falk, EStG-Komm, 11. Aufl, Stand Juli 1980, Anm 2c zu § 38b).

Der hiervon abweichenden Ansicht der Klägerin, daß das steuerrechtliche Verwitwetenprivileg des § 38b Nr 3 EStG, wonach sie bis Ende 1978 in Steuerklasse III eingestuft bleibe, bei der Bemessung des Alg im Rahmen des § 111 Abs 2 Satz 2 Nr 1 AFG zu berücksichtigen sei, weil der Lohnsteuerabzug nach dieser Bestimmung den Lohnsteuerabzug nach der Lohnsteuerklasseneinteilung des § 38b EStG voll inhaltlich nachgebildet sei, kann nicht gefolgt werden.

Hiergegen spricht bereits der Wortlaut des § 111 Abs 2 Satz 2 Nr 1c AFG, wonach der Leistungsgruppe C nicht schlechthin Arbeitnehmer, in deren Lohnsteuerkarte die Lohnsteuerklasse III eingetragen ist, zugeordnet werden, sondern nur "verheiratete" Arbeitnehmer, bei denen diese Voraussetzung zusätzlich zutrifft. Hätte der Gesetzgeber die Lohnsteuerklasse allein für die Einstufung in die Leistungsgruppen des § 111 Abs 2 Satz 2 AFG maßgebend sein lassen wollen, so hätte es gesetzestechnisch nicht eines Leistungsgruppenkatalogs mit differenzierter Zuordnung der jeweiligen Arbeitnehmergruppen bedurft. Vielmehr hätte sich dann der Gesetzgeber darauf beschränken können, die jeweils im Einzelfall vor Beginn der Arbeitslosigkeit maßgebliche Lohnsteuerklasse für den Lohnsteuerabzug bestimmend sein zu lassen. Eine solche Lösung hat aber der Gesetzgeber bewußt nicht gewählt, wie der Gesamtaufbau des Leistungsgruppenkatalogs des § 111 Abs 2 Satz 2 Nr 1a bis e AFG und dessen Entstehungsgeschichte zeigen.

Nach § 111 Abs 1 AFG in der seit 1. Januar 1975 geltenden Fassung durch Art 27 Nr 8 des Einführungsgesetzes zum Einkommensteuerreformgesetz (EG-EStRG) vom 21. Dezember 1974 (BGBl I 3656) beträgt das Alg 68 vH des um die gesetzlichen Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen, verminderten Arbeitsentgelts. Um zu konkretisieren, was als gewöhnlich anfallender Lohnsteuerabzug bei der Bemessung des Alg zu berücksichtigen ist, ist in § 111 Abs 2 AFG in der seit 1. Januar 1976 geltenden Fassung durch Art 1 § 1 Nr 27 HStruktG-AFG näher bestimmt, daß bei der Festsetzung der Leistungssätze für das Alg jeweils nur der Steuerbetrag zu berücksichtigen ist, der sich aus den Steuertabellen der den Leistungsgruppen A bis E jeweils zugeordneten Steuerklassen ergibt. Hierbei entsprechen die Leistungsgruppen A bis E in ihrer Reihenfolge jeweils einem Steuerabzug nach den Lohnsteuertabellen für die Lohnsteuerklassen I, II, III, V und VI. Für die Steuerklasse IV ist eine eigene Leistungsgruppe nicht vorgesehen, weil der Steuerabzug nach dieser Klasse im wesentlichen demjenigen der Steuerklasse I (Leistungsgruppe A) entspricht, so daß Verheiratete mit Steuerklasse IV der Leistungsgruppe A zugeordnet werden konnten. Im Aufbau des Leistungsgruppenkatalogs zeigt sich damit zwar, worauf die Klägerin zu Recht hinweist, eine prinzipielle Anknüpfung an das Steuerklassensystem des § 38b EStG. Jedoch hat der Gesetzgeber die Frage, welche Arbeitnehmergruppen den jeweiligen Leistungsgruppen des § 111 Abs 2 Satz 2 Nr 1 AFG zuzuordnen sind, in wesentlichen Punkten abweichend von der im Steuerrecht maßgeblichen Zuordnung in die Lohnsteuerklassen des § 38b EStG geregelt. Anknüpfungspunkt für die Zuordnung in die Leistungsgruppen gem § 111 AFG ist in erster Linie der Familienstand "verheiratet" oder "nicht-verheiratet"; nur bei Verheirateten ist zusätzlich maßgeblich die individuelle, in die Lohnsteuerkarte eingetragene Lohnsteuerklasse. Demgegenüber ist bei Nichtverheirateten - abgesehen von dem Sonderfall ihrer Einstufung in die Lohnsteuerklasse VI (Mehrfachbeschäftigung) - nicht die Lohnsteuerklasse, sondern das Vorhandensein eines Kindes iS von § 32 Abs 4, 6 und 7 EStG maßgeblich. Darin zeigt sich bereits, daß entgegen der Ansicht der Klägerin der Leistungsgruppenkatalog des § 111 Abs 2 Satz 2 Nr 1 AFG dem Steuerklassensystem des § 38b EStG nicht voll inhaltlich nachgebildet ist. So werden etwa nichtverheiratete kinderlose Arbeitnehmer, die vor Beginn eines Kalenderjahres das 49. Lebensjahr vollendet haben, steuerrechtlich in die Lohnsteuerklasse II eingestuft, arbeitsförderungsrechtlich dagegen nur in die Leistungsgruppe A (Steuerabzug nach Lohnsteuerklasse I), weil der Gesetzgeber das Altersprivileg des § 38b Nr 2a EStG ersichtlich nicht in § 111 AFG übernehmen wollte. Das ist, wie der Senat schon entschieden hat (vgl das zur Veröffentlichung vorgesehene Urteil vom 13. November 1980 - 7 RAr 99/79 -) verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Eine ähnliche Ablösung von der steuerrechtlichen Betrachtungsweise ergibt sich auch bei den für die Einstufung in die Leistungsgruppe B zu berücksichtigenden Kindern. Zwar knüpft hier die Zuordnung zu den Leistungsgruppen A und B des § 111 Abs 2 Satz 2 Nr 1 AFG bezüglich der Verweisung auf die Bestimmungen des § 32 Abs 4, 6 und 7 EStG noch an die steuerrechtliche Begriffsbestimmung des Kindes an. Mit der ausdrücklichen Nichtübernahme des § 32 Abs 5 EStG hat aber der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, daß die speziell steuerrechtlichen Vergünstigungen dieser Bestimmung, wonach ein Kind steuerrechtlich über den tatsächlichen Status hinaus für das gesamte Kalenderjahr, in dem es geboren wird, wie auch für das gesamte Kalenderjahr, in dem es geboren wird, wie auch für das gesamte Kalenderjahr, in dem es das 18. Lebensjahr vollendet, berücksichtigt wird, bei der Bemessung des Alg nach § 111 AFG nicht zur Auswirkung gelangen sollten.

Eine weitergehende Ablösung vom Steuerrecht ist auch bezüglich der den jeweiligen Lohnsteuerklassen nach dem Familienstand zugeordneten Personenkreise erfolgt. Abgesehen davon, daß sich bereits aus § 113 Abs 1 AFG ergibt, daß für den Familienstand abweichend vom Steuerrecht nicht die Verhältnisse maßgebend sind, die zu Beginn des Kalenderjahres bestanden haben, in dem der Anspruch entstanden ist, differenziert der Leistungsgruppenkatalog des § 111 Abs 2 AFG hinsichtlich des Familienstandes nur zwischen verheirateten und nichtverheirateten Arbeitnehmern und sieht - wiederum abweichend vom Steuerrecht - keine spezielle Zuordnung für Arbeitnehmer vor, die verwitwet oder geschieden sind oder deren Ehe durch Aufhebung oder Nichtigerklärung aufgelöst ist. Hieraus folgt, daß diese Personengruppen bei der Einstufung in die Leistungsgruppen des § 111 Abs 2 AFG den für Nichtverheiratete vorgesehenen Leistungsgruppen unterfallen (so für geschiedene Arbeitnehmer das Urteil des Senats vom 13. November 1980 - 7 RAr 99/79 -); andernfalls hätte es bei dem Begriff "verheiratete Arbeitnehmer" einer Bezugnahme auf den Personenkreis bedurft, der nach § 38b Nr 3b und c EStG den Verheirateten (Steuerklasse III) gleichgestellt ist. Bei diesen steuerrechtlichen Bestimmungen handelt es sich um privilegierende Vorschriften, durch die aus Billigkeitsgründen ein steuerrechtlicher Status abweichend vom tatsächlichen Familienstand auf eine bestimmte Zeit nach dessen Änderung erstreckt wird. Die Regelung des § 38b Nr 3b EStG, wonach Verwitwete bis zum Ende des Kalenderjahres, das dem Todesjahr des Ehegatten folgt, der Lohnsteuerklasse III zugeordnet werden, soll Härten vermeiden, die sich bei einem plötzlichen Ableben des Ehegatten in wirtschaftlicher Hinsicht für einen gewissen Zeitraum ergeben können (vgl BT-Drucks 7/1470, S 283). Ähnliche Billigkeitsgesichtspunkte gelten auch für die Regelung des § 38b Nr 3c EStG (vgl Blümich/Falk, aaO, Anm 2c zu § 38 EStG). Sowohl diese als auch die bereits genannten steuerrechtlichen Privilegierungsvorschriften des § 38b Nr 2a und § 32 Abs 5 EStG hat der Gesetzgeber ersichtlich nicht bei der Bemessung der Leistungen nach dem AFG berücksichtigen und in die Regelung des § 111 Abs 2 Satz 2 Nr 1 AFG aufnehmen wollen; denn wenn er dies gewollt hätte, hätte er den Wortlaut des § 38b EStG übernehmen können, statt in § 111 Abs 2 Satz 2 Nr 1 AFG eine eigenständige Regelung zu formulieren (so auch Kessler, AuB 1980, 193/194).

Der Grund für die Absicht des Gesetzgebers, steuerrechtliche Privilegierungstatbestände der vorgenannten Art nicht mit in die Leistungsbemessung nach § 111 Abs 2 Satz 2 Nr 1 AFG zu übernehmen, ergibt sich aus § 111 Abs 1 AFG, wonach lediglich der bei Arbeitnehmern "gewöhnlich" anfallende Steuerabzug berücksichtigt werden soll. Diese Typisierung bzw Schematisierung nach dem Gewöhnlichen bzw Üblichen beinhaltet zugleich eine Nichtübernahme steuerrechtlicher Ausnahme- bzw Privilegierungstatbestände, die - wie § 38b Nr 3b und c EStG - vom jeweils tatsächlichen Familienstand abweichende Billigkeitsregelungen vorsehen oder die - wie § 38b Nr 2a EStG - ältere Arbeitnehmer begünstigen. Zwar sollte durch die Neufassung des § 111 Abs 2 Satz 2 Nr 1 AFG durch Art 1 § 1 Nr 27 HStruktG-AFG gewährleistet sein, daß bei der Festsetzung der Leistungssätze für das Alg die im Einzelfall maßgebende Lohnsteuerklasse des Arbeitslosen berücksichtigt wird, um zu erreichen, daß das Alg grundsätzlich in allen Steuerklassen 68 vH des letzten regelmäßigen Nettoarbeitsentgelts beträgt (vgl Begründung des Regierungsentwurfs zum HStruktG-AFG, BR-Drucks 575/75, S 52/53). Trotz der hiernach im Prinzip erwünschten Anbindung des Steuerabzugs an die im Einzelfall maßgebliche Lohnsteuerklasse hat sich der Gesetzgeber jedoch im Hinblick auf die unverändert gebliebene Fassung des § 111 Abs 1 AFG durch Art 27 Nr 8 des EG-EStRG bei der Neufassung des Leistungsgruppenkatalogs auf diejenigen steuerrechtlichen Tatbestände beschränken können, die "gewöhnlich" bei Arbeitnehmern steuerrechtlich zu beachten sind. Die Nichtübernahme des Verwitwetenprivilegs des § 38b Nr 3 EStG entspricht daher ersichtlich dem Willen des Gesetzgebers.

Aus dem Vorgesagten ergibt sich zugleich, daß durch die Nichtberücksichtigung der steuerrechtlichen Privilegierung Verwitweter weder Art 3 Abs 1 noch Art 6 Abs 1 GG verletzt ist; denn es ist nicht willkürlich, wenn der Gesetzgeber in § 111 AFG trotz der prinzipiellen Anbindung an das Lohnsteuerklassensystem des § 38b EStG bestimmte steuerrechtliche Vergünstigungen nicht übernimmt, die lediglich Billigkeitscharakter haben bzw temporären Belastungen (zB nach dem Tod des Ehegatten, durch Alter) Rechnung tragen. Insoweit handelt es sich um die Ausgestaltung der in § 111 Abs 1 AFG vorgesehenen typisierenden Regelung des Steuerabzugs. Im Bereich des Sozialversicherungsrechts, das die Ordnung von Massenerscheinungen erfordert, ist der Gesetzgeber nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht gehindert, derartige typisierende Regelungen unter Vernachlässigung der Besonderheiten einzelner Fälle zu erlassen (vgl BVerfGE 17, 1, 23 f; 23, 135, 144; 36, 237, 245; 40, 121, 136). Während zudem das Sozialversicherungsrecht, hier das Arbeitslosenversicherungsrecht, nach Wesen und Zielsetzungen eher am typischen Bedarf orientiert ist, ist in dem andersartig strukturierten Steuerrecht grundsätzlich der individuellen Leistungsfähigkeit des Einzelnen Rechnung zu tragen. Deshalb ist es nicht sachwidrig, wenn das Gesetz die nur vorübergehende, auf Billigkeitserwägungen beruhende steuerrechtliche Privilegierung von Verwitweten bei der Bemessung des Alg außer Betrag läßt (so auch Hennig/Kühl/Heuer, aaO, § 113 AFG Anm 2; Kessler, AuB 1980, 194). Darin liegt auch keine Verletzung des Art 6 Abs 1 GG, soweit diese Bestimmung überhaupt nach dem Tode eines Ehegatten für gewisse Zeiten nach Beendigung der Ehe fortwirkt. Eine Benachteiligung von Ehe und Familie in dem von Art 6 Abs 1 GG garantierten Schutzbereich könnte hinsichtlich der Nichtübernahme der steuerrechtlichen Vergünstigungen für Verwitwete nur dann angenommen werden, wenn diese Vergünstigungen Ausdruck einer übergeordneten Wertentscheidung zugunsten der Familie wären. Dies ist aber, wie ausgeführt, nicht der Fall, weil es sich bei dem Verwitwetenprivileg lediglich um eine Vergünstigung für eine Übergangszeit handelt, die zudem von Billigkeitserwägungen bestimmt ist. Im übrigen ist Verwitweten mit der Einräumung der steuerrechtlichen Vergünstigungen ein hinreichender Ausgleich für die nach dem Tode des Ehegatten noch aus der Ehe fortwirkenden Belastungen gewährt; diese Vergünstigungen können sich im allgemeinen, da die Arbeitslosigkeit im Regelfalle nicht über den vollen Veranlagungszeitraum hinaus andauert, auch bei verwitweten Arbeitslosen steuerlich auswirken.

Es ist schließlich bei einer vom Steuerrecht unabhängigen Betrachtung des Leistungsgruppenkatalogs des § 111 Abs 2 Satz 2 Nr 1 AFG nicht willkürlich, wenn verwitwete Arbeitnehmer mit dem Tode des Ehegatten arbeitsförderungsrechtlich anderen nichtverheirateten Arbeitnehmern gleichbehandelt werden; eher wäre es im Hinblick auf Art 3 Abs 1, Art 6 Abs 1 GG verfassungsrechtlich bedenklich, sie wie Verheiratete zu behandeln und sie damit gegenüber ledigen und geschiedenen Arbeitnehmern zu begünstigen.

Nach allem ist die Höhe des der Klägerin zustehenden Alg nach § 111 Abs 2 Satz 2 Nr 1a AFG zutreffend berechnet. Die Revision der Klägerin kann daher keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1656331

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