Leitsatz (amtlich)

1. In den Fällen, in denen für Schädigungsfolgen aus der Zeit vor dem 1939-09-01 ein Versorgungsanspruch nach BVG § 57 Abs 2 aF nicht bestanden hat, findet BVG § 85 keine Anwendung, damit auch nicht die Fristvorschrift in BVG aF § 85 S 2.

2. Ist ein Versorgungsanspruch bei Inkrafttreten des 1. NOG KOV vom 1960-06-27 wegen Fristversäumnis BVG aF §§ 56, 57) von der Verwaltung abgelehnt, die Klage auf Aufhebung dieses Bescheids und Verurteilung zur Gewährung von Rente aber noch rechtshängig, so müssen die Gerichte - auch das BSG im Revisionsverfahren - die Rechtmäßigkeit des Bescheids vom 1960-06-01 an nach dem Recht prüfen, das zur Zeit der gerichtlichen Entscheidung gilt; es handelt sich in diesem Falle vom 1960-06-01 an nicht um einen "neuen" Anspruch iS von 1. NOG KOV Art 4 § 1 Abs 2, der Anspruch ist deshalb auch nicht von einem "neuen" Antrag abhängig.

 

Normenkette

BVG § 85 S. 2 Fassung: 1950-12-20, § 57 Abs. 2 Fassung: 1950-12-20; KOVNOG 1 Art. 4 § 1 Abs. 1 Fassung: 1960-06-27, Abs. 2 Fassung: 1960-06-27

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 13. März 1959 wird zurückgewiesen, soweit es sich um den Anspruch auf Versorgung für die Zeit bis 31. Mai 1960 handelt.

Im übrigen wird die Sache an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I

Der Kläger wohnte nach der Vertreibung aus Ostpreußen zunächst im Gebiet der sog. Deutschen Demokratischen Republik und kam am 8. April 1953 im Notaufnahmeverfahren in das Bundesgebiet. Er beantragte am 29. April 1953 Versorgung wegen Splitterverletzung des rechten Auges und erweiterte im Mai 1953 seinen Antrag dahin, auch eine Verletzung des linken Auges als Schädigungsfolge nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) anzuerkennen. Die Augenschädigung links führte er auf eine Splitterverletzung im Jahr 1917, die Augenschädigung rechts auf einen Unfall beim Geschützexerzieren im Jahre 1934 zurück; er bezog wegen dieser Leiden nach einem Bescheid der Sozialversicherungsanstalt Sachsen-Anhalt (Rentenverwaltungsstelle Magdeburg) vom 3. April 1948 eine Invalidenrente. Das Versorgungsamt Soest lehnte den Antrag durch Bescheid vom 19. November 1955 ab, da die Frist für die Anmeldung des Anspruchs nach § 56 BVG versäumt sei. Im Widerspruchsverfahren trug der Kläger vor, er habe den Anspruch bereits nach dem Reichsversorgungsgesetz bzw. nach dem Wehrmachtfürsorge- und -versorgungsgesetz angemeldet und zuletzt im Rekursverfahren vor dem ehemaligen Reichsversorgungsgericht (RVG) geltend gemacht; da das RVG seine Tätigkeit mit Kriegsbeginn eingestellt habe, sei über den Anspruch nicht mehr entschieden worden. Das Landesversorgungsamt (LVersorgA) Westfalen - Außenstelle Soest - wies den Widerspruch durch Bescheid vom 25. Mai 1956 wegen Fristversäumnis zurück (§§ 56, 57 Abs. 2 BVG). Mit der Klage begehrte der Kläger, Erblindung des linken Auges und hochgradige Sehleistungsschwäche des rechten Auges durch Linsentrübung als Schädigungsfolge nach dem BVG anzuerkennen und ab 1. Juni 1953 Rente nach einer MdE um 100 v.H. sowie Pflegezulage für Blinde zu gewähren. Das Sozialgericht (SG) Dortmund wies die Klage durch Urteil vom 8. März 1957 ab. Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen wies die Berufung durch Urteil vom 13. März 1959 zurück: Der Kläger habe die Frist des § 56 BVG nicht gewahrt. Auf die Ausnahmevorschrift des § 57 Abs. 2 BVG, 2. Halbsatz könne der Kläger sich nicht berufen; es könne dahingestellt bleiben, ob der Kläger die Klage, wie das Bundesversicherungsamt in Berlin mitgeteilt habe, am 17. März 1939 während des Rekursverfahrens zurückgenommen habe oder ob über den Rekurs, wie der Kläger behaupte, nach dem Inkrafttreten der Verordnung über das Versorgungswesen vom 2. September 1939 (RGBl I 1686) nicht mehr entschieden worden sei; jedenfalls seien die Gesundheitsstörungen nicht als Folge einer Schädigung vor dem Inkrafttreten des BVG anerkannt worden. Da die Entscheidung der Verwaltungsbehörde nach § 3 der Verordnung vom 2. September 1939 im Spruchverfahren nicht habe angefochten werden können, sei zwar nach § 85 Satz 2 BVG innerhalb eines Jahres nach Inkrafttreten des BVG die erneute Anmeldung des Anspruchs zulässig gewesen. Diese Frist sei eine Ausschlußfrist, der Kläger habe sie nicht gewahrt, es komme nicht darauf an, ob dies deshalb nicht geschehen sei, weil er erst nach Ablauf der Frist in das Bundesgebiet gekommen sei, in § 85 Satz 2 BVG sei auf § 57 Abs. 1 Nr. 3 BVG nicht verwiesen. Der Kläger könne sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, daß die Augenverletzungen bereits durch den Bescheid der Sozialversicherungsanstalt Sachsen-Anhalt, Rentenverwaltungsstelle Magdeburg, als Schädigungsfolgen anerkannt seien, bei diesem Bescheid handele es sich nicht um einen Bescheid “nach bisherigen versorgungsrechtlichen Vorschriften„ (§ 85 Satz 1 BVG). Die Revision ließ das LSG zu. Das Urteil wurde dem Kläger am 26. Mai 1959 zugestellt.

Am 2. Juni 1959 legte der Kläger Revision ein. Er beantragte,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils und der zugrunde liegenden Entscheidungen den Beklagten zu verurteilen, Erblindung des linken Auges und hochgradige Sehleistungsschwäche des rechten Auges durch Linsentrübung als Schädigungsfolge nach dem BVG anzuerkennen und ab 1. Juni 1953 Rente nach einer MdE um 100 v.H. sowie Pflegezulage für Blinde zu gewähren,

hilfsweise,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.

Nach Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist bis 26. August 1959 begründete der Kläger die Revision an diesem Tage: Das LSG habe § 85 Satz 2 BVG unrichtig angewandt; der Gesetzgeber habe bei dieser Vorschrift offenbar nur an die Fälle gedacht, in denen der die Versorgung Begehrende seinen Wohnsitz damals bereits im Bundesgebiet oder im Land Berlin gehabt habe, er habe nicht Personen, die rechtlich und tatsächlich die Frist des § 85 Satz 2 BVG gar nicht haben wahren können, jede sachliche Nachprüfung der Anspruchsvoraussetzungen versagen wollen; es müsse genügen, daß der Kläger unmittelbar nach seiner Aufnahme in das Bundesgebiet seinen Anspruch erneut angemeldet habe.

Der Beklagte beantragte,

die Revision zurückzuweisen.

II

Die Revision ist zulässig (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164 SGG); sie ist nicht begründet, soweit das Urteil des LSG den Anspruch auf Versorgung für die Zeit bis 31. Mai 1960 betrifft.

Der Kläger hat den Anspruch auf Versorgung auf Schädigungen gestützt, die nach seiner Darstellung im Jahre 1917 (Splitterverletzung des linken Auges während eines Einsatzes im “Vaterländischen Hilfsdienst„) und im Jahre 1934 (Augenschädigung rechts durch Unfall beim Geschützexerzieren) eingetreten sind, also auf Schädigungen vor dem 1. September 1939. Das LSG hat die Bescheide, durch die der Beklagte den Versorgungsanspruch abgelehnt hat, für rechtmäßig gehalten, weil der Kläger die Fristen für die Anmeldung nicht gewahrt habe. Im Ergebnis ist das Urteil des LSG richtig, soweit es den Anspruch auf Versorgung für die Zeit betrifft, für die auch die Fristvorschriften der §§ 56, 57 BVG, die mit dem Inkrafttreten des Ersten Neuordnungsgesetzes zum BVG vom 27. Juni 1960 am 1. Juni 1960 weggefallen sind, gegolten haben.

Die Frist für die Anmeldung eines Anspruchs nach § 56 BVG hat der Kläger unstreitig nicht gewahrt. Das LSG hat zu Recht angenommen, daß der Kläger den Anspruch auch nicht auf Grund der Ausnahmevorschrift des § 57 BVG nach Ablauf dieser Frist noch hat geltend machen können. Der Kläger ist zwar, da er erst im April 1953 im Notaufnahmeverfahren in das Bundesgebiet gekommen ist, bis zu diesem Zeitpunkt an der Anmeldung seiner Ansprüche nach dem BVG “durch Verhältnisse verhindert worden, die außerhalb seines Willens lagen„ (§ 57 Abs. 1 Nr. 3 BVG; die Voraussetzungen von § 57 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 BVG liegen nicht vor). Auf § 57 Abs. 1 Nr. 3 BVG hat der Kläger sich mit Erfolg aber nur dann berufen können, wenn die Gesundheitsstörungen auf einen vor dem Inkrafttreten des BVG gestellten Antrag als Folge einer Schädigung anerkannt worden sind oder mit einer anerkannten Gesundheitsstörung in ursächlichem Zusammenhang stehen; denn der Kläger stützt den Anspruch auf Schädigungen, die während einer vor dem 1. September 1939 beendeten Dienstleistung eingetreten sind (§ 57 Abs. 2 BVG). Die Gesundheitsstörungen des Klägers sind jedoch nicht auf Grund eines vor dem Inkrafttreten des BVG gestellten Antrags als Schädigungsfolgen anerkannt worden. Zwar hat der Kläger vor dem Inkrafttreten des BVG einen Antrag auf Versorgung gestellt, dieser Antrag ist aber von der Versorgungsverwaltung damals abgelehnt worden; dies ergibt sich daraus, daß es nach den Feststellungen des LSG wegen des Anspruchs des Klägers zu einem Rekursverfahren vor dem RVG gekommen ist. Zu einer “Anerkennung„ der geltend gemachten Gesundheitsstörungen als Schädigungsfolgen hat dieses Verfahren nicht geführt; das LSG hat zutreffend angenommen, daß insoweit dahingestellt bleiben kann, ob der frühere ablehnende Bescheid deshalb bindend geworden ist, weil der Kläger die Klage am 17. März 1939 zurückgenommen habe oder deshalb, weil der Rekurs nach § 3 Abs. 2 der Verordnung über das Versorgungswesen vom 2. September 1939 als zurückgenommen gegolten hat. Entgegen der Ansicht des LSG und des Klägers ist es damit aber nicht mehr darauf angekommen, ob der Kläger die Frist in § 85 Satz 2 BVG gewahrt hat und hat wahren können. § 85 BVG regelt - in der alten und in der neuen Fassung - nur die Frage, inwieweit Entscheidungen, die nach bisherigen versorgungsrechtlichen Vorschriften über den ursächlichen Zusammenhang einer Gesundheitsstörung mit einer Schädigung im Sinne des BVG ergangen sind, für die Entscheidung über den Anspruch nach dem BVG bindend sind; diese Vorschrift setzt voraus, daß ein Anspruch nach dem BVG geltend gemacht werden darf, sie besagt nichts darüber, ob diese Voraussetzung vorliegt. Wenn ein Versorgungsanspruch nach den §§ 56, 57 BVG nicht mehr hat geltend gemacht werden können, ist es undenkbar, daß eine Entscheidung über den ursächlichen Zusammenhang “nach bisherigen versorgungsrechtlichen Vorschriften„ für die Entscheidung über den Anspruch nach dem BVG eine Wirkung haben kann. Auch § 85 Satz 2 BVG hat nur in Zusammenhang mit § 85 Satz 1 BVG Bedeutung gehabt. § 85 Satz 2 BVG hat nur den Sonderfall geregelt, daß durch eine Entscheidung nach früheren versorgungsrechtlichen Vorschriften der ursächliche Zusammenhang verneint worden ist, in diesen Fällen ist die bindende Wirkung dieser Entscheidung, die nach § 85 Satz 1 BVG notwendig auch zur Ablehnung des Anspruchs auf Versorgung nach dem BVG geführt hätte, ausnahmsweise - entgegen § 85 Satz 1 BVG - nicht für die Entscheidung über den Anspruch auf Versorgung nach dem BVG “übernommen„ worden, sofern die frühere ablehnende Entscheidung “auf Grund des § 3 der Verordnung über das Versorgungswesen ... nicht angefochten werden konnte„. In diesem Fall hat der Anspruch innerhalb der Jahresfrist erneut angemeldet und damit, wenn die Frist gewahrt worden ist, der ursächliche Zusammenhang erneut geprüft werden dürfen. § 85 Satz 2 BVG hat also nicht etwa, wie das LSG und der Kläger meinen, für alle von der Verordnung vom 2. September 1939 erfaßten Entscheidungen eine Frist zur erneuten Anmeldung eröffnet, die Vorschrift bezieht sich nur auf die Fälle, für die nach den §§ 56, 57 BVG eine Anmeldung nach dem BVG überhaupt in Frage gekommen ist; sie hat also nur Bedeutung gehabt für die Fälle, in denen es sich um Schädigungen aus der Zeit nach dem 1.September 1939 gehandelt hat, wenn “nach bisherigen versorgungsrechtlichen Vorschriften„ in der früheren Entscheidung der ursächliche Zusammenhang verneint worden ist und diese Entscheidung auf Grund von § 3 der Verordnung vom 2. September 1939 (oder § 4 der Verordnung über das Wehrmachtsfürsorge- und -versorgungswesen vom 4. September 1939) nicht hat angefochten werden können. In den Fällen, in denen es sich um Schädigungen aus der Zeit vor dem 1. September 1939 gehandelt hat, ist die Anmeldung eines Anspruchs nach dem BVG nach § 57 Abs. 2 BVG ausgeschlossen gewesen, wenn die Schädigung nicht auf Grund eines vor dem Inkrafttreten des BVG gestellten Antrags anerkannt worden ist; damit hat § 85 BVG für diese Fälle keine Bedeutung mehr haben können, also auch nicht die Fristvorschrift in § 85 Satz 2 BVG.

Zu Recht hat das LSG noch geprüft, ob der Kläger den Anspruch wegen der Gesundheitsstörungen aus der Zeit vor dem 1. September 1939 etwa deshalb nach § 57 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 BVG 2. Halbsatz im April 1953 hat anmelden dürfen, weil der Kläger wegen dieser Schädigungen Rente von der Sozialversicherungsanstalt Sachsen-Anhalt bezogen habe; insoweit ist es erheblich gewesen, ob durch den Bescheid der Rentenverwaltungsstelle Magdeburg der Sozialversicherungsanstalt Sachsen-Anhalt vom 3. April 1948 die Gesundheitsstörungen des Klägers als Folgen des Wehrdienstes “anerkannt„ worden sind und ob diese Entscheidung nach § 85 Satz 1 BVG für die Entscheidung über den Anspruch nach dem BVG bindend ist. Es kann dahingestellt bleiben, ob § 85 Satz 1 BVG Entscheidungen betrifft, die nach den in der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands bestehenden Gesetzen und Vorschriften ergangen sind, jedenfalls enthüllt der Bescheid vom 3. April 1948 nicht eine Entscheidung über den ursächlichen Zusammenhang der Sehschädigungen des Klägers mit dem Wehrdienst. Durch diesen Bescheid ist Rente nach der Verordnung über die Sozialversicherungspflicht vom 28. Januar 1947 (“Arbeit und Sozialfürsorge„ S. 92) bewilligt worden, er ist auf die Erfüllung der Wartezeit und die Erhaltung der Anwartschaft für die Gewährung von Invalidenrente gestützt, also jedenfalls nicht auf versorgungsrechtliche Vorschriften; in dem Bescheid ist auch nicht erwähnt, daß die Sehstörungen auf dem Wehrdienst beruhen. Das LSG hat auch zutreffend dargelegt, daß der Bescheid vom 3. April 1948 vor dem Inkrafttreten der Verordnung über die Zahlung von Renten an Kriegsinvalide und Kriegshinterbliebene vom 21. Juli 1948 (ZVOBl 1948, 363) ergangen ist; es kann deshalb auch dahingestellt bleiben, ob die Verordnung vom 21. Juli 1948 eine “bisherige versorgungsrechtliche Vorschrift„, im Sinne von § 85 BVG darstellt. Jedenfalls hat der Kläger die Befugnis zur Anmeldung eines Anspruchs nach dem BVG nicht auf den Bescheid vom 3. April 1948 stützen können.

Für die Zeit bis 31. Mai 1960 ist die Revision sonach unbegründet und zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 Satz 2 BVG).

Die Revision ist jedoch begründet, soweit der Anspruch auf Versorgung für die Zeit vom 1. Juni 1960 an streitig ist. Die Fristvorschriften der §§ 56, 57 BVG sind während des Revisionsverfahrens mit dem Inkrafttreten des Ersten Neuordnungsgesetzes am 1. Juni 1960 weggefallen; Ansprüche auf Versorgung nach dem BVG können nunmehr ohne Rücksicht auf den Zeitpunkt der Schädigung angemeldet werden. Wenn solche Ansprüche bisher überhaupt noch nicht angemeldet worden sind oder wenn diese Ansprüche wegen Fristversäumnis durch bindenden Bescheid oder rechtskräftiges Urteil abgelehnt worden sind, bedarf es allerdings eines Antrags; insoweit handelt es sich um “neue Ansprüche, die sich aus diesem Gesetz (d.h. dem Ersten Neuordnungsgesetz vom 27. Juni 1960, BGBl I 453 ff) ergeben„ und über die - erstmals oder erneut - zunächst ein Bescheid der Verwaltung zu ergehen hat. Wenn der Anspruch aber bereits angemeldet gewesen ist, die Verwaltung den Anspruch abgelehnt hat und die Klage auf Aufhebung des ablehnenden Bescheids und auf Verurteilung zur Gewährung von Rente im Zeitpunkt des Inkrafttretens einer Gesetzesänderung noch rechtshängig ist, ist bei einer Aufhebungsklage in Verbindung mit einer Verpflichtungsklage die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids von den Gerichten nach der Sach- und Rechtslage zur Zeit der gerichtlichen Entscheidung zu beurteilen; die Gerichte müssen, wenn sich das materielle Recht nach dem Erlaß des angefochtenen Bescheids geändert hat und die Verwaltung trotzdem an der Ablehnung festhält, die Rechtmäßigkeit nach “neuem„ Recht prüfen (vgl. Urteil des BSG vom 14. November 1961 - 11 RV 20/61). Auch die Revisionsgerichte haben von dem im Zeitpunkt ihrer Entscheidung geltenden materiellen Recht auszugehen; sie müssen Rechtsänderungen, die vorher wirksam geworden sind, berücksichtigen, wenn das streitige Rechtsverhältnis von ihnen erfaßt wird (vgl. BGHZ 9, 101 ff; BVerwGE 4, 161 ff, 166; BSG 2, 188 ff, 192; 5, 238 ff, 242; Rosenberg, Lehrbuch des deutschen Zivilprozeßrechts, 8. Aufl., § 140 III 4 S.705 mit weiteren Hinweisen). Im vorliegenden Falle wird der Anspruch des Klägers auf Versorgung von der Änderung der Rechtslage durch das Erste Neuordnungsgesetz vom 1. Juni 1960 an erfaßt; von diesem Zeitpunkt an ist der Anspruch, der ein Sonderrechtsverhältnis zum Gegenstand hat, nicht mehr von der Wahrung der Anmeldefristen abhängig; der Anspruch ist nicht ein “neuer„ Anspruch im Sinne von Art. IV § 1 Abs. 2 des Ersten Neuordnungsgesetzes, er ist deshalb auch nicht von einem “neuen„ Antrag abhängig; er ist ein einheitlicher Anspruch; er ändert sich nicht dadurch, daß infolge einer Gesetzesänderung eine von mehreren Anspruchsvoraussetzungen - hier die fristgemäße Anmeldung - für die Zukunft wegfällt. Auch das prozeßrechtliche Begehren des Klägers ist kein “neues„, es ist von Anfang an darauf gerichtet gewesen, die ablehnenden Bescheide der Versorgungsverwaltung zu dem Zeitpunkt aufzuheben und den Beklagten von dem Zeitpunkt an zur Erteilung eines Bescheids über die Gewährung von Rente zu verurteilen, in dem die Voraussetzungen für die Ablehnung nicht mehr bestehen; die Aufrechterhaltung des bereits gestellten Antrags ist darin eingeschlossen; solange über dieses Begehren noch nicht rechtskräftig entschieden ist, ist auch das erst nach Erlaß des angefochtenen Urteils in Kraft getretene Recht zu berücksichtigen, es ergreift den mit dem Antrag geltend gemachten Anspruch vom 1. Juni 1960 an. Von diesem Zeitpunkt an kommt es deshalb darauf an, ob der Kläger zu dem nach dem Bundesversorgungsgesetz geschützten Personenkreis gehört und ob die Leiden, auf die er seinen Anspruch stützt, ursächlich mit einem versorgungsrechtlich geschützten Tatbestand zusammenhängen. Hierüber hat das LSG keine Feststellungen getroffen; es hat nach dem im Zeitpunkt seines Urteils maßgebenden Recht hierzu auch keinen Anlaß gehabt; der Senat darf aber die tatsächlichen Feststellungen, die jetzt erforderlich sind, nicht selbst treffen; die Sache ist deshalb, soweit es sich um den Anspruch auf Versorgung für die Zeit vom 1. Juni 1960 an handelt, in entsprechender Anwendung des § 170 Abs. 2 Satz 2 SGG an das LSG zurückzuverweisen.

Die Entscheidung über die Kosten bleibt dem abschließenden Urteil des LSG vorbehalten.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2603780

BSGE, 257

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