Leitsatz (redaktionell)

Die Mitteilung an den Beschädigten, die (von Amts wegen vorgenommene) ärztliche Nachuntersuchung habe ergeben, daß in den für die Feststellung maßgebenden Verhältnissen eine wesentliche Änderung nicht eingetreten sei und sich die bisherigen Versorgungsbezüge somit nicht änderten, ist keine Feststellung der Versorgungsbezüge iS des BVG § 62 Abs 1.

Diese Vorschrift setzt nicht einen Verwaltungsakt schlechthin voraus, sondern einen Verwaltungsakt bestimmten Inhalts. Dieser muß, um als eine zum Vergleich heranzuziehende Feststellung gelten zu können, für die bei seinem Erlaß bestehenden tatsächlichen Verhältnissen maßgebend sein, darf aber nicht - wie jene Mitteilung - die früheren Verhältnisse als weiter maßgebend bezeichnen.

 

Normenkette

BVG § 62 Abs. 1 Fassung: 1960-06-27

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 18. September 1963 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Verfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Der Kläger bezieht Versorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG). Anfangs waren "doppelseitige cirrhotische Oberlappentuberkulose und tuberkulöse Wirbelkörperentzündung im Bereich des 4. und 5. Lendenwirbels" als Schädigungsfolgen anerkannt und die Rente zuerst nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 100 v. H., sodann um 80 v. H. und schließlich um 50 v. H. (Bescheid vom 19. Februar 1957) festgesetzt worden. Die Feststellung der Beschädigtenrente nach einer MdE um 50 v. H. stützte sich auf die Gutachten des Prof. Dr. W vom 2. Januar 1957 und des Facharztes Dr. R vom 16. Februar 1957.

Nach einer Nachuntersuchung des Klägers in der Diakonissenanstalt in F zu Beginn des Jahres 1960 teilte das Versorgungsamt unter dem 24. März 1960 auf Vordruck dem Kläger folgendes mit:

"Die gemäß § 62 des Bundesversorgungsgesetzes von Amts wegen vorgenommene Nachprüfung der Verhältnisse, die für die Feststellung Ihrer Versorgungsbezüge maßgebend gewesen sind, hat ergeben, daß in diesen Verhältnissen eine wesentliche Änderung nicht eingetreten ist. Ihre bisherigen Versorgungsbezüge ändern sich somit nicht."

Gestützt auf das auf Grund einer Nachuntersuchung erstattete Gutachten des Oberarztes Dr. E/Facharztes Dr. L von der Diakonissenanstalt in F vom 2. Mai 1962 stellte das Versorgungsamt durch den Bescheid vom 24. Mai 1962 die Versorgungsbezüge gemäß § 62 des BVG neu fest, weil eine wesentliche Änderung insofern eingetreten sei, als die Lungen- und Wirbeltuberkulose nunmehr klinisch ausgeheilt sei. Die Schädigungsfolgen wurden wie folgt bezeichnet: "Vernarbte Lungentuberkulose und konsolidierte Tuberkulose des 4. und 5. Lendenwirbels". Die Rente wurde nach einer MdE um 40 v. H. mit Wirkung vom 1. Juli 1962 an festgestellt. Der Widerspruch blieb erfolglos. Klage und Berufung hatten - jeweils nach Beweisaufnahme - ebenfalls keinen Erfolg.

Im Urteil vom 18. September 1963 hat das Landessozialgericht (LSG) bei der Anwendung des § 62 BVG die medizinischen Befunde hinsichtlich der Schädigungsfolgen mit denen des Jahres 1957 verglichen, weil damals die Versorgungsbezüge maßgeblich festgestellt worden seien; die Benachrichtigung des Versorgungsamts vom 24. März 1960 hat es nicht als eine Feststellung der Versorgungsbezüge angesehen. Ein Zurückgehen auf die ursprünglich ermittelten Verhältnisse, hier die des Jahres 1957, erweise sich insbesondere in Fällen der vorliegenden Art, wo es sich um eine länger dauernde Heilungsbewährung handle, als notwendig. In den Schädigungsfolgen sei insofern eine wesentliche Änderung eingetreten, als inzwischen die Heilungsbewährung abgelaufen sei, welche 1957 noch keinesfalls als abgeschlossen habe betrachtet werden können. Durch die verbleibenden Schädigungsfolgen werde die Erwerbsfähigkeit des Klägers um nicht mehr als 40 v. H. eingeschränkt. Das Berufungsgericht hat die Revision zugelassen, weil die von ihm vorgenommene Auslegung des § 62 BVG eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung darstelle.

Der Kläger hat Revision eingelegt und beantragt,

unter Aufhebung des Urteils des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 18. September 1963 und des Urteils des Sozialgerichts Schleswig vom 23. November 1962 nach dem Berufungsantrag zu erkennen,

hilfsweise,

die Sache unter Aufhebung des Berufungsurteils zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen.

Er rügt mit näherer Begründung eine Verletzung des § 62 BVG, weil die Mitteilung des Beklagten vom 24. März 1960 ein den Kläger begünstigender Verwaltungsakt sei.

Der Beklagte beantragt,

die Revision des Klägers gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 18. September 1963 zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Der Kläger hat die durch Zulassung statthafte Revision form- und fristgerecht eingelegt und begründet.

Streitig ist die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 24. Mai 1962 - in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. September 1962 - über eine Neufeststellung der Versorgung auf Grund des § 62 Abs. 1 BVG. Nach dieser Vorschrift ist der Anspruch neu festzustellen, wenn in den Verhältnissen, welche für die Feststellung des Anspruchs auf Versorgung maßgebend gewesen sind, eine wesentliche Änderung eintritt. Das LSG hat bei der Anwendung dieser Vorschrift die zu Beginn des Jahres 1957 ermittelten Verhältnisse mit denen des Jahres 1962 verglichen und hat - obwohl die medizinischen Befunde seiner Ansicht nach im wesentlichen gleich geblieben seien - eine wesentliche Änderung insofern festgestellt, als nunmehr "Heilungsbewährung" eingetreten sei und nicht mehr angenommen zu werden brauche, daß es zu Rückfällen der Tuberkulose kommen werde. Gegen die tatsächliche Feststellung einer wesentlichen Änderung dieser Verhältnisse hat der Kläger keine Revisionsrügen erhoben, so daß sie nach § 163 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) das Revisionsgericht bindet.

Zu Unrecht wendet sich der Kläger dagegen, daß das Berufungsgericht die Benachrichtigung der Verwaltung nicht zur Grundlage eines für ihn günstigen Urteils gemacht hat. Es trifft zwar zu, daß die Benachrichtigung das Datum vom 24. März 1960 trägt, während der Postfreistempler das vom 24. August 1959 aufweist. Hierdurch aber wird ihre rechtliche Beurteilung nicht beeinflußt; vielmehr entbehren die Vermutungen, welche die Revision an dieses Auseinanderklaffen der Daten knüpft, jeder Grundlage in den Akten. Vor allem ist aus ihnen keine substantiierte Rüge gegen das angefochtene Urteil - sei es eine Verfahrensrüge oder die Rüge einer unrichtigen Rechtsanwendung - hergeleitet worden. Infolgedessen braucht auf diese Ausführungen nicht weiter eingegangen zu werden. Auch wenn die Revision weit ausgelegt und in ihr das Vorbringen erblickt wird, die Benachrichtigung habe wegen ihres Charakters als Verwaltungsakt dem Kläger "das Vertrauen auf eine grundsätzliche Beständigkeit" der in ihr enthaltenen Regelung des Versorgungsrechtsverhältnisses gegeben, kann ihr insoweit nicht gefolgt werden. Zunächst muß zweifelhaft sein, ob die Benachrichtigung als Verwaltungsakt, also als eine Maßnahme, welche von einer Verwaltungsstelle zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts getroffen wird, angesehen werden kann oder vielmehr als schlichte Verwaltungsäußerung aufzufassen ist. Dies kann jedoch unerörtert bleiben. Denn auch wenn sie ein Verwaltungsakt wäre, hätte die Verwaltung sich durch sie nicht der Möglichkeit begeben, den Versorgungsanspruch des Klägers gemäß § 62 Abs. 1 BVG neu festzustellen, wenn sich in Zukunft die maßgebenden Verhältnisse ändern sollten. Dahingehende Ausführungen sind in der Benachrichtigung nicht enthalten, mit der Revision auch nicht etwa vorgebracht worden. Der Vertrauensschutz des Klägers kann nicht weiter gehen, als der Wortlaut der Benachrichtigung zuläßt. Sie gilt nämlich nur für die Dauer des Fortbestehens der Verhältnisse, welche für die Feststellung der Versorgungsbezüge vor dem Jahre 1960 maßgebend gewesen waren und die sich - nach der Auffassung der Verwaltung - bis zum Zeitpunkt der Benachrichtigung nicht wesentlich geändert hatten. Mithin kann die Revision auch mit einer solchen Begründung nicht durchgreifen.

Es kommt vielmehr - entgegen der Ansicht der Revision - allein darauf an, ob die Mitteilung vom 24. März 1960 eine Feststellung der Versorgungsbezüge im Sinne von § 62 Abs. 1 BVG gewesen ist. Auch in diesem Zusammenhang kann unerörtert bleiben, ob die Benachrichtigung - wie die Revision ausführt - ein Verwaltungsakt ist. Denn die Vorschrift des § 62 Abs. 1 BVG setzt nicht einen Verwaltungsakt schlechthin, sondern einen Verwaltungsakt bestimmten Inhalts voraus Um eine Änderung der Verhältnisse zu beurteilen, kann bei einer Neufeststellung des Versorgungsanspruchs eine vorhergehende Feststellung nur dann herangezogen werden, wenn für sie die zu ihrer Zeit bestehenden tatsächlichen Verhältnisse maßgebend gewesen sind (vgl. BSG 11, 236 ff., 241-242, 15, 26 ff.). Durch die Benachrichtigung vom 24. März 1960 aber sind für das Versorgungsverhältnis des Klägers die früheren Verhältnisse - also die vom Jahre 1957 - als nicht wesentlich geändert, mithin als weiter maßgebend bezeichnet, die bisherige Regelung ist beibehalten worden. Die Benachrichtigung kann demgemäß schon ihrem sachlichen Gehalt nach nicht als eine zum Vergleich heranzuziehende Feststellung der Rente im Sinne von § 62 Abs. 1 BVG angesehen werden.

Zu Recht ist hier das LSG auf die Feststellung der Versorgungsbezüge durch den Bescheid vom 19. Februar 1957 zurückgegangen. Ihr liegt eine Ermittlung und Feststellung der zur damaligen Zeit bei dem Kläger vorliegenden medizinischen Unterlagen zugrunde. Von ihnen ausgehend hat das Berufungsgericht - wie bereits dargelegt - für das BSG bindend eine wesentliche Änderung der Verhältnisse festgestellt, so daß das angefochtene Urteil zutreffend ist. Die nicht begründete Revision des Klägers war dementsprechend zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

Da die Voraussetzungen der §§ 165, 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG erfüllt sind, konnte der Senat ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2380430

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge