Leitsatz (amtlich)

Das vorgezogene Übergangsgeld (RVO § 1241 Abs 1 S 2) steht für Rechtsbeziehungen, bei denen es auf die Gewährung einer der in RVO § 1241 Abs 1 S 2 genannten Renten ankommt, der an sich zu gewährenden Rente gleich. Beginnt dieses Übergangsgeld früher als ein an denselben Versicherten gewährtes Krankengeld, findet demnach weder eine Kürzung des Krankengeldes statt, noch geht der Anspruch auf Übergangsgeld insoweit auf die Kasse über (RVO § 183 Abs 5; Ergänzung BSG 1969-06-24 3 RK 1/67 = SozR Nr 41 zu § 183 RVO).

 

Normenkette

RVO § 183 Abs. 5 Fassung: 1930-07-26, § 1241 Abs. 1 S. 2 Fassung: 1957-02-23

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers werden die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 11. Januar 1967 und des Sozialgerichts München vom 10. Dezember 1963 sowie die Bescheide der Beklagten vom 21. März 1962 und 16. August 1963 aufgehoben.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 777,50 DM zu zahlen.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Landesversicherungsanstalt (LVA) Oberbayern gewährte dem Kläger durch Bescheid vom 5. Februar 1962 ab 11. Oktober 1961 Rente wegen Berufsunfähigkeit im Betrage von monatlich 194,70 DM. Durch einen weiteren Bescheid vom 12. März 1962 gewährte sie ihm außerdem gemäß § 1241 Abs. 1 Satz 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) vom 1. Oktober bis 31. Dezember 1960 ein Übergangsgeld von 11,20 DM täglich und vom 1. Januar bis 5. September 1961 ein Übergangsgeld von 12,50 DM täglich mit dem Hinweis, daß für die Zeiten vom 1. bis 14. Oktober 1960 und vom 14. Februar bis 5. September 1961 kein Übergangsgeld ausbezahlt werde, weil das vom Kläger während dieser Zeit erzielte und gemäß § 1241 Abs. 3 RVO anrechenbare Arbeitsentgelt höher sei als das Übergangsgeld. Vom 6. September bis 10. Oktober 1961 befand sich der Kläger in stationärer Heilbehandlung (§ 1236 RVO) und erhielt ein Übergangsgeld von 11,70 DM täglich.

Von der beklagten Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) erhielt der Kläger wegen Arbeitsunfähigkeit ab 11. Oktober 1961 Krankengeld im Betrage von 21,25 DM täglich. Als die LVA dem Kläger durch den genannten Bescheid vom 5. Februar 1962 die Rente wegen Berufsunfähigkeit ebenfalls ab 11. Oktober 1961 bewilligt hatte, kürzte die Beklagte durch Bescheid vom 21. März 1962 das Krankengeld des Klägers gemäß § 183 Abs. 5 RVO ab 9. Februar 1962 auf 11,82 DM und machte für die zurückliegende Zeit den Übergang der Rentenforderung des Klägers auf sie bei der LVA geltend. Diese befriedigte den Anspruch.

Der Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid der AOK vom 21. März 1962 blieb erfolglos. Die Klage hat das Sozialgericht (SG) abgewiesen.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger erfolglos Berufung eingelegt. Nach Auffassung des Landessozialgerichts kommt die Anrechnung nach § 183 Abs. 5 RVO immer dann in Betracht, wenn die Rente wegen Berufsunfähigkeit nach oder mit dem Tage bewilligt wird, von dem an Krankengeld zu gewähren ist.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger die zugelassene Revision eingelegt und zur Begründung ausgeführt: Der Begriff "während" in § 183 Abs. 5 RVO sei nicht dem Begriff "innerhalb" gleichzusetzen.

Der Kläger beantragt,

die angefochtene Entscheidung, das Urteil des SG München vom 10. Dezember 1963 sowie den Bescheid der Beklagten vom 21. März 1962 idF des Widerspruchsbescheides vom 16. August 1963 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an ihn 777,50 DM zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält die Auffassung des angefochtenen Urteils für zutreffend.

Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).

II

Die Revision ist begründet.

Ein Übergang der Rente wegen Berufsunfähigkeit nach § 183 Abs. 5 RVO auf die Krankenkasse hat nicht stattgefunden. Die Vorinstanzen haben zu Unrecht angenommen, daß die genannte Vorschrift im vorliegenden Streitfall zur Anwendung komme. Dem Kläger ist gemäß § 1241 Abs. 1 Satz 2 RVO vom 1. Oktober 1960 bis 10. Oktober 1961 (mit Unterbrechungen) ein Übergangsgeld gewährt worden. Dieses Übergangsgeld ist somit an die Stelle der an sich zu gewährenden Berufsunfähigkeitsrente getreten. Wie der 12. Senat des Bundessozialgerichts in seinem Urteil vom 22. April 1970 (SozR Nr. 19 zu § 1241 RVO) u. a. ausgeführt hat, sei zwar der Grundgedanke bei der Gewährung von Übergangsgeld (§ 1241 Abs. 1 Satz 1 RVO), das Rentendenken bis zum Abschluß von Rehabilitationsmaßnahmen auszuschließen, in der Regelung des § 1241 Abs. 1 Satz 2 RVO nicht voll durchgeführt worden (vgl. Jantz/Zweng, Das neue Recht der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten, 2. Aufl. § 1241 Anm. I 1); jedoch lägen jedenfalls Sinn und Zweck des § 1241 Abs. 1 Satz 2 RVO darin, daß das vorgezogene Übergangsgeld an die Stelle einer an sich zu zahlenden Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit oder einer erhöhten Rente nach § 1268 Abs. 2 Nr. 2 RVO trete. Wegen der engen Verknüpfung dieser Rentenformen mit dem vorgezogenen Übergangsgeld könnten die Leistungsverpflichtungen für die genannten Renten und das an ihre Stelle tretende vorgezogene Übergangsgeld nur einheitlich beurteilt und gehandhabt werden.

Das vorgezogene Übergangsgeld ist mithin für Rechtsbeziehungen, in denen es auf die Gewährung einer der in § 1241 Abs. 1 Satz 2 RVO genannten Renten ankommt, der an sich zu gewährenden Rente gleichzuerachten. Da das anstelle der Rente gezahlte Übergangsgeld bereits seit 1. Oktober 1960 gewährt worden ist, während der Kläger von der beklagten AOK Krankengeld wegen Arbeitsunfähigkeit erst ab 11. Oktober 1961 erhalten hat, sind die Voraussetzungen des § 183 Abs. 5 RVO nicht erfüllt; denn dem Versicherten ist nicht "während" des Bezuges von Krankengeld Rente gewährt worden, sondern umgekehrt während des Bezuges von Rente Krankengeld. Der hier vorliegende Sachverhalt stellt das Gegenstück zu dem in SozR § 183 RVO, Nr. 41 (Urt. v. 24. Juni 1969 - 3 RK 1/67 -) behandelten Fall dar, bei dem zwar Krankengeld und Rente wegen Berufsunfähigkeit nach Beendigung der Zahlung von Übergangsgeld auch an demselben Tage wiedereingesetzt bzw. begonnen hatten, Krankengeld jedoch schon in der Zeit vor Beginn des Übergangsgeldes gewährt worden war.

Somit hat die LVA zu Unrecht den Rentenanteil in Höhe von 777,50 DM der nachzuzahlenden Berufsunfähigkeitsrente an die AOK überwiesen. Wie der Senat in seinem Urteil vom 23. November 1966 (SozR Nr. 19 zu § 183 RVO, dort jedoch nicht abgedruckt) entschieden hat, ist die LVA durch die Zahlung an die AOK auch hinsichtlich des streitigen Rententeils von ihrer Zahlungspflicht gegenüber dem Kläger befreit worden, weil dieser mit der Inanspruchnahme der Beklagten im vorliegenden Verfahren die Zahlung der Rente an sie nachträglich genehmigt hat (vgl. § 185 Abs. 2 BGB). Zugleich hat der Kläger durch die Genehmigung einen Anspruch gegen die Beklagte auf Auszahlung des zwar zu Unrecht, aber wirksam erlangten streitigen Rentenbetrages erworben (vgl. § 816 Abs. 2 BGB und dazu die bei Palandt BGB § 816 Anm. 1 b genannte Rechtsprechung)

Auf die Revision des Klägers waren mithin die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben und der Klage stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1669082

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